Protokoll der Sitzung vom 10.03.2010

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzten Worte sollten Sie, Herr Becker, vielleicht noch einmal überdenken. Zu sagen, jede Kombination ist besser, heißt auch, dass Sie es für möglich halten, dass eine vom Verfassungsschutz beobachtete Partei demnächst hier Regierungsverantwortung hat.

(Beifall von CDU und FDP)

Das muss jeder Demokrat von sich wegweisen.

(Zustimmung von der CDU)

Verstaatlichung der Großindustrie und Ähnliches ist schlechter für das Land als alles, was es an sonstigen demokratischen Konstellationen gibt.

(Beifall von CDU und FDP – Zuruf von Frank Sichau SPD)

Ich habe Sie nicht verstanden, Herr Sichau.

(Frank Sichau [SPD]: Das stand schon mal in einem CDU-Programm!)

Sie können das ja für sich auch für das Jahr... – Natürlich stand im Ahlener Programm Manches. – Ich weiß ja, dass Sie das wollen: mit den Linken koalieren.

(Frank Sichau [SPD]: Nein!)

Aber wenn Sie das ernsthaft in die Debatte einführen, bringt uns das, glaube ich, nicht weiter.

Das Thema Daseinsvorsorge mit seinen europäischen Bezügen wurde mehrfach in diesem Haus erörtert. Die SPD-Fraktion wärmt diese Debatte mit ihrem Antrag jetzt noch einmal auf. Ich finde, wir müssen zunächst einmal zwei Dinge auseinanderhalten: Die Debatte startet mit dem Vertrag von Lissabon. Sie erweckt auch durch den Beitrag des

Kollegen Kuschke den Eindruck, als wenn es um eine europapolitische Fragestellung ginge.

(Wolfram Kuschke [SPD] wiegt seinen Kopf hin und her.)

Lieber Herr Kuschke, Sie wissen vielleicht aus vielen Debatten, dass das der Europapolitik eigentlich schadet.

(Beifall von Ilka von Boeselager [CDU])

Sie können hier eine Debatte über § 107 der Gemeindeordnung führen. Sie können eine Debatte über Energiepolitik führen. Sie können alles machen. Aber es europapolitisch aufzuhängen und so zu tun, als gäbe es eine Bedrohung aus Europa, und dann einen Antrag zu formulieren, in dem Sie quasi Ihr Wahlprogramm aufschreiben, hat mit Europa nichts zu tun.

(Beifall von der CDU – Ralf Jäger [SPD]: Die- se Landesregierung ist die Bedrohung!)

Sie verstehen von diesem Thema doch überhaupt nichts. – Sie schreiben im Antrag zum Beispiel, am Atomausstieg festzuhalten. Was hat das mit Europapolitik zu tun?

(Norbert Römer [SPD]: Sehr viel!)

Es ist eine nationale Entscheidung jedes Mitgliedstaates, welche Energieversorgung er betreibt.

(Beifall von Ilka von Boeselager [CDU])

Sie fordern Mindestlöhne. Sie haben sogar den Zustand von Bushäuschen, Straßenbahnhaltestellen und Stadtbahnanlagen aufgeführt. Was hat das mit Europa zu tun? Nehmen Sie Europa, nehmen Sie die Daseinsvorsorge nicht für Ihre kleinkarierten politischen Ziele in Anspruch, die dazu noch schlecht formuliert sind!

(Beifall von der CDU)

Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kuschke?

Sie schreiben über kommunale Integrationspolitik, erwähnen tausend Programme, aber nicht das eigentliche Programm, und dann stellen Sie einen Bezug zur Europapolitik her. Das ist zu banal, um eine solche Debatte zu führen. Deshalb hat es mich gewundert, lieber Herr Kollege Becker, dass Sie diesem Antrag intellektuelle Qualität beigemessen haben. Was ich gerade aufgezeigt habe, hat mit intellektueller Qualität der Debatte überhaupt nichts zu tun.

(Beifall von CDU und FDP)

Herr Minister, möchten Sie die Zwischenfrage von Herrn Kuschke hören?

Ja.

Bitte schön, Herr Kuschke.

Vielen Dank. – Herr Kollege Laschet, den Einstieg fand ich intellektuell in Ordnung, auch wenn ich ihm nicht zustimme. Aber lassen Sie uns bei dem bleiben, wie Sie eingestiegen sind. Sind Sie denn bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich bewusst in meiner Rede und auch zu Beginn des Antrags keinen negativen Touch hineingebracht habe?

Wir sagen: Der Vertrag von Lissabon stärkt kommunale Daseinsvorsorge. Durch die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon ist Rechtssicherheit entstanden. – Nun kann mit dem Argument Europa die kommunale Daseinsvorsorge nicht mehr infrage gestellt werden. Es kann also gerade nicht das passieren, was Sie zu Recht kritisieren und was in der Vergangenheit häufig passiert ist. Dann kommt, was Sie zu Recht einfordern, nämlich die Frage: Welche Hausaufgaben müssen wir selber machen?

Lieber Herr Kuschke, ob ambulant vor stationär kommt, ob wir soziale Frühwarnsysteme ausbauen usw. – all das sind einzelne politische Fragen, die in jeder Kommune oder im Land entschieden werden, die aber mit dem Vertrag von Lissabon und auch mit den neuen Regelungen zur Daseinsvorsorge gar nichts zu tun haben.

(Beifall von Ilka von Boeselager [CDU])

„Ambulant vor stationär“ hat mit dem Vertrag von Lissabon nichts, aber auch gar nichts zu tun.

Der Vertrag von Lissabon erkennt in den Formulierungen stärker als bisher kommunale Daseinsvorsorge an. Insofern stimme ich Ihnen zu. Aber auch das ist für viele Entscheidungen keine Garantie. Die werden vor Ort gefällt. Durch die Praxis der Europäischen Union ist noch längst nicht gesichert, dass diese Daseinsvorsorge wirklich in jedem Punkt anerkannt wird. Wir dachten einmal, im Vertrag von Maastricht sei es geschehen. Jetzt ist es aufgrund aktueller Entwicklungen präzisiert worden.

Ich erinnere mich zum Beispiel noch daran, wie alle 16 Ministerpräsidenten wie wild dafür gekämpft haben, dass ihre Landesbanken zur kommunalen Daseinsvorsorge zählen. Was die WestLB gemacht hat, nämlich Geschäfte in Schanghai im Wettbewerb mit privaten Banken, hat man mit sozialer

Daseinsvorsorge begründet. Alles, was schief gelaufen ist, hat man immer damit begründet, dass man hier um die Daseinsvorsorge kämpft.

Das ist es eben nicht. Die Entscheidung, ob Landesbanken verkauft oder anders organisiert werden, ist keine Frage der Daseinsvorsorge. Europa hat damals zu Recht angemahnt: Wenn ihr Wettbewerber der Privatbanken seid, wenn ihr in Schanghai Filialen aufmacht, müsst ihr euch auch mit Privatbanken messen lassen. Dann könnt ihr nicht mit Triple A agieren, mit dem Land als Garant dahinter, und trotzdem nichts anderes tun, als private Geschäfte zu machen. Insofern hat Kollege Weisbrich mit dem,

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

was er zur Ordnungspolitik ausgeführt hat, durchaus recht.

Dennoch gibt es Gefährdungen für die Daseinsvorsorge. Das war eines der großen Themen, die gestern die Landesregierungen von Bayern und Nordrhein-Westfalen in ihrer gemeinsamen Kabinettssitzung beraten haben: Wie agieren wir beispielsweise auf die neue 2020-Strategie der Europäischen Union? Wie lassen sich die Länder auch für die Kommunen ein? Das sind Themen, an denen man Daseinsvorsorge festmachen kann.

Sie haben eben das Buch erwähnt, das Kollege Krautscheid im März 2009 als damaliger Europaminister veröffentlich hat. Dort sind alle Sektoren der Daseinsvorsorge beleuchtet worden. Das ist eine Initiative, die bisher in Deutschland einzigartig ist. In diesem Buch kommen viele Vertreter der Kommunen zu Wort. Mit ihnen haben wir einen engen Dialog geführt. Fachlich unterstützt hat uns der Richter am Europäischen Gerichtshof, Prof. Thomas von Danwitz. Natürlich ist das heute auch in Brüssel eine Grundlage für Europaabgeordnete und übrigens auch für die Bundesregierung, wenn sie im Rat verhandelt, um die Position unserer Kommunen zu sichern.

Es gibt weiterhin viele unklare europäische Rechtsbegriffe. Es gibt eine Praxis der Rechtsentwicklung durch Einzelfallentscheidungen. Da gibt es auch durch den Vertrag von Lissabon keinen Schutz für die Kommunen. Wir müssen jedes Mal gut aufpassen. Deshalb haben wir auch aus diesem Grund eine Vertretung in Brüssel, die rechtzeitig darauf achtet, ob die Europäische Kommission in das eingreift, was eine unmittelbare Entscheidung der Länder oder der Kommunen ist. Insofern ist diese Arbeit viel wirkungsvoller, als einen solchen Antrag mit sämtlichen Themen der Innenpolitik europäisch zu überlasten.

Europaminister Krautscheid hat ebenfalls eine Studie in Auftrag gegeben, die die Auswirkungen des europäischen Vergabe- und Beihilferechts auf die kommunale Daseinsvorsorge empirisch an ausgewählten Sektoren untersucht hat. Alle Kommunen

mit mehr als 30.000 Einwohnern in NordrheinWestfalen wurden dazu befragt. Die Studie ist dem Landtag vor wenigen Tagen zugegangen. Noch im März soll sie veröffentlicht werden. Auch das sichert Daseinsvorsorge wirklich und spiegelt sich nicht in solchen Resolutionen und Anträgen wider.

Die Landesregierung will die kommunale Selbstverwaltung stärken. Sie will übrigens keine europäische Rahmengesetzgebung wie die SPD – in einem anderen Antrag hat sie das einmal gefordert –, denn das öffnet wieder die Büchse der Pandora. Die Gefahr ist nämlich groß, dass am Ende mehr statt weniger Regulierung kommt. Deshalb teilen die kommunalen Spitzenverbände diese Rahmenregelung, die die SPD vorschlägt, nicht.

Wir sollten nicht den öffentlichen und privaten Sektor gegeneinander ausspielen, sondern uns fragen, wie sie effektiver zusammenarbeiten können. Privat und Staat können noch besser in der Daseinsvorsorge miteinander kooperieren.

(Minister Eckhard Uhlenberg: Sehr richtig!)

Ebenso wenig sollten wir europäische Liberalisierungen verteufeln, wie es die SPD tut – übrigens meistens mit Zustimmung sozialdemokratischer Kanzler und Minister im Rat. Denn eine Regulierung fällt nicht vom Himmel, sondern immer hat sie irgendjemand beschlossen. Meistens waren daran auch Sozialdemokraten beteiligt.

Für die Kommunen sind die Energie- und Gasversorgung sowie der öffentliche Personennahverkehr besonders relevant. Das damals vorausgesagte Sterben kommunaler Energieversorgungsunternehmen ist nicht eingetreten. Auch da, Herr Kollege Becker, liegt es an kluger kommunaler Politik. Manche Kommune hat sich schon, bevor der Binnenmarkt kam, nicht mehr auf ihre örtlichen Stadtwerke verlassen, sondern Anteile an Großunternehmen verkauft. Auch das hat nichts mit Europapolitik, sondern mit Entscheidungen vor Ort zu tun.