Protokoll der Sitzung vom 04.11.2009

Die erste Frage war: Wie bekommt man einen solchen Wachstumsimpuls? Die Antwort, die wir gegeben haben, war: Jawohl, wir wollen steuerliche Entlastung.

Meine Damen und Herren, hier wird behauptet, das sei alles völlig unverantwortlich, schon gar, wenn es dazu führte, dass die Nettoneuverschuldung erhöht würde. Meine Damen und Herren, wie kurz ist eigentlich das Gedächtnis der SPD?

Wir werden zum 1. Januar steuerliche Entlastungen haben. Aber es wird zwei Gesetze geben, die Grundlage dieser steuerlichen Entlastungen sind. Das erste Gesetz ist ein Gesetz, das in der Großen Koalition im Bund verabschiedet worden ist – eingebracht vom damaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück,

(Zuruf von der CDU: Ein guter Mann!)

beschlossen mit den Stimmen der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag: eine Entlastung in Höhe von 14 Milliarden €, eine Entlastung, die dazu geführt hat, dass im Haushaltsplanentwurf von Herrn Steinbrück für das Jahr 2010 die höchste Nettoneuverschuldung enthalten ist, die es auf Bundesebene jemals gegeben hat, nämlich 86 Milliarden €.

(Gisela Walsken [SPD]: Das ist ja wie in Nordrhein-Westfalen!)

Sich dann hier hinzustellen und zu sagen, es sei völlig außerhalb jeder Denkweise, dass man in einer solch großen Krise vielleicht einmal etwas tun muss, was einem in normalen Zeiten nicht richtig erscheint, nämlich diesen Wachstumsimpuls zu geben, damit Wachstum entsteht, das kann nicht sein. Es kann doch nicht richtig sein, Frau Kraft, dass das, was Sie vor einem halben Jahr beschlossen haben, jetzt plötzlich des Teufels ist. Bleiben Sie doch ehrlich! Bleiben Sie bei dem, was Sie gesagt haben!

(Beifall von CDU und FDP – Britta Altenkamp [SPD]: Darum geht es doch gar nicht!)

Die neue Regierungskoalition hat beschlossen, dieses Paket nicht zu ändern, nichts zurückzunehmen, sondern es noch einmal um weitere 8 Milliarden € zu verstärken: vor allen Dingen für die Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages,

(Britta Altenkamp [SPD]: Na toll!)

für Verbesserungen bei Teilen der Unternehmensteuer, die sich in der Praxis als falsch herausgestellt haben und im Moment die Schaffung von Arbeitsplätzen behindern, und für eine Entbürokratisierung und eine mittelstandsfreundliche Ausgestaltung der Erbschaftsteuer. Das ist übrigens ein Thema, das vonseiten der Landesregierung schon bei der Beschlussfassung dieses Gesetzes angesprochen worden ist. Wir haben damals ein eigenes Modell vorgelegt, weil wir gesagt haben: Das jetzige Modell ist zu bürokratisch und trifft den Mittelstand – bis hin zu der Tatsache, dass die Behandlung von Geschwistern in diesem Gesetz nun wahrlich nicht nachzuvollziehen ist. Das sind die Veränderungen, die wir an dieser Stelle machen.

Dann steht darin: Wir werden uns möglichst – wenn es geht – auch noch an eine große Steuerreform wagen.

(Zuruf von der SPD: Ach!)

Dazu gibt es natürlich unterschiedliche Vorstellungen. Daher hat man gesagt: Wir wollen uns das ansehen. – Das ist eine dieser berühmten Kommissionen. Aber wie kann man denn hier diese billige Nummer mit den Kommissionen machen? Wie will man denn bitte in einer Koalitionsvereinbarung einen neuen Steuertarif beschreiben? Was haben Sie eigentlich für Vorstellungen? Man merkt, dass Sie das noch nie gemacht haben, sonst würden Sie nicht einfach nur so daherreden, meine Damen und Herren.

(Beifall von CDU und FDP)

Sie können in einer Koalitionsvereinbarung nicht einen neuen Steuertarif mit Ausnahmen beschreiben, es sei denn, Sie sind in der Lage – den Eindruck haben Sie erweckt –, schon jetzt zu beziffern, was dabei herauskommt. Das kann in der Koalition niemand. Das kann übrigens auch niemand in der Bundesregierung. Noch nicht einmal der neue Bun

desfinanzminister kann das mit seinen Stäben, weil die Eckpunkte noch gar nicht festgelegt sind. Die haben etwas mit dem zu tun, was ich ganz zu Beginn gesagt habe. Niemand kann jetzt solche Eckpunkte festlegen. Warum? Weil wir immer noch eine Krise haben, weil wir nicht wissen, ob die eine Zeitung recht hat, die geschrieben hat: „Es gibt ganz schwierige Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt“, oder ob die andere Prognose richtig ist, dass wir mit dem Wachstum vorneweg laufen und das vielleicht sogar den Arbeitsmarkt nachzieht.

Das ist doch nichts anderes als vernünftig. Ich bin dankbar, dass wir den Mut gehabt haben, nicht solche Popanze aufzubauen, wie wir sie bei Ihnen hier heute erlebt haben, sondern einfach sagen, was Sache ist. Denn die Wahrheit schafft Vertrauen. Und es ist besser, zu sagen: Ich weiß noch nicht, wie eine solche Reform aussehen kann. „Möglichst“ bedeutet, dass ich noch gar nicht weiß, ob ich sie stemmen kann. Ich will sie aber politisch in dieser Koalition stemmen, weil sie langfristig richtig ist, weil das unverständliche Steuersystem das wirtschaftliche Wachstum in Deutschland behindert. Die Menschen können es nicht mehr nachvollziehen.

Den Versuch wollte schon Peer Steinbrück machen. Und damit hat er recht gehabt. Wenn es nicht geklappt hat, hat es eben nicht geklappt. Dann müssen es eben die nächsten noch einmal versuchen. Ich hoffe sehr, dass wir es hinbekommen, meine Damen und Herren.

(Beifall von CDU und FDP)

Es gibt noch ein paar andere wichtige Dinge. Dazu gehört, dass die Beiträge zur Arbeitslosen- und zur Krankenversicherung stabil bleiben. Auch das ist ein deutliches Zeichen. Sie haben mich angegriffen, dass ich über die Krankenversicherung öffentlich gesagt habe: Daran ändert sich zuerst einmal nichts. Das ist auch richtig so. Das hat gar nichts mit der Wahl zu tun, sondern wiederum mit einem Sachverhalt.

(Zurufe von der SPD)

Sie machen auch das nach dem Motto: Bitte bringe mich nicht durcheinander, ich möchte gern meine Vorurteile behalten. Rede nicht über Sachverhalte, ich möchte lieber weiter das glauben, was ich immer schon geglaubt habe.

(Beifall von CDU und FDP – Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, der Sachverhalt ist relativ einfach. Es wurde beschlossen, zum jetzigen Zeitpunkt etwas zu tun, was ökonomisch höchst vernünftig ist, nämlich die Arbeitskosten nicht zu erhöhen. Soll ich noch einmal meinen Zeitungsartikel hervorholen, in dem steht, dass wir vielleicht vor einem schweren Winter stehen und wir uns gemeinsam anstrengen müssen, dass möglichst we

nige Leute arbeitslos werden und die Kurzarbeiterregelungen irgendwie weitergeführt werden?

Dieses fantastische Verhalten in den Betrieben, die Arbeitnehmer im Betrieb zu halten statt sie zu entlassen und bei der Arbeitsagentur abzugeben, wollen wir unterstützen. Deshalb haben wir gesagt: Wir nehmen einige Milliarden in die Hand – auch wenn das schon wieder eine Nettoneuverschuldung ist – und stecken sie in die Gesundheitskasse und in die Arbeitslosenversicherung, denn im Moment ist es wichtiger, dass die Arbeitskosten nicht steigen, damit die Leute im Betrieb bleiben können und ihren Arbeitsplatz nicht verlieren.

(Beifall von der CDU)

Ich habe eben drei Schritte genannt. Es ist wichtig, gleichzeitig Investitionen in die Zukunft zu tätigen. Deshalb steht in dieser Koalitionsvereinbarung, dass vonseiten des Bundes in den nächsten Jahren 12 Milliarden € zusätzlich in Bildung und Forschung investiert werden. Deshalb steht in der Vereinbarung, dass wir den Versuch machen wollen, unser Energiesystem unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln und zu dezentralisieren. Einige Punkte sind konkret benannt. Darüber können wir ja konkret streiten, wir können Vorschläge machen und darüber diskutieren, was das für Nordrhein-Westfalen bedeutet. Das ist doch der edlen Anstrengungen wert, darüber zu reden.

Es ist übrigens ganz interessant: Bis auf Frau Löhrmann mit einem kleinen Wort zum Schluss ihrer Rede ist niemand von der Opposition auf das Thema Energie eingegangen, obwohl es für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen von zentraler Bedeutung ist.

Stichwort Vertrauen: Wir wollen, dass die Menschen wissen, auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Leistungsträger in diesem Land, auch diejenigen mit dem kleinen Portemonnaie, dass sie nicht abgekoppelt werden. Deshalb war es wichtig, klar zu sagen – darüber waren wir zuerst unterschiedlicher Meinung, jetzt ist es vereinbart –: Es gibt keine Veränderung beim Kündigungsschutz. Es gibt keine Veränderung bei der Mitbestimmung. Es gibt keine Veränderung beim Tarifvertragsgesetz. Das ist wichtig. Es hat sich gerade in der Krise bewährt, dass wir soziale Partnerschaft haben, dass die Unternehmer mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten.

(Beifall von der CDU)

Es war richtig, dass Schonvermögen zu erhöhen. Ich habe die Debatte nicht nur in den letzten Wochen geführt. Dieses Thema haben Karl-Josef Laumann und ich auf die Tagesordnung gehoben. Als wir in die Koalitionsverhandlungen gingen, war es gut zu wissen, dass die Kollegen von der FDP dies mittragen. Von der SPD kam Herr Schulz erst drei Wochen vor der Bundestagswahl und sagte: Wir müssen da irgendetwas machen. – Bis dahin

war immer gesagt worden: Machen wir nicht. – Gott sei Dank ist es jetzt beschlossen.

Dass die Riester-Rente für kleine Selbstständige geöffnet wird, dass Menschen – ganz wichtig! –, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben, eine Rente oberhalb der Grundsicherung bekommen sollen, sind ungeheuer wichtige Punkte für die soziale Gerechtigkeit in diesem Land, meine Damen und Herren. Denn warum sollen die Leute ein Leben lang hart arbeiten – auch mit geringen Löhnen –, wenn sie am Schluss doch nur die Grundsicherung bekommen?

(Beifall von der CDU)

Es ist wichtig, dass die Hinzuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger erhöht werden, damit es sich lohnt, sich eine Beschäftigung zu suchen und zur Finanzierung des eigenen Lebensunterhalts beizutragen.

(Zuruf von Rüdiger Sagel [fraktionslos])

Es soll ein Gesetz geben, in dem sittenwidrige Löhne verboten werden. Das ist wichtig nach dem, was wir in bestimmten Betrieben erlebt haben. Das muss gesetzlich geregelt sein. Eigentlich müsste ich hoffen, dass Sie jetzt klatschen und sagen: Es ist gut, dass wir das jetzt endlich machen.

(Beifall von der CDU)

Ich bin froh – auch das will ich wiederholen; Helmut Stahl hat dazu eben das Notwendige gesagt –, dass wir künftig eine Plattform haben werden – mit der letzten Bundesregierung war das nicht möglich –, auf der Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände über die unbestreitbar großen Herausforderungen bei den kommunalen Finanzen miteinander diskutieren können. Auf der wir über die Kosten der Unterkunft reden können, auf der wir über das Thema „Wettbewerbsgleichheit kommunaler und privater Anbieter“ – ich habe die Passage eben zitiert – sprechen können. Ich bin froh, dass wir dann konkret über die Regelungen reden können, wonach Quersubventionierungen in kommunalen Unternehmen der Daseinsvorsorge in Zukunft weiter möglich sein sollen. Das ist für die Kommunen ungeheuer wichtig.

(Zuruf von Ralf Jäger [SPD])

Das gibt es nicht? Das haben Sie vielleicht mal wieder nicht gelesen, Herr Jäger.

(Zurufe von der SPD)

Jeder weiß, dass es dazu ein Urteil gibt. Jeder weiß, dass es auf der Liste des Bundesfinanzministers steht. Jeder weiß, dass es im Moment nicht angewandt wird. Aber es muss geregelt werden. Es muss geregelt werden, weil es ein Urteil dazu gibt, nicht wegen der Politik. Ist das schade, wenn man keine Ahnung von den Sachverhalten hat, meine Damen und Herren!

(Beifall von der CDU)

All das führt mich dazu, dass wir in den kommenden vier Jahren als Landesregierung von NordrheinWestfalen mit der neuen Bundesregierung gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten werden. Es wird unterschiedliche Auffassungen geben. Es wird unterschiedliche Interessen geben. Es wird Debatten geben. Die hat es zum Beispiel schon in der Ministerpräsidentenkonferenz vergangene Woche im Ansatz gegeben. So ist das nun einmal.

Das war übrigens auch nie anders. Aber so zu tun, als ob das alles gar nichts sei, so zu tun, als ob darin keine Chance liege, so zu tun, als ob sich daraus nichts entwickeln könnte, so zu tun, als ob damit nicht gerade im Moment Arbeitsplätze und Unternehmensstandorte gesichert würden, das, meine Damen und Herren, kann ich nicht verstehen.

Meine herzliche Bitte ist, dass wir über Sachverhalte reden, dass wir darüber reden, welche Chancen darin sind. Wenn wir jetzt alles nur kaputt reden, dann tun wir eines garantiert nicht: Wir helfen dem Land und seinen Menschen hier aus dieser Krise heraus.

(Lang anhaltender lebhafter Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident Dr. Rüttgers. – Es spricht als Nächste die Vorsitzende der SPD-Fraktion, Frau Kollegin Kraft.