Protokoll der Sitzung vom 24.03.2010

Schiller hat in aller Regel den Nagel auf den Kopf getroffen, und daher bin ich mir sicher: Wenn er die Grünen schon gekannt hätte, dann hätte er sie genau so beschrieben.

Warum um Himmelherrgotts willen müssen Sie denn immer alles gleich skandalisieren? Warum werfen Sie der Atomaufsicht des Landes vor, die Parteien im Landtag falsch oder zumindest unvollständig über den Störfall in der Urananreicherungsanlage Gronau informiert zu haben? – Das klingt nach mutwilliger Vertuschung oder Irreführung.

(Dietmar Brockes [FDP]: Das ist ihre Politik!)

Sie haben selbst aus der Sitzung des Wirtschaftsausschusses vom 27. Januar zitiert. Jeder, der dabei war, weiß doch, dass dieser Vorwurf völliger Blödsinn oder bösartig ist. Die Energieministerin hat völlig offen und informativ über das meldepflichtige Ereignis vom 21. Januar 2010 berichtet. Sie hat das berichtet, was sie zu diesem Zeitpunkt berichten konnte, weil es bereits erkannt war. Sie hat unmissverständlich vorgetragen, dass weitere Informationen und eine abschließende Bewertung der Atomaufsicht dann erfolgen werden, wenn die ausführlichen Berichte der Urenco sowie des schwedischen Zulieferers vorliegen und die gutachterliche Überprüfung durch den TÜV abgeschlossen ist.

Der Bericht aus Schweden, meine Damen und Herren, kam erst am letzten Wochenende, offenbar mit einem Vorabexemplar für Frau Höhn. Wie sonst wäre es zu erklären, dass die Ex-Ministerin schon fünf Minuten nach Berichtseingang öffentlich Ihre Skandalarie anstimmte?

(Beifall von der CDU)

Wirtschaftsminister Karl Schiller hat den Sozialdemokraten einst ins Stammbuch geschrieben: Lasst die Tassen im Schrank, Genossen! – Diesen Zuruf möchte ich heute an die Grünen richten: Lasst die Tassen im Schrank, wenn es euch gelüstet, auf der Atomaufsicht herumzuhacken! Lasst die Beamten in Sorgfalt und Ruhe ihren Job machen, ganz und gar dann, wenn der Mitreferatsleiter gerade erst verstorben ist!

(Beifall von der CDU)

Seien Sie ganz sicher: Wenn es nicht nur in Schweden, sondern auch bei Urenco Schlampereien gegeben hat – nach augenblicklichem Stand bestehen daran eigentlich keine Zweifel –, wird das aufsichtsbehördliche Konsequenzen und Verfahrensänderungen nach sich ziehen, ebenso im Zweifelsfall ein Strafverfahren, wenn die Staatsanwaltschaft relevante Verstöße gegen Sicherheitsgrundsätze feststellt.

Seien wir froh, dass es – anders als bei der Explosion im Gaskraftwerk -nicht zu Personenschäden kam! Seien wir froh, dass der betroffene Mitarbeiter im Wesentlichen unverletzt blieb! Haben wir doch bitte ein bisschen Vertrauen in die Arbeit der Atomaufsicht und der Staatsanwaltschaft! Und unterlassen wir öffentliche Schuldzuweisungen, ehe alle Fakten wirklich ausgewertet sind!

In diesem Sinne noch eine Bitte an Frau Höhn, die Sie ihr gerne ausrichten können: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu! – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke, Herr Weisbrich. – Für die SPD spricht nun der Kollege Stinka.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das unterscheidet die SPD-Opposition von der Regierung: Wir beschäftigen uns mit dem Hier und Jetzt und schauen nicht bei Herrn Wallenstein nach, wenn es darum geht, sich jetzt um Menschen zu kümmern. Herr Weisbrich, das war gerade ganz schlecht und ganz an den Menschen vorbei.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Mit Zitaten und Nebelkerzen kommen Sie in dieser Sache nicht weiter.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Es ist schon ein tolles Stück, Kolleginnen und Kollegen, dass wieder einmal aus den Reihen der Oppositionsfraktionen Aufklärungsarbeit betrieben werden muss, um unfassbare Missstände im Ministerium von Frau Thoben aufzudecken. Ich bin dem Kollegen Priggen sehr dankbar, dass er diese Aktuelle Stunde beantragt hat, und erinnere mich noch sehr gut an die Aktuelle Viertelstunde im Wirtschaftsausschuss am 27. Januar dieses Jahres, die ein wenig Licht ins Dunkel bringen sollte.

In dieser Sitzung, Kolleginnen und Kollegen, hatte ein Mitarbeiter von Frau Thoben behauptet, ein Behälter sei fälschlicherweise als gereinigt deklariert gewesen, der tatsächlich aber mit hochgiftigem, radioaktiv strahlendem Uranhexafluorid aus Schweden eingetroffen war.

(Zustimmung von Ministerin Christa Thoben)

Das wäre schon schlimm genug gewesen. Eine solche Schlamperei, bei der radioaktive Stoffe – es geht nicht um Apfelsaft, Herr Weisbrich – freigesetzt werden können und Menschen zu Schaden kommen können, hätte nicht passieren dürfen.

Tatsächlich aber scheint der Sachverhalt noch schlimmer zu sein: Offensichtlich ist es bei den Behältern sogar so, dass sie zutreffend deklariert wurden und dass bei ordentlichem Studium der Frachtpapiere klar gewesen sein müsste, dass bestimmte Reinigungsstufen nicht durchlaufen worden sind. Dennoch ist offensichtlich arglos mit diesen Behältern umgegangen worden.

Das spricht dafür, dass seitens des Betreibers und der Aufsichtsbehörden offensichtlich den beigefügten Papieren keine Bedeutung geschenkt wurde. Am 22. März – Herr Priggen hat das ausgeführt – können wir den Zeitungen entnehmen, dass eine neue Sicherheitsanweisung aus dem Wirtschaftsministerium erlassen wurde. Ich betone: Eine neue Anweisung. Ab sofort gilt: Dokumentenprüfung vor Anlieferung.

Was heißt denn das, Kolleginnen und Kollegen? – Der Umkehrschluss ist einfach: Bisher galt keine oder eine unzureichende Dokumentenprüfung vor Anlieferung.

(Christian Weisbrich [CDU]: Horstmann hat das versäumt!)

Das ist ungeheuerlich. Es handelt sich um hochgiftige, radioaktive Stoffe, die angeliefert werden, aber nur schwach geprüft werden.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Jeder von uns, Kolleginnen und Kollegen, der schon einmal an einer Schadstoffsammelstelle eine leere Lackdose abgegeben hat, kennt den Aufwand, mit dem dieser Sonderabfall deklariert und ordnungsgemäß nachgewiesen werden muss. Es geht also nicht um einen einzelnen Fehler, den man nach Schweden abschieben kann. Hier haben Urenco und die Aufsichtsbehörden komplett versagt. Organisatorisches Verschulden hat diesen Unfall erst möglich gemacht.

Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass Ministerin Thoben zugelassen hat, dass der Betreiber mehrere Tage ohne staatliche Aufsicht die Unfallstelle gereinigt hat und damit vielleicht sogar Ermittlungen der Staatsanwaltschaft behindert wurden.

(Widerspruch von Ministerin Christa Thoben)

Inzwischen ist klar, dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde. – Wer schreit, hat meistens Unrecht, Frau Thoben. Seien Sie vor diesem Hintergrund ein bisschen leise.

Inzwischen ist es klar und zwingend erforderlich gewesen, dass man die schwedischen Behörden hätte kontaktieren müssen. Das ist lange Zeit unterblieben. Es scheint so zu sein, dass in Schweden offensichtlich gereinigte Behälter gemeinsam mit ungereinigten gelagert werden und bei der Auslieferung verwechselt wurden. Es ist insofern nicht auszuschließen, dass weitere falsch deklarierte Behälter in Schweden, in Nordrhein-Westfalen oder anderen Orten in Europa eine Gefährdung darstellen.

Wir wissen, dass die gesamte FDP und weite Teile der CDU zurück zur Atomenergie wollen.

(Dietmar Brockes [FDP]: Falsch!)

Wir haben im letzten Plenum darüber diskutiert, dass Staatssekretär Baganz einräumen musste, dass das neue Landesentwicklungsprogramm den Neubau von Forschungsreaktoren in NordrheinWestfalen ermöglicht und Minister Pinkwart auch Nukleartechnik mit neuen Steuergeldern erforschen lassen will.

(Horst Becker [GRÜNE]: Genau so ist es!)

Besonders vor diesem Hintergrund, Kolleginnen und Kollegen, ist es besorgniserregend, wie sorglos aus Reihen der CDU mit den Gefahren der Atomenergie umgegangen wird.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

So hat der stellvertretende Vorsitzende der CDULandtagsfraktion Christian Weisbrich am 24. Januar zum Atomunfall in Gronau verharmlosend ausgeführt, dies sie – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin – als wenn einem beim Aufmachen des Kühlschranks das Porzellan auf den Kopf fällt und man damit nicht gerechnet hat.

Das, Herr Weisbrich, wird weder den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiten im Gaskraftwerk noch in solch einer Anlage gerecht. Es geht um deren Gesundheit. Dass Sie so damit umgehen, zeigt erneut deutlich Ihr Bild von Mitarbeitern in solchen Anlagen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Anstatt sich für diese Äußerung zu entschuldigen, Kolleginnen und Kollegen, legte Herr Weisbrich am 27. Januar noch einen drauf und verglich den Unfall in Gronau mit dem Verwechseln einer Apfelsaftflasche mit Essig. So sieht Ihre Wirtschaftspolitik aus, für die Sie sich hier und heute verantworten müssen, Herr Weisbrich.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Zwei Monate nach dem Atomunfall kommt die Wahrheit nur scheibchenweise ans Licht. Es gibt mehr Fragen als Antworten. Wann wurden die schwedischen Behörden über den Vorfall unterrichtet? Warum ist das nicht sofort geschehen? Wie viele in Schweden falsch deklarierte Behälter können gegebenenfalls in Europa noch unterwegs sein? Welche Feststellungen hat die Staatsanwalt

schaft bisher getroffen? Durch welche Maßnahme der Atomaufsicht soll in Zukunft dazu beigetragen werden, solche Unfälle zu vermeiden? Hierüber erwarten wir heute dringend Auskunft der zuständigen Ministerin.

Es wird aber weitergehen müssen. Eine zukünftige Landesregierung wird Informationsmaßnahmen vorsehen müssen, damit die Gefahren der Atomenergie nicht weiter unverantwortlich verharmlost werden. Unsägliche Vergleiche, bei denen die Gefahren von Uran mit denen von Apfelsaft und Essig verglichen werden, müssen aufhören. Das schadet insgesamt der Akzeptanz von Technologie in unserem Land.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, der Vorfall in Gronau zeigt, wie gut es ist, dass wir in NordrheinWestfalen aus der Atomkraft ausgestiegen sind. Er zeigt auch, dass am Atomausstieg nicht gerüttelt werden darf. Wir bleiben dabei: Atomkraft? Nein danke!

Deswegen ist es gut, dass sich die Wählerinnen und Wähler am 9. Mai dieses Jahres für jemand anderen entscheiden werden als für Sie. – Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Stinka. – Für die FDP spricht nun der Kollege Brockes.