Protokoll der Sitzung vom 03.02.2010

Um eine auskömmliche Vergütung zu haben, erhöhten die beruflichen Betreuer die Anzahl ihrer Betreuungen und haben dadurch deutlich weniger Zeit für den Einzelnen. Auch haben nach Angaben der Gerichte seit Einführung des Zweiten Änderungsgesetzes die Beanstandungen sehr stark zugenommen. Circa 11 % der Gerichte haben eine feste Grenze bezüglich der Anzahl der Betreuungen.

So weit die Aussagen im vorliegenden Endbericht.

Daher lautet unsere Frage: Wie wird dies in NRW gehandhabt? Die Antwort können Sie nachlesen: Das wissen wir nicht. – Ich zitiere aus der Antwort der Landesregierung, in der es wörtlich heißt:

Der Landesregierung liegen keine Zahlen über die auf einen Berufsbetreuer durchschnittlich entfallenden Betreuungen vor. § 1897 Abs. 8 BGB verlangt zwar, dass sich Berufsbetreuer über die Zahl und den Umfang der von ihnen berufsmäßig geführten Betreuungen zu erklären haben. Von dieser Regelung wird aber von den Berufsbetreuern nicht flächendeckend Gebrauch gemacht.

Das hört sich an, als sei das ein Angebot, aber keine Vorschrift. Wir fragen uns, wo die Kontrolle bleibt.

Auch führen Sie aus, dass im Rahmen der Evaluation des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgeset

zes zwar eine Umfrage zur Personalstruktur erfolgte. Die Anzahl der geführten Betreuungen wurde dabei von Ihnen aber nicht abgefragt.

Unter Punkt III. führen Sie aus, dass es im Rahmen der Eignungsprüfung von Bedeutung sein kann, wie viele Betreuungen bereits geführt werden – zum einen, um mehr über die Erfahrung, und zum anderen, um mehr über die vorhandene zeitliche Belastung herauszufinden. Diese Regelung dient damit der Eignungsprüfung.

Die Zahl der Betreuungen soll als Eignungsprüfung dienen, wenn drei Seiten vorher gesagt wird, die Landesregierung kenne die Zahl aber gar nicht und habe sie nie abgefragt? Wir können einige Seiten vorher nur ganz lapidar lesen:

Von dieser Regelung wird aber von den Berufsbetreuern nicht flächendeckend Gebrauch gemacht.

So einfach, meine Damen und Herren, kann die Landesregierung nicht darüber hinweggehen.

(Beifall von der SPD)

Welche Amtsgerichte ignorieren das? Wie sehen Konsequenzen aus? – Antwort? Fehlanzeige!

In dieser Form werden auch die anderen Fragen beantwortet: Wir haben keine Datenlage; Änderungen bei der Qualitätssicherung oder der Kontrolle sind entbehrlich. Ob und welche Änderungen erforderlich sind, prüft die Landesregierung auf der Grundlage des Abschlussberichtes der BundLänder-Arbeitsgruppe, vorgelegt im Juni 2003. Also jetzt, nach sieben Jahren, sollten erste Schritte oder auch Richtungsanzeigen im Parlament vorgestellt werden.

Ich möchte Ihnen in der wenigen Zeit, die wir noch haben, einen Aspekt nahebringen. Dass rund 85 % der Betreuten mittellos sind – wie in diesem Endbericht nachgewiesen ist –, zeigt mehr als deutlich, dass es sich um Menschen handelt, die besondere Hilfe benötigen. Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach einer Mindestqualifizierung zu unterstützen. Diese Menschen haben Anspruch auf Hilfe. Das bedeutet, dass der Betreuer den zu Betreuenden und seinen Hilfebedarf erkennen und kennen muss. Ebenso müssen dem Betreuer die örtlichen Hilfestrukturen bekannt sein. Nur so kann er eine Unterstützung bieten, um zum Beispiel ambulantes Wohnen zu ermöglichen.

Es ist auch schwierig zu verstehen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Betreuungsvereinen eine Qualifikation nachweisen müssen. Bei Berufsbetreuung ist dies nur sehr rudimentär gefordert. Hier ist dringend eine Gleichbehandlung erforderlich.

Dann haben wir mit Akribie nachgefragt: Welche Möglichkeiten hat der zu Betreuende oder seine Familie, wenn er oder sie Entscheidungen oder

Untätigkeit des Betreuers kritisch hinterfragen möchte? Die Antworten der Landesregierung sind völlig wirklichkeitsfremd. Sie führen aus – wörtlich –:

Meist erscheint eine Kontrolle des Betreuers im Rahmen der Prüfung der Rechnungslegung … ausreichend. Das Vormundschaftsgericht wird als ausreichende Kontrollinstanz angesehen...

(Frank Sichau [SPD]: Nicht zu fassen!)

Weiter führen Sie aus, dass nicht erkennbar ist, dass ein Beschwerdemanagement eine Verbesserung des Rechtsschutzes darstellen würde. Es sei nicht erkennbar, dass eine weitere Instanz im Betreuungsfall von Vorteil wäre. Das vorhandene System des Rechtsschutzes sei insofern ausreichend.

Meine Damen und Herren, die bei uns täglich und wöchentlich eingehenden Petitionen sprechen eine ganz andere Sprache.

(Beifall von der SPD)

Aber auch hier muss unser Schlusssatz immer lauten: Es ist dem Petitionsausschuss im Hinblick auf die durch Art. 97 des Grundgesetzes und § 9 des Rechtspflegergesetzes garantierte richterliche bzw. rechtspflegerische Unabhängigkeit eine Überprüfung der gerichtlichen Entscheidung verwehrt. – Der Petent muss dann versuchen, über den Rechtsweg Klarheit zu erhalten.

Lassen Sie mich Ihnen noch kurz darstellen, was das für die Amtsgerichte heißt. Ich spreche die personelle Ausstattung an. Die uns gelieferten Zahlen in der Beantwortung weisen eine durchschnittliche Relation von rund 1.500 zu Betreuenden pro Richter aus. Es gibt aber auch hier große Differenzen, so zum Beispiel – ich greife nur eines heraus – das Amtsgericht Velbert: 6.012 zu Betreuende pro Richter. Die nötige Kontrolle bzw. die Wahrnehmung der Rechte der Betreuten ist dann kaum noch möglich. So weit zur ausreichenden Kontrollinstanz!

Auch Ihren Hinweis, dass sich der Betreute bei Unstimmigkeiten an das Vormundschaftsgericht wenden soll, geht an der Lebensrealität vorbei. Denn die Betreuungsbedürftigkeit besteht gerade darin, dass diese Menschen ihre Interessen und Rechte nicht mehr autark vertreten können. Als möglicher Lösungsansatz ist in der bundespolitischen Diskussion auch das Konzept einer unabhängigen Beschwerdestelle. Als niedrigschwelliges Angebot können hier Unstimmigkeiten sehr unkompliziert geklärt werden. Sie könnte Ansprechpartner für die Familienangehörigen sein und im Vorfeld mithelfen, Kommunikationsprobleme und auch Gerichtsentscheidungen zu vermeiden.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, wir wünschen uns alle ein langes Leben. Ich hoffe, es ist uns auch allen vergönnt. Aber wie werden wir alt? Sind wir noch in der Lage, unser Leben selbst

zu bestimmen? Rund 25 % der Menschen, so die Statistiker, werden fremde Hilfe – so war auch das Betreuungsrecht konzipiert – in Anspruch nehmen müssen. Es geht also uns alle an.

Daher unsere Forderung, dass sich der Landtag und ganz maßgeblich der Sozialausschuss intensiv mit den aufgeworfenen Fragen befasst. Wir möchten mit Ihnen gemeinsam die Entwicklung von einer justizförmigen zu einer sozialen Betreuung umsetzen, Grundlagen für Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung erarbeiten, niedrigschwellige Beschwerdestellen realisieren, ein geeignetes Kontrollinstrumentarium etablieren, eine Landesarbeitsgemeinschaft initiieren, um alle Akteure in diesen wichtigen Prozess mit einzubinden und die Fortsetzung der Überlegung einer Strukturreform auf der Grundlage des Abschlussberichts der Bund-LänderArbeitsgruppe aus dem Jahr 2003 umzusetzen. Ganz wichtig ist uns eine verstärkte Einbindung des Ehrenamtes in diese gesellschaftspolitisch wichtige Aufgabe.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir abschließend einige Sätze aus einem Aufsatz von Herrn Prof. Dr. Crefeld, die ich Ihnen gerne ans Herz legen möchte zu lesen. Denn meines Erachtens hat Herr Prof. Dr. Crefeld den Kern der heutigen Fragestellung genau getroffen. Er schreibt:

Wer einer anderen Person eine Vollmacht erteilt, wird darauf achten, dass diese als seine Vertrauensperson über die entsprechenden Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt. Wenn aber ein kranker oder behinderter Mensch eine solche Vollmacht nicht selbst erteilen … kann, dann bevollmächtigt für ihn der fürsorgende Staat einen Betreuer. Diesem wird die Wahrung der Rechte des Betreuten als Aufgabe „vom Staat zu treuen Händen übertragen“. … Damit trägt dieser … Staat, wenn er einen solchen Treuhänder bestellt, ein erhebliches Maß an Verantwortung. … Er muss … dafür sorgen, dass die von ihm bestellten Betreuer – als Personen seines Vertrauens – im gesamten Verlauf ihrer Amtsführung dem in sie gesetzten Vertrauen gerecht werden, dass sie ihre Aufgaben kennen und sie mit Sorgfalt und den notwendigen Fähigkeiten und Kenntnissen wahrnehmen. Denn betreute Menschen können das nicht, sonst brauchten sie ja keinen Betreuer...

Doch was unternimmt der Staat, um die Voraussetzungen für ein solches Vertrauen zu gewährleisten? Wie kontrolliert und sichert er den Zielen der Betreuung entsprechende Qualitäten im Betreuungswesen?

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das waren auch die Punkte, die uns zu der Fragestellung bewogen haben. Die SPD-Fraktion ist der Meinung, dass die Antworten der Landesregierung zu diesem

sensiblen Themenkomplex der Fragestellung in keiner Weise gerecht werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, dass dieses Thema den neuen Landtag intensiv beschäftigen wird; ich hoffe es sehr im Interesse der Betroffenen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Veldhues. – Für die CDU-Fraktion erhält Herr Giebels das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die umfassenden Antworten auf immerhin 96 Fragen zur rechtlichen Betreuung in Nordrhein-Westfalen liefern ein präzises und, wie ich meine, auch positives Bild von der Situation der rechtlich Betreuten in unserem Bundesland. Sie zeigen, dass der Staat der großen Verantwortung – Sie haben es eben richtigerweise angesprochen –, die ihm in diesem sensiblen Bereich zukommt, insgesamt gut gerecht wird.

Ich will kurz an die Anfänge des jetzigen Betreuungsrechts erinnern. Mit dem Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige von 1990, das 1992 in Kraft getreten ist, hat die damalige Bundesregierung unter Helmut Kohl rechtlich völliges Neuland betreten. An die Stelle der sich immer noch im Sprachgebrauch befindenden Entmündigung, der Vormundschaft über Volljährige, und an die Stelle der Gebrechlichkeitspflegschaft – welch schlimmes Wort – ist damals das einheitliche Rechtsinstitut der rechtlichen Betreuung getreten.

Betreuung – so liest man in einem Standardkommentar zum BGB – ist nicht tatsächliche Hilfe, sondern staatlicher Beistand in Form von Rechtsfürsorge. Der Betreuer hat die tatsächliche Hilfe lediglich zu organisieren.

Ziel des reformierten Betreuungsrechts ist es vor allem, dem betreuten Menschen ein selbstbestimmtes Leben unter Achtung seiner Grundrechte zu sichern. Für diejenigen rechtlichen Angelegenheiten, die er aufgrund einer psychischen Krankheit oder aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht mehr selbst erledigen kann, bestellt das Betreuungsgericht dem Volljährigen einen Betreuer.

Natürlich muss die Entwicklung der Betreuungszahlen Anlass zur Nachfrage geben. Die Zahl der Fälle, in denen Vormundschaftsrichter einen Betreuer bestellen, ist seit 1992 bundesweit kontinuierlich angestiegen. Nordrhein-Westfalen stellt insofern keine Ausnahme dar, wie wir aus den von der Landesregierung vorgelegten Zahlen erkennen können.

Sie haben eben die Zahl 6.000 Betreute pro Richter am Beispiel Amtsgericht Velbert angesprochen. Das

heißt natürlich nicht, dass der Richter 6.000 Akten auf dem Tisch hat, sondern rein rechnerisch könnten sich aus 6.000 Betreuten Fälle ergeben, die letztlich beim Richter landen. Aber das geschieht nur bei einem Bruchteil dieser 6.000. Das sollte man zur Erklärung noch einmal deutlich sagen.

Die Gründe sind vor allem im demografischen Wandel, in einer stetig zunehmenden Verrechtlichung der Gesellschaft – ob man das gut findet oder nicht – und insbesondere in dem Umstand zu suchen, dass die Anordnung einer Betreuung eben keine Entmündigung darstellt und im Übrigen nur für bestimmte Aufgabenbereiche erfolgt und erfolgen darf.

Es mag auch noch andere Gründe geben. Und es zeugt von einem Verantwortungsgefühl der Landesregierung, wenn sie die Ursachen dieser Steigerung untersucht und sich insofern an bundesweiten Studien beteiligt hat. Das begrüßen wir ausdrücklich.

In der Großen Anfrage wird rechtspolitische Kritik an der gegenwärtigen Praxis des Betreuungsrechts betrieben. Es wird bezweifelt – wenn ich das einmal zusammenfassend skizzieren darf –, dass die vom Staat bestellten Betreuer ihre Pflichten kennen und sie mit Sorgfalt und den notwendigen Fähigkeiten und Kenntnissen wahrnehmen. Nun, hier muss man unterscheiden: Die Übernahme der Betreuung erfolgt vorwiegend durch ehrenamtliche Personen. In erster Linie sind dies – das ist naheliegend – Familienangehörige, aber durchaus auch zunächst fremde Menschen. Das ist vom Gesetzgeber aber auch ausdrücklich so gewollt.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass diese großartigen Leistungen, die die ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuer vollbringen, unser aller Dank und Anerkennung verdienen.

(Beifall von Gabriele Kordowski [CDU])

Ehrenamtliches Engagement im Bereich der rechtlichen Betreuung ist eine anspruchsvolle und verantwortliche Aufgabe und verlangt vom Betreuer oder von der Betreuerin eine große Zahl persönlicher Fähigkeiten, emotionale Stabilität, Mut und natürlich auch die notwendige Zeit.