Protokoll der Sitzung vom 10.03.2010

Das ist Ihre Auffassung von Schulpolitik. Es ist einzig Frau Pieper-von Heiden, die im letzten Schulausschuss wirklich noch den denkwürdigen Vortrag von Professor Neumann bejubelt, der die Legitimation der Hauptschule aus der Evolutionstheorie ableitet. Das heißt offensichtlich „Schule organisch entwickeln“ für die FDP.

Die regionale Mittelschule ist das trojanische Pferd zur Erhaltung des gegliederten Schulsystems. Dass Schulen gemeinsam vor Ort gemeinsames Lernen ermöglichen wollen, sehen Sie nur als Notlösung. Für NRW ist die FDP in der Tat nur eine Not, aber nie eine Lösung. Das lernen wir aus der Schulstrukturfrage.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die antragstellende Fraktion der SPD spricht nun Frau Kollegin Hendricks.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Elternwahlverhalten in Nordrhein-Westfalen hat sich in den letzten fünf Jahren verständlicherweise geändert. Eltern wollen längeres gemeinsames Lernen und übrigens nicht das dumme Gerede von der Einheitsschule, das alle diejenigen diskreditiert, die dieses Wort in Unkenntnis ständig im Mund führen.

(Ralf Witzel [FDP]: Das sieht man gerade in Hamburg!)

Die Landesregierung versucht in der laufenden Legislaturperiode allerdings beständig, dieses überkommene System zu stabilisieren. Ich zitiere aus einer Pressemitteilung des Schulministeriums vom 07.12.2007 im Hinblick auf die Hauptschule:

Eine Trendwende zeichnet sich ab. Die Hauptschulen stabilisieren sich, nachdem die Akzeptanz der Eltern jahrzehntelang ständig gesunken war. Die Eltern nehmen die neuen Ganztagsangebote an. Die Investitionen der Landesregierung machen Eltern und Schülern deutlich: Die Hauptschule hat Zukunft in Nordrhein-Westfalen.

Ein Blick auf die tatsächliche Situation der heutigen Hauptschule sieht da etwas anders aus. Es zeichnet sich nämlich ab, dass die Hauptschulen erhebliche Verluste bei den Anmeldezahlen hinnehmen müssen: in Duisburg 140 Anmeldungen; auch in Münster, Telgte und in ländlichen Regionen sind die Einbrüche dramatisch. Gleich bleibende Anmeldezahlen, die es vereinzelt noch gibt, werden als große Erfolge gefeiert. Meistens sind es dann gerade noch die einzügigen Schulen.

Übrigens, die im Schulgesetz klar definierte Bedingung für einzügige Hauptschulen ist bereits flächendeckend in Nordrhein-Westfalen in Anspruch genommen worden, auch in den Metropolen wie

Dortmund oder in anderen Städten wie etwa Duisburg.

Um die Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, fördert die Landesregierung die Gründung von Verbundschulen. Dabei ist die erforderliche Schülerzahl offensichtlich Zug um Zug verringert worden. In der Zwischenzeit ist sie auf 55 festgesetzt worden. So wurde etwa in der Gemeinde Schalksmühle eine Verbundschule mit 54 Anmeldungen genehmigt. Die Verbundschule in Wachtberg kam erst gar nicht zustande. Auch hier zeigt sich, dass die Landesregierung mit ihrer Politik offensichtlich scheitert.

Schaut man sich dann an, was der VBE auf seiner Homepage veröffentlicht, dann heißt es dort:

Hauptschullehrkräfte und Hauptschulleiterinnen und -leiter wollen mehrheitlich Veränderungen. Sie glauben nicht, dass die Qualitätsoffensive Hauptschule ihre Schulform attraktiver macht und den stetigen Rückgang der Anmeldezahlen stoppen kann.

So glauben 73,2 % der Schulleiter und 58 % der Lehrkräfte nicht, dass Eltern für ihre Kinder eine Ganztagshauptschule einer anderen weiterführenden Schule ohne Ganztag vorziehen.

So weit der VBE. – Frau Ministerin, Tatsache ist, dass in diesem Land die Eltern eine andere Schule haben wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Anmeldezahlen an den Gesamtschulen zeugen davon. Das ist übrigens eine Situation, die sich seit 2005 abzeichnet. Sie haben mit allen Tricks und mit Diskriminierungen der Gesamtschule

(Ralf Witzel [FDP]: Oh!)

versucht, dieses Wahlverhalten der Eltern zu unterminieren. Ich könnte Ihnen jetzt die Beispiele nennen. Aber ich will das nicht wieder an Beispielen festmachen. Sie kennen sie alle selber.

(Ralf Witzel [FDP]: Reden Sie doch mal über die Gesamtschulprivilegien!)

Aber, Frau Ministerin, Sie haben am 26.02.2010 zu der Frage der Wahrnehmung der Schulwirklichkeit in einer Pressemitteilung gesagt:

Es ist schlichtweg falsch, der schwarz-gelben Landesregierung eine gesamtschulfeindliche Politik zu unterstellen. Diese Landesregierung steht zu allen Schulformen des gegliederten Schulsystems und damit auch zu den Gesamtschulen. …

Es gibt keinen Run auf die Gesamtschulen, auch nicht im Zusammenhang mit der Schulzeitverkürzung am Gymnasium …

Frau Ministerin, das stimmt nicht. Die Zahlen sprechen für sich. Das Dramatische daran ist, dass in der Tat die Eltern lieber eine Halbtagsgesamtschule als eine Ganztagshauptschule wählen. Wann wer

den Sie endlich die Realität in Nordrhein-Westfalen wahrnehmen?

Unsere Prognose ist, gleichgültig, wer nach dem 9. Mai regiert: Die Hauptschullüge kann an dieser Stelle nicht mehr aufrechterhalten werden.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Kollege Kaiser.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn dieser Antrag die Schulwirklichkeit in Nordrhein-Westfalen widerspiegeln soll, dann ist er der beste Beweis dafür, dass Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen nicht regierungsfähig ist.

(Beifall von der FDP)

Denn außer den üblichen Klischees bringen Sie nichts Neues. Dieser Antrag ist nicht einmal gut für die übliche Polemik im Wahlkampf, denn er ist aus meiner Sicht viel zu platt formuliert. Ihrerseits bieten Sie die Gesamtschule und als Vorstufe die Gemeinschaftsschule immer als Allheilmittel an. Das halte ich Ihnen persönlich nicht einmal vor, ist aber auch wenig innovativ. Ich werfe Ihnen allerdings die Strategie vor, die Sie dabei verfolgen. Bei Ihrem missionarischen Eifer auf dem Weg zur Einheitsschule gehen Sie rein ideologisch vor.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wo steht das? Warum wollen CDU-Bürgermeister das?)

Aber das Infame Ihrer Anträge ist: Durch Ihren Feldzug gegen die Hauptschule diffamieren Sie nicht nur die engagierten Lehrerinnen und Lehrer an dieser Schulform. Viel schlimmer: Sie verschlechtern durch Ihre Propaganda die Lebenschance dieser Schülerinnen und Schüler. Ich halte es politisch für unverantwortlich, was da gemacht wird.

(Beifall von Bernhard Recker [CDU])

Wenn man den Redebeitrag von Frau Hendricks Revue passieren lässt, dann wird deutlich, dass in einer Art und Weise gegen die Hauptschule polemisiert wird, wobei man ganz genau weiß: Die Probleme der Hauptschülerinnen und Hauptschüler bleiben, egal, welches Schild über der Schulform steht, die sie besuchen.

(Beifall von Michael Solf [CDU])

Das Problem dabei ist: Sie diffamieren politisch eine Schulform, treffen aber die Menschen, die Schülerinnen und Schüler, die unsere Solidarität und unsere Unterstützung verdienen, weil sie es etwas schwerer haben als andere.

(Beifall von CDU und FDP)

Deshalb halte ich dies im Wahlkampf nicht für zulässig. Ich bitte Sie dringend: Lassen Sie es sein, dass Sie Eltern für die Einheitsschulideologie instrumentalisieren! Sie trampeln auf denjenigen herum, die es besonders schwer haben.

(Beifall von der FDP)

Das finde ich nicht in Ordnung. Das kann ich auch acht Wochen im Vorwahlkampf nicht hinnehmen.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beer?

Sehr gerne.

Bitte schön, Frau Kollegin Beer.

Danke schön, Herr Kollege Kaiser. – Ich glaube, in einem Punkt sind wir uns einig. Es geht um die Kinder und darum, dass sie ihren Förderbedarf auch erfüllt bekommen.

Warum bekommen diejenigen Kinder mit Förderbedarf, den Sie ihnen ja zusprechen, die von der Grundschule eine Hauptschulempfehlung bekommen, aber von den Eltern an einer neuen Gesamtschule angemeldet werden, keinen Ganztag, den sie dringend bräuchten? Es geht uns doch genau um die Förderbedarfe der Kinder.

(Zuruf von der SPD: Tja!)

Frau Beer, wenn ich mich richtig erinnere, so sind 96 % aller Gesamtschulen als Ganztagsschule ausgestattet. Wenn ich mich richtig erinnere, ist das die Normalform.

(Zustimmung von der FDP)

Sie werden mir zubilligen, dass wir, als wir im Jahr 2005 die Regierungsverantwortung übernommen haben, bei Hauptschule, Realschule, Gymnasium nur Nullnummern in Bezug auf die Einrichtung von Ganztagsangeboten vorgefunden haben, und diese Nullnummern hatten sich schon über zehn Jahre erstreckt. Und das haben wir geändert. Wir haben insbesondere deutlich gemacht, dass Förderungen gerade dort erforderlich sind, und wir sehen inzwischen eine entsprechend große Resonanz.