Protokoll der Sitzung vom 20.01.2010

Die Aktivitäten der Mafia und der organisierten Kriminalität bleiben in wesentlichen Bereichen unsichtbar. Sie sind partiell unzugänglich und können in Einzelfällen nur unter Schwierigkeiten von legalen Lebenssachverhalten abgegrenzt werden. Das Dunkelfeld – Herr Kollege Rudolph, Sie haben davon gesprochen – dürfte hier besonders stark ausgeprägt sein, ohne dass auch nur annähernd Aussagen zu seinem Umfang möglich erscheinen.

Wenn zum Beispiel das „Handelsblatt“ vor gut zwei Jahren, nämlich am 23. Oktober 2007, zu der Einschätzung kam, dass die Mafia in Italien die Wirtschaft dominiert und das Verbrechersyndikat sogar das größte Unternehmen Italiens sei, dann allerdings ist klar, dass die Bekämpfung der Mafia und ihrer Geschäfte in ganz Europa nicht allein Aufgabe Italiens ist.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, begünstigt wird die Ausbreitung der organisierten Kriminalität in Deutschland nicht nur durch die hoch entwickelte Wirtschaftsstruktur und die aus ihr erwachsenden Tatanreize und Tatgelegenheiten wie zum Beispiel die massive Anhäufung von hochwertigen Fahrzeugen in Ballungsgebieten, sondern es sind vor allem infrastrukturelle Bedingungen, Ballungsgebiete mit entsprechenden Milie

us, Mobilität und Struktur der Bevölkerung, Veränderungen in der Sozialstruktur, aber auch ambivalente Einstellungen zu OK-Straftaten in der Bevölkerung, die diese Erscheinungen begünstigen. Es fehlt oft die persönliche Betroffenheit, und ein Teil der Straftaten, etwa aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität, wird von manchen als Kavaliersdelikt betrachtet.

Hinzu kommt die Lage Nordrhein-Westfalens und Deutschlands in einem fast grenzenlosen Europa. Seit 20 Jahren, nämlich seit der Maueröffnung 1989, berichten die Medien fast täglich und verstärkt von Verbrechen, die mit der Mafia bzw. der organisierten Kriminalität in Verbindung gebracht werden. Der ehemalige BKA-Präsident hat Berlin als Ballungszentrum für Großkriminalität bezeichnet. Vietnamesische Zigarettenschmuggler, polnische Autoschieber, russische Glücksspielbanden und Drogenkuriere aus aller Herren Länder hätten Berlin zu ihrem Hauptquartier gemacht. Vor allem aus dem Osten Europas fluten kriminelle Banden in den Westen ein, weil sie hier Absatzmärkte finden, so die Einschätzung von Herrn Zachert.

Das Netz der europäischen Kriminalität ist nur schwer zu durchschauen. Herr Kollege Rudolph, Sie zitieren eine Italienerin – ich hoffe, dass Sie deren Buch gelesen haben – und haben es verdeutlicht. Ich bewundere dabei Ihre Italienischkenntnisse, denn das Buch ist ausschließlich in Italienisch geschrieben. Russische Experten – auch die dürfen in dem Zusammenhang ganz sicher erwähnt werden – gehen davon aus, dass die Verflechtungen der kriminellen Organisationen und deren Machtfülle weit über die klassischen italienischen mafiosen Strukturen hinausreichen.

Festzustellen ist: Die Mafia stellt einen maßgeblichen Faktor der internationalen Kriminalität dar. Wir in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland sind eine Art Drehscheibe für den Menschen-, Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr international agierender OK-Täter.

Für uns ist klar, Herr Kollege Rudolph: Egal, ob Mafia, organisierte Kriminalität, Kleinkriminalität, Hells Angels oder Bandidos oder Familienclans gleich welcher Herkunft – wir werden auch in Zukunft Sorge dafür tragen, dass Straftaten in Nordrhein-Westfalen mit allen dem Rechtsstaat zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft werden. Jedwedem Bestreben, rechtsfreie Räume in Nordrhein-Westfalen zu etablieren, werden wir mit aller Entschiedenheit und mit sämtlichen Mitteln, die dem Rechtsstaat zur Verfügung stehen, entgegentreten.

Die Menschen erwarten zu Recht, dass der Staat einen wirksamen Schutz vor Straftaten gewährleistet und die Strafverfolgung mit größter Entschlossenheit erfolgt. Für Parallelstrukturen, die unsere Rechtsordnung ignorieren, ist in unserem Land kein Platz. Diese Aufgabe bleibt ein Schwerpunkt

der schwarz-gelben Landesregierung, unseres Innenministers und ein Schwerpunkt der nordrhein-westfälischen Kriminalitäts- und Sicherheitspolitik insgesamt. – Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der CDU)

Danke schön, Herr Kruse. – Für die FDP spricht nun Kollege Engel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Rudolph, zu Beginn eine ganz persönliche Bemerkung: Ich kann Sie in der Opposition ja verstehen. Ich habe das von 2000 bis 2005 erlebt.

(Wolfram Kuschke [SPD]: Viel zu kurz!)

Aber eines habe ich nie gemacht. Ich bin niemals der Versuchung erlegen, vielleicht um einer Schlagzeile willen eine populistische Aussage oder ein populistisches Thema

(Heiterkeit bei Dr. Karsten Rudolph [SPD] – Monika Düker [GRÜNE]: Och!)

im Bereich der Kriminalität zu produzieren, und erst recht nicht, Herr Kollege Rudolph, eine Schlagzeile zu produzieren, die die Menschen in unserem Land verunsichert.

Schauen Sie doch in die Antwort auf Ihre Große Anfrage! Ich nehme zum Beispiel die Frage I.2. Da heißt es zum Ausmaß der Mafia-Kriminalität … Das sage ich auch ganz bewusst, weil wir hier Zuhörer haben, die verunsichert nach Hause gehen, wenn das, was Sie gesagt haben, unwidersprochen im Raum stehen bleibt. Das darf nicht sein.

Herr Kollege, es gibt eine Zwischenfrage.

Ich lasse keine Zwischenfrage zu.

Dort heißt es in der Antwort auf die Frage I.2 zum Ausmaß der Mafia-Kriminalität: Die Zahl der Tatverdächtigen betrage nach dem Lagebericht des Landeskriminalamtes zur organisierten Kriminalität im Jahr 2008 genau 44, was gerade einmal 4,2 % aller OK-Tatverdächtigen entspricht.

Ein Anteil von 4,2 % an OK-Delikten erscheint mir, lieber Herr Rudolph, nach Ihrer Lesart überragend bedrohlich. 4,2 %! Sie reden einem Zerrbild das Wort.

Aber es geht noch weiter. Schauen Sie sich die Antwort auf Frage I.3 an! Da ist dargestellt, dass die Zahl der Verfahren eine eher rückläufige Tendenz aufweise. Passend hierzu waren 2008 landesweit

gerade einmal zwei – ich wiederhole: zwei – Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen kriminellen Vereinigung aktenkundig. Insgesamt gab es 2008 nur vier Ermittlungsverfahren wegen OK mit überwiegend italienischer Angehörigenstruktur.

Nun könnte man natürlich annehmen, die italienische Mafia sei derart geschickt, dass ihr die Unterwanderung von NRW gelänge, ohne dass es irgendeiner Behörde auffiele. In der Tat weisen ’Ndrangheta & Co. hier einen gewissen Organisationsgrad auf. Die vorliegenden Erkenntnisse des LKA zeigen aber auch, dass sich die Kriminalität der Mafiosi vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, gegen die eigenen Landsleute richtet. Schlimm genug. Selbstverständlich stellt die italienische Mafia oder genauer die von in Clans organisierten italienischen Staatsangehörigen begangene organisierte Kriminalität ein gefährliches Feld dar. Das gilt aber für jede Form – das hat Herr Kollege Kruse auch herausgearbeitet – der organisierten Kriminalität, egal von welchem Täterkreis verwirklicht.

Diese Straftaten sind deshalb von derart hervorgehobener Gefährlichkeit, da sie strukturiert geplant und international organisiert ausgeführt werden. Für die Bekämpfung dieser Form der Kriminalität ist NRW allerdings hervorragend aufgestellt. Das müssen Sie einfach anerkennen. Ermittlung und Strafverfolgung sind an leistungsstarke Polizeibehörden, das LKA, 16 Kriminalhauptstellen und n das Polizeipräsidium Oberhausen, delegiert. Alle Kreispolizeibehörden, alle Fahnder in den Ermittlungskommissariaten und in den Sondereinrichtungen verfügen über OK-Verbindungsbeamte, die relevante Informationen über mafiöse Bestrebungen jederzeit empfangen, weitergeben und umsetzen können.

(Beifall von der FDP)

Das LKA setzt auf breiter Front verdeckte Ermittler und V-Personen ein. Nach Geldwäschegesetz und Abgabenordnung eingehende Verdachtsmeldungen werden beim LKA zentral bearbeitet und ausgewertet – und dies mit Erfolg. Hören Sie zu! So schöpfte das Land von 1999 bis 2008 sage und schreibe 639 Millionen € an kriminellen Gewinnen ab. Davon entfielen in den vergangenen fünf Jahren 2,54 Millionen auf Aktivitäten italienischer Mafiaclans.

Die Zahlen sprechen für sich. Auswertung von Daten, Ermittlung und Strafverfolgung finden unter Einsatz modernster technischer Mittel statt. Das setzen wir einfach voraus. Ferner ist das LKA in die Tätigkeit der deutsch-italienischen Task-Force zur Bekämpfung der OK proaktiv eingebunden.

Ich könnte diese Aufzählung endlos fortsetzen, weiß aber, das wird Ihnen nicht gefallen; denn Sie wollen einen anderen Effekt herbeireden.

Absurd mutet es allerdings an, Herr Kollege Rudolph, wenn Sie sich hier hinstellen und der Presse gegenüber behaupten, die innere Sicherheit des

Bundeslandes stehe auf dem Spiel, weil die FDP ein schärferes Polizeigesetz verhindert habe. Das ist völliger Quatsch. Die Ermittlungserfolge unserer Behörden sprechen gerade mit Blick auf die Mafia eine völlig andere Sprache. Sie belegen, dass rechtsstaatliches Handeln und effektive Bekämpfung der OK nicht zwei Paar Schuhe sind, sondern Hand in Hand gehen.

Aber der Schrei nach Repression und allumfassender Überwachungskompetenz des Staates ertönt ja mit schönster Regelmäßigkeit. Auch das muss hier noch mal herausgearbeitet werden. Erinnern Sie sich noch an Otto Schily – 9/11? Erinnern Sie sich noch? Er wollte ein vollbesetztes Passagierflugzeug von der Bundeswehr vom Himmel holen lassen. Ihre Kollegin Frau Silke Stokar von Neuforn – so der Zuname – hat in ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag am 30. Januar 2004 zum Luftsicherheitsnetz bekundet – ich zitiere –, jenes Gesetz sei „ohne Zweifel verfassungsgemäß“. Was daraus geworden ist, wissen wir inzwischen.

Es hat also überhaupt keinen Sinn, eine solche Politik zu machen und nur aus populistischen Gründen in diese Kerbe zu schlagen, nur weil es ein einziges, sicherlich herausragendes und tragisches Ereignis gegeben hat, nämlich den Sechsfachmord vor der Pizzeria „Da Bruno“ in Duisburg am 15. August 2007.

Die Polizei hat national und international die Täter erwischt – ohne ein anderes Polizeigesetz. Wenn Ihr Zerrbild zuträfe, dann müsste es so sein, dass man heute noch die Täter sucht. Nein, sie sitzen hinter Schloss und Riegel.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte es bei aller Versuchung, auch wenige Monate vor einer entscheidenden Landtagswahl in NordrheinWestfalen, für nicht in Ordnung, mit der Mafia in der Bundesrepublik Deutschland, mit der Mafia in Nordrhein-Westfalen Politik zu machen. Das gehört sich nicht.

Lieber Kollege Rudolph – ich schätze Sie; das wissen Sie –, Sie haben den Chefs der Kreispolizeibehörden, den Leitern der Kommissariate, denjenigen, die rund um die Uhr ihren Mann stehen, richtig ins Gesicht geschlagen. Das haben die nicht verdient. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Engel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Düker.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Karsten Rudolph! Natürlich ist es immer dankenswert, wenn aus den Reihen der Opposition –

deswegen finde ich es vom Prinzip her, Herr Kollege Engel, auch nicht zu kritisieren – hier auf Phänomene im Bereich der organisierten Kriminalität hingewiesen wird, die in der Tat sehr bedenklich sind. Herr Engel, dass Sie sich hier hinstellen und das als billigen Populismus geißeln und sich selbst von diesem Vorwurf völlig frei machen,

(Horst Engel [FDP]: Habe ich nie gemacht!)

finde ich etwas sehr gewagt. Ich erinnere mich, dass gerade Sie es waren – noch nicht einmal in der Opposition, sondern in dieser Legislaturperiode –, der, als der furchtbare Sechsfachmord von Duisburg im Innenausschuss diskutiert wurde, am Tag vorher schon eine Erklärung parat hatte. Denn Sie hatten – wenn ich mich richtig erinnere – eine Fahndungspanne

(Dr. Karsten Rudolph [SPD]: Ja!)

ähnlich der Fahndungspanne im Fall Schleyer, die Sie aus Ihrer aktiven Zeit als Polizist noch in Erinnerung hatten, festgestellt und die Ermittlungstätigkeit im Fall Duisburg mit der Schleyer-Panne verglichen. Sie haben den Ermittlungsbeamten in Duisburg einen Schlag vor die Nase versetzt. Von daher: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. So viel an Ihre Adresse.

Schaut man auf das Phänomen der organisierten Kriminalität im Bereich italienische Mafia, erschrecken einen die Größenordnungen. Kollege Rudolph hat das römische Institut Eurispes zitiert. In der „Süddeutschen Zeitung“ war am 16. Januar darüber ein großer Bericht. Wenn man sich diese Schätzungen vor Augen führt – 140 Milliarden € jährlich mit einem Gewinn zwischen 40 und 70 Milliarden € der drei großen Organisationen Cosa Nostra, Camorra und ’Ndrangheta –, sind das in der Tat Größenordnungen, die unsere Gesellschaft auch nachhaltig gefährden können. Es geht um Waffen, Drogenhandel, Geldwäsche, Schutzgelderpressung.

In zahlreichen Veröffentlichungen, Herr Minister – das ist der Vorwurf, der heute im Raum steht und auch von der SPD erhoben wird –, wird Ihnen der Vorwurf gemacht, dass Sie dieses Phänomen unterschätzen. Wenn man sich die Veröffentlichungen ansieht, sind die Warnungen, die es dort gibt, in der Tat sehr massiv.

In dem Buch „Mafia Export“ von Francesco Forgione, immerhin ein Autor aus Kalabrien, der an der Universität L’Aquila Soziologie der organisierten Kriminalität lehrt und ehemaliger Vorsitzender der Anti-Mafia-Kommission war, liest man – auch dokumentiert in der „Süddeutschen Zeitung“ –, dass die Morde in Duisburg nur vordergründig einer Familienfehde entsprachen, wie es auch gerne hier in Nordrhein-Westfalen dargestellt wird. Es ging hier vielmehr um die Kontrolle der Drogenwege von Übersee via Niederlande nach Deutschland und Italien. Die Region Rhein-Ruhr spielt hier in der Tat eine bedeutende Rolle. Insbesondere die ’Ndrang

heta, die kalabresische Mafia, hat sich hier mit ihren Familienclanstrukturen verfestigt.

Vor dem Hintergrund erstaunt dies natürlich: Francesco Forgione redet von 30 Restaurants in NRW, die als Netzwerk, als Standorte dienen. Das BKA – das wird in der Zeitung auch in etlichen Artikeln dokumentiert – weist auch auf diese 30 Restaurants in NRW hin und sagt, dass von 61 Restaurants in ganz Deutschland 30 Restaurants in NRW sind, hier also wirklich ein Schwerpunkt ist. In der Antwort auf Seite 9 liest man dann, dass es aus Sicht der Landesregierung überhaupt keinen Ermittlungsbedarf darüber gibt. Ich zitiere: