Protokoll der Sitzung vom 16.12.2009

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 14/10429. Wer ist für diesen Entschließungsantrag? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist dagegen? – SPD, CDU und FDP. Wer enthält sich der Stimme? –Herr Sagel. Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen von SPD, CDU und FDP abgelehnt.

Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen, muss ich eine Rüge aussprechen. Sie betrifft – das kommt nicht so oft vor – den Finanzminister Dr. Helmut Linssen.

(Heiterkeit von SPD und GRÜNEN – Bodo Wißen [SPD]: Das wurde aber mal Zeit!)

Er hat sich in der Plenarsitzung am 3. Dezember 2009 zu Tagesordnungspunkt 1 – Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2010 – in seinem Redebeitrag zu den Einzelplänen 12 und 20 unparlamentarisch geäußert. Herr Dr. Linssen wird daher für diese unparlamentarische Äußerung gerügt. – Er nimmt es zur Kenntnis.

(Heike Gebhard [SPD]: Wie war die noch mal? Was hat er denn gesagt?)

Es ist nicht üblich, dass wir solche üblen Dinge wiederholen. Aber ich darf vielleicht den Hinweis geben, dass es sich um ein Bild gehandelt hat, das häufiger benutzt wird, in dem Fall aber eben unparlamentarisch war. Es hat etwas mit dem Schrank und der Innenmöblierung eines Schrankes zu tun.

(Zuruf von Bodo Wißen [SPD])

Manche sprechen auch von Tassen.

(Heiterkeit – Christof Rasche [FDP]: Das hat Applaus verdient!)

Es war Ihr Applaus, Herr Minister. Aber der war natürlich für die Rüge.

(Heiterkeit)

Wir kommen zu:

9 Die Regelschule ist der erste Förderort – Gemeinsamen Unterricht gewährleisten

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/4860

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/10371 – Neudruck

In Verbindung mit:

Sonderpädagogische Förderung: Benachteiligung abbauen, Integration ausbauen, Inklusion verwirklichen!

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/8879

Bericht des Ausschusses für Schule und Weiterbildung Drucksache 14/10386

Ich darf auf vier Punkte hinweisen.

Erstens. Der Antrag Drucksache 14/4860 wurde gemäß § 79 Abs. 2 Buchstabe b der Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung überwiesen mit der Maßgabe, dass eine Beratung und Abstimmung erst nach Vorlage der Beschlussempfehlung erfolgt.

Zweitens. Der Antrag Drucksache 14/8879 wurde gemäß § 79 Abs. 2 Buchstabe c der Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung überwiesen, und zwar mit der Maßgabe der weiteren Beratung und Abstimmung in öffentlicher Sitzung dort.

Drittens. Mit Drucksache 14/10386 teilt der Ausschuss für Schule und Weiterbildung mit, dass ihm eine abschließende Beratung der beiden Anträge nicht möglich war und er die Aufträge an das Plenum zurückgibt.

Viertens. Auf den Entschließungsantrag Drucksache 14/10371 – Neudruck – der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen habe ich auch noch hinzuweisen.

Ich darf die Beratung eröffnen und erteile für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Beer das Wort. Bitte schön, Frau Beer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn will ich noch mal kurz sagen, worum es eigentlich geht. Wenn wir von schulischer Inklusion sprechen, meint das, dass die Schule eine Lernumgebung bieten muss, die allen Kindern eine uneingeschränkte Teilhabe an Bildung ermöglicht, ohne sie auszusortieren und auszugrenzen. Das Kind muss nicht zu einer Schule passen oder passgenau gemacht werden. Es ist ein Menschenrecht, das Recht der Kinder, dass sich der Lernort auf sie einstellt und nicht umgekehrt. Die Rahmenbedingungen müssen sich an den Bedürfnissen und Besonderheiten der Schülerinnen und Schüler ausrichten.

Eigentlich sollte heute von diesem Landtag ein Signal ausgehen, dass die Umsetzung der UN

Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen auch in NRW und im Schulbereich nicht mehr strittig ist und konkret vorangetrieben wird.

Nach der Anhörung im Mai zu unserem Antrag, den wir schon im August 2007 eingebracht haben, und zum SPD-Antrag, der im März 2009 gefolgt ist, signalisierte die CDU Beratungsbedarf und kam schließlich nach der Sommerpause mit der Bitte auf uns zu, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Dieser Bitte sind wir sehr gern nachgekommen. In einem intensiven Arbeitsprozess ist es gelungen, einen Text zu formulieren, der von CDU, SPD und Grünen als Kompromiss getragen werden konnte.

Dann kam der Auftritt der Inklusionsbremsen von der FDP. Da haben wir eine bildungspolitische Sprecherin, in deren Wörterbuch der Begriff Inklusion nicht vorkommt. Das zeigt nur, dass sich diese FDP, wie sie hier sitzt, schon 1990 aus der pädagogischen Debatte verabschiedet hat. Seit der internationalen Konferenz der UNESCO 1990 geht es um den Begriff der Inklusion. 1994 wurde in der Salamanca-Erklärung Inklusion als wichtigstes Ziel der internationalen Bildungspolitik festgeschrieben – ich zitiere –:

Das Leitprinzip, das diesem Rahmen zugrunde liegt, besagt, dass Schulen alle Kinder unabhängig von ihren physischen, intellektuellen, sozialen, emotionalen, sprachlichen oder anderen Fähigkeiten aufnehmen sollen.

Das schließt Kinder mit jedweden Handicaps ein.

Schließlich verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten in dem 2006 beschlossenen Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, ein inklusives Schulsystem zu errichten, in dem der gemeinsame Unterricht von Schülerinnen mit und ohne Behinderungen die Regel ist.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Es geht also um eine Menschenrechtskonvention, von der Bundesrepublik unterzeichnet und ratifiziert. Da kommt es eigentlich nicht darauf an, ob die FDP in engstirniger Provinzialität oder ideologischer Borniertheit das Wort Inklusion nicht im gemeinsamen Antrag stehen haben möchte, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Ihnen scheint das so peinlich zu sein, dass Sie möglichst nicht an dieser Debatte teilnehmen. Das finde ich wirklich bemerkenswert.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die FDP hat es zum Schluss des dreimonatigen Konsensfindungsprozesses in sechs Tagen nicht geschafft, sich verbindlich zu dem gemeinsamen Text zurückzumelden und zu erklären, ob sie sich durchringen kann, die Verabschiedung nicht länger zu blockieren. Wir haben dann wieder gewartet und gewartet und gewartet. Am sechsten Tag um

20:02 Uhr kam dann die Nachricht, das Wort integrativ soll auch noch gestrichen werden.

Dass die Eltern von Kindern mit Behinderungen vom Witzel-Stadel reden, ist noch milde. Das wirkliche Trauerspiel ist jedoch bei der CDU zu beobachten. Gegen ihre eigene Überzeugung lassen Sie sich von der FDP am Nasenring durch die Arena führen – nicht ein Rest von Courage.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Lieber lassen Sie auch noch die eigene Ministerin im Regen stehen, die sich zaghaft aus dem Fenster gelehnt und den Eltern das Recht auf die Wahl ihres Förderorts für die Kinder in Aussicht gestellt hatte. Auch dazu hat die FDP gleich die Rollläden mit heruntergelassen.

Die FDP in diesem Hause ist der Inklusionsverhinderer, und die tiefe Überzeugung, die ihre Vertreter immer wieder zum Besten geben, ist leicht zu deuten. Kinder mit Behinderungen behindern den Unterricht. Deswegen gehören sie ausgesondert.

Der FDP reicht es auch nicht, wie im gemeinsamen Antrag formuliert, zu sagen: Eltern können auch weiterhin für ihr Kind die Förderschule wählen, wenn sie diese für den geeigneteren Förderort halten. Eine Elternberatung muss gewährleistet sein, um im Sinne des Kindes die beste Entscheidung zu treffen. – Nein, Sie wollen dagegen einen Kindeswohlbegriff, der in letzter Konsequenz sogar die Grundlage liefert, Kinder den Eltern zu entziehen, wenn sie für ihre Kinder das Recht auf Inklusion einfordern.

Die CDU kuscht, knickt wieder besseren Wissens ein und lässt die FDP ihre ideologische Blockade auf dem Rücken der Kinder austoben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist Kindeswohlgefährdung durch die FDP und eine Verletzung der Menschenrechte, dem Sie, liebe Kolleginnen der CDU, heute offensichtlich auch keinen Einhalt gebieten.

Unser Entschließungsantrag bietet heute noch mal die Möglichkeit umzusteuern. Wir haben auf Ihre beiden Einlassungen, Frau Kastner, reagiert; sie sind nicht im Text. Wenn Sie wirklich das Recht der Menschen mit Behinderungen umsetzen wollen, opfern Sie es nicht auf dem Koalitionsaltar und lassen dazu auch noch die FDP das Weihrauchfass schwenken!

Die Ministerin hat in ihrer Not zu einer Gesprächsrunde eingeladen. Aber die Eltern haben schon deutlich gemacht, Kaffeetrinken mit der Ministerin ist nicht das Ziel, sondern mehr Plätze im gemeinsamen Unterricht, gut ausgestattet, bereits zum nächsten Schuljahr. Diese Eltern wollen, dass das Verhältnis umgedreht wird. Wo heute ca. 85 % der Kinder mit Behinderungen in Förderschulen gehen, sollen demnächst mindestens 85 % der Kinder mit

Behinderungen die Regelschule besuchen. Das können wir in den nächsten zehn Jahren erreichen. Es ist nämlich normal, verschieden zu sein und gemeinsam zu leben, erfolgreich miteinander und voneinander zu lernen.

Das ist das Menschenrecht auf Inklusion, dem Sie sich hier und heute nicht länger verweigern dürfen. Deswegen werden wir gleich zu unserem Entschließungsantrag eine namentliche Abstimmung beantragen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)