Ich zitiere Herrn Wüst immer dann, wenn es mir gefällt, genauso, wie Sie Leute dann zitieren, wann es Ihnen gefällt. Er ist heute nicht im Haus. Vielleicht hat er wieder einen Arbeitsprozess am Hals; das weiß ich nicht.
Ich finde es interessant, wenn Herr Stahl sagt: Wir wollen jetzt nicht so viel über Schule reden, sondern lieber über die anderen Bereiche in der Bildung. – Offenbar merkt er, dass die CDU aus ihrer Sackgasse in der Bildungspolitik schlicht und ergreifend nicht herauskommt.
Eines hat mich an Herrn Stahl gefreut. Er hat gesagt, Sie hätten solch ein schönes Mosaik des Landes Nordrhein-Westfalen entfaltet. – Ich muss sagen: Mich hat das, was Sie heute vorgetragen haben, Herr Ministerpräsident, eher an ein Puzzlespiel erinnert. Sie haben nur einen Fehler gemacht – Sie haben die Puzzlekästen durcheinandergebracht: Ein Puzzlekasten war die Zukunftskommission, ein Puzzlekasten war Ihre Regierungsbilanz, und ein Puzzlekasten war das, was Sie in Zukunft machen wollen. Das war ein Gemisch. Aus diesem Puzzlespiel kann kein vernünftiges Bild, kein Zukunftsbild von NordrheinWestfalen entstehen.
Herr Ministerpräsident, ich frage Sie allen Ernstes: Was haben die Menschen heute eigentlich von Ihnen erwartet? Ich glaube, statt einer Regierungserklärung zu einem Kommissionsbericht, der im April letzten Jahres vorgestellt worden ist – die Zeit haben Sie sich genommen –, haben die Menschen heute, im Jahr 2010, von Ihnen, der den Koalitionsvertrag in Berlin maßgeblich mit ausgehandelt hat, erwartet, dass Sie dazu endlich eine Regierungserklärung abgeben, damit die Menschen wissen, wo es in Nordrhein-Westfalen 2010 hingeht.
Wie schätzen Sie die Lage in Berlin ein? Welchen Neustart wollen Sie eigentlich? Sie wollen ja einen Neustart. Herr Geißler wollte sogar einen völlig neuen Verhandlungsprozess, weil er mit dem Ergebnis so unzufrieden ist. All dem sind Sie ausgewichen, weil Sie hierzu nicht Stellung nehmen wollen.
Was ist denn mit der Gesundheitspolitik? Wie soll es da weitergehen? Sie loben und preisen hier Solidarität; gleichzeitig stellt der Koalitionsvertrag in Berlin eine Grundfeste unseres Solidarstaates infrage, wofür Präsident Obama in Amerika gerade kämpft. Und Sie sagen den Menschen in Nordrhein-Westfalen nicht, was nach dem 9. Mai 2010 auf sie zukommt.
Das wollen wir hier heute wissen. Das hat mit der Zukunft des Landes zu tun, meine Damen und Herren.
Die Menschen wollen auch wissen, was mit dem Atomausstieg ist. Das wollen die Menschen auch wissen, und zwar vor dem 9. Mai und nicht erst danach. Deswegen ist die Taktik, die Sie anwenden, nämlich alles zu verzögern, alles hinter den 9. Mai zu schieben, eine Täuschung der Öffentlichkeit. Damit begehen Sie eine Täuschung im Wahlkampf hier in Nordrhein-Westfalen. Darüber täuscht Ihre Regierungserklärung zu dieser Zukunftskommission nicht hinweg.
Da können Sie die Menschen, die daran mitgewirkt haben, noch so loben und preisen. Das tun wir im Übrigen auch. Ich schätze die Ausführungen und die Analysen von Herrn Dahrendorf auch. Ich lese die Bücher von ihm aber lieber im Original. Die sind einzeln manchmal mehr wert als das, was hier an Gesamtgemisch aus dem Potenzial vieler einzelner Menschen herausgekommen ist. Ich finde, es ist kein Zukunftsentwurf für NordrheinWestfalen entstanden. Da ist viel unbeantwortet geblieben. Da sind Fragen gestellt worden. Da sind Themen gegeneinander gestellt worden. Es ist aber kein Zukunftsentwurf für NordrheinWestfalen entstanden. Den haben auch Sie nicht geboten.
Ein Letztes, was wir heute erwartet hätten, will ich noch nennen: Wir hätten heute auch erwartet, dass Sie Stellung dazu nehmen, was auf die Städte und Gemeinden mit der Regierungspolitik in Berlin weiter zukommt, Herr Ministerpräsident.
Sie haben formuliert, es käme darauf an, endlich die Realität zur Kenntnis nehmen. Aber sich heute hier
hinzustellen und nichts zu der Situation, zu der Realität in den Städten und Gemeinden zu sagen, das ist geradezu zynisch angesichts dessen, was da im Moment los ist.
(Beifall von GRÜNEN und SPD – Frank Si- chau [SPD]: Da werden die Kettenhunde von der Bezirksregierung hingeschickt!)
Was die B-Note betrifft, haben wir heute wieder einen echten Rüttgers erlebt: den Möchte-gernLandesvater, der für alle etwas dabei hat, der allen ein bisschen bieten will und hofft, dass alle zufrieden sind und das Ganze dann nicht auf Herz und Nieren geprüft wird.
Wir haben das natürlich auf Herz und Nieren geprüft. Ich finde, Sie haben einen Maßstab gesetzt, an dem Sie selbst scheitern. Denn wo ist Ihre Wahrnehmung der Wirklichkeit der neuen, schwarzgelben Bundesregierung? Angesichts Ihrer Pressekonferenz voller Platzhalter und Sprechblasen meine ich, Sie verkennen die Realität. Das, was Sie heute geboten haben, hat es nicht besser gemacht.
Immerhin – natürlich haben wir es mit Interesse gelesen –: Sie widmen einen großen Teil Ihrer Rede der ökologischen Industrieregion. Kompliment an Ihre Staatskanzlei! Wieder einmal eine schöne Wortschöpfung! Aber drei grüne Sprüche, Herr Ministerpräsident, machen noch lange keine grüne Politik.
Sie können sich darauf verlassen, dass die Menschen den Unterschied sehen. Und wir werden dafür sorgen, dass das auch so bleibt.
Überhaupt gibt es einige schöne Worte in Ihrer Erklärung, zum Teil auch neue Erkenntnisse, die ich erstmals von Ihnen höre, sogar im Bildungsbereich. Wie sagten Sie: Die alte Trennung von sogenannter Bildung und praktisch orientierter Ausbildung muss überwunden werden. Oder: Bildung hat ihren eigenen Wert. – Das stimmt. Das kann man von Humboldt ableiten. Ich würde Ihnen auch Comenius empfehlen. Der hat das schon im 17. Jahrhundert formuliert. Er hat im Übrigen auch erstmals formuliert, dass man eine einheitliche Bildung für alle braucht, nicht nur für Jungen, sondern auch für Mädchen, nicht nur für Reiche, sondern auch für sozial Benachteiligte. Ich überlege mir, ob ich Ihnen einmal einen Band zur Verfügung stelle, damit Sie sich künftig daran orientieren können; denn man kann das bei Comenius schon sehr gut nachlesen.
Wenn man ernst nimmt, dass man praktische Begabung auf der einen Seite und theoretisches Wissen und Allgemeinbildung auf der anderen Seite hat, dann kann man damit doch nicht bei dieser
Erkenntnis aufhören, dann muss man diese Trennung in praktische und theoretische Begabung doch überwinden und davon ausgehen, dass alle Menschen alle Talente haben und diese auch entfaltet und entwickelt werden können und müssen.
Gleichzeitig – zwei Sätze später – die Hauptschuloffensive zu verteidigen, die genau in diesem alten Denken verhaftet bleibt, das zeigt, wie kurzsichtig Sie hier stehen bleiben und dass die Vermischung von Zukunftsansätzen und Verteidigung des alten Erreichten nicht aufgeht.
Gerade unser derzeitiges Schulsystem ist Ausdruck dieser Trennung. Die Konsequenz, die auch immer mehr Menschen wollen, lautet: Das selektierende, aussortierende, in sogenannte theoretische und praktische Begabung trennende Schulsystem muss endlich überwunden werden.
Herr Rüttgers, Sie sagen, Sie wollen den Ganztag ausbauen. Das ist richtig, natürlich! Warum verweigern Sie dann aber Gesamtschulen, die neu gegründet werden, den Ganztag? Allein aus ideologischen Gründen!
(Helmut Stahl [CDU]: Warum haben Sie den Grundschulen jahrelang den Ganztag ver- weigert? – Dr. Gerhard Papke [FDP]: Warum waren Ihnen die Gesamtschulen den Ganz- tag wert? – Weitere Zurufe)
Erstens stimmt das gar nicht. Zweitens haben wir in der Grundschule mit dem offenen Ganztag eine Priorität gesetzt.
Wir Grüne haben schon für den Ganztag geworben, da haben Sie den noch als Teil der sozialistischen Einheitsschule beschrieben, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen.
Da Sie, Herr Ministerpräsident, etwa in Fragen der Familienpolitik, der frühkindlichen Bildung zum Teil Ihre ideologischen Ansätze überwunden haben – als wir versucht haben, das durchzusetzen bzw. durchgesetzt haben, war das noch Teufelszeug –, hege ich auch noch die Hoffnung, dass Sie sich Ihrer kommunalen Bewegung für regionale zu
sammenführende Schulentwicklung auch noch anschließen werden und diese Ideologie dann vielleicht beizeiten über Bord werfen. Das würde ich sehr begrüßen. Das ist Ihre größte Lebenslüge, Herr Ministerpräsident, die Sie immer noch wie eine Monstranz vor sich hertragen. Diese wird am 9. Mai 2010 wahlentscheidend sein, und wir Grüne gehen mit einem guten Programm und aller Freude in diese Auseinandersetzung, Herr Rüttgers.