Protokoll der Sitzung vom 11.03.2010

(Beifall von der SPD)

Jetzt zum Herrn Ministerpräsidenten: Ich hatte eigentlich gehofft, Herr Ministerpräsident, dass Sie die Chance nutzen und etwas zu Frau Kraft sagen, zu der „Alten, der man auf die Omme hauen soll“. Dass das nicht Ihre Wortwahl ist, ist völlig klar, das glaube ich auch nicht. Aber Sie hätten sich dafür entschuldigen können.

Im Übrigen, Frau Kraft ist lebensjünger als Sie, und, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, sie sieht auch besser aus, auch besser als ich.

(Beifall und Heiterkeit von SPD und GRÜ- NEN – Gisela Walsken [SPD]: Bravo!)

Sie werden es mir nicht übel nehmen: Ich bin fest davon überzeugt: Sie ist auch die bessere Ministerpräsidentin. Das ist sie.

(Beifall von der SPD)

Und weil Sie das spüren, haben Sie die Angst im Nacken. Ich kann Ihnen sagen: Vor fünf Jahren ging es mir ähnlich wie Ihnen jetzt, ich gebe das fairerweise zu. Das war eine schwierige Zeit. Da ging es mir ähnlich. Ich kann gut nachvollziehen, was Sie da im Augenblick durchleben: Ihnen fließt die Macht in dieser Zeit aus den Händen. Deshalb gehen Sie hier hin und reden so laut, so polemisch, so aggressiv,

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Ah!)

so wenig Ministerpräsidenten-like. Herr Ministerpräsident, Sie müssten hier souverän auftreten, staatsmännisch, vielleicht ein bisschen väterlich wie Johannes Rau, den Sie gerne nachmachen oder nachmachen möchten. Das hätten Sie uns präsentieren müssen. Aber Sie gehen hierhin und machen einen Aufguss von Helmut Stahl. Tut mir leid, das war eine schlechte Nummer, die Sie abgeliefert haben.

(Lang anhaltender lebhafter Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Moron. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Das bleibt auch beim Blick in die Runde so. Damit, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluss der Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP haben direkte Abstimmung beantragt, sodass wir dazu kommen. Wer dem Inhalt des Antrages Drucksache 14/10736 zustimmen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP. Wer ist gegen den Antrag? – Das sind die Abgeordneten der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Abgeordnete Sagel. Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die sich enthalten wollen? – Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich fest, dass der Antrag mit der Mehrheit des Hauses angenommen wurde.

Ich rufe den nächsten Tagesordnungspunkt auf:

3 Kommunen vor der Pleite retten – Handeln statt Hadern!

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/10747

Änderungsantrag von Rüdiger Sagel (fraktionslos) Drucksache 14/10815

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion der SPD zunächst dem Kollegen Jäger das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter Jäger.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten ein schwieriges, um nicht zu sagen dramatisches Thema heute erneut, nämlich den Zustand der 396 Gemeinden in NordrheinWestfalen, aber insbesondere deren finanzielle Situation.

Mit Fug und Recht kann man sagen: Es war noch nie so dramatisch. Die Kommunalfinanzen befinden sich im freien Fall. Theater müssen geschlossen werden, Jugendzentren, Kindergärten, Kultureinrichtungen. Vieles, was in den Kommunen – anders noch als in den 80er- und 90er- Jahren – als unverzichtbar gilt, muss der finanziellen Situation geopfert werden. 90% der Kommunen werden in den nächsten fünf Jahren in Nordrhein-Westfalen keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen.

Lassen Sie mich das an einem Bild festmachen: In vielen Kommunen gehören jeder Bürgersteig, das Rathaus sowieso, die Straßenlaternen, das Theater, die Brücken, die Straßen nicht mehr den Bürgerinnen und Bürgern der jeweiligen Kommune, sondern sie sind vollständig verpfändet an die Banken über Kredite.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich glaube, dass die Bürgerinnen und Bürger inzwischen längst gelernt haben, was Teile insbesondere im rechten Spektrum dieses Parlamentes offensichtlich nicht verstehen wollen: dass die Kommunen nicht aus eigenem Verschulden, sondern, weil sie Aufgaben übertragen bekommen haben, deren finanzielle Last sie nicht mehr stemmen können, unverschuldet in diese Finanzkrise geraten sind.

Um 18 Milliarden € sind die Kassenkredite in Nordrhein-Westfalen gestiegen. Im gleichen Zeitraum, zwischen 2005 und 2009, hatte diese Landesregierung übrigens den gleichen Betrag von 18 Milliarden € als Steuermehreinnahmen zur Verfügung.

Die Menschen sehen an den Kommunen, dass etwas mit der Verteilungsgerechtigkeit in diesem Land nicht mehr stimmt. Die Kommunen sind arm in einem relativ wohlhabenden Staat in Mitteleuropa.

Da stimmt etwas an der Verteilung von finanziellen Mitteln, von Steuereinnahmen auf der einen sowie Aufgaben, Lasten und Zuständigkeiten auf der anderen Seite nicht mehr.

Diese Situation hat sich in den letzten vier Jahren in Nordrhein-Westfalen dramatisch verschärft, insbesondere auch dadurch, dass die Regierungsfraktionen und die Landesregierung den Kommunen in Nordrhein-Westfalen durch 23 unterschiedliche Maßnahmen Fördergelder gestrichen, Steuereinnahmen vorenthalten oder schlichtweg Kürzungen in einer Größenordnung von 4 Milliarden € in deren Kassen vorgenommen haben.

Ich weiß, dass Herr Lux, Herr Engel und vielleicht der Innenminister auf den zweithöchsten Verbundsatz in der Geschichte des Landes NordrheinWestfalen hinweisen werden. Aber Sie verschweigen dabei immer: Was Sie den Kommunen rechtmäßig im Rahmen der Steuerverbünde in die linke Tasche geben, haben Sie ihnen durch Kürzungen an anderer Stelle aus der rechten Tasche herausgezogen.

Ich will nur darauf aufmerksam machen, dass Schwarz-Gelb im Bund wie im Land dafür verantwortlich ist, dass kommunale Infrastruktur, dass wichtige kommunale soziale Einrichtungen, dass Leistungen für Kinder, Jugendliche und alte Menschen deshalb in den Städten nicht mehr gezahlt werden können, weil Sie dafür verantwortlich sind, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich möchte meinem Kollegen Edgar Moron genug Zeit lassen, das eine oder andere zum Zustand der Kommunalfinanzen und zu Ihrer Verantwortung darlegen zu können. Ich will allerdings noch zwei Beispiele nennen, wie absurd der Umgang mit notleidenden Kommunen inzwischen in diesem Land ist.

Es gibt ein Schreiben von drei Städten an den Ministerpräsidenten. Den drei Städten ist von der jeweiligen Kommunalaufsicht mit dem Hinweis auf leere Kassen untersagt worden, junge Menschen auszubilden.

(Bodo Löttgen [CDU]: Das stimmt nicht!)

Der Ministerpräsident schrieb ihnen, das alles sei nicht so schlimm. Natürlich könnten Kommunen, auch wenn sie notleidend sind, Ausbildungen durchführen. – Während dieses Schreiben am 8. Februar bei der Stadt Oberhausen eingeht, rufen die Beamten der Landesregierung den zuständigen Oberbürgermeister an und sagen: Dieses Schreiben kannst du vergessen. Wir werden dir die Ausbildung von 35 jungen Menschen in deiner Stadtverwaltung, die dringend notwendig sind, untersagen.

Ich will ein zweites Beispiel nennen. Der verlängerte Arm der Landesregierung in Münster, Regierungspräsident Paziorek, erklärt, es sei ein Irrglaube,

diese finanzielle Situation überhaupt noch über die Kommunalaufsicht in den Griff zu bekommen. Sie sei schlichtweg trostlos. – Herr Paziorek hat sich dazu entschlossen, Landesrecht schlichtweg zu ignorieren und den notleidenden Kommunen dadurch zu helfen, dass er die Augen schließt, wenn sie Schulden machen müssen.

Meine Damen und Herren, diese beiden Beispiele und die Tatsache, dass die Kommunen seit fünf Jahren im Kabinett dieser Landesregierung mit einem Minister, der ihre Interessen wahrnimmt, nicht mehr vertreten sind, und auch die personelle Besetzung zeigen: Das sind Auflösungserscheinungen dieser Landesregierung, die im Sinne von guten Kommunalfinanzen und einer intakten kommunalen Infrastruktur hoffentlich in 57 Tagen das letzte Mal regiert hat. – Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Jäger. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Löhrmann das Wort. Bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Schönen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich komme gebürtig aus Essen und stamme damit aus einer Region, zu der Städte und Gemeinden gehören, denen es finanziell sehr schlecht geht. Ich wohne jetzt in Solingen und kümmere mich in meiner regionalen Zuständigkeit um die Gemeinden Wuppertal, Remscheid und Solingen. Auch denen geht es finanziell sehr schlecht.

In all diesen Städten macht im Moment die Fahne des Pleitegeiers die Runde. Das ist die Fahne der 19 Nothaushaltskommunen, die sich zusammengeschlossen haben und die mit dieser Pleitegeieraktion deutlich machen wollen, dass es so nicht weitergeht und dass die Städte und Gemeinden an den Rand ihrer Handlungsfähigkeit gekommen sind.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vor diesem Hintergrund empfinden die Vertreterinnen und Vertreter dieser Städte, vor allem aber die Bürgerinnen und Bürger, es immer als zynisch, wenn Vertreter der Regierung und der Regierungsfraktionen suggerieren, das seien Städte, in denen bestimmte Farben regiert hätten, die das dann zu verantworten hätten. Das hat Herr Engel hier getan. Das hat der FDP-Innenminister getan.

Das empfindet zum Beispiel der Oberbürgermeister von Wuppertal, Herr Jung, zu Recht als zynisch.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Er sagt: Ich habe hier mit unterschiedlichen Konstellationen regiert. Deswegen ist das unverschämt.

Denn wenn man nicht anerkennt, dass es in den Städten und Gemeinden unseres Landes ein Problem gibt, dann kann man natürlich auch nicht die richtigen Lösungsansätze entwickeln. -Deswegen stehen Sie von Schwarz-Gelb bei der Lage der Kommunalfinanzen vor einem Scherbenhaufen, was die Bilanz Ihrer Politik angeht, meine Damen und Herren.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Herr Jäger hat schon einzelne Punkte genannt. Nur noch 10 % der Kommunen haben einen ausgeglichenen Haushalt. In wenigen Jahren sind 90 % der Städte in der Haushaltssicherung, im Nothaushalt oder noch schlimmer dran. Sie verweisen immer auf Düsseldorf, aber Nordrhein-Westfalen ist mehr als die Stadt Düsseldorf. Sie müssen sich schon die Lage insgesamt in den Städten und Gemeinden ansehen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Mit dieser Situation der Kommunen verträgt sich eines überhaupt nicht, meine Damen und Herren: weitere Steuersenkungen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)