Protokoll der Sitzung vom 01.12.2005

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht sollten wir uns noch einmal vor Augen führen, was der Ausgangspunkt dieser Debatte war, nämlich ein Koalitionsvertrag in Berlin, der im öffentlichen Personennahverkehr keine Kürzungen vorsieht, und anschließende Zeitungsmeldungen über die Äußerung eines CDUVerkehrspolitikers, der nicht bestätigte Zahlen in die Diskussion gebracht hat.

(Widerspruch von Christof Rasche [FDP])

Mein Vorwurf an die antragstellenden Grünen heute Morgen ist der, dass Sie in Ihrer Oppositionsrolle Themen suchen, mit denen Sie sich profilieren können. Das kann ich nachvollziehen. Nur, wenn es Ihnen um die Sicherstellung des ÖPNV in Nordrhein-Westfalen geht, dann wäre es besser gewesen, Sie hätten einen Antrag eingebracht zum Thema „Wie sichern wir gemeinsam einen leistungsfähigen ÖPNV in Nordrhein-Westfalen?“

und keinen Profilierungsantrag, wie Sie ihn heute Morgen vorgelegt haben.

(Beifall von der SPD)

Herr Keymis, ich erinnere Sie an gestern Nachmittag: Da haben Sie zweimal CDU und SPD vorgeworfen, wir würden Showanträge stellen. Heute haben Sie in diesem Sinne eine Aktuelle Showstunde beantragt. Das muss einmal festgehalten werden.

(Beifall von der SPD und Christof Rasche [FDP])

Noch etwas zu den Grünen: Sie lassen – das ist vorhin erwähnt worden – die Rolle der DB AG völlig außen vor; Sie nehmen die DB AG aus der Schusslinie bei der Frage, wie wir zu weiteren Einsparungen kommen. Die DB AG – das hat der Kollege Wißen gesagt – macht im Regionalverkehr enorme Gewinne. Es ist überhaupt nicht einzusehen, dass die DB AG bei notwendigen Sparmaßnahmen von Ihnen aus der Verantwortung herausgehalten wird. Sie hängen eine Glasglocke über die DB AG und versuchen, alles abzuwehren, was auf Strukturänderungen in diesem Bereich hinauslaufen könnte. Dafür fehlt uns jedes Verständnis, Herr Keymis.

Herr Lorth, eine Anmerkung zu Ihnen: Sie haben vorhin gesagt, der ICE-Verkehr würde Gewinne einfahren. – Das ist völliger Unsinn. Vielmehr ist der ICE-Verkehr der Bereich, der zuschussbedürftig ist und der gerade – der Kollege Wißen hat es angesprochen – über die Gewinne, die im Regionalverkehr durch die DB AG eingefahren werden, querfinanziert wird. Das ist der konkrete Sachverhalt, um den es an dieser Stelle geht.

Ich bin gespannt, ob sich die Landesregierung heute Morgen noch einmal zu Wort meldet. Es ist richtig, dass SPD und CDU in Berlin einen Koalitionsvertrag abgeschlossen haben und beide Seiten für den Inhalt dieses Vertrages verantwortlich sind; das steht überhaupt nicht zur Debatte. Nur, in Nordrhein-Westfalen haben wir jetzt eine CDUFDP-Landesregierung. Deren Verkehrsminister ist hier im Raum und hat sich bisher einmal geäußert. Herr Wittke, ich habe jetzt einige konkrete Fragen an Sie.

Welche Strategien gibt es in Ihrem Kabinett, in Ihrem Ministerium, um nicht akzeptable Einsparungen im ÖPNV in Nordrhein-Westfalen abzuwehren?

Welche Änderungen in der Struktur des ÖPNV – Stichwort Verbände, Stichwort Unternehmen – und welche Effizienzgewinne können Sie sich konkret vorstellen? Wenn man in der Regierungs

verantwortung ist, Herr Lorth, reicht es nicht, allgemein herumzuerzählen: Wir können uns viel vorstellen, wir müssen nur alles diskutieren, wir machen Vorschläge, dann passiert alles freiwillig. – Das ist an Allgemeinheit nicht mehr zu überbieten. Sie müssen hier einmal klipp und klar sagen, was Sie in Ihrer Regierungsverantwortung konkret ändern wollen. Das ist Ihre Aufgabe, das ist Ihre Pflicht.

(Beifall von der SPD)

Der letzte Punkt: Wir erwarten eine klare Aussage vom Minister und eine klare Korrektur seiner Äußerungen zum Thema Schülerticket. Kollege Horstmann hat es angesprochen: Das ist eine Leistung des Landes Nordrhein-Westfalen, die über das hinausgeht, was andere Bundesländer machen. Wir als SPD-Fraktion möchten von Ihnen wissen: Behalten Sie diese von Rot-Grün eingeführte Leistung bei, oder wollen Sie, wie Sie es öffentlich schon voreilig angekündigt haben, Einsparungen auf dem Rücken der Nahverkehrsunternehmen im ländlichen Raum und auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler vornehmen?

Das Parlament und die Bürger Nordrhein-Westfalens haben das Recht auf eine schnelle und eindeutige Antwort. – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Als nächster Redner hat der zuständige Minister, Herr Wittke, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich bin zuerst einmal darüber froh, dass der Kollege Hilser klargestellt hat, dass auch die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen hinter der Koalitionsvereinbarung von Berlin stehen.

Nach dem, was wir von Herrn Horstmann gehört haben, hatte man den Eindruck, als habe er mit all dem, was seine Parteifreunde in der Bundeshauptstadt vereinbart haben, überhaupt nichts am Hut. Es war gut und fair, Herr Hilser -dafür bin ich dankbar –, dass Sie das klargestellt haben. Vielleicht können Sie in der Fraktion noch einmal darüber beraten.

(Zuruf von Hannelore Kraft [SPD])

Frau Kraft, es wäre schön, wenn Sie sich der Meinung Ihres verkehrspolitischen Sprechers anschließen könnten, zumal Sie ja auf einem Parteitag diesem Koalitionsvertrag zugestimmt haben.

(Zuruf von Hannelore Kraft [SPD])

Herr Hilser, ich möchte auf einen zweiten Punkt eingehen: auf das Sparen. Das wird uns in den kommenden Wochen noch weiter beschäftigen. Ich bin dafür, dass wir dabei ehrlich miteinander umgehen.

Noch einmal: Es geht nicht an, dass wir von diesem Pult im Parlament aus in Schaufensterreden ständig verkünden, es müsse gespart werden und die Finanzen müssten in Ordnung gebracht werden. – Jawohl, das müssen sie, weil Sie uns in Nordrhein-Westfalen 110 Milliarden € Schulden hinterlassen haben und weil allein in diesem Jahr 7,5 Milliarden € fehlen. Darum muss gespart werden. Das ist klar.

Aber wir lassen es Ihnen nicht durchgehen, dass Sie sich gemeinsam mit den Bündnisgrünen in die Büsche schlagen, wenn es ernst wird, und dann verkünden, mit den Einsparungen vor Ort hätten Sie nichts zu tun.

(Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD: Na, na! – Weitere Zurufe von der SPD)

Sie müssen schon Farbe bekennen und so ehrlich sein, um zu sagen: Man kann heute in kaum einem Bereich eine Garantie geben, dass keine Einsparungen vorgenommen werden. Wir machen das mit Augenmaß. Wir machen das mit Kreativität. Wir haben angekündigt, dass wir einen Schwerpunkt bei der Bildung setzen werden. Darum werden wir mehr Lehrer einstellen. Denn wir wollen von den schlechten Pisa-Plätzen wegkommen. Die dadurch entstehenden Kosten müssen wir durch Einsparungen in allen Haushalten ausgleichen – auch in meinem Haushalt.

Neu an dieser Landesregierung ist, dass wir über Ressortgrenzen hinaus vernetzt denken und dass wir uns Ziele setzen, die wir erreichen wollen. Dazu leisten wir alle unseren Beitrag. Ich habe deswegen erklärt: Ich kann nicht ausschließen, dass es auch im öffentlichen Personennahverkehr in den nächsten Jahren Einschränkungen geben wird. Das ist ganz selbstverständlich.

Aber ich bin nicht so unkreativ, wie Sie es in den vergangenen Jahren waren, und sage deshalb nicht: Das muss entweder durch weniger Leistung oder durch höhere Fahrpreise wettgemacht werden. Das war die Politik der Vergangenheit. Auch Sie haben auch beim öffentlichen Personennahverkehr Einsparungen vorgenommen. Allein im nächsten Jahr werden 22 Millionen € eingespart – ich habe das gerade dargestellt. Das hat dazu geführt, dass entweder die Preise erhöht oder weniger Leistungen vor Ort bereitgestellt wurden.

Wir wollen uns Alternativen zuwenden. Wir wollen gemeinsam mit den Kommunen, mit den Aufgabenträgern und mit den Zweckverbänden darüber reden, wo wir weitere Effizienzgewinne, die auch von Herrn Horstmann zugestanden wurden, erzielen können. Wir müssen die Effizienz steigern.

Wir brauchen weniger Verwaltung und Bürokratie. Das übrig bleibende Geld wollen wir da einsetzen, wo es den größten Nutzen bringt.

Ich sage Ihnen trotz allem schon heute: Der letzte Ort und das letzte Dorf in Nordrhein-Westfalen werden nicht auf der Schiene zu erreichen sein. Man muss auch einmal den Mut haben, einen Verkehr im ländlichen Raum nicht per Schiene durchzuführen, wenn vielleicht nur 60 Menschen diese Verkehrsverbindung nutzen, sondern stattdessen Busse einzusetzen.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Ich glaube, dass das den Menschen vor Ort zu vermitteln ist. Ich habe eine Bitte zum Abschluss, Herr Hilser: Lassen Sie uns doch ehrlich miteinander umgehen. Lassen Sie uns nicht so tun, als könnten wir kräftig aus dem Vollen schöpfen und als könnten wir alles so fortsetzen, was Sie in der Vergangenheit getan haben. In den letzten Wochen haben wir immer wieder debattiert, wozu das finanzpolitisch geführt hat.

(Zuruf von Hannelore Kraft [SPD])

Das ist mittlerweile auch in der Bevölkerung angekommen. Sie haben Nordrhein-Westfalen durch Ihre unsolide Finanzpolitik finanziell an den Abgrund geführt.

(Beifall von der CDU – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sie auch – im Bundesrat!)

In höchstem Maße unseriös und ungerecht ist, diejenigen zu beschimpfen, die sich bemühen, das von Ihnen hinterlassene finanzielle Chaos wieder in Ordnung zu bringen.

(Zuruf von Hannelore Kraft [SPD])

Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Ich bin mir sicher: Das wird Ihnen auch die Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen nicht durchgehen lassen.

(Beifall von CDU und FDP – Zurufe von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, sodass ich die Aktuelle Stunde schon um 11:11 Uhr schließen kann.

(Heiterkeit)

Wir kommen dann zu:

2 Vereinbarungen der Koalitionsparteien der neuen Bundesregierung für eine Föderalismusreform

Unterrichtung durch den Ministerpräsidenten Vorlage 14/153

Mit Schreiben vom 21. November 2005 hat Herr Ministerpräsident Rüttgers gebeten, die Unterrichtung in die Tagesordnung aufzunehmen. Das haben wir selbstverständlich gemacht.

Ich weise auf den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 14/820 hin.

Ich bitte nun Herrn Ministerpräsidenten Dr. Rüttgers, die Unterrichtung vorzunehmen.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Seit wenigen Tagen hat die Bundesrepublik Deutschland eine neue Regierung. Als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz habe ich mich in den Berliner Koalitionsverhandlungen dafür eingesetzt, dass ein neuer Anlauf zur Föderalismusreform unternommen wird.