Protokoll der Sitzung vom 14.12.2005

Nicht ausgenommen aus dem Anwendungsbereich ist der gesamte Bereich der Bildung.

In einer Kampfabstimmung wurde dem Ausschluss der Zeitarbeitsfirmen leider nicht stattgegeben, ebenso wenig der klaren Unterscheidung zwischen dem Zugang zu einer Dienstleistungsaktivität, der dem Prinzip des Niederlassungslandes unterliegt, und ihrer Erbringung, die dem Ziellandprinzip unterliegt.

Hinsichtlich der Zulassung setzten sich im Ausschuss besonders stark die EVP-Fraktion und die liberale Fraktion für das Herkunftslandprinzip ein und setzen es dann durch.

Bezüglich der Kontrolle ist jetzt das Zielland und nicht mehr das Herkunftsland zuständig. Es wurde klar gestellt, dass alle sektoralen Richtlinien Vorrang vor der Dienstleistungsrichtlinie haben – eine Forderung, die wir stets erhoben haben.

Die Dienstleistungen von „allgemeinen Interesse“ haben den Zusatz „gemäß den Definitionen der Mitgliedstaaten“ erhalten und sollen vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen sein. Hier haben wir es nach wie vor mit einer alten Rechtsunsicherheit zu tun. Denn es gibt keine einheitliche Definition für die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse; sie unterliegen der Missbrauchsaufsicht durch die Kommission.

Der Vorschlag des Binnenmarktausschusses wird wahrscheinlich im Februar in erster Lesung im Europäischen Parlament diskutiert, und es wird noch Monate dauern, bis das EP abschließend Stellung nimmt. Aber es ist unzweifelhaft, dass die Dienstleistungsrichtlinie – in welcher Fassung auch immer – spätestens 2008 gilt.

Wir hoffen während der Plenarbehandlung des Europäischen Parlamentes natürlich auf weiter gehende Änderungen an der Richtlinie. Bis das EP abschließend Stellung nimmt, werden aber viele Monate vergehen. Die Landesregierung sollte unserer Auffassung nach diese Zeit schnellstens nutzen, um auf der Basis des Vorschlags des Binnenmarktausschusses die ökonomischen und die sozialen Folgen untersuchen zu lassen und damit zu belastbaren Aussagen für die einzelnen Branchen zu kommen.

(Beifall von der SPD)

Dabei kann an der vorliegenden ersten Studie der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer angeknüpft werden.

Viele Punkte in dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kann ich unterstützen. Aber diese Punkte durch eine Studie belegt zu bekommen und damit nicht wegzuwischende Argumente in der Hand zu haben, ist schlagkräftiger bei der Abstimmung mit Bundesrat, mit Bundestag und Bundesregierung sowie in der Abstimmung mit Europaparlament und Kommission und letztlich auch im Ministerrat. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Sikora. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Herr Priggen das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die europäische Dienstleistungsrichtlinie ist am 1. Januar 2004 von der Kommission eingebracht worden und – Frau Kollegin Sikora hat darauf schon hingewiesen – von Anfang an außerordentlich umstritten gewesen. Sie ist aber in Teilen der Öffentlichkeit zunächst einmal gar nicht so beachtet worden.

Positiv ist die grundsätzliche Zielsetzung, Dienstleistungen in Europa freier zu ermöglichen. Allerdings gibt es bei 25 Mitgliedstaaten und sehr unterschiedlich ausgeprägten Regelungen die Sorge, dass wir einen Wettbewerb um die niedrigsten Sozialstandards und die niedrigsten Umweltstandards sowie ein Preis- und Qualitätsdumping bekommen. Das ist nicht nur eine Sorge von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die um ihre Arbeitsplätze Angst haben, es ist auch eine Sorge von Verbraucherinnen und Verbrauchern, und es ist eine Sorge von Unternehmen; ich werde gleich noch ein zwei Quellen nennen.

Am 22. November dieses Jahres hat der EUBinnenmarktausschuss dazu über 1.000 Änderungsanträge bearbeitet und eine Vorlage beschlossen, die in das Europäische Parlament kommt. Richtig ist, dass dieses Votum einige positive Elemente gegenüber dem Kommissionsentwurf enthält: Bestandsklausel zum nationalen Arbeitsrecht, die Ausklammerung der Gesundheitsdienstleistung und die Sicherung der Entsenderichtlinie. Unsere Gesamtbewertung – da unterscheide ich mich nicht von der Kollegin – aber lautet, dass das Europäische Parlament auf keinen Fall dieser Vorlage 1:1 folgen darf.

Deswegen haben wir von der grünen Seite einen Antrag vorgelegt, der die klare Botschaft enthält: Das Votum des Binnenmarktausschusses des Eu

ropäischen Parlaments zur Dienstleistungsrichtlinie bedarf der Korrektur.

Ich will dazu vier konkrete Punkte benennen:

Erstens. Korrigiert werden muss die Nichtausklammerung der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse aus dem Geltungsbereich der Richtlinie. Aus unserer Sicht darf die Dienstleistungsrichtlinie nur für kommerzielle Dienstleistungen gelten. Alle Dienstleistungen, die mit einer Gemeinwohlverpflichtung verbunden sind, müssen aus dem Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie herausgenommen werden. Das gilt für so sensible Bereiche wie die Wasserversorgung, die Abfallbehandlung und die Pflegedienstleistungen.

Wir halten grundsätzlich die Entscheidung des Binnenmarktausschusses, zwischen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu unterscheiden, für falsch. Das ist weder durch den EU-Vertrag noch durch Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gedeckt. Wir sagen ganz klar: Auch die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zählen zum Kern der Daseinsvorsorge. Das gilt ganz besonders für Deutschland, wo die Daseinsvorsorge – zum Beispiel die Wasserversorgung – ein wesentliches Element der kommunalen Selbstverwaltung darstellt. Insofern haben wir eine klare Position: Die Nichtausklammerung der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ist falsch.

Zweitens. Die Korrekturbedürftigkeit bezieht sich auf die grundsätzliche Anwendung des Herkunftslandsprinzips bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen. Aus unserer Sicht darf sich das Herkunftslandprinzip nur auf den Marktzugang, nicht aber auf die Marktausübung beziehen. Bei der Marktausübung müssen die Regelungen und Standards des Landes gelten, in dem die Dienstleistung erbracht wird.

Wir bekommen ansonsten – auch das hat Kollegin Sikora angesprochen – ein Race-to-the-bottom, eine Abwärtsspirale, bei ein Wettbewerb entsteht, dass Standards immer weiter abgesenkt werden. Das kann vernünftigerweise niemand wollen: nicht die Verbraucher/innen, nicht die Arbeitnehmer, aber auch nicht die Unternehmen.

Drittens. Die Korrekturbedürftigkeit bezieht sich auf die Kontrollverantwortlichkeit der Zielländer, und zwar auf der Grundlage der Regelungen des Herkunftslandes. Es ist ein Fortschritt gegenüber dem Entwurf, dass die Kontrollverantwortlichkeit von den Herkunftsländern auf die Zielländer über

gehen soll. Aber die Vorgabe, dass die Zielländer die Kontrollen nicht auf der Grundlage ihres eigenen Rechtssystems, sondern auf der Grundlage des Rechtssystems der Herkunftsländer vornehmen sollen, ist unpraktikabel. Es ist völlig unmöglich, auf der Grundlage von 25 unterschiedlichen europäischen Herkunftsländern eine lokale Behörde dazu zu veranlassen, Tätigkeiten zu prüfen. Insofern muss das korrigiert werden.

Im Übrigen besteht insoweit sogar eine Übereinstimmung mit dem Positionspapier der FDP. Gerade was die Dienstleistung angeht, haben wir sonst nur wenige Gemeinsamkeiten. Aber es gibt ein Papier von Alexander Graf Lambsdorff für die europäische Gruppe der FDP, in dem es heißt – ich zitiere –:

„Das Herkunftslandsprinzip ist Kern der Dienstleistungsfreiheit in Europa. Wir fordern, dass die Kontrollen der Modalitäten, gemäß denen eine Dienstleistung erbracht wird, weiter durch die Rechtsvorschriften der Empfängerländer geregelt wird.“

Das ist auch aus unserer Sicht eine richtige Forderung. Zweifel haben wir allerdings beim konkreten Verhalten Ihrer Leute im Europäischen Parlament, weil die nach unserem Kenntnisstand genau anders abgestimmt haben. Das ist mit ein Grund, warum wir es hier diskutieren wollen. Es gibt auch Zweifel an den Positionen der CDUKollegen im Europäischen Parlament. Wir hatten im Bundesrat eine gewisse konsensuale Linie mit CDU-geführten Ländern. Aber nach allem, was ich weiß, ist in der Binnenmarktkommission und im Europäischen Parlament die Position der FDP und auch der CDU durchaus anders.

Wir müssen hier darüber reden, weil wir wissen wollen, wie Sie sich in der weiteren Debatte positionieren. Positionieren Sie sich so, wie Hessen es in der Vergangenheit im Bundesrat gemacht hat – was wir nach wie vor für richtig halten –, oder ändert sich Ihre Positionierung, und welches Augenmerk legen Sie darauf?

(Beifall von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Der vierte Punkt, den wir korrigieren müssen, ist der Verzicht auf den gemeinschaftlichen Harmonisierungsanspruch. Das ist aus meiner Sicht einer der Punkte, bei dem man vernünftigerweise auf zwei Schultern tragen müsste. Wir müssen Zug um Zug harmonisieren, um tatsächlich einen gewissen Wettbewerb und eine gewisse Freizügigkeit hinzubekommen. Wenn man aber darauf verzichtet, dann können wir im Wettbewerb nicht Standards unterschiedlicher Ländern beibehalten. Das geht zulasten unserer Arbeitnehmerinnen

und Arbeitnehmer und zulasten der Betriebe. Dass darauf verzichtet wird, ist nicht nachzuvollziehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir fordern die Landesregierung auf, sich im Sinne dieser vier Punkte in Brüssel und in Straßburg für eine Korrektur der Entscheidungsempfehlung des Binnenmarktausschusses einzusetzen.

Ich will aus dem Antrag, den das Land Hessen am 5. September in den Bundesrat eingebracht hat, zitieren, weil ich mir wünschen würde, dass Frau Thoben gleich sagt, dass genau das unverändert auch Position der Landesregierung ist. Hessen sagt in dem Antrag:

„Bei der Ausgestaltung des Herkunftslandsprinzips muss gewährleistet werden, dass es sich nur auf den Marktzugang bezieht. Die Marktausübungsmodalitäten, insbesondere die bei der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen zu beachtenden Normen, technischen und sozialen Standards richten sich ausschließlich nach den geltenden Bestimmungen des Aufnahmestaates.“

(Beifall von den GRÜNEN)

Das muss gelten, und zwar ohne Ausnahmeregelung. Das darf nicht auf der Linie gelten, dass einzelne Länder das ändern können, sondern es muss grundsätzliche Linie sein; sonst wird es über die Zeitachse doch aufgeweicht.

Wir stehen an der Stelle nicht alleine. Bei den kritischen Diskussionen, die wir mit dem Handwerk haben, ist interessant, dass es Positionen gibt, bei denen wir in völliger Übereinstimmung mit dem Zentralverband des deutschen Handwerks stehen. Dessen Präsident Otto Kenzler hat im August auf einer Vollversammlung des niederbayerischen Handwerks in Regensburg zur Dienstleistungsrichtlinie gesagt – ich zitiere –:

„Wenn wir unsere Chancen in einem erweiterten Europa wahrnehmen wollen, muss der Marktzugang frei sein – ohne Schikanen. Aber die Ausführung muss sich nach den Standards des Landes richten, in dem die Leistung erbracht wird. … Nur so können wir Preis-, Sozial- und Qualitätsdumping verhindern.“

Lassen Sie mich das noch sagen: Wenn ich mir vorstelle, dass ich als Verbraucher Dienstleistungen einkaufe und mich über Gewährleistungsstandards, über Vorschriften in Rumänien, in Polen oder ich als Aachener nahe liegend über Standards in Belgien oder in den Niederlanden informieren soll! Das kann und tue ich als Verbraucher

nicht. Insofern ist es völlig unsinnig, da Prinzipien gelten zu lassen, die aus den einzelnen Ländern kommen. Man braucht einheitliche europäische Standards. Die Präsidentin des Landesrechnungshofes, die uns hier zuhört, zum Beispiel müsste sich ansonsten auf 25 europäische Richtlinien bei ihren Überprüfungen einstellen. Es muss jedem einleuchten, dass das nicht geht. Das kann kein vernünftiger Weg sein. Das heißt: an der Stelle eine Harmonisierung und dann eine gemeinsame Linie!

Deswegen die klare Aufforderung an die Landesregierung, die alte Position, wie sie im Bundesrat war, beizubehalten.

Ich habe aber auch eine Bitte an die Sozialdemokraten. Meine Rückmeldung ist: Im Binnenmarktausschuss ist in der Schlussabstimmung auf der sozialdemokratischen Seite die Abstimmung freigegeben worden. Und das Abstimmungsergebnis 25:10 bedeutet – man hört, dass es die englischen Sozialdemokraten waren –, dass Teile der sozialdemokratischen Fraktion an der Stelle diesen sehr weit reichenden Regelungen gefolgt sind. Deswegen ist die Bitte, dass man sich zusammen aufstellt, dass die Bundesregierung unterstützt von der Landesregierung eine Position vertritt, wie dies im Bundesrat Konsens war. Das wäre für alle besser. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Priggen. – Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Knieps das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Europa steht vor einem neuen Gemeinschaftswerk, der europäischen Dienstleistungsrichtlinie. Diese Richtlinie wird zentrale Bedeutung für die weitere Entwicklung der Dienstleistungsmärkte in der Europäischen Union haben.

Nach intensiven Diskussionen soll die Dienstleistungsrichtlinie der Europäischen Union im Januar im Europäischen Parlament beraten werden. Die Bedeutung der Richtlinie ist gleichermaßen groß wie die Umstrittenheit des Richtlinienentwurfs der Europäischen Kommission. Daher ist es grundsätzlich richtig, dass sich der Landtag mit diesem wichtigen Thema heute auseinander setzt.

Selbstverständlich wird Nordrhein-Westfalen von den Auswirkungen der Richtlinie betroffen sein, nicht zuletzt, weil wir Außengrenzen mit zwei europäischen Nachbarstaaten besitzen, die viel flexibler sind als wir in Deutschland.

Der Richtlinienentwurf ist insbesondere durch Kritik der mittelständischen Unternehmen, des Handwerks und der Gewerkschaftsseite in Europa hervorgerufen. Dabei war ein hochinteressanter europäischer Meinungsbildungsprozess zu beobachten, der dazu geführt hat, dass alle großen Parteien im Europäischen Parlament die Vorlage der Kommission letztlich ablehnen. Nach den kürzlich erfolgten Abstimmungen im Binnenmarktausschuss, auf deren Ergebnisse ich noch eingehen werde, hat der Richtlinienentwurf ein völlig anderes Gesicht erhalten. Im Vorfeld hat sich das deutsche Handwerk massiv für wesentliche Änderungen eingesetzt – Herr Priggen, Sie haben Recht –, mit Unterstützung zahlreicher Abgeordneter des Europäischen Parlaments aus Nordrhein-Westfalen und dieser Landesregierung.

Bevor ich auf das Erreichte näher eingehe, möchte ich mich zunächst mit den umfassenden Anträgen der SPD-Fraktion und der Fraktion der Grünen auseinander setzen.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Sehr gute Anträ- ge!)