Protokoll der Sitzung vom 01.02.2006

Nein. Wenn man sich selbst diffamiert, ist das nicht mein Problem.

Jeder, der hier als Gast ist, ist für das verantwortlich, was er oder sie sagt. Dafür kann ich nicht stehen.

(Beifall von der SPD)

Ich habe aber Herrn Rauhut versprochen – er sprach mich am Abend des vergangenen Freitag an –, das klarzustellen, weil er sich missverstanden fühlte. Deswegen will ich die Gelegenheit ergreifen und sagen, dass die Aussage in einem Kontext entstand, in dem fast alle Hochschulvertreter sagen: Es wird nicht bei 500 € pro Semester bleiben. Das werden Sie dem Protokoll dieser Anhörung entnehmen können. Die Summe von 3.500 € ist von Herrn Rauhut nicht zum ersten Mal genannt worden. Er hat aber bei der Anhörung gesagt – da mag ein Fehler in der Vermittlung entstanden sein –, dass er diese Summe auf die ausländischen Studierenden bezieht. Ob das eine bessere Aussage ist, muss jeder für sich beurteilen. So ist es gewesen, und deshalb will ich das klarstellen.

(Beifall von der SPD)

Gleichzeitig ist in der Anhörung deutlich geworden – ich wiederhole es –, dass alle der Meinung sind, dass wir mit den 500 € Studiengebühren, die Sie einführen wollen, nicht das Ende der Fahnenstange erreicht haben. Diese realistische Einschätzung teilen wir.

Ich will jetzt nicht mit der Kinderstunde von Radio Eriwan weitermachen

(Beifall von der SPD)

und auch nicht beim Hidden Champion Herrn Stahl. Lassen Sie mich noch einmal auf die Regierungserklärung eingehen. Bei Herrn Stahl weiß ich gar nicht, ob er sie gelesen hat. Wir hatten gestern Abend die Gelegenheit.

(Zuruf von Helmut Stahl [CDU])

Sie sind nicht in besonderer Weise darauf eingegangen; deshalb hatte ich die Vermutung. – Bei Herrn Lindner weiß ich nicht so genau, ob er von der Regierungserklärung begeistert war. Man sieht ja im Umfeld, wie sich die einzelnen Personen bewegen. Eine richtige Begeisterung kam da nicht auf.

(Christian Lindner [FDP]: Was?)

Aus Sicht der SPD-Fraktion ist diese Regierungserklärung ein Angriff auf die Intelligenz und das Kurzzeitgedächtnis der geneigten Zuhörerschaft im Saal,

(Beifall von der SPD)

nicht nur der Abgeordneten, sondern auch der Presse. Vieles ist auf die Öffentlichkeit, auf die Presse ausgerichtet. Es wird erwartet, dass man schnell vergisst. Ich will deshalb noch einmal darauf hinweisen, dass diese Regierungserklärung in dem Teil, in dem es wirklich um Substanz ging, auf das zurückgriff, was die Vorgängerregierung auf den Weg gebracht hat.

(Beifall von der SPD)

Konzeptionell Neues, kreative Konzepte für die Zukunft sind dieser Regierungserklärung nicht zu entnehmen.

(Beifall von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Ich habe gestern Abend noch versucht, irgendeinen Faden zu finden; aber es geht nicht. Bei vielen Maßnahmen, die als erste Erfolge dargestellt worden sind, muss man sich wirklich fragen, wer so dumm ist zu meinen, dass man vom Frühsommer aus – vielleicht war man noch in Urlaub – bis zum 1. Februar des folgenden Jahres all das Herausragende auf den Weg bringen kann, was hier vorgetragen worden ist.

Ich halte es für selbstverständlich, dass eine Regierung das, was positiv läuft, auch für sich reklamiert. Das ist okay, und das will ich gerne konzedieren. Aber wenn damit eine Diffamierung – diesen Begriff haben Sie gebracht – der Vorgängerregierung verbunden ist, dann ist das eine Sauerei.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das muss man auch so benennen. Denn allen anderen vorzuwerfen, sie hätten eine ideologisierte Forschungsförderung betrieben – das hat übrigens Minister Pinkwart am Freitagabend in Aachen auch so gesagt –, ist eine reine Unverschämtheit.

(Beifall von der SPD)

Denn bei all dem, was Sie hier vortragen, haben sich die inhaltlichen Schwerpunkte doch nicht verändert. Das Beispiel Degussa mit Science to Business ist schon genannt worden. Das erste Science-to-Business-Center „Nanotronics“ ist von der Vorgängerregierung auf den Weg gebracht worden. Das zweite „Biotechnologie“ war auf der Pfanne. Der Erfolg des ersten war Voraussetzung für ein zweites. Wir freuen uns darüber.

Herr Kollege Schultheis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Papke?

Ja, selbstverständlich.

Herr Kollege, gerade haben Sie geleugnet, unter Ihrer Regierung sei eine ideologiebestimmte Forschungspolitik betrieben worden. Würden Sie etwa mit Blick auf die Entwicklung der Kernforschungstechnologie an der RWTH Aachen, insbesondere auf die Arbeit am Kernforschungszentrum Jülich, allen Ernstes leugnen wollen, dass dort unter Rot-Grün in erheblichem Maße Personalabbau betrieben worden ist und Mittel für Kernforschungstechnologie gekürzt worden sind, und zwar in aller Öffentlichkeit, flankiert von Ihrem damaligen Koalitionspartner? Wollen Sie diese Fakten, die ich Ihnen gerne noch einmal schriftlich zur Verfügung stelle, tatsächlich in dieser Debatte leugnen, Herr Kollege?

Das können Sie mir gerne schriftlich zur Verfügung stellen. Ich habe keinen Grund, irgendetwas zu leugnen. Es gibt auch unterschiedliche Auffassungen dazu, was wichtig und richtig ist. Das wird auch so bleiben. Es gibt auch eine Werteorientierung, wenn es darum geht, Grundsatzentscheidungen zu treffen. Hier ist das berühmte Stammzellennetzwerk, ein Produkt der Vorgängerregierung, diskutiert worden. Da hat die CDU geklatscht. Das fand ich ganz interessant. Klären Sie einmal untereinander, wie die Zukunft des Stammzellnetzwerks NRW und seine Aufgabenstellung aussehen wird! Wir sind sehr interessiert.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Wir sind gespannt auf die Antwort!)

Es spricht aber nichts dagegen, im Hinterkopf eine Werte-Orientierung zu haben. Denn man muss nicht alles machen, was möglich ist. Dem Grundsatz können Sie wohl auch folgen. Diese Frage stellt sich auch bei der Forschung zur Kernenergie. Ich persönlich bin beispielsweise immer dafür eingetreten, insbesondere die Sicherheitsforschung weiter voranzutreiben. Das mögen andere anders sehen. Aber ich nehme für mich in Anspruch, mich nicht beschimpfen zu lassen, dass ich eine ideologisierte Forschungsförderpolitik betrieben habe.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das ist eine Unverschämtheit, vor allen Dingen dann, wenn man sich gleichzeitig die Erfolge der Produkte der Vorgängerregierung selbst ans Hemd heftet. Darum geht es.

Ich war aber bei Degussa. Das wollte ich Ihnen noch erklären. Degussa ist ein Tochterunternehmen der Ruhrkohle. Auch das ist eine sehr intelligente Politik, aus alten Branchen heraus neue aufzubauen und richtig aufzustellen. Das ist eine sehr kluge Politik, die insbesondere durch die Landesregierung in den vergangenen Jahren vorangetrieben worden ist.

(Beifall von der SPD)

Wir hoffen, dass es bei Degussa weitergeht. Wir freuen uns darüber. Wir, ich und meine Fraktion, freuen uns über jedes gute Ergebnis in diesem Feld – auch der Landesregierung. Dagegen spricht überhaupt nichts. Aber Erbschleicherei bei gleichzeitiger Beschimpfung der Erblasser finde ich ein starkes Stück.

(Beifall von der SPD)

Noch ein paar grundsätzliche Anmerkungen zur Innovation, weil der Begriff derart verbraucht ist, dass nicht mehr klar ist, was überhaupt darunter zu verstehen ist.

Ich weiß, dass die Innovation ein etwas komplexerer Sachverhalt ist, als dass man den Begriff „Innovation“ so verbrauchen könnte, wie das hier in den Darlegungen und auch in der Regierungserklärung erfolgt ist.

Wir – die frühere Landesregierung aus SPD und Grünen – haben in den vergangenen Jahren mit dem Hochschulkonzept und auch mit dem Forschungskonzept 2010 bewiesen, dass wir hier Schwerpunkte setzen. Diese Schwerpunktsetzung verfolgen Sie weiter, Herr Minister Pinkwart. Das begrüßen wir.

Wir wollen nicht aus der Verantwortung aussteigen, indem wir fordern, dass an den Hochschulen möglichst viele Studierende studieren können. Ich habe den Eindruck, dass Sie bestimmten Rektoren Flausen in den Kopf setzen, sodass diese meinen, sie könnten die Studierendenzahlen erheblich reduzieren und gleichzeitig weiter über die Ressourcen verfügen, die ihnen gerade deshalb zur Verfügung stehen, weil sie so viele Studierende betreuen.

Das ist eine Fehlentwicklung. Wir müssen nach wie vor möglichst viele Schülerinnen und Schüler motivieren, ein Studium aufzunehmen. Das sagt auch der scheidende Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Prof. Einhäupl, der noch einmal nachdrücklich gefordert hat, dass der Anteil der Studierenden erhöht wird. Da liegt der Casus knacksus bei Ihrer sogenannten Freiheitsgesetzgebung und auch bei den Studiengebühren: Es darf kein System aufgebaut werden, durch das junge Menschen von den Hochschulen fern gehalten werden. Das ist die falsche Politik. Das ist nicht unsere Politik, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Wir wollen auch eine gute Lehre an den Hochschulen. In der Anhörung habe ich sie und auch die Fachleute gefragt: Wie ist es eigentlich vorstellbar, dass eine Hochschule wie die RWTH Aachen aus den 400 Millionen € an Personalmitteln, die dort eingesetzt werden, weniger Qualität an Lehre generieren kann als mit den 30 Millionen €, die jetzt hinzukommen sollen? Die sind noch gar nicht vorhanden. Diese Frage muss man sich doch stellen. Wenn, dann muss auch mit 400 Millionen € eine bestimmte Qualität der Lehre entstehen. Zum Teil ist das auch der Fall. Man kann schließlich alles schlechtreden. Aber es gibt auch Defizite, und diese Defizite muss man im Bestand aufarbeiten.

Bei der Exzellenzinitiative, die bei der Auswertung ein Stück weit in eine Schieflage geraten ist, wird deutlich, dass es sich nicht um eine Evaluation des Systems insgesamt gehandelt hat. Dann dürfte zum Beispiel folgender Sachverhalt nicht auftreten. Sie haben darauf hingewiesen, dass sich in Dortmund die Systembiologie etablieren wird. Das ist ein Exzellenzcluster, das mit im Wettbewerb war. Es ist in der ersten Runde aber nicht durchgekommen. Nun muss man sich fragen, warum es trotzdem so gut ist, dass es jetzt gefördert werden soll. Im Übrigen ist das in der Vorbereitung und in der Begleitung ein Produkt der Vorgängerregierung.

Wenn es um die Köpfe im Bildungs- und Hochschulsystem unseres Landes geht, muss man sich auch fragen: Ist es nicht ein hervorragendes Ergebnis, dass so viele Graduiertenschulen aus Nordrhein-Westfalen in diesem Exzellenzwettbewerb gewonnen haben? Das muss man herausstellen. Man darf das nicht herunter- oder schlechtreden. So etwas ist vielleicht für eine Wahlkampfrede in Rheinland-Pfalz geeignet, wo man Rheinland-Pfalz ein Stückchen hervorheben will, indem man Nordrhein-Westfalen schlechtredet. Das mag sein. Aber es ist keine korrekte Analyse dessen, was in den letzten Jahren in Nordrhein-Westfalen geschehen ist und was wir auf den Weg gebracht haben.

(Beifall von der SPD)

Uns ist wichtig, dass die Menschen – die Köpfe –, die Forschung und Lehre voranbringen sollen, im Mittelpunkt stehen. Ich kann und will das nicht auseinander dividieren. Eine gute Lehre und eine gute Forschung gehören zusammen.

Wenn es darum geht, den Haushaltsentwurf für das Jahr 2006 zu bewerten, muss man einfach feststellen, dass die beiden Programme, die innovativ wirken können, erheblich gekürzt werden. Zum einen ist es das TIP, das Technologie- und Investitionsprogramm. Auch die Forschungsförderung an den Hochschulen – Titelgruppe 64: kombiniert aus Titelgruppe 63 und Unterstützungsmaßnahmen für Berufungen von Professoren an Universitätsklinika – werden gekürzt.

Das Degussa-Engagement ist aus TIP finanziert worden. Die Nachwuchsforschergruppen, die damit verbunden sind, wurden aus den Forschungsfördermitteln für die Hochschulen mitfinanziert. Das sind meistens keine riesigen Beträge, aber sie setzen Impulse, um dann weitere F- und EEinnahmen – bei dem ersten Science to Business Center 50 Millionen € für Nanotronics – auf den Weg zu bringen. Bei der weißen Biotechnologie ist es sogar mehr.

Das macht eigentlich deutlich, dass, wenn Sie dieses Altärchen vor sich hertragen – wir unterstützen das, wir wollen mehr Innovation und mehr Möglichkeiten haben –, nicht gleichzeitig hingehen und die Mittel kürzen können. Das ist doch nicht logisch. Was soll so etwas? Dann versuchen Sie auch noch, das zu verbrämen und so zu tun, als ob das nicht so wäre.

(Beifall von der SPD)