Protokoll der Sitzung vom 01.02.2006

Der Ministerpräsident hat mit Schreiben vom 24. Januar mitgeteilt, dass der Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie,

Herr Prof. Pinkwart, beabsichtigt, heute zu diesem Thema eine Regierungserklärung abzugeben.

Ich erteile Herrn Prof. Pinkwart als zuständigem Minister das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zentrale Bedeutung von Innovationen liegt auf der Hand. Hohe Löhne und sichere Arbeitsplätze sind dauerhaft nur möglich, wenn unsere Produkte mindestens um so viel besser sind, wie sie teurer sind. Neue Produkte und Produktionsprozesse sind der Schlüssel zum Wohlstand von morgen.

Wie sind die Bedingungen dafür in NordrheinWestfalen? Wie sieht der Innovationsstandort Nordrhein-Westfalen heute aus? – Das RheinischWestfälische Institut für Wirtschaftsforschung stellt in seiner aktuellen Studie eine beträchtliche Forschungslücke für unser Land fest. Die Investitionen für Forschung und Entwicklung gemessen am Bruttoinlandsprodukt lagen in Nordrhein-Westfalen im Jahre 2003 mit 1,8 % des Bruttoinlandsprodukts deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 2,6 % und weit hinter Bayern und BadenWürttemberg mit 3 % beziehungsweise 4 %.

Auch in absoluten Zahlen liegen die FuE-Ausgaben unterhalb derer Bayerns und Baden-Württembergs. Gleiches gilt auch für die Anzahl der Patente und den Anteil der Beschäftigten in innovativen Unternehmen. Die RWI-Studie stellt fest, dass sich die Schere zwischen Nordrhein-Westfalen und dem Bundesdurchschnitt in den vergangenen Jahren sogar weiter geöffnet hat. Deutschland ist dem Lissabon-Ziel, drei Prozent vom BIP in Forschung und Entwicklung zu investieren, in den vergangenen Jahren, wenn auch nur sehr schrittweise, näher gekommen. Nordrhein-Westfalen hingegen fiel weiter zurück, meine Damen und Herren, und zwar von 2,1 % im Jahre 1991 auf 1,8 % im Jahre 2003. Dies belastet uns besonders in einer Situation, in der global agierende Unternehmen nicht nur die Arbeitsplätze in der Produktion, sondern immer häufiger auch ihre Forschung und Entwicklung ins Ausland verlagern.

Meine Damen und Herren, umso wichtiger ist es für uns, die Forschungslücke des Landes Nordrhein-Westfalen zu schließen, um ein auch international konkurrenzfähiger Forschungs- und Entwicklungsstandort zu werden.

(Beifall von CDU und FDP)

Das RWI nennt drei zentrale Gründe für die Forschungslücke in Nordrhein-Westfalen.

Erstens: Die Forschungsintensität der Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen ist im Bundesvergleich unterdurchschnittlich. Während die Wirtschaft bundesweit im Schnitt fast 1,8 % vom BIP in FuE investiert, sind es bei uns nur weniger als 1,1 %. Vor allem fällt hier die relative Forschungsabstinenz unserer großen Firmen ins Gewicht – von beachtlichen Ausnahmen wie Bayer abgesehen.

Es ist hier nämlich anders als bei der Beschäftigung und den Ausbildungsplätzen, wo der Mittelstand bekanntermaßen den größten Beitrag leistet. Es sind die großen Unternehmen, die über 80 % der privaten Investitionen in Forschung und Entwicklung tätigen. Für sie muss der Innovationsstandort Nordrhein-Westfalen endlich wieder so interessant werden, dass sie wieder mehr in Nordrhein-Westfalen investieren.

(Beifall von CDU und FDP)

Der zweite Grund, den das RWI für unsere beträchtliche Forschungslücke identifiziert, ist der in Teilen nicht bewältigte Strukturwandel vor allem im Ruhrgebiet, in den zwar schon sehr viel öffentliches Geld geflossen ist, aber zu häufig in Projekte, die für einen nachhaltigen Strukturwandel nicht taugen. In der RWI-Studie heißt es, dass im Ruhrgebiet ausgleichspolitisch motiviertes Bestreben dazu geführt habe, dass auch solche Konstellationen zu Clustern befördert wurden, die eigentlich die nötige kritische Masse gar nicht aufweisen. So helfen wir dem Ruhrgebiet, meine Damen und Herren, nicht weiter.

(Zustimmung von Manfred Kuhmichel [CDU])

Das Ruhrgebiet hat Stärken, und es hat Chancen. Unsere Aufgabe ist es, die Förderung gezielter dort einzusetzen, wo die Stärken des Ruhrgebietes liegen.

(Beifall von CDU und FDP)

Als dritten Grund nennt das RWI das lokale Innovationsklima. Den süddeutschen Ländern sei bei dessen Pflege und im engagierten Kampf um gewichtige Einzelinvestoren – ich zitiere – „eine große Hartnäckigkeit und erhebliche Fortune“ zu bescheinigen, unserem Land nicht. Hier ist die Risikobereitschaft zu gering, hier, so die Experten, ist das Innovationsklima wenig stimulierend mit der Folge, dass die Zukunftsinvestitionen zu gering sind.

In dieses Stimmungsbild passt es, dass das RWI in Nordrhein-Westfalen einen Mangel an hochinnovativen Unternehmensgründungen moniert, insbesondere in Hightechsektoren, die auf längere Sicht Wachstum hervorbringen. All dies hemmt

unsere wirtschaftliche Entwicklung und den notwendigen Strukturwandel.

Der Innovationsstandort Nordrhein-Westfalen leidet darüber hinaus darunter, dass in unseren Hochschulen zu wenig Exzellenz sichtbar wird – im nationalen wie im internationalen Vergleich. Wir haben die dichteste Hochschullandschaft Europas, aber leider noch nicht die beste. Dies ist die Quintessenz der Evaluierung unserer Hochschullandschaft im Zuge des nationalen Exzellenzwettbewerbs.

Natürlich freuen wir uns über das sehr erfolgreiche Abschneiden der Technischen Hochschule Aachen in der vorläufigen Bewertung, auch über die Erfolge der Universitäten Bielefeld, Bochum, Bonn und Köln. Wir können aber nicht damit zufrieden sein, dass nur eine unserer Hochschulen das Elitefinale erreicht, hingegen sieben Kandidaten aus Bayern und Baden-Württemberg. Den erheblichen Rückstand aufzuholen, gerade im Vergleich zu den süddeutschen Ländern, wird eine anstrengende Aufholjagd.

(Beifall von CDU und FDP)

Es geht hier nicht darum schwarzzumalen oder die Anstrengungen der Vorgängerregierung schlechtzureden. Aber Teilerfolge sind kein Aufbruch und schon gar kein Durchbruch für den Innovationsstandort Nordrhein-Westfalen. Unser Ziel ist es deshalb: Wir brauchen eine Trendwende in der Innovationspolitik. Wir müssen entschlossen umsteuern, um das Innovationsklima wieder zu verbessern, neues Vertrauen in den Standort zu schaffen und wieder Chancen für zukunftssichere Arbeitsplätze zu eröffnen.

(Beifall von CDU und FDP)

Das heißt konkret: Wir wollen bis 2010 den Abstand bei der Forschungs- und Entwicklungsquote zum Bundesdurchschnitt verringern.

Spätestens bis 2015 wollen wir erreichen, dass in Nordrhein-Westfalen mindestens 3 % des Bruttoinlandproduktes in Forschung und Entwicklung investiert werden. Wir wollen das Land mit den höchsten Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Deutschland werden, das Land mit der höchsten Anzahl der Patente und mit dem höchsten Anteil der Beschäftigten in Forschung und Entwicklung. Das ist eine immense Kraftanstrengung.

Es bedeutet, dass die jährlichen Ausgaben der Wirtschaft in Forschung und Entwicklung von rund 5 Milliarden € auf 10 Milliarden € steigen müssen.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Jährlich?)

Es bedeutet auch, dass mindestens 40.000 Menschen mehr als heute in Forschung und Entwicklung arbeiten werden. Das zu erreichen, ist ehrgeizig, aber es ist uns ernst damit.

Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat es in seiner Regierungserklärung schon gesagt: Wir können die Probleme meistern. Wir haben die Kraft dazu, wir haben das Wissen, die Ausbildung und die Infrastruktur. Was wir nicht hatten, war Klarheit und Verlässlichkeit, aber die haben wir jetzt auch, meine Damen und Herren.

(Beifall von CDU und FDP)

Deshalb ist unser Ziel anspruchsvoll, aber nicht utopisch.

(Zuruf von Carina Gödecke [SPD])

Bis zum Jahr 2015 wollen wir Innovationsland Nummer eins werden.

Was ist unser Ansatz? – Innovation kann der Staat nicht planen, im Gegenteil: Überregulierung und Bürokratismus entmündigen und lähmen die Menschen. Innovationen aber brauchen Freiheit. Deshalb werden wir die soziale Marktwirtschaft wiederbeleben. Das ist eine Ordnung der Freiheit, der Solidarität und der Subsidiarität. So verstandene Ordnungspolitik setzt den Rahmen, in dem die Menschen ihre Dinge ohne staatliche Bevormundung selbst regeln. Sie schafft mehr Spielraum für die Wirtschaft und mehr Eigenverantwortung für die Wissenschaft, sie fördert die Kreativität und Eigeninitiative, die Innovations- und Risikobereitschaft der Menschen.

Um einen attraktiven Rahmen für Forschung, Entwicklung und Innovation zu schaffen, genügt es nicht, den Input der öffentlichen Hand zu erhöhen. Stärker als bisher muss die Qualität von Projekten den Ausschlag für die Förderung geben, nicht der Standort oder ausgleichspolitische Motive.

Statt Vergangenheit zu finanzieren, müssen wir mehr in Zukunft investieren. Wir müssen den Transferprozess von der Idee zum Produkt verbessern, innovative Firmengründungen erleichtern und eine neue Qualität der Verzahnung unserer Partner in Wissenschaft und Wirtschaft erreichen.

(Beifall von der FDP)

Auch die Vorgängerregierung hat Schwerpunkte, Cluster und Netzwerke identifiziert, aber darüber hinaus brauchen wir den Mut zur Ungleichheit, müssen wir die Chancen neuer Technologien stärker ins Blickfeld rücken und uns unverkrampft

zur Elite und Exzellenz in Wissenschaft und Wirtschaft bekennen.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir setzen deshalb auf klare neue Prinzipien. Sie lauten: Stärken stärken, Profil schärfen, Exzellenz fördern.

(Karl Schultheis [SPD]: Ist das etwas Neu- es?)

Dies ist unser Rezept, um gemeinsam mit unseren Partnern in Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen den Innovationsstandort Nordrhein-Westfalen an die Spitze zu führen.

(Karl Schultheis [SPD]: Das überrascht uns jetzt aber!)

Um die Trendwende für den Innovationsstandort zu erreichen, bauen wir unsere Politik auf Grundsätzen auf, die es den entscheidenden Akteuren im Innovationsprozess ermöglichen, ihre Kreativität zu entfalten, ihren Handlungsspielraum zu nutzen und ihre Leistungsstärke zum Wohle der Gemeinschaft zu steigern.

Wir müssen das Regelungsdickicht lichten, das die Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen einengt, und an seine Stelle einen stimulierenden ordnungspolitischen Rahmen setzen. Kurz: Wir brauchen eine Politik, die Freiräume für die Investitionen in Wissen und Innovationen schafft.

(Beifall von der FDP)

Um den Unternehmergeist in unserem Land neu zu beleben, wird die Landesregierung systematisch Schritt für Schritt Bürokratie auf allen Feldern abbauen. Dazu gehört auch, dass wir EU- und Bundesrecht in Nordrhein-Westfalen in Zukunft nur noch 1:1 umsetzen und mit dem Draufsatteln der Vergangenheit endlich Schluss machen.

(Beifall von CDU und FDP – Johannes Remmel [GRÜNE]: Das stand schon in der Regierungserklärung!)

Helle Köpfe sind unser wichtigstes Kapital. In unseren Schulen und Hochschulen entscheidet sich die Zukunfts- und Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft zuallererst.