Es haben sich zu Recht alle Sorgen gemacht, als die beiden Häftlinge in Aachen ausgebrochen sind. Das bedeutet ja, wir brauchen Plätze, um Leute irgendwo sicher und – das ist mir auch ganz wichtig – menschenwürdig unterzubringen. Sie haben uns – ohne Ende – Tausende von Zellen hinterlassen, in denen keine Schamwände existierten. Über diese Zustände, die damals, als Sie, meine Damen und Herren, regierten, bestanden haben, klagen die Häftlinge heute noch. In diese Dinge investieren wir erheblich. Insofern leisten wir einen Beitrag einerseits zu einer menschenwürdigeren Unterbringung, andererseits auch zu einer Entspannung der Situation in den Justizvollzugsanstalten.
Sie haben am Rande die Ereignisse der letzten Woche angesprochen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Ausbrecher gibt es, solange es Gefängnisse gibt, meine Damen und Herren. Und das gibt es, meines Wissens, schon länger, als es die SPD gibt, und auch länger, als es die SPD geben wird, meine Damen und Herren.
Da Sie christlich vorgebildet sind, möchte ich Sie daran erinnern, dass selbst Jesus an Judas letztendlich nicht vorbeikam.
Das ist eben auch eines der Probleme. Wir werden die Haftanstalten mit Material auf Dauer noch und nöcher vollstopfen können, aber letztendlich wird es immer wieder Menschen geben, die Schwächen haben. Diese Schwächen werden wir immer wieder feststellen und nicht dauerhaft verhindern können, dass Ausbrüche stattfinden.
Meine Damen und Herren, Sie regen sich über Zahlen auf. Ich möchte nur einmal meine Kleine Anfrage Ende der letzten Legislaturperiode in Erinnerung rufen. Darin habe ich nach der Anzahl der Entweichungen in einem Zeitraum von neun Monaten gefragt. Die Anzahl der Entweichungen lag deutlich über 1.000. Das Ergebnis war so erschreckend, dass Minister Gerhards danach die Definition für Entweichungen geändert hat, um sich nicht weiterhin so blamieren zu müssen. Wer sich also hier hinstellt und Kritik übt, muss sie jedenfalls auch ins rechte Umfeld setzen.
Wenn ich die letzten Monate Revue passieren lasse, kann ich nur sagen: Wir haben das Jugendstrafvollzugsgesetz auf den Weg gebracht und verabschiedet. Was haben wir geerntet? – Lob.
Wir haben den Ombudsmann installiert. Was haben wir geerntet? – Lob. Sie haben den Ombudsmann früher nicht haben wollen, weil Sie nämlich Sorge hatten, dass er Dinge nach oben kehrt.
Wir haben den Vollstreckungsstau abgebaut. Bei uns wird inzwischen wieder vollstreckt. Das heißt, wir haben eine abschreckende Wirkung von verhängten Strafen. Auch dafür gab es Lob.
Was gibt es von Ihnen, Herr Sichau? – Es gibt Kritik daran, dass wir den Drogenhandel in Justizvollzugsanstalten stärker bekämpfen wollen.
Wer sich so äußert, meine Damen und Herren, darf sich nicht hier hinstellen und beklagen, dass Zustände in Justizvollzugsanstalten nicht so sind, wie man sie haben möchte. – Herzlichen Dank.
Herzlichen Dank, Herr Dr. Orth, auch Sie haben großzügig auf einen Teil Ihrer Redezeit verzichtet. – Wir wenden uns jetzt dem Beitrag von Frau Düker von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat könnten wir sehr lange über diesen Einzelplan 04 reden, aber ich versuche, die Hauptkritikpunkte für meine Fraktion kurzzufassen.
Trotzdem, Frau Ministerin, will auch ich auf die Vorfälle in der JVA Aachen eingehen, denn ich frage mich: Wie haben Sie reagiert, als Sie der Personalrat der JVA Aachen im Sommer darüber informierte, dass es absolut desolate Personalsituation gibt?
Wir haben einen Geschäftsbericht, der in der Presse zitiert wird, nach dem pro Bediensteten 178 Überstunden und ein Krankenstandsniveau von 18 % existieren.
Der Personalrat warnt vor daraus resultierenden Sicherheitsproblemen. Ihre Antwort, Frau Ministerin, besteht darin, zum Abbau der Überstunden und zur Entspannung der Situation einen Notfalldienstplan zu entwerfen und die Dienstposten nicht mehr doppelt, sondern nur noch einfach zu besetzen.
Diese Antwort reicht nicht aus, um in unseren Justizvollzugsanstalten vernünftige Verhältnisse herzustellen. So werden Sie Ihrer Verantwortung – auch gegenüber den Beschäftigten – nicht gerecht.
Ich glaube, dass Sie mit dieser Bilanzkosmetik für die Statistik, indem die Überstunden ein bisschen heruntergerechnet werden, der Sicherheit schaden. Aber ich glaube nicht, dass Sie damit die extrem hohen Krankenstände signifikant reduzieren können.
Ohne Vorverurteilung – das sollten Sie bedenken, bevor Sie das Ihren Beschäftigten gegenüber machen – kann man doch sagen, dass, Herr Dr. Orth, im Einzelfall ein Mensch – Stichwort: Faktor Mensch – versagt hat.
Aber angesichts dieser desolaten Situation in der JVA Aachen muss die Frage erlaubt sein, ob dort Organisationsmängel wie Überlastung und hohe Krankenstände bestehen, für die Sie, Frau Ministerin, die Verantwortung tragen. Herr Söhnchen hat uns Politikern in beiden Berichten ins Stammbuch geschrieben, dass hierbei dringender Handlungsbedarf besteht – nicht nur in Aachen, sondern auch in sehr vielen anderen Anstalten.
Was die Situation der Gefangenen angeht, wissen wir: Die Ausstattung gerade im Erwachsenenvollzug ist durch die Reform des Jugendstrafvollzugs noch angespannter geworden. Das erzählen uns die Beschäftigten im Erwachsenenvollzug. Dadurch, dass wir im Jugendvollzug Gott sei Dank endlich bessere Standards haben, fehlt uns Personal.
Ich finde es nicht angemessen, wenn wir angesichts von 70 % psychisch Auffälliger und angesichts von 50 % Drogenabhängiger im Strafvollzug Betreuungsschlüssel von einem einzigen Psychologen oder von einem einzigen Sozialarbeiter pro Hundert Gefangene haben. Wie soll denn so noch Behandlungsvollzug gewährleistet sein?
Die angespannte Situation im Strafvollzug ist nach wie vor Realität. Sie, Frau Ministerin, tragen die Verantwortung dafür. Sie haben die Probleme nach den Vorfällen von Siegburg nicht ausreichend gelöst.
Zur Überlastung der Justiz sage ich nur: Wer sich anschaut, welche zusätzlichen Aufgaben in den letzten Jahren allein durch neue Gesetze auf die Justiz übertragen wurden, während es in keiner
Weise eine adäquate Aufstockung der Personalausstattung gibt, kann sagen, dass die Funktionsfähigkeit unserer Justiz unter Ihrer Ägide, Frau Ministerin, geschwächt wurde.
Ich nenne nur einige Beispiele, zunächst die Abschaffung des Widerspruchverfahrens. Wir haben erste Signale von den Verwaltungsgerichten, dass die Abschaffung der Widerspruchverfahren zu einer erhöhten Belastung der Verwaltungsgerichte geführt hat. Mehr Stellen? – Fehlanzeige.
Noch lange ist keine Entwarnung in Sicht. Die Finanzkrise hat die Arbeitsgerichte erreicht. Es werden wieder dorthin ein paar Stellen geschaufelt, aber dafür werden keine neuen Stellen geschaffen, sondern sie werden anderswo hergeholt. Jedenfalls haben Sie uns nicht erläutern können, dass es sich bei den Stellen für die Arbeitsgerichte um neue Stellen handelt. Sie sind anderswo hergenommen worden.
Die Familienrechtsreform wird unsere Gerichte bald erreichen. Nach den Prognosen kommen aufgrund der Familienrechtsreform neue Aufgaben auf die Gerichte zu.