Protokoll der Sitzung vom 04.11.2009

(Beifall von CDU und FDP)

Das war eine gute Erfahrung.

Ich wünsche dir als direkt gewähltem Abgeordneten der Stadt Aachen eine sehr gute Zeit im Deutschen Bundestag. Ich hoffe, dass du die Sozialpolitik und die Gesundheitspolitik in unserem Land weiter im Auge hast und befruchtest. Ich bin mir ganz sicher, dass wir mit dir jemanden in Berlin haben, der dabei auch nordrhein-westfälische Interessen im Auge hat. Ganz herzlichen Dank und auch eine gute Zeit für dich in der politischen Arbeit im Deutschen Bundestag!

Damit du uns in Nordrhein-Westfalen nicht vergisst, möchte ich dir gerne das Maskottchen meines Ministeriums überreichen – einen MAGS – überreichen. Das ist ein Pferd, das dem westfälischen Pferd ähnelt, aber natürlich auf rheinischem Boden steht, wobei die lippische Rose den Boden ziert. Dann noch etwas Werkzeug für einen Abgeordneten, damit du uns bei deiner Arbeit nicht vergisst. – Schönen Dank noch einmal für die gute Zusammenarbeit.

(Allgemeiner Beifall – Minister Laumann über- reicht Rudolf Henke [CDU] das Maskottchen.)

Vielen Dank, Herr Minister. – Die Worte gaben einem das Gefühl, als

ob man schon am Ende des Tagesordnungspunktes wäre. Das ist aber nicht der Fall. Die Debatte wird fortgesetzt. Es spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Gebhard.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einen Punkt noch einmal klarstellen. Wir kritisieren nicht Personen, die gerade erst eine Woche im Amt sind. Das liegt uns fern. Auch wenn Herr Rösler schon die eine oder andere Äußerung getan und den Eindruck erweckt hat, dass er einen prozentual vom Bruttolohn erhobenen Beitrag nicht für sinnvoll hält, sondern künftig eine Kopfpauschale will. Das steht hier aber gar nicht zur Debatte.

Wir haben uns klipp und klar auf das bezogen, was Sie schriftlich im Koalitionsvertrag niedergelegt und was Ihre Parteigremien abgesegnet haben. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt: Herr Romberg, Sie haben erklärt, dass Sie mit dieser Änderung das System zukunftssicher machen wollen; partiell ist der Minister auch darauf eingegangen. Sie müssen mir mal erklären, auf welcher Höhe denn der Einheitsbeitrag liegen muss, damit mehr Geld in die Kasse kommt, um das System zukunftssicher zu machen. Wenn Sie das auf dem höchsten Stand machen, den wir jetzt haben, klar, dann kommen Sie in einen Bereich, den viele nicht zahlen können. Dann muss der Steuerzahler, so wie es der Minister gesagt hat, in einen ganz tiefen Sack greifen, um das mit zu finanzieren.

Ich habe ihn – wenn Sie mir zugehört haben, wissen Sie das – gefragt: Warum wollen Sie, wenn Sie sozial ausgleichen wollen, ein System aufgeben, das sozial ist, und ein anderes System einführen, das Sie anschließend neu sozial ausgleichen müssen? Das entbehrt jeglicher Logik.

Als Nächstes haben Sie offen eingeräumt; da bin ich für die Klarheit sehr dankbar. Sie haben deutlich gemacht – da verstehe ich den Minister nicht ganz angesichts der Einlassungen, die ich sonst von ihm kenne –, dass Sie in der Tat der Freiberuflichkeit zweier Berufsgruppen einen wesentlich höheren Stellenwert einräumen als der Versorgung der Patientinnen und Patienten.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das ist nicht wahr!)

Das ist festzustellen. Herr Minister, an Sie ganz konkret gerichtet: Ich frage mich schon bei der generellen Absage an MVZs, so wie Sie es gerade gesagt haben, wie Sie im ländlichen Raum die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherstellen wollen. Sie wissen, dass die jetzigen MVZs, die wir haben, überwiegend – ich glaube, es sind mindestens 80 % – von Ärzten geführte werden, nicht von Krankenhäusern.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das ist auch in Ordnung!)

Also warum aufregen?

Ich habe verstanden und registriert, dass Sie gesagt haben: Die Arbeitgeber sollen nicht weiter beteiligt werden. Das kann man gegebenenfalls in drei bis fünf Jahren ändern. Das heißt, in der nächsten Legislaturperiode halten Sie es mit einer anderen Koalition für durchsetzbar, das wieder anders zu machen. Jetzt, mit den FDP-Leuten, ist das offenbar nicht machbar. Das nehmen wir zur Kenntnis.

Herr Romberg, das ist vielleicht der Schlüssel: Sie haben gefragt, wofür Sie gewählt worden sind. Ich glaube schon, dass die Menschen darauf vertraut haben, dass die CDU die Pläne der FDP, die deren Vertreter landauf und landab schon vor der Bundestagswahl verkündet haben, verhindern würde, sodass der solidarische Aspekt beibehalten wird. Ich bin, was Nordrhein-Westfalen anbetrifft, schon ein Stück weit enttäuscht. Da hört man, wie gesagt, von den CDU-Kollegen aus dem Saarland ganz andere Töne.

Eine Bemerkung noch zum Stichwort Arzneimittel: Herr Minister, natürlich haben teure neue Medikamente auch ihren Preis. Das ist völlig klar. Das erklärt aber nicht, warum ein und dasselbe Medikament bei uns wesentlich teurer sein muss als im Nachbarland, in den Niederlanden oder in anderen europäischen Ländern. Es wäre sinnvoll, daran zu gehen, statt nur das Hohelied der Freiberuflichkeit zu singen.

Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zum Kollegen Henke sagen. Herr Kollege Henke, Sie haben mich vorhin ganz traurig gemacht, als Sie mir nicht die letzte Möglichkeit, Ihnen in Ihrer Rede eine Zwischenfrage zu stellen, eingeräumt haben.

Das Zweite, was ich anmerken möchte – die Zeit läuft ab –: Sie haben – das zeichnet Sie in der Tat aus; so habe ich Sie erlebt – in Ihrem Beitrag vorhin ja nicht nur als Abgeordneter, sondern auch als Vorsitzender des Marburger Bundes gesprochen und dem Kreis, den Sie repräsentieren, nämlich dem der niedergelassenen Ärzte, ins Stammbuch geschrieben, dass sie beim Morbi-RSA Missbrauch betreiben. Das finde ich schon sehr mutig. Machen Sie weiter so! – Danke schön.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank Frau Kollegin Gebhard. – Als Nächster hat das Wort Herr Kollege Sagel, fraktionslos.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Gesundheitspolitik wollen Sie laut Koalitionsvertrag einen radikalen Systemwechsel. Das ist natürlich interessant, auch die Wortwahl – die kommt mir

sehr bekannt vor. Unter Systemwechsel verstehen Sie jedoch einen Systemwechsel zu einer Zweiklassenmedizin mit dem Standard „Unsozial pur, statt original sozial“, wie sich die Linke das vorstellt.

In Ihrem Koalitionsvertrag steht zum großen Teil wenig Konkretes. Vor allem handelt es sich um eine Arbeit von Lobbyisten; hierauf komme ich gleich noch zu sprechen. Fakt ist jedenfalls: Einfrierung des Arbeitgeberanteils. Monopolstellung von Apothekern und Stärkung der privaten Versicherungen. Es soll einen Leistungskatalog geben. Jede ärztliche Leistung wird einzeln versichert. Jeder kann sich so weit versichern, wie er es will oder bezahlen kann. Eigenverantwortung heißt, nur so viel versichert zu sein, wie es der Lohn erlaubt. Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag:

Beitrag und Leistung müssen in einem adäquaten Verhältnis stehen.

Das heißt, ich bekomme nur noch die Behandlung, die ich bezahlen kann. Da ist vermutlich für eine Putzfrau keine Krebstherapie mehr drin. Das wird die Realität sein. Jeder ist nur so viel wert, wie er Lohn bekommt. Auch das ist die Realität.

(Holger Ellerbrock [FDP]: Quatsch!)

Seien Sie ganz ruhig. Mit Mindestlohn haben Sie doch überhaupt nichts am Hut. Sie sind die Oberlobbyistenpartei im Landtag und auch in Berlin.

(Minister Karl-Josef Laumann: Der Mann ist eine Zumutung.)

Herr Minister, seien Sie ganz ruhig. Sie wollen das solidarische System verteidigen. Dann gehen Sie nach Berlin. Was sitzen Sie hier überhaupt noch? Sie werden es von Nordrhein-Westfalen aus nicht verteidigen. Die Radikaldemokraten von der FDP, die radikalen Marktlobbyisten wollen etwas ganz anderes. Deswegen haben sie auch den Minister auf dem Gesundheitsposten sitzen. Das ist die Realität.

Mit meiner Meinung stehe ich nicht alleine. Im „Spiegel“ steht ein sehr interessanter Artikel. Von Herrn Henke ist dort auch die Rede, also von demjenigen, dem Sie gerade noch ein nettes Andenken übergeben haben. Auch dieser wird hier zitiert; laut „Spiegel“ sind auch Sie ein Lobbyist. Also gute Reise nach Berlin. Die Lobbyisten verstärken sich dort. Auf Seite 36 in der Ausgabe 44 des „Spiegels“ steht – ich zitiere –:

Zunächst setzten die Liberalen die Frage auf die Tagesordnung, ob in Drogeriemärkten weiter Arzneimittel ausgegeben werden dürfen.

(Minister Karl-Josef Laumann: Nein!)

Die Apothekervereinigung ABDA läuft Sturm gegen diese Wettbewerbsnische im sonst stramm regulierten Pillengeschäft. Bei den sogenannten Pick-up-Stellen handle es sich um unerfreuliche „Auswüchse des Versandhandels“, heißt es in

einem Papier der ABDA. Nun haben Union und FDP die ABDA-Forderung nach einem QuasiVerbot der Pick-up-Stellen übernommen, und zwar wortwörtlich: „Wir werden die Auswüchse beim Versandhandel bekämpfen“, schrieben sie in ihre Vorlage für den Koalitionsvertrag.

Ein weiteres Zitat lautet:

Wer mehr als etwa 50.000 Euro brutto im Jahr verdient, soll demnächst schneller aus der gesetzlichen Krankenkasse aussteigen dürfen. Für den Wechsel in eine private Versicherung galt seit der jüngsten Gesundheitsreform eine Wartefrist von drei Jahren. Das Neukundengeschäft der Privatassekuranzen hatte deshalb etwas gelitten. FDP und Union kamen nun überein, die Wartezeit wieder auf ein Jahr zu verringern. In den Verhandlungen hatten sich CDU und CSU zunächst gesperrt. Ihre Befürchtung war, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung ein weiteres Finanzloch aufreißt, wenn der Solidargemeinschaft wieder mehr Besserverdiener verlorengehen.

Das Ganze steht unter der Überschrift „Glatter Durchmarsch“ und „Lobbyisten sind stolz auf den Koalitionsvertrag: Sie haben tüchtig daran mitgewirkt.“ Das ist Ihre Gesundheitspolitik, die Sie hier betreiben, und das ist das, was wir hier erwarten können.

Ich komme zum Schluss. Wir als Linke stehen für ein solidarisches System, wo jeder die notwendige Behandlung bekommt und alle einen angemessenen Anteil tragen. Die solidarische Krankenversicherung muss bestehen bleiben. Das ist alles anderes als das, was Sie hier machen. Das hat aus meiner Sicht keinen Anstand und keine christliche Moral. Mit dieser Meinung bin ich nicht alleine. Dieser Auffassung sind auch andere. Deswegen werde ich den Anträgen zustimmen. – Danke schön.

Vielen Dank, Herr Kollege Sagel. – Für die CDU-Fraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Henke zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Abstimmungsempfehlung habe ich bereits eben abgegeben. Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil ich nach meiner Wahl in den Deutschen Bundestag im Laufe des November aus diesem Parlament ausscheide. Einen genauen Termin muss ich noch bestimmen. Deswegen ein paar abschließende Bemerkungen, die auch etwas mit Solidarität zu tun haben:

Wenn ein Mensch auf die Welt kommt, dann ist es am Anfang immer dasselbe: Die allererste Erfahrung, die wir machen, heißt: Ohne die anderen läuft nichts. Wir brauchen nämlich Mitmenschen, die sich um uns kümmern, die uns wahrnehmen, die uns

beachten, umsorgen, an die Brust nehmen und liebhaben, damit wir uns entwickeln können. Gut, wenn das die eigenen Eltern sind.

Aber wenn die es nicht können, brauchen wir auf jeden Fall jemand anderen, der einspringt. Wir können nicht lange warten und diskutieren, wer warum und wieso dafür zuständig ist oder nicht und wie man das gesetzlich am besten regeln würde. Die Hilfe duldet keinen Aufschub. Denn allein und ohne die anderen sind wir hilflos, ohnmächtig, in akuter Gefahr. Wir können uns selbst nicht retten.

Selbst die eigene Existenz verdanken wir der Begegnung anderer Menschen und, ob wir es glauben oder nicht, der darin wirkenden Güte unseres Schöpfers Gott.

Die Erfahrung am Anfang des Lebens kann sich später immer wieder erneuern: Wir werden krank, haben einen Unfall, die körperlichen, geistigen oder seelischen Kräfte verlassen uns. Wieder brauchen wir andere Menschen, die sich um uns kümmern. Wir sind machtlos, ohnmächtig und verloren, wenn wir nicht in Gemeinschaft leben und zusammenhalten.

Diesen Zusammenhalt, in dem wir uns mehr oder weniger freiwillig gegenseitig helfen, nennen wir gerne Solidarität. Historiker, Politiker, Politikwissenschaftler, Linguisten können uns helfen, die Unterschiede und Übereinstimmungen zwischen Nächstenliebe, Brüderlichkeit und Solidarität genauer zu beschreiben. Mir ist wichtig, dass es verschiedene Konzepte geben darf, wie man Nächstenliebe, Brüderlichkeit, Solidarität praktiziert. Denkverbote passen nicht zu pluralistischen Debatten in demokratischen Parlamenten.

In der Bibel gibt es bei Lukas Kapitel 14 Vers 5 und Matthäus Kapitel 12 Vers 11 die Erzählung von dem Ochsen, der an einem Sabbat in die Grube fällt. Die Pharisäer sagen, dass man ihm am Sabbat nicht aus der Grube helfen darf, weil das den Sabbat entweiht. Im wirklichen Leben, glaube ich, heiligt es den Sabbat, wenn man den Ochsen aus der Grube holt.

Rudolf Virchow, der große Berliner Arzt, der im 19. Jahrhundert eine Zeit lang sowohl dem Preußischen Landtag als auch dem Reichstag angehört hat, hat die Medizin als eine soziale Wissenschaft bezeichnet und für die Politik festgestellt, sie sei nichts anderes als Medizin im Großen. Wenn das so ist, dann ist mein heutiger Abschiedswunsch an Sie: Bleiben Sie gute Ärztinnen und Ärzte für die Menschen in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank.