Protokoll der Sitzung vom 11.03.2010

Ich rufe auf:

7 Wege zur solidarischen Bürgergesellschaft Bürgerschaftliches Engagement und freiwillige Tätigkeit langfristig absichern und auf den gesellschaftlichen Wandel reagieren

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/10138

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Generationen, Familie und Integration Drucksache 14/10758

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 14/10750

Ich eröffne die Beratung. Frau Kollegin Koschorreck von der SPD-Fraktion erhält das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bürgerschaftliches Engagement ist für eine vitale Demokratie und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft unabdingbar. Kaum eine der großen Herausforderungen, mit denen sich unsere Gesellschaft konfrontiert sieht, kann ohne solches Engagement bewältigt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, erinnern Sie sich noch an den Anfang Ihres politischen Engagements? Die meisten von uns haben in der Kommunalpolitik angefangen, haben Spaß an der Sache bekommen, Gleichgesinnte gefunden, sich engagiert und Fähigkeiten an sich entdeckt, die wir im normalen Berufs- und Familienleben nicht so

entwickelt hätten. Wir haben also Bestätigung und Anerkennung gefunden.

Und jetzt sind wir hier im Landtag, haben unser Ehrenamt zum Beruf gemacht und müssen feststellen, dass wir unseren eigenen Nachwuchs abgeschreckt haben. Denn nur noch wenige junge Menschen wollen uns auf diesem Weg nachfolgen. Die Zahlen derjenigen, die sich langfristig an ein politisches Amt binden möchten, sind drastisch gesunken. Viele kommunale Fraktionen sind bei der letzten Kommunalwahl nur fünf Jahre älter geworden.

Damit sind wir bereits mittendrin in unserem Antrag, für den ich heute spreche. „Aus Frustration über mangelnde Einflussmöglichkeiten, fehlende Chancen und nicht vorhandene Perspektiven treten viele Jugendliche den Rückzug ins Privatleben an“ heißt es darin. An formaler Anerkennung scheint es nicht zu liegen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nirgendwo sonst dürfte die Chance, einmal das Bundesverdienstkreuz verliehen zu bekommen, höher sein als beim langjährigen Engagement in der Kommunalpolitik – wenn man es denn darauf anlegt.

Es stellt sich für mich die Frage: Woran liegt es dann? – Aus Sicht der SPD-Fraktion sind die Gründe vielfältig und auch schon seit Langem bekannt. Die Wissenschaft hat uns viele gute Erkenntnisse dazu geliefert. Unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker muss es doch sein, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen und wirkungsvolle Maßnahmen einzuleiten. Genau dies will meine Fraktion mit dem vorliegenden Antrag tun.

Ehrenamtliche erwarten auch, dass die Politik ein verlässlicher Partner ist und bleibt. Daher gehört es zu unseren zentralen Forderungen, dass für alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst eingeführt wird. Es ist doch schon zynisch, wenn wir auf der einen Seite Sonntagsreden zum ehrenamtlichen Engagement junger Menschen halten, auf der anderen Seite aber nur jedem Dritten, der bereit ist, ein ganzes Jahr seines Lebens ehrenamtlich zu verbringen, überhaupt einen Platz bieten können. Damit signalisieren wir doch: Eigentlich bis du gar nicht gewollt.

Zu diesen Signalen gehört auch die Antwort auf die Frage, ob wir die Finanzierung der Jugendverbände langfristig finanziell auf solide Füße stellen. Denn sie leisten nicht nur bei der Motivation von Jugendlichen hervorragende Arbeit, sondern auch bei deren Qualifizierung und dauerhaften Einbindung.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Gerade die Jugendverbände erproben neue Formen des gesellschaftlichen Engagements, die

wegweisend auch für andere Altersgruppen sein können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu meinem Kreistagswahlkreis gehört ein Stadtteil im Programm „Soziale Stadt“. Dort wird ungeheuer viel ehrenamtliches Potenzial sichtbar, das hervorgelockt, gefördert und koordiniert wird – aber durch hauptamtliche Strukturen in der Gemeinwesenarbeit begleitet wird. Diese Strukturen sind eine große Chance für diesen Stadtteil. Es gab und gibt dort auch viel traditionelles ehrenamtliches Engagement. Aber viele soziale und wirtschaftliche Probleme dieses Stadtteils konnten dadurch nicht mehr aufgefangen werden.

Ganz deutlich wird hierbei, dass ohne solche Strukturen viele gute Ansätze verloren gehen. Die sozialen und die Bildungsvoraussetzungen, die Menschen für das Ehrenamt mitbringen, sind unterschiedlich. Die Bereitschaft ist überall vorhanden. Aber organisatorische Unterstützung ist hier unbedingt notwendig.

Aber auch dort, wo sich Menschen hoch qualifiziert neben oder nach ihrem Arbeitsleben engagieren möchten, brauchen wir professionelle Unterstützung. Die Ansprüche an das Ehrenamt sind gestiegen. Der Anspruch der Ehrenamtler ist: Was wir tun, möchten wir gerne tun. – Dazu brauchen sie Weiterbildung in den verschiedensten Bereichen des Ehrenamtes. Was sie tun, möchten sie gerne machen und im direkten Kontakt mit anderen Menschen. Das heißt, dass Ehrenamtler vom bürokratischen Alltag entlastet werden möchten.

Aus all diesen Gründen stellt meine Fraktion fest, dass mehr in Koordinationsfachkräfte und in den Strukturaufbau der Freiwilligenarbeit vor Ort investiert werden muss. Diese finanzielle Förderung muss über das Land geleistet werden; denn gerade die Kommunen, die dringend auf eine Stärkung des Ehrenamtes angewiesen sind, sind finanziell am wenigsten dazu in der Lage.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU- und von der FDP-Fraktion, lassen Sie mich nun kurz auf Ihre Vorschläge zu unserem Antrag eingehen. In Ihrem Entschließungsantrag vom 2. März singen Sie, wie so oft, das Hohelied des ehrenamtlichen Engagements. Konkrete Zusagen, die vor Ort sinnvoll wirken können, lässt Ihr Antrag jedoch vermissen. Sie wollen anerkennen, werben, stärken, fördern, unterstützen und weiterentwickeln. Das hört sich zunächst einmal alles ganz gut an. Aber ich frage Sie: Was haben die Menschen denn konkret davon? – Ich sage: Nichts haben Sie davon, rein gar nichts, verehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP.

Geradezu höhnisch muss für ehrenamtlich Engagierte vor allen Dingen der letzte Vorschlag in Ihrem Antrag klingen. Da heißt es:

… durch die Bereitstellung von Räumlichkeiten des Landes und der Kommunen die Möglichkei

ten von Zusammenkünften zu begünstigen, damit Ehrenamtliche handeln, sich austauschen und ihre Leistungen der Öffentlichkeit präsentieren können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lade Sie recht herzlich ein, mal zu mir in den Wahlkreis zu kommen. Dann sagen Sie bitte diesen Satz den Verantwortlichen der Sportvereine, die in einer Gemeinde nach der anderen immer höhere Nutzungsentgelte für die kommunalen Sportanlagen zahlen müssen – nicht weil die Kommunen böswillig wären, weil sie das ehrenamtliche Engagement untergraben wollten, nein, sie sind einfach nicht dazu in der Lage, anders zu handeln, weil die Landesregierung sie finanziell komplett im Stich lässt.

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, werden Sie konkret! Fördern Sie die Koordinierung von Ehrenamt vor Ort auch finanziell! Geben Sie den Jugendverbänden eine verlässliche Finanzierung! Sorgen Sie dafür, dass beim doppelten Abiturjahrgang im Jahr 2013 genügend Mittel für die Freiwilligendienste zur Verfügung stehen! Setzen Sie sich dafür ein, den Rechtsanspruch auf den Freiwilligendienst einzuführen! Setzen Sie sich für bessere Freistellungsregelungen, für Ausbildung und Einsatz ein.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Wir sind doch da- bei!)

Kurzum: Stimmen Sie einfach unserem Antrag zu! – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Koschorreck. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Tenhumberg.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es vorweg zu sagen: Ich empfinde das Vorgehen der SPD-Landtagsfraktion, nämlich Ihren heutigen Antrag zum ehrenamtlichen Engagement, als unfreundlichen Akt.

(Britta Altenkamp [SPD]: Ach du liebe Güte!)

Ich werde es im Land immer wieder verkünden: Aus wahlkampfstrategischen Gründen opfert die SPD die Möglichkeit eines gemeinsamen parlamentarischen Vorgehens zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit.

Das ehrenamtliche Engagement hat für unsere Gesellschaft eine große Bedeutung und wird aufgrund der demografischen Entwicklung in Zukunft noch stärker an Bedeutung gewinnen.

(Beifall von der CDU)

Deshalb haben sich auf Einladung von Vertretern des Instituts für Bürgergesellschaft, des Zentrums

für Bürgerengagement, der Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen, des DiözesanCaritasverbands Köln und der Kölner Freiwilligenagentur einzelne Abgeordnete aus allen Fraktionen dieses Landtags außerparlamentarisch und informell getroffen.

Diese Gesprächsrunden haben im Januar, im Juni und im September des vergangenen Jahres in Düsseldorf in einer vertraulichen und angenehmen Atmosphäre stattgefunden. Sie waren von dem Willen getragen, ohne parteipolitische Einengung über die Möglichkeiten der Weiterentwicklung der Engagementpolitik zu beraten. Wir hatten uns dabei Konsens vorgenommen, wollten ernsthaft diskutieren, weitere Schritte in diesem gesellschaftlich wichtigen Bereich partei- und fraktionsübergreifend verabreden und die gemeinsamen Ergebnisse in das Parlament einbringen.

Ziel dieser Gesprächsrunde sollte es auch sein, auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse mit Praktikern, Wissenschaftlern sowie den Vertretern von im Ehrenamt engagierten Instituten und Verbänden und der Politik gemeinsame Strategien zu erarbeiten. Die so entwickelten und auf einer breiten Basis aufgestellten Konzepte sollten effektiv und zum Wohle unserer Gesellschaft umgesetzt werden. Das scheint jetzt vergessen worden zu sein.

Ein guter Ansatzpunkt zur Weiterentwicklung der Engagementpolitik ist nach meiner Auffassung der Bericht der Enquetekommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ aus dem Jahr 2002 des Deutschen Bundestages. Ich zitiere aus dem Vorwort des Abschlussberichts Drucksache 14/8900 des Deutschen Bundestages:

Bürgerschaftliches Engagement bedeutet Vielfalt. … Die Bürgerinnen und Bürger erneuern mit ihrem freiwilligen Engagement in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Tag für Tag die Bindekräfte unserer Gesellschaft. Sie schaffen eine Atmosphäre der Solidarität, der Zugehörigkeit und des gegenseitigen Vertrauens. … Darüber hinaus aber steht die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements im Kontext eines der wichtigsten gesellschaftlichen Reformprojekte unserer Zeit: der Stärkung der Bürgergesellschaft.

Mir ist es sehr wichtig, die gesellschaftspolitische Dimension des ehrenamtlichen Engagements in der öffentlichen Diskussion angemessen zu betonen. Bürgerschaftlich Engagierte verbinden heute mit ihren Aktivitäten einen starken Wunsch nach Eigenverantwortung und Selbstbestimmung.

Ableiten müssen wir als Parlamentarier hieraus also auch neue Wege der Mitgestaltung und Mitbestimmung. Im politischen Handeln sollten wir Bürgerengagement generell als ein menschliches Bedürfnis und Recht verstehen und dafür sorgen, dass jeder Einwohnerin und jedem Einwohner Nordrhein

Westfalens Chancen zum Bürgerengagement eröffnet werden. Engagierte Menschen bieten Bürgerengagement, aktive Teilnahme an unserer Gesellschaft.

Bürgerengagement eröffnet den Zugang zu sozialen Netzwerken. Es trägt im Gemeinwesen zu Zusammenhalt und Lebendigkeit bei, und es kann vielfältige Potenziale zur Minderung oder Lösung gesellschaftsrelevanter Probleme aufzeigen.

Als politische Aufgabe sollten wir uns nun zwei Ziele setzen: Menschen, die sich zukünftig ein bürgerschaftliches Engagement vorstellen können, mit einem entsprechenden Angebot den Zugang zu erleichtern und Institutionen der öffentlichen Hand und der Wirtschaft sowie Einzelpersonen für eine engagementfreundliche Kultur empfänglich zu machen.

Bürgerengagement wirkt in der Regel am besten vor Ort: im Gemeinwesen, in der Kommune, in den Kirchen, in Bürgerinitiativen, in den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege mit ihren Einrichtungen und Diensten, in kommunalen oder Vereinsehrenämtern, in institutionalisierter oder informeller Freiwilligenarbeit, in nachbarschaftlicher Hilfe, im Kontext eines Unternehmens und in vielem mehr. Unterstützen sollten die Kommunen das Bürgerengagement durch die Bereitstellung von erforderlichen Infrastrukturleistungen.

Die CDU-Landtagsfraktion weiß um die Bedeutung der Bürgergesellschaft und des Bürgerengagements. Die Landesregierung hat deshalb bereits durch viele Maßnahmen die Schaffung einer Anerkennungskultur gefördert, und sie wird es auch in Zukunft verstärkt tun.

So fördern wir die Beratungs- und Koordinierungsaufgaben der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege sowie ihr ehrenamtliches Engagement weiterhin unmittelbar und mit mehreren Millionen € aus dem Landeshaushalt.

Die im Antrag angesprochenen Themen werden selbstverständlich schon seit Langem von unserer Landesregierung bearbeitet