Protokoll der Sitzung vom 17.12.2009

Danke schön, Herr Wißen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Remmel.

(Dietmar Brockes [FDP]: Wo findet sich der ländliche Raum auf der SPD-Liste wieder? – Marc Jan Eumann [SPD]: Wir gewinnen die Plätze alle direkt, plus X!)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was uns als Antrag und Begründung für die Aktuelle Stunde vorliegt sowie auch die Reden, die uns heute

vorgetragen wurden, das ist – es tut mir leid –, sowohl eine intellektuelle als auch eine politische Beleidigung.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Es ist blamabel für zwei Regierungsfraktionen, die jetzt viereinhalb Jahre die Regierung in NordrheinWestfalen stellen, mit einer solchen Aktuellen Stunde aufzuwarten. Wo ist erstens der aktuelle Anlass und wo ist zweitens Ihre Bilanz für den ländlichen Raum? Wir kommen gleich dazu. Leider reicht die Aktuelle Stunde nicht, die Negativbilanz in der ganzen Breite zu diskutieren.

Was ist der Anlass? – Der Anlass ist angeblich eine Verkündigung von Bau- und Verkehrsminister Ramsauer, zukünftig für den ländlichen Raum etwas zu tun. Sie wissen, es gibt offensichtlich diesen Konflikt in der Bundesregierung. Ich hätte erwartet, dass Sie zu dem Streit zwischen Frau Aigner und Herrn Ramsauer, wer zukünftig für den ländlichen Raum zuständig ist, Stellung nehmen. Aber dass die Regierungsfraktionen in Nordrhein-Westfalen diesen Konflikt in der Bundesregierung hier in der Aktuellen Stunde aufgreifen, aber sich dazu nicht äußern, das wundert mich schon sehr.

Frau Aigner hat klargestellt, dass sie zukünftig weiterhin für den ländlichen Raum zuständig ist. Herr Ramsauer will eine eigene Abteilung einrichten. Weil Herr Uhlenberg heute hier spricht, scheint mir der Konflikt in Nordrhein-Westfalen entschieden zu sein. Aber die FDP hat erklärt, dass sie sich an dieses Programm auf Bundesebene anhängen will.

Wie sieht es im Konkreten aus? Was ist der ländliche Raum? – Sprechen wir doch zunächst einmal über die Frage, wie wir ihn definieren. Wir haben ganz verschiedene ländliche Räume in NordrheinWestfalen und nicht den ländlichen Raum.

Und was wir haben – das ist in der Debatte bisher nicht zum Tragen gekommen –: Wir haben Industrieregionen im Grünen, im ländlichen Raum. Die Mehrzahl der Arbeitsplätze im ländlichen Raum sind Industriearbeitsplätze. Über 50 % der Arbeitsplätze in den ländlichen Regionen sind Industriearbeitsplätze mit den ganz spezifischen aktuellen Problemen.

Aus meiner Region kann ich berichten: Wir haben 37.000 eingerichtete Kurzarbeitsplätze. Das ist eine Zahl, die hat es in der Geschichte meiner Region noch nie gegeben, aber auch in anderen Regionen nicht. Die Höchstzahl betrug einmal 2.000 Kurzarbeitsplätze.

Was heißt das? – Das heißt, dass in den nächsten Wochen und Monaten, im nächsten Jahr die Gefahr einer großen Arbeitslosigkeit gerade im ländlichen Raum droht.

Warum ist das so? – Weil die Unternehmen im ländlichen Raum, die mittelständischen Unternehmen,

vor allem zur Zulieferindustrie für beispielsweise den Automobilbau gehören.

Deshalb liegt es im originären Interesse des ländlichen Raumes Südwestfalen, aber auch des Münsterlandes, über die Produktpolitik etwa der großen Automobilhersteller zu diskutieren. Aber was macht die Landesregierung? Die Landesregierung taucht an dieser Stelle ab. Das Thema kommt nicht vor.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Stattdessen rennt der Ministerpräsident nach Brüssel, um zu verhindern, dass es in der Frage der CO2-Kennzeichnung entsprechende Entscheidungen in Brüssel gibt. Das widerspricht explizit dem Interesse des ländlichen Raumes. Wir bräuchten eine andere Perspektive gerade für die Automobilzulieferer jenseits der Premiumstrategie der großen Automobilhersteller.

Wie sieht es im Bereich der Bildung aus? – Herr Kollege Wißen hat das erwähnt. Horstmar und Schöppingen sind doch ein Brandmal auf Ihrer Stirn.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sie schaffen es trotz demografischen Wandels und des Wunsches gerade im ländlichen Raum, alle Schulformen vor Ort anzubieten, nicht, ein wirkliches Angebot zu machen. Das wird Ihnen nachhängen, und das wird auch bei den Auseinandersetzungen im ländlichen Raum in Richtung 9. Mai eine Rolle spielen.

(Zuruf von Hannelore Brüning [CDU])

Dann zur Frage Klimaschutz, Artenschutz: Wo sind Ihre Initiativen gerade im ländlichen Raum?

(Minister Eckhard Uhlenberg: Ach!)

Dann setzen Sie sich doch auseinander! Es liegt uns doch ein aktuelles Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen vor, Herr Uhlenberg. Das geht an Ihre Adresse.

(Minister Eckhard Uhlenberg: Ist ja interes- sant!)

Es sind vier oder fünf verlorene Jahre. Der Sachverständigenrat sagt: Die Agrarpolitik, so wie sie derzeit abläuft, wie die Bundesregierung sie macht, wie auch die Landeregierung sie mit der einzelbetrieblichen Förderung macht, ist nicht zukunftsfähig. Die gemeinsame Agrarförderung 2013 wird sich umstellen müssen, wird sich an Umweltschutz, Klimaschutz, Artenschutz orientieren müssen. Nordrhein-Westfalen ist da in keiner Weise vorbereitet.

(Minister Eckhard Uhlenberg: Ach, Herr Remmel, Sie haben vieles nicht gelesen!)

Wir haben in dieser Richtung keine Vorarbeiten geleistet. Deshalb besteht die große Gefahr, dass zukünftig die europäischen Agrarsubventionen an Nordrhein-Westfalen vorbeifließen werden

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

und nicht in die Unterstützung des ländlichen Raumes gehen. Das haben Sie zu verantworten.

Dann die groß angekündigte Initiative im Zusammenhang mit Flächenverbrauch. Der Flächenverbrauch steigt, Herr Minister. In Ihrer Amtszeit steigt der Flächenverbrauch. Das war das Kernthema, das Sie in den Koalitionsvertrag geschrieben haben. Und das ist gerade ein Thema, das den ländlichen Raum betrifft. Sie haben ein Landschaftsgesetz gemacht, das den Flächenverbrauch beschleunigt. Das ist ein Flächenverbrauchsbeschleunigungsgesetz.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Zum Schluss: Wenn man hier für den ländlichen Raum antritt, muss man auch etwas zu den Kommunen sagen. Wer hat denn in den letzten vier, fünf Jahren mit einem derartigen Raubzug durch die kommunalen Kassen hier Politik gemacht? Das waren CDU und FDP: ein Raubzug durch die kommunalen Kassen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Man kann den ländlichen Raum nicht stärken, wenn man gleichzeitig die Mittel für den ländlichen Raum kürzt, beispielsweise bei den Schülerbeförderungskosten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das sind doch gerade Mittel, die den ländlichen Raum unterstützen sollen. Die haben Sie gekürzt. Insofern ist es schizophren, sich heute hier hinzustellen und sich als die großen Verteidiger des ländlichen Raumes aufzuspielen. Deshalb blieben Sie auch merkwürdig blass in Sachen konkrete Forderungen. Konkret war das weder bei Herrn Ellerbrock noch bei Herrn Deppe. Herr Deppe hat Folklore gemacht,

(Marc Jan Eumann [SPD]: Folklore und Lyrik!)

und Herr Ellerbrock hat wie üblich unter Zuhilfenahme des Zettelkastens herumphilosophiert. Aber konkrete Handlungsschritte für den ländlichen Raum, die dringend notwendig wären, eine breite Perspektive, was den demografischen Wandel, was eine Veränderung der Agrarsubventionsstruktur, was eine industrielle Perspektive und eine Bildungsperspektive für den ländlichen Raum angeht, haben Sie nicht geboten. Deshalb sind Sie nicht die Vertreter des ländlichen Raumes. Und Sie gehören dringend auf die Oppositionsbänke. Da können Sie vielleicht neu darüber nachdenken, was Ihre Initiativen für den ländlichen Raum sind. – Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Herr Remmel. – Für die Landeregierung spricht jetzt Herr Minister Uhlenberg.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich danke zunächst einmal für die Gelegenheit, die ländlichen Regionen Nordrhein-Westfalens und deren Bedeutung für das Wohlergehen des gesamten Landes im Rahmen einer Aktuellen Stunde auch in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.

Ich war eben etwas verunsichert, als ich die Reaktion der Opposition auf den Antrag der Koalitionsfraktionen gesehen habe: Das war Lachen, das war Unsicherheit, das war auch ein bisschen schlechtes Gewissen.

(Lachen von der SPD – Marc Jan Eumann [SPD]: Das ist Lachen ohne schlechtes Ge- wissen!)

Das war ein bisschen schlechtes Gewissen, weil man mit diesem Thema in Nordhrein-Westfalen eigentlich nichts anfangen kann. Die SPD und die Grünen sind die Parteien der Ballungsgebiete. Der ländliche Raum war ihnen immer eher lästig,

(Beifall von CDU und FDP – Lachen von SPD und GRÜNEN)

und man hat sich nie richtig damit auseinandergesetzt. Wenn ich an die Zeit denke, als die Mittel für die durch Kyrill verursachten Schäden zur Verfügung gestellt wurden, dann hat man damals gesagt: Gut, diese 100 Millionen € mögen ja notwendig sein, aber ist es denn richtig, dass sie nach Südwestfalen gehen? Und es sind viele weitere Fragen gestellt worden. Da sind Sie auf einem falschen Fuß erwischt worden.

Ich finde es gut, dass sich unser Parlament in Nordrhein-Westfalen, nachdem in letzter Zeit die Probleme der Ballungsgebiete im Mittelpunkt der Debatten im Landtag standen, nun einmal mit dem ländlichen Raum beschäftigt.

Herr Abgeordneter Eumann, Sie legen dabei ein bisschen die Arroganz eines Großstädters an den Tag: Sie flegeln sich in die erste Reihe, lachen bei jeder Gelegenheit, wenn die Kollegen etwas sagen. Als Kölner sieht man das Thema sicherlich mit anderen Augen; das ist wohl richtig.

(Beifall von der FDP)

Aber der Ansatz, dieses Lachen, diese Überheblichkeit, wenn es um die Fragen des ländlichen Raumes geht, gefällt mir nicht. Deswegen mein herzlicher Dank an die Koalitionsfraktionen, im Rahmen einer Aktuellen Stunde die Fragen des ländlichen Raumes zu betrachten und zu diskutieren.