Protokoll der Sitzung vom 24.03.2010

Danke schön, Herr Stinka. – Für die FDP spricht nun der Kollege Brockes.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man wundert sich wirklich, mit welchen merkwürdigen Anträgen hier versucht wird, das Thema Kernkraft in irgendeiner Weise noch einmal auf die Tagesordnung zu bringen. Immerhin dreimal dürfen wir uns in dieser Plenarwoche hier mit diesem Thema beschäftigen. Herr Kollege Priggen und Herr Kollege Stinka, offenbar fallen Ihnen im Wahlkampf keine weiteren Themen mehr ein.

(Horst Becker [GRÜNE]: Sollen wir einmal die Stadtwerke thematisieren?)

Einerseits ist das sehr traurig. Andererseits finde ich es wirklich beschämend, Herr Kollege Priggen, dass Sie hier mit Angst Politik machen wollen.

(André Stinka [SPD]: Keine Sorge!)

Meine Damen und Herren, zunächst einmal möchte ich für meine Fraktion deutlich machen, dass jeder Betriebsunfall, egal in welchem Unternehmen und in welcher Branche, einer zu viel ist. Wir sind, ehrlich gesagt, sehr erleichtert, dass der verunglückte Mitarbeiter keine nachhaltigen gesundheitlichen Schäden davongetragen hat. Übrigens haben dieser Mitarbeiter und sein Kollege in diesem Moment hervorragend reagiert. Die Strahlung war nämlich so gering, dass die automatischen

Schutzmechanismen noch nicht einmal angesprungen sind. Deshalb sind sie von dem Mitarbeiter manuell ausgelöst worden. Herr Kollege Stinka, im Übrigen war die Strahlung geringer als die durchschnittliche Strahlung, der Sie sich jedes Jahr aussetzen.

(André Stinka [SPD]: Sie waren dabei, ja?)

Nein, das belegen die Fakten.

Meine Damen und Herren, nun komme ich zu der aufgeworfenen Sachfrage. Die Grünen behaupten in ihrem Antrag zur Aktuellen Stunde, am 27. Januar 2010 habe das Wirtschaftsministerium als Atomaufsicht des Landes NRW in der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Mittelstand und Energie fehlerhaft über den Unfall bei Urenco in Gronau informiert.

Dieser Vorwurf ist, ehrlich gesagt, abstrus. Wenn man sich das Protokoll dieser Ausschusssitzung anschaut, wird man feststellen, dass sechs Tage nach dem Unfall in Gronau natürlich nur eine vorläufige Einschätzung des Sachverhaltes möglich war. In der Ausschusssitzung wurde auch explizit deutlich gemacht, dass es sich nur um eine vorläufige Stellungnahme handeln kann. Erst nach abschließender Vorlage aller Daten kann überhaupt erst eine Bewertung vorgenommen werden. Zu dem Zeitpunkt unserer Ausschusssitzung ist der betroffene Raum noch nicht einmal betreten worden, Herr Kollege Stinka. Wie sollte man dann also schon eine abschließende Stellungnahme abgeben können?

Ermittlungen der Aufsichtsbehörden – dies gilt vor allem dann, wenn sie grenzüberschreitende Sachverhalte betreffen – halten sich nun einmal nicht an Wahltermine in Nordrhein-Westfalen, auch wenn Ihnen dies nicht ins Zeug passt, Herr Kollege Priggen.

Zwischenzeitlich liegen neue Erkenntnisse vor. Es hat sich herausgestellt, dass es offenbar zwei unterschiedliche Dokumente gab, die den Zustand dieses Behälters beschrieben. International üblich ist es, sich nach den Lieferpapieren zu richten, die vorab übermittelt werden. Das hat auch Urenco im vorliegenden Fall so getan. Die mitgelieferten sogenannten Waschprotokolle hat der Mitarbeiter von Urenco nicht entsprechend überprüft. Fakt ist: In Schweden sind falsche Lieferpapiere mitgeschickt worden. Dort wird jetzt aufgeklärt werden müssen, was genau dort falsch gelaufen ist.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat bereits auf die neuen Erkenntnisse reagiert und klar festgelegt, dass die Waschprotokolle in Zukunft beachtet werden müssen. Dies soll einen solchen Unfall wie im Januar 2010 in Zukunft verhindern. Die FDP-Fraktion unterstützt es ausdrücklich, dass die Eingangskontrollen konsequenter gehandhabt werden. Damit hat Nordrhein-Westfalen zukünftig

eine klare Regelung und stellt sicher, dass sich ein solches Ereignis nicht wiederholt.

Die hier seitens der Grünen vorgetragene Kritik an der Ministerin läuft daher völlig ins Leere. Auch die von Sachkenntnis befreiten Einlassungen von ExFeldhamster-Ministerin Bärbel Höhn, das Unternehmen sei nicht zuverlässig, sind doch nicht der Kern, um den es in dieser Debatte geht, meine Damen und Herren.

(Horst Becker [GRÜNE]: Mein Gott! – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wie schlecht muss es Ihnen gehen! – Gegenruf von Ralf Witzel [FDP]: Sie können die Wahrheit nicht ertra- gen, Frau Löhrmann!)

Wie in der Sitzung des Wirtschaftsausschusses bestätigt wurde, gibt es gerade bei Urenco nur eine geringe Anzahl von Vorkommnissen.

Meine Damen und Herren, deutsche Atomanlagen sind nachweislich die sichersten der Welt. Ängste und Technikfeindlichkeit zu schüren, wie es SPD und Grüne hier tun, und damit die Menschen in Zukunftsängste zu versetzen, ist ein politisches Armutszeugnis. In diesem Fall wird das leider wieder demonstriert.

Betriebsunfälle gibt es überall. Es ist klar, dass man alles tun muss, um diese nach Möglichkeit zu verhindern. Der Fehler, der in Schweden gemacht wurde, muss dort aufgeklärt werden. Was schiefgelaufen ist, muss entsprechende Konsequenzen haben. Ich gehe davon aus, dass auch die schwedischen Aufsichtsbehörden den Fall ganz genau überprüfen werden. Die Landesregierung hat für unsere Seite reagiert. Damit ist die neue Vorgabe für Urenco ganz klar.

Meine Damen und Herren, hier geht es der Opposition aber im Wesentlichen nicht um die Sachaufklärung. Es geht hier einzig und allein darum, das Thema Kernenergie künstlich „hochzujazzen“, um endlich irgendein Thema im Wahlkampf zu haben.

(Beifall von der FDP – Zurufe von den GRÜ- NEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen: Sie werden mit Angstkampagnen, egal in welchem Bereich, keinen Blumentopf gewinnen.

(Beifall von der FDP)

Die Menschen in Nordrhein-Westfalen wollen keine Angstpolitik der Grünen, die nur Risiken, aber keine Chancen für dieses Land sieht. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Brockes. – Der Abgeordnete Sagel, fraktionslos, ist an der Reihe.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist in der Tat mehr als fragwürdig und ein Skandal, was bei der Urananreicherungsanlage in Gronau abgelaufen ist.

Als Erstes hat man die nicht wirklich überraschende Stellungnahme des Betreibers gehört. Ich zitiere: „Es hat zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Bevölkerung bestanden.“ Das ist der übliche Sprech, den man bei solchen Atomunfällen immer wieder erlebt. Wir haben feststellen müssen: Die Realität sah etwas anders aus. Zum jetzigen Zeitpunkt müssen wir konstatieren, dass Urenco und Aufsichtsbehörde versagt haben. Das geht auch an die Landesregierung, das geht auch an die Wirtschaftsministerin und das geht an die, die Verantwortung für diesen Unfall tragen.

Wir erleben – und das schon seit Jahren –, dass die Atomdiskussion weitergeführt wird. Wir reden über längere Laufzeiten. Wir reden über einen Ausbau der Urananreicherung auch in Deutschland. Wir wissen selber, dass die UAA in Gronau wichtig für den Brennstoffkreislauf ist. Ohne die UAA können Atomkraftwerke nicht betrieben werden – und das hier in Nordrhein-Westfalen. Deswegen ist Nordrhein-Westfalen Atomland.

Das ist es auch wegen des Atommüllzwischenlagers in Ahaus. Denn das ist die große Problematik, die mit der ganzen Angelegenheit insgesamt verbunden ist. Wir haben nach wie vor völlig ungeklärte Verhältnisse, was mit dem hoch radioaktiven Müll auf Dauer passieren soll. Wir haben Skandale wie in der Asse erlebt. Wir haben nach wie vor kein Endlager. Wir betreiben hier eine Hochsicherheitstechnologie ohne eine Lösung. Wir müssen aber eine sichere Lösung für Tausende von Jahren finden.

Man muss sich auch wirtschaftspolitisch etwas intensiver mit der ganzen Angelegenheit befassen und fragen: Wer ist eigentlich der Betreiber dieser Anlage? – Die Urenco-Gruppe. Ein Drittel dieses Unternehmens ist in niederländischer Hand, ein Drittel in britischer Hand. Das verbleibende Drittel unterhalten RWE und E.ON.

Wenn man sich das genauer vor Augen führt, dann stellt man fest: Wieder sind die Energiemonopole, wieder sind die großen Stromgiganten für die Atomsicherheit in Deutschland verantwortlich zu machen. Gerade die beiden Konzerne E.ON und RWE stehen für einen Ausbau und für längere Laufzeiten von Atomkraftwerken. Sie fordern Laufzeitverlängerungen. Sie stehen auch dafür, dass Atommüll, Uranhexafluorid und anderes, nach Russland transportiert und dort unter freiem Himmel gelagert wird.

All das ist ein Skandal. All das ist etwas, was die Landesregierung eigentlich zum Thema machen müsste. Sie müsste dafür sorgen, dass so etwas nicht passiert und dass diese Anlagen endlich stillgelegt werden. Das fordert Die Linke. Wir fordern den schnellstmöglichsten Ausstieg aus der Atom

technologie, aus dem Betrieb von Atomkraftwerken. Wir fordern hier in Nordrhein-Westfalen den Ausstieg aus der Urananreicherung in Gronau. Wir fordern die Stilllegung der Anlage. Wir fordern: keine weiteren Atommülltransporte nach Ahaus! Wir fordern auch, dass keine Atommülltransporte in Nordrhein-Westfalen mehr stattfinden. Das sind klare Äußerungen.

Wir müssen allerdings konstatieren, dass auch SPD und Grüne immer wieder dafür gesorgt haben, dass Atomanlagen ausgebaut worden sind, was auch für die UAA in Gronau gilt.

Meine Damen und Herren, als Nächste spricht für die Landesregierung Frau Ministerin Thoben.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 27. Januar 2010 habe ich ausgeführt, dass erst nach Vorlage aller zur Bewertung des Ereignisses erforderlichen Daten die abschließende Bewertung der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde erfolgen kann. Auch derzeit sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen.

Herr Priggen, zur Sorge um den Mitarbeiter trage ich hier Folgendes vor: Der kontaminierte Mitarbeiter wurde direkt nach dem Ereignis durch den Urenco-eigenen Strahlenschutz hinsichtlich Radioaktivität vermessen und, soweit möglich, dekontaminiert. Die hierbei gemessenen Werte lagen unterhalb der Empfehlungen der Strahlenschutzkommission der Bundesregierung, nach der eine Dekontamination wünschenswert wäre.

Danach wurde der betroffene Mitarbeiter auf Verätzungen durch Fluorwasserstoff untersucht und festgestellt, dass keine Verätzungen vorhanden waren.

Anschließend wurde die nächstliegende Gesundheitsgefahr, nämlich die Gefährdung durch Schock, betrachtet und der Mitarbeiter der inzwischen eingetroffenen Notfallärztin vorgeführt. Diese entschied, dass der Mitarbeiter aufgrund des Schockzustandes in das nächste Krankenhaus eingeliefert werden soll.

Der Mitarbeiter hat am 1. Februar 2010 die Arbeit wieder aufgenommen.

Meine Damen und Herren, das Ereignis fand am 21. Januar nachmittags statt. Wie Ihnen bekannt ist, konnte nach dem Vorfall der betreffende Raum nicht begangen werden. Hierzu war eine erste Reinigung des Bodens erforderlich. Erst nach der Begehung am 25. Januar durch die atomrechtliche Aufsichtsbehörde und den hinzugezogenen Gutachter konnte eine erste technische Bewertung des Vorfalls vorgenommen werden.

Am 27. Januar habe ich den damaligen Stand der Ermittlungen im Ausschuss vorgetragen. Aufgrund

der kurzen Zeitspanne konnte dieser Bericht nur vorläufig sein.

Am Freitag, dem 19. März, wurde uns um 11.05 Uhr vom Bundesministerium für Umwelt die deutsche Übersetzung des Berichts der Westinghouse Sweden an die schwedische Atomaufsicht zugestellt. Nach einer ersten Durchsicht haben wir den Bericht um 14.28 Uhr an die Staatsanwaltschaft Münster weitergeleitet.

Folgender Hinweis ist vielleicht für Sie interessant: Gegen 13 Uhr an diesem Tag erreichten uns durch die Medien die ersten Vorwürfe, wir arbeiteten zu langsam.

Die Staatsanwaltschaft Münster ist auf der Grundlage dieses Berichts zu der Erkenntnis gelangt, dass der Fehler, welcher zu dem Ereignis führte, in Schweden zu suchen ist.

Die im vorläufigen Bericht vom 27. Januar vor dem Wirtschaftsausschuss über das betreffende Ereignis in der Anlage gemachten Aussagen zur Verursachung sind durch die Darlegungen im schwedischen Bericht vom 5. März bestätigt worden. So wird die nicht korrekte Deklaration des betroffenen Behälters für den Transport von Schweden nach Gronau sowie die fälschlicherweise noch vorhandene Uranrestmenge von 1,6 kg dargestellt. Diese Tatsache wurde in der Sitzung bereits deutlich dargelegt.

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die Ergebnisse aufgrund der laufenden Ermittlungen, die vor dem Wirtschaftsausschuss vom 27. Januar als vorläufig eingestuft worden sind, im Lichte neuer Erkenntnisse heute anders darstellen. Dies gilt auch für Aussagen bezüglich der Transport- und Waschdokumentation des betroffenen Behälters, die bereits vor Anlieferung des Behälters in Gronau der Urenco vorlag.

Eine explizite Überprüfung dieser Dokumentation durch den Anlagenbetreiber fand bisher nicht statt, da im internationalen Umfeld die Beistellung dieser Papiere nicht grundsätzlich üblich ist. Für die Urenco war bisher ausschließlich die Deklaration der Behälter gemäß Transportrecht maßgeblich.