Protokoll der Sitzung vom 16.12.2009

Jetzt kommt meine geschätzte Kollegin Frau Freimuth von der FDP-Fraktion in die Situation, reden zu dürfen. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder Bürger NordrheinWestfalens hat ungefähr 20.100 € Schulden, und zwar ohne dass man sich dessen im alltäglichen Leben bewusst ist. Aufgenommen hat die für jeden Bundesbürger entweder der Bund, das Land oder die jeweilige Kommune, in der er lebt. Die Staatsverschuldung aller Gebietskörperschaften und damit aller Bürgerinnen und Bürger insgesamt wird auf der Schuldenuhr des Steuerzahlerbundes derzeit mit 1,648 Billionen € angegeben. Jede Sekunde kommen fast 4.500 € hinzu.

Den größten Anteil an diesem riesigen Schuldenberg hat nach dem Bund Nordrhein-Westfalen. Klar, wir sind das einwohnerstärkste Bundesland. Dennoch, meine Damen und Herren: Die Schuldenuhr weist alleine für Nordrhein-Westfalen einen Schuldenstand von 122,2 Milliarden € aus. Das ist ein Pro-Kopf-Schuldenstand von 6.791 €, und zwar für jeden, egal ob Baby oder Greis und selbstverständlich alle, die dazwischen liegen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, der Grund, warum wir in der Haushalts- und Finanzpolitik nicht nur einhalten, sondern auch dringend etwas verändern sollten und müssten, ist ganz anschaulich: weil wir mit der Verschuldung, die wir in den letz

ten Jahren und Jahrzehnten angehäuft haben, unsere Bürgerinnen und Bürger maßgeblich belasten, aber insbesondere natürlich die nachfolgenden Generationen.

Meine Damen und Herren, es ist deswegen ein großer Durchbruch in der Haushalts- und Finanzpolitik, dass Mitte dieses Jahres nach jahrelanger Debatte und jahrzehntelanger Verschuldungspolitik als Ergebnis der Föderalismuskommission II erreicht wurde, eine neue Verschuldensregel in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen.

Die alte Regel, nach der neue Schulden im Normalfall bis zur Höhe der Investitionsausgaben zulässig waren, hatte in der Praxis über die Jahre nämlich zu der Mentalität geführt, dass eben nicht im Ausnahmefall, sondern im Normalfall Schulden aufgenommen, aber eben nie – selbst in konjunkturstarken Zeiten nicht – zurückgezahlt wurden. Aus dieser Vorgehensweise hat sich in den letzten 35 bis 40 Jahren der genannte riesige Schuldenberg aufgehäuft.

Meine Damen und Herren, mit der neuen Schuldenregel, die in der täglichen Debatte in Anlehnung an das Vorbild der Schweiz oftmals – mal

mehr, mal weniger liebevoll – Schuldenbremse genannt wird, sind in konjunkturellen Normallagen keine neuen Schulden mehr erlaubt. Durch die Aufnahme in das Grundgesetz ist diese Regel gegen das Auf und Ab im politischen Tagesgeschäft gesichert. Ein weiteres unkontrolliertes Anwachsen des Schuldenbergs ist damit ausgeschlossen. Eine Kehrtwende in der Haushalts- und Finanzpolitik.

Meine Damen und Herren, die FDP hat sich in den vergangenen Jahren sehr für ein solches Schuldenverbot engagiert. Wir haben dazu auch schon an mehreren Stellen im Landtag Debatten gehabt. Mit dem zunehmenden Schuldenstand verspielen wir Handlungsspielräume und Gestaltungsoptionen nicht nur für amtierende Generationen – das betrifft zum Beispiel auch dieses Parlament; wir haben morgen bei der dritten Lesung des Haushaltes durchaus noch die Gelegenheit, zu diskutieren, was wir mit den 5 Milliarden € Zinsen, die wir zahlen, stattdessen machen könnten –, sondern auch und insbesondere für nachfolgende Generationen. Das führt zu einer Generationenungerechtigkeit. Dazu, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren, sollten wir keinen Beitrag mehr leisten.

(Beifall von FDP und Dr. Michael Brinkmeier [CDU])

Generationengerechtigkeit und solide Haushaltsführung sind Markenzeichen auch der Freien Demokraten und der Landesregierung seit dem Jahr 2005. Wir haben bei der Haushaltskonsolidierung – das wird ja immer mal wieder angesprochen – erhebliche Erfol

ge erreichen können. Als Beispiel nehme ich das Haushaltsjahr 2008. Hätten wir nicht die Sondereffekte aus der WestLB und dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz gehabt, dann, meine Damen und Herren, wäre es bereits zum Haushaltsjahr 2008 gelungen, einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren, und wir hätten es nach Jahren endlich wieder einmal geschafft, dass die Einnahmen die Ausgaben finanzieren und dass keine Kreditaufnahme erforderlich gewesen wäre.

Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir die Schuldenbremse auch in unserer Landesverfassung implementieren, weil wir eine Verankerung auf der einfachgesetzlichen Ebene angesichts der Praxis und der Erfahrung der letzten Jahre in der Politik und auch angesichts der Vorgänge im Zusammenhang mit einfachgesetzlichen Vorgaben nicht als durchgreifend erachten.

In der Debatte – das wurde heute in einem Artikel der „Westfalenpost“ benannt – wird immer der Einwand herangezogen, dass die Kommunen durch die Schuldenbremse benachteiligt würden, da das Land mit Krediten auf eine Einnahmequelle verzichten würde und die Kommunen damit wesentlich weniger Mittel zur Verfügung hätten. Ich will an dieser Stelle eine Anmerkung dazu machen. Natürlich haben wir nach der Landesverfassung nach wie vor die Verpflichtung, unseren Kommunen eine angemessene Finanzausstattung zur Verfügung zu stellen – das natürlich im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes.

Aber die Einnahmen aus Krediten sind anders zu bewerten als Einnahmen, die sich aus Steuern ergeben. Einnahmen aus Krediten sind nämlich nicht Ausdruck der Leistungsfähigkeit des Landes, sondern ein negativer Saldo und vielmehr Ausdruck einer fehlenden Leistungsfähigkeit. Deswegen bleibt bei der Bemessung der Zuweisungen an die Kommunen die Kreditaufnahme auch außer Acht.

Die Grundgesetzänderung zur Einführung der Schuldenbremse auf Landesebene haben FDP, CDU und SPD auf Bundesebene gemeinsam beschlossen. Damit haben sie die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag gestellt. Die Grünen haben seinerzeit – das ist zu konstatieren – zugegeben, dass sie zwar vom Konsolidieren und von der Generationengerechtigkeit gerne reden, aber dann, wenn es zur Sache geht, lieber kneifen. Deswegen kann ich an dieser Stelle die Haltung, die in den bisherigen Diskussionsbeiträgen zu diesem Thema insbesondere bei den Kollegen der SPD deutlich geworden ist, nämlich dass sie eine Schuldenbremse auf der Landesebene nicht mittragen wollen, nicht nachvollziehen.

Ich darf Sie gerade im Interesse nachfolgender Generationen herzlich bitten, Ihre Positionen an

der Stelle noch einmal zu überdenken. Wir werden in den nächsten Wochen die Gelegenheit haben, einzelne Details in den Ausschussberatungen zu diskutieren: Die Finanzplanung würde den Pfad hin zu einer schwarzen Null noch nicht abbilden – das ist so einer Ihrer Einwände.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben damit sicherlich recht. Ich möchte aber auch noch einmal darauf hinweisen, dass wir es im Augenblick noch mit einer wirklich nicht mit den Situationen der letzten Jahre vergleichbaren Wirtschafts- und Konjunkturlage zu tun haben und dass wir deswegen gemeinsam unsere Anstrengungen dafür verstärken müssen, eine Umkehr in der Haushalts- und Finanzpolitik hin zu einer generationengerechten Vermeidung von neuen Schulden und einer Rückführung der bestehenden Schulden besonders bei einer erstarkenden Konjunktur dringend zu erreichen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für Bündnis 90/Die Grünen erhält Frau Löhrmann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vielen schönen, warmen und ausführlichen Worte, die wir jetzt von Herrn Linssen und von den Rednern der Koalitionsfraktionen gehört haben, sollen uns das Ganze schmackhaft machen. Sie können aber über eins nicht hinwegtäuschen: Dieser Gesetzentwurf, mit dem eine Schuldenregelung in die Landesverfassung aufgenommen werden soll, ist ein einziges Ablenkungsmanöver.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Er ist ein Ablenkungsmanöver vom Schuldenrausch, den Ihnen kein Geringerer als Otto Graf Lambsdorff ins Stammbuch geschrieben hat, zu dem, was Sie vor allem auf Bundesebene an systematischem Staatsbankrott betreiben. Nichts anderes haben Sie getan, und deswegen ist das ein Ablenkungsmanöver von der Politik, damit das nicht so auffällt. Aber es fällt natürlich auf.

Dieser Gesetzentwurf ist auch ein Musterbeispiel für die Art und Weise des Arbeitens dieser Regierung, ein Musterbeispiel für den Orwellschen Neusprech. Umso größer die Worte, umso hehrer die Worte, umso schlimmer ist das, was dahinter steckt.

(Gisela Walsken [SPD]: Ganz genau!)

Diese Art von Neusprech haben wir eben bei Herrn Laschet und jetzt bei Herrn Linssen gehört. Sie vollziehen einfach nicht nach, dass es manchmal, selbst wenn es Verständigungen über bestimmte Ziele gibt, Veränderungsprozesse in der Wirklichkeit gibt, die einen veränderten neuen Blick auf die Lage

der Dinge hervorrufen müssten. Dazu sind Sie nicht in der Lage.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist das Problem Ihres gesamten Regierungshandelns.

Ich will es wirklich unterfüttern: In den nächsten drei Jahren will der Bund mindestens 270 Milliarden € neue Schulden machen. Die neue Regel legt die Schulden auf allenfalls 10 Milliarden € pro Jahr fest.

In Nordrhein-Westfalen sind von 2009 bis 2012 etwa 26 Milliarden € neue Schulden geplant. Kein Jahr unter 6 Milliarden € neue Schulden, Herr Dr. Linssen! Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten Ihre Schuldenbremse jetzt schon, dann müssten Sie diese 26 Milliarden € ab 2012 durch Überschüsse in gleicher Größenordnung abbauen. Das ist doch die Realität, die Sie mit einem Gesetzentwurf den nachfolgenden Generationen sozusagen als schwere Hypothek hinterlassen wollen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Da reicht ein Blick zurück, um die Absurdität Ihrer Pläne zu verdeutlichen: Im Jahr der höchsten Einnahmen aller Zeiten haben Sie selbst, CDU und FDP in diesem Haus, noch immer 1 Milliarde € Schulden in Nordrhein-Westfalen angehäuft. Wenn Sie Ihre Entschuldungsprogramme hier vorbeten, dann vergessen Sie immer auch, die unterschiedliche Einnahmensituation im Verhältnis der rotgrünen Regierungszeit zu Ihrer Regierungszeit zu sehen. Das macht nicht nur einen kleinen, sondern einen großen Unterschied, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Jetzt kommen Sie mir nicht mit der Finanzkrise. Diese Mär wird nicht aufgehen, und die lassen wir Ihnen, Herr Dr. Linssen, und Ihnen allen nicht durchgehen. Kommen Sie nicht mit der Finanzkrise. Sie haben in diesem und auch im nächsten Jahr noch 3 Milliarden € mehr an Einnahmen, als wir sie zum Beispiel 2004 hatten. Auch das macht keinen kleinen, sondern das macht einen großen Unterschied, meine Damen und Herren.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Insofern ist Ihre finanzpolitische Bilanz ein Desaster. Die Verschuldung wird 2010 auf über 130 Milliarden € angestiegen sein – von 110 Milliarden € 2005 auf 130 Milliarden € unter dieser Regierung. Und darüber können Sie mit Finanzkrise und anderen Ausflüchten nicht hinwegkommen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das tut Ihnen weh, und deswegen verteilen Sie diese Placebos.

Die Schuldenpolitik wird weder im Bund noch im Land durch eine Verfassungsänderung besser. Vielleicht können Sie mit diesem Gesetzentwurf Ihr

eigenes schlechtes Schuldengewissen beruhigen. Aber an der tatsächlichen Situation ändern Sie rein gar nichts. Sie machen Schulden, Schulden, Schulden – alles auf Kosten der nachfolgenden Generationen.

Es ist ja bekannt, dass ich den Kollegen Hegemann durchaus schätze, auch wenn ich bei Weitem nicht immer seiner Meinung bin. Ich muss ihn jetzt einmal bemühen. Wie Sie sich verhalten, das ist so, als würde der Kollege Hegemann uns hier heute hoch und heilig versprechen: Liebe Leute, im nächsten Jahr specke ich ein bisschen ab. – Und weil er weiß, wie schwer das ist, futtert er über Weihnachten und Neujahr noch ordentlich drauf, damit es hinterher nicht so wehtut. Ich kann das verstehen, mir geht es manchmal auch so, ich nehme mich ausdrücklich mit dazu. Aber bei Herrn Hegemann und bei mir ist es menschlich, wenn man so vorgeht. Damit schadet man nur sich selbst, wenn man sich nicht anders verhält.

Was Sie aber mit Ihrer Politik betreiben, ist grob fahrlässig mit Blick auf die öffentlichen Haushalte, die wir hier für das Land und für die Kommunen zu verantworten haben.

(Dr. Michael Brinkmeier [CDU]: Wer im Glas- haus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen!)

Ich habe mich doch direkt selbst mit einbezogen. Es ist doch bekannt, dass ich gerne gut esse, und ich denke, das ist auch mal in Ordnung.

Herr Minister Linssen, was Sie und Ihre Regierung hier treiben, ist ein Ablenkungsmanöver der Tatsachen. Ausgerechnet CDU und FDP, die die Basis der Einnahmen für Länder und Kommunen durch die Zustimmung zum Schuldenbeschleunigungsgesetz im Bundesrat zu Steuergeschenken für Besserverdienende immer weiter reduzieren, wollen uns hier etwas von Schuldenbremse erzählen. Das ist in hohem Maße fahrlässig und auch durchsichtig, dass das alles vorne und hinten nicht stimmt.

(Beifall von GRÜNEN und CDU)

Sie nehmen mit Ihrer Zustimmung im Bundesrat in Kauf, dass 885 Millionen € allein 2010 als Pappenstiel betrachtet werden, und reden von einer Schuldenbremse. Sie sind verantwortlich für Steuergeschenke an Hoteliers und Erben. Sie rufen nach Berlin: „Ja, mehr von diesen Belastungen!“, angeblich alles fürs Wachstum.

Und wenn Sie die Sachverständigen hier zitiert haben, Herr Dr. Linssen, dass man jetzt keine Sparpolitik mit allen Grausamkeiten machen soll: Ja, wo sind denn die Zitate der Sachverständigen, die Ihnen in allen Anhörungen gesagt haben, dass dieses Wachstumsbeschleunigungsgesetz kein gutes Gesetz ist und dass es fahrlässig ist, ein solches Gesetz zu beschließen? Das hätte zur Wahrheit gehört, wenn Sie das auch vorgetragen hätten.