Protokoll der Sitzung vom 01.02.2006

Das RWI-Gutachten und das CDU-eigene Fraunhofer-Gutachten des vorigen Jahres zeigen im Übrigen auch ganz deutlich die Stärken des Innovationsstandortes Nordrhein-Westfalen. Warum verschweigen Sie das? Schämen Sie sich eigentlich der Erfolge der Menschen in unserem Land? Oder ist Ihnen eine solche Feststellung – ich wiederhole das – deshalb lästig, weil sie das von Ihnen gezeichnete Zerrbild als eine plumpe, eine billige Fälschung erscheinen lassen würde?

(Zuruf von Minister Prof. Dr. Andreas Pink- wart)

Ich habe Ihnen im Gegensatz zu denjenigen in der Regierungskoalition, die sich offensichtlich noch nicht einmal die Mühe gemacht haben, Ihre sogenannte Regierungserklärung vorher zu lesen, genau zugehört.

Ich will im Zusammenhang mit den privatwirtschaftlichen Forschungsanstrengungen in Nordrhein-Westfalen eines noch einmal herausstellen. Ich will deutlich machen, dass es richtig gewesen ist, gerade in den Zeiten eines rasanten Strukturwandels darauf zu achten und mitzuhelfen, dass unsere industrielle Basis in Nordrhein-Westfalen – Frau Thoben erzählt das inzwischen auch landauf, landab – gesichert und gestärkt wird. Das ist richtig, Herr Pinkwart. Das muss auch weiter gemacht werden. Deshalb kann ich überhaupt nicht verstehen, dass Sie mit Ihrer unverantwortlichen, unsäglichen Antikohlepolitik jetzt auch noch industrielle Kerne in Nordrhein-Westfalen, im Ruhrgebiet, schleifen und beseitigen wollen.

(Beifall von der SPD)

Also: Diese Landesregierung, meine Damen und Herren – das ist auch heute wieder deutlich geworden –, hat bisher nur beim Kürzen und Streichen den Turbo eingelegt. Ansonsten bewegt sie sich im Schneckentempo. Von Aufbruchstimmung, von Begeisterung, von Mutmachen ist nichts zu spüren.

Die große Koalition in Berlin, Herr Pinkwart, zeigt dagegen, dass es auch anders geht.

(Christian Lindner [FDP]: Oh!)

Ja, vor allen Dingen mithilfe der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Im Berliner Koalitionsvertrag wurde als eines der wichtigsten Ziele festgeschrieben, dass bis 2010 die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3 % des Bruttoinlandsprodukts steigen. Die Bundesregierung lässt Taten folgen. Peer Steinbrück, der Bundesfinanzminister, hat 6 Milliarden € zusätzlich zugesagt. Selbstverständlich müssen aber auch die Bundesländer, die für die Hochschulen in Zukunft allein verantwortlich sein wollen und sollen, ihren Anteil dazu beitragen. Von Herrn Pinkwart war heute dazu überhaupt nichts zu hören.

(Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart: Das stimmt doch nicht!)

Also: Es liegt offensichtlich, Herr Pinkwart, nicht nur am Haushalt, sondern schlicht und einfach an Ihrer Ideenlosigkeit. Das haben ganz offensichtlich auch der Ministerpräsident und der Finanzminister erkannt. Die haben nämlich dafür gesorgt, dass dieser sogenannte Innovationsminister nicht auch noch die Verantwortung über die wichtigen

Ziel-2-Gelder übertragen bekommt. Die sind jetzt in der Verantwortung der Wirtschaftsministerin. Frau Thoben hat ja gemeinsam mit Herrn Breuer auch schon gesagt, wie sie das für die Zukunft sieht: ganz ohne Sie.

Ich habe von Ihnen jedenfalls nicht gehört – auch heute nicht –, wie Sie diese Mittel einsetzen wollen, um Anreize für eine vernünftige, in unserem gemeinsamen Interesse liegende große Forschungsanstrengung vor allen Dingen der großen Industrieunternehmen hier in Nordrhein-Westfalen zu schaffen.

Herr Pinkwart, das war ein Flop. Der Name „Regierungserklärung“ ist hochtrabend. – Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Römer. – Für die Fraktion der CDU hat der Abgeordnete Weisbrich das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Vesper, zunächst einmal eine ganz persönliche Ansprache an Sie: Ich würde es begrüßen, wenn Sie sich hier etwas kollegialer aufführten und persönliche Angriffe auf andere Abgeordnete unterließen. Das ist eines ehemaligen Ministers nicht würdig. Das muss man nicht machen.

(Beifall von der CDU – Johannes Remmel [GRÜNE]: Heul doch!)

Nach Ihren Wortbeiträgen möchte ich versuchen, das Thema in den Kontext der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes zu stellen.

Das, was Minister Pinkwart heute getan hat, wäre zu rot-grüner Regierungszeit undenkbar gewesen.

(Zuruf von der SPD: In der Tat!)

Er hat eine schnörkellose, mutige Standortbestimmung vorgenommen.

(Beifall von CDU und FDP)

Bei Ihnen war es immer so: Wenn jemand die Wahrheit beschrieben hat, war das eine solche Ungeheuerlichkeit, dass er bis zum Gehtnichtmehr verbissen wurde. Bei Ihnen hat das immer wieder den gleichen Beißreflex ausgelöst – so auch heute –: Redet doch um Himmels willen unser Land nicht schlecht!

Meine Damen und Herren, dieser Vorwurf ist völlig unsinnig. Niemand redet das Land schlecht. Ein Arzt, der die Wahrheit beschreibt, redet auch den Patienten nicht schlecht, sondern schafft die

Grundlage für Therapie und Heilung. Genau das hat Herr Pinkwart heute erfrischend offen und präzise getan. Nicht nur hat er aufgezeigt, wo das Fundament unseres Forschungs- und Technologiestandortes bröckelt, sondern er hat den Menschen in unserem Land auch Perspektive und Hoffnung auf eine bessere Zukunft durch eine bessere Politik gegeben.

(Vorsitz: Präsidentin Regina van Dinther)

Meine Damen und Herren, der eine wartet, dass sich die Zeit wandelt. Der andere packt an und handelt. Genau das ist der Unterschied zwischen den Politikentwürfen von Rot-Grün einerseits und Schwarz-Gelb andererseits. Wenn Sie das nicht glauben wollen, werfen Sie einmal einen Blick in die jüngste Geschichte unseres Landes: Wir waren nach dem Zweiten Weltkrieg die Heimat des deutschen Wirtschaftswunders. Das Land erlebte unter den CDU-Ministerpräsidenten Karl Arnold und Franz Meyers eine wirtschaftliche Blüte.

Als sich die massiven Strukturbrüche in der Montanwirtschaft abzeichneten, hat Franz Meyers schon Anfang der 60er-Jahre den richtigen Weg zur Modernisierung des Landes vorgegeben, und zwar mit der Gründung der Ruhr-Universität und der Ansiedlung von Opel in Bochum. Seitdem ist in diesem Land nichts Großes mehr für eine Offensive in Bildung, Forschung und Innovation passiert.

(Widerspruch von SPD und GRÜNEN)

Bei der Einführung des Farbfernsehens haben Sie, glaube ich, zugestimmt. Ansonsten sind Sie doch sehr zurückhaltend gewesen.

1966 hat unser Bundesland immerhin 29 % des deutschen Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet, weit mehr als es unserem Bevölkerungsanteil entsprach. Heute, meine Damen und Herren, sind es noch magere 22 %. Es ist also etwas faul im Staate Dänemark. Es muss etwas passieren. Unser Wohlstand beruht auf Fortschritt und Innovation. Also muss hier etwas falsch gelaufen sein.

Der Absturz war vorhersehbar. Denn ab 1967 haben Ihre sozialdemokratischen Ministerpräsidenten die Weichen wirklich fundamental falsch gestellt. Anstatt unsere Modernisierungsoffensive, die wir jetzt wieder aufnehmen, konsequent fortzuführen, haben Sie auf die Bequemlichkeit der Wähler gesetzt.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Wenn Sie einen Funken Anstand hätten! Haben Sie nicht die Rede der Landtagspräsidentin verstanden?)

Sie haben subventionierte Sozialverträglichkeit versprochen und alles getan, um die gewohnten Großstrukturen als Nährboden und Netzwerk für Sozialdemokraten, Gewerkschaften und Betriebsräte zu erhalten. Und das Schlimmste ist: Sie überließen die Bildungspolitik linken Ideologen, für die Leistungsanspruch ein Horrorwort war.

„Wandel braucht Zeit!“ war Ihr Credo. „Chip, Chip, hurra!“ – der spöttisch-aggressive Schlachtruf und technikfreie Rathäuser waren bis Anfang der 80er-Jahre sozialdemokratische Ehrensache.

Meine Damen und Herren, der Bochumer Innovationsforscher Erich Staudt hat Sie sehr früh gewarnt und gesagt, es könne keine Besserung der Verhältnisse geben, solange der Aufwand für Erhaltung größer als der für Erneuerung sei. Er hat vergebens gewarnt. Bis heute wurden rund 120 Milliarden € in die heimische Steinkohle gepumpt, obwohl die Förderung aus geologisch extrem ungünstigen Lagerstätten niemals wettbewerbsfähig werden kann. Zukunftsbranchen wie die Informations- und Biotechnologie wurden dagegen mit nicht einmal 5 % dieser Summe gefördert.

Diese paradox verstandene Strukturpolitik hat den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen nachhaltig in Gefahr gebracht und einer ganzen Generation speziell im Ruhrgebiet die berufliche Perspektive geraubt. Das hat unter anderem der Bochumer Innovationsforscher Erich Staudt festgestellt.

Herr Weisbrich, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Jäger?

Na ja, soll er mal.

Bitte schön, Herr Jäger.

Herr Weisbrich, gehe ich recht in der Annahme, dass Sie die Einlassung der Landtagspräsidentin anlässlich der Gedenkstunde heute Morgen, dass die Strukturpolitik von Johannes Rau insbesondere dafür gestanden hat, dass in diesem Land keine sozialen Brüche entstanden sind, für völlig falsch halten?

(Christian Lindner [FDP]: Völlig falsch!)

Herr Kollege Jäger, ich halte diese Anspielung auf eine Ehrung, die wir heute einem Menschen haben zuteil werden lassen, für völlig unangemessen. Ich kann in der Sache völlig anderer Auffassung sein, ohne den menschlichen Respekt zu verlieren. Wir sollten

das aus dieser Diskussion wirklich herauslassen. Das finde ich unangemessen und unanständig. Darüber will ich auch nicht mehr diskutieren.

(Ralf Jäger [SPD]: Ich habe Ihre Landtags- präsidentin zitiert! – Weitere Zurufe von der SPD)

Ferner will ich Ihnen ins Stammbuch schreiben: Sie haben nicht die Mahnung des Leiters des Instituts für Innovationsforschung gehört, dass uns die Investoren ausgehen. Orientierungslos haben Sie versucht, die Lücken in den Nachwuchsketten durch Green Cards zu schließen. Ich erinnere mich noch an die Debatten, die wir zu diesem Thema hier geführt haben.

Dabei hatten Ihnen die Bochumer Forscher sehr frühzeitig ins Stammbuch geschrieben, dass Ihre Bildungsreförmchen versagen und der selbst verschuldete Fachkräftemangel zwangsläufig in einem riesigen Modernisierungsloch enden muss. Den Salat haben wir heute.

Die Bochumer haben vor dem sich abzeichnenden Mangel an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern gewarnt. Den Salat haben wir heute.

Sie haben frühzeitig eine Neuorientierung des Bildungswesens in Nordrhein-Westfalen gefordert. Das haben wir zur Kenntnis genommen und machen es jetzt. Das geschieht mit dem Hochschulfreiheitsgesetz und dem neuen Schulgesetz.

Die sozialdemokratische Regierungsmannschaft war in der Vergangenheit geradezu gutachtenversessen. Dafür wurde extrem viel Geld ausgegeben. Doch unbequeme Wahrheiten, die dabei zutage traten, wurden in den Wind geschlagen.