Protokoll der Sitzung vom 19.01.2006

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für das Ruhrgebiet braucht man Herz und Verstand.

(Beifall von CDU und FDP)

Wenn mir jemand wie Herr Eiskirch – ich führe das einmal darauf zurück, dass er ganz frisch im Parlament ist – unterstellt, ich sei als Vertreterin des Münsterlandes hier, dann weiß er wohl nicht, dass der gesamte Emscher-Lippe-Raum zum Kammerbezirk Münster gehört. Soviel zu der Zeit, in der ich in Münster gearbeitet habe.

Dann ist ihm ganz offenkundig auch entgangen...

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wir wollen hier nicht Ihre Biografie hören!)

Die erzähle ich auch nicht; da müssen Sie keine Sorge haben. Aber so wie Sie an irgendwelchen Stellen, an denen es Ihnen gefällt, über Ihre katholische Herkunft sprechen, darf ich einen Hinweis machen, wenn mich jemand so pauschal angreift.

(Beifall von CDU und FDP)

Es ist doch auch kein Zufall – vielleicht –, dass ich auch den Übergang des KVR zum RVR ein halbes Jahr mit gestalten durfte. Damals habe ich übrigens auch von der SPD recht große Zustimmung erfahren.

Frau Steffens, auf Ihre Frage kann ich Ihnen Folgendes antworten: Einen Tag nach der Kabinettsbefassung ist die Stadt Oberhausen offiziell vom Referatsleiter telefonisch unterrichtet worden, unter anderem mit dem Hinweis darauf, dass das

rechtsverbindliche Ablehnungsschreiben selbstverständlich in den Fristen verfasst werden muss. Da muss als erstes das Kabinettsprotokoll unterzeichnet werden, und danach werden wir tätig.

(Ralf Jäger [SPD]: So hoch angesiedelt! Beim Referatsleiter sogar!)

Die Opposition irrt. O.Vision ist kein Zukunftsprojekt. Wir wollen keine ungedeckten Schecks auf Projekte ausstellen, die nicht vernünftig durchgeplant sind. Wir wollen Abschied nehmen von Leuchttürmen, die häufig zu Wunderkerzen mutieren.

O.Vision ist nicht zu verantworten. Das gilt nicht nur, wie Sie das so gerne darstellen, im Hinblick auf die Haushaltssituation der Stadt Oberhausen, sondern auch im Hinblick auf die unsichere Wirtschaftlichkeit des Vorhabens: die erheblichen Finanzierungsrisiken aufgrund des zu knappen Zeitplans des Vorhabens. Jeder von uns weiß, dass solche Entertainment-Center besonderen Risiken unterliegen, zum Beispiel vor dem Hintergrund sich rasch ändernder Verbraucherpräferenzen sowie veränderter Marktsituationen aufgrund neuer Konkurrenzangebote.

Wir alle kennen unter anderem den Fall SpaceCenter Bremen. Ich darf noch einmal die Fakten dieser traurigen Geschichte in Erinnerung rufen: Zu Beginn des Jahres 2004 wurde dieses hoffnungsvolle Entertainment-Projekt in Bremen eröffnet, im September desselben Jahres wegen mangelnden Besucherzustroms bereits wieder geschlossen. Nicht einmal ein ganzes Jahr hat der Betrieb durchgehalten.

Ein zweites Argument war für die Landesregierung aber mindestens genauso wichtig:

Dem Vorhaben O.Vision ist die Zeit weggelaufen – und zwar die Zeit, in der Sie regiert haben. Dadurch, dass das Projekt bei der Europäischen Kommission unter dem Gesichtspunkt möglicher Wettbewerbsverzerrungen geprüft wird und vor einer Entscheidung der Kommission nicht begonnen werden kann, wurde der Realisierungszeitplan immer enger.

Ursprünglich sollte die Realisierung dieses Vorhabens ca. dreieinhalb Jahre in Anspruch nehmen. Auch das verkleinerte Projekt sieht einen Zeitplan von knapp drei Jahren vor. Da aber spätestens Ende 2008 das Vorhaben nicht nur beendet, sondern auch komplett im Rahmen des Ziel2-Programms bei der Kommission abgerechnet sein muss, beinhaltet der Realisierungsplan nach

Ansicht der Landesregierung heute schon viel zu große Risiken.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Noch ist nicht klar, wann und wie die Kommission über dieses Wettbewerbsverfahren entscheidet. Wenn das Vorhaben dann nicht mehr rechtzeitig fertig gestellt werden kann, müssten das Land und die Stadt die ausfallenden Fördermittel der EU in Höhe von ca. 25 Millionen € aufbringen. Ein solches Risiko ist weder für den Landeshaushalt noch für den Haushalt der Stadt Oberhausen vertretbar.

(Beifall von CDU und FDP)

O.Vision gibt Oberhausen keine Zukunft. Man muss sich einmal vergegenwärtigen, dass die Stadt Oberhausen nicht nur eine Stadt mit Haushaltsproblemen ist: Oberhausen ist langjährige Haushaltssicherungskommune und befindet sich in vorläufiger Haushaltswirtschaft ohne rechtsgültige Haushaltssatzung infolge eines nicht genehmigten Haushaltssicherungskonzeptes.

Der Stand der Investitionsschulden betrug zum 31. Dezember 2004 389,5 Millionen €. Der Fehlbetrag des Verwaltungshaushaltes 2004 betrug 376,6 Millionen € mit einer Unterdeckungsquote von 47,8 %. In dieser Situation in ein Projekt mit so vielen Risiken und von dieser Größenordnung hineinzugehen, ist vollkommen unverantwortlich.

(Beifall von CDU und FDP)

Sie sehen also: Es gab mehrere gute Gründe, für dieses Projekt keine Förderzusage zu geben – Gründe, die, wie wir alle wissen, bereits in der alten Landesregierung zu intensiven Diskussionen geführt haben.

Völlig unzutreffend ist es, aus der Ablehnung einer Förderung von O.Vision durch das Land auf eine Blockadehaltung gegenüber dem Ruhrgebiet zu schließen.

(Manfred Kuhmichel [CDU]: So ein Quatsch aber auch! – Zuruf von Hannelore Kraft [SPD])

Das Gegenteil ist der Fall:

Erstens. Im laufenden Ziel-2-Programm, Frau Kraft, sind bisher ca. 1,34 Milliarden € für insgesamt 2.600 Vorhaben – überwiegend zugunsten des Ruhrgebiets – bewilligt worden.

(Hannelore Kraft [SPD]: Richtig! Das ist auch die Gebietskulisse!)

Bitte? Ja, Sie fragen mich doch pausenlos in Kleinen Anfragen und wollen es noch einmal ge

nauer wissen. Ich muss ja schon fast Leute einstellen, um die alle zu beantworten.

Zweitens. Allein im vergangenen Jahr setzte die Landesregierung ca. 270 Millionen € im Rahmen des Ziel-2-Programms zugunsten des Ruhrgebiets ein.

Und, Herr Witzel, auch zu Ihnen: Allein im letzten Monat – ich glaube, seitdem hat sich die Haushaltssituation der Ruhrgebietsgemeinden nicht verändert – wurden konkret 94 Vorhaben bewilligt mit einem Fördervolumen von 178 Millionen €, mit denen Gesamtinvestitionen von 280 Millionen € zugunsten des Ruhrgebiets angestoßen werden.

Ich möchte nur einige wichtige Vorhaben nennen: die Propylen-Pipeline im Ruhrgebiet, das Großvorhaben Phoenix West in Dortmund, vierter Bauabschnitt, die MST-Factory in Dortmund, dritter Bauabschnitt, die Entwicklung der Industriebrache Sudamin zum Gewerbegebiet Logport 2 in Duisburg

(Zuruf von der SPD)

ich sage nur, wann die Bewilligungen ausgesprochen worden sind, damit Sie endlich mit Ihrer Legendenbildung aufhören –,

(Beifall von CDU und FDP – Ralf Jäger [SPD]: Sie reden von Legendenbildung?)

die Wiedernutzbarmachung der Industriebrache Babcock-Gelände Voerde, die Durchführung eines Businessplanwettbewerbs Medizinwirtschaft im Ruhrgebiet, die Errichtung eines Kompetenzzentrums Chemie in Marl, im Rahmen des Zukunftswettbewerbs Ruhr 18 neue FuE-Vorhaben privater Unternehmen in Kooperation mit Forschungseinrichtungen.

Ich könnte diese Liste fortführen. Sie belegt eindeutig, dass die Landesregierung ihre Verantwortung für das Ruhrgebiet wahrnimmt und für eine zügige Umsetzung des Ziel-2-Programms sorgt.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir konzentrieren uns dabei auch weiterhin auf die Entwicklung erfolgreicher Kompetenzfelder wie die Mikrostrukturtechnik, Life-Science, Gesundheitswirtschaft sowie Logistik.

Eine Ablehnung von O.Vision bedeutet auch keinesfalls, dass das Land die Entwicklung der Gesundheitswirtschaft im Ruhrgebiet nicht weiter verfolgen will.

Frau Ministerin, darf ich Sie an die Redezeit erinnern.

Ja. Aber ich brauche mehr.

Sie brauchen mehr?

Das Gegenteil ist der Fall. Nur wollen wir eine langfristig angelegte, seriöse Entwicklung und kein Projekt, das als Investitionsruine mit unabsehbaren Folgen endet.

(Beifall von Manfred Kuhmichel [CDU])

Die Vielzahl der im letzten Jahr gebilligten Vorhaben zeigt auch, dass trotz der engen Spielräume in den öffentlichen Haushalten bei Land und Kommunen eine ausreichende Mobilisierung von Kofinanzierungsmitteln möglich war. Es ist uns gelungen, stärker als in der Vergangenheit andere Fachprogramme, zum Beispiel die Städtebauförderung oder das Öpel-Programm, zur Kofinanzierung heranzuziehen.

Diesen Weg werden wir auch für 2006 beschreiten. Wir werden auch in 2006 noch ausreichend Finanzierungsmöglichkeiten für qualitativ hervorragende Vorhaben zur Verfügung stellen können. Wir werden gemeinsam mit den Akteuren im Ruhrgebiet daran arbeiten – daran sollten auch Sie ein Interesse haben, auch wenn es in veränderter Konstellation schwer fällt –, dass die Strukturfondsmittel ausgeschöpft werden.

Damit dies gelingt, hat die Landesregierung unter anderem bei der Europäischen Kommission beantragt, dass für das laufende Programm auch private Drittmittel zur Kofinanzierung zugelassen werden. Für die künftige Förderperiode wird sich die Landesregierung weiter dafür einsetzen, dass die Einbeziehung von privaten Mitteln zulässig bleibt. Hierbei wird es wesentlich auf das Europäische Parlament ankommen. Ich habe deshalb alle Europaparlamentarier aus NRW gebeten, sich dafür einzusetzen.