Protokoll der Sitzung vom 02.02.2006

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Herr Sagel. – Nun hat Herr Engel für die FDPFraktion das Wort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Das Thema der heutigen Aktuellen Stunde ist einerseits nicht überraschend. Andererseits ist auch nicht ganz klar, worauf die SPD und die Grünen mit ihrer Initiative fußen.

Auf der einen Seite bin ich froh, dass wir diese Aktuelle Stunde nutzen können, um grundsätzlich darüber zu debattieren, wo wir von der FDPFraktion gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, der CDU, neue Chancen für mehr Wachstum und für mehr Beschäftigung sehen und sie auch tatsächlich nutzen können. Die Zauberformel heißt: Privat vor Staat.

(Zuruf von Ralf Jäger [SPD])

Ja, Herr Jäger: Privat vor Staat.

(Hannelore Kraft [SPD]: Nein! Für Sie als FDP! Für uns nicht!)

Der Staat muss nicht in allen Lebensbereichen alles im Detail regeln. Dadurch überfordern wir den Staat und schwächen ihn gleichzeitig.

Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben in der Vergangenheit leider ausreichend demonstriert, wie ein Staat geschwächt und die Handlungsunfähigkeit des Staates eingefroren werden kann. Ich möchte dies nur an wenigen Haushaltszahlen noch einmal in Erinnerung rufen.

Das Haushaltsvolumen unseres Landeshaushaltes betrug im Jahr 1995 42 Milliarden €. Zur Erinnerung: Das war das Jahr, in dem die zehnjährige rot-grüne Regierungszeit begann. Im Jahr 2005 hat sich das Haushaltsvolumen um fast 10 Milliarden € auf 51 Milliarden € erhöht. Die Steuereinnahmen haben sich dagegen von 33 Milliarden € im Jahr 1995 auf 35 Milliarden € völlig anders entwickelt – nämlich sehr verhalten, sage ich einmal vorsichtig und höflich.

Das hat letztlich dazu geführt, dass Sie in den letzten Jahren einen Nettoneuverschuldungsrekord nach dem anderen zu verantworten haben. Sie haben sich damit einen Schuldenberg aufge

laden, der Ende 2005 von damals 61 Milliarden € auf 112 Milliarden € gestiegen ist.

Die Folgen dieser Verschuldungspolitik sind bekannt: Die finanziellen Spielräume des Landes tendieren fast gegen null. Die Zukunft der Generation von morgen, der jungen Leute, die uns auch heute wieder auf der Tribüne zuhören, haben Sie bereits verfrühstückt – so erdrückend werden sich die Pensionslasten auswirken. Das wollen, ja, das müssen wir ändern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie sind sofort auf den Bäumen, wenn Sie auch nur ansatzweise glauben, Hinweise – hier geht es um das ja wiederholt zitierte Papier – auf unsere Reformpolitik erspäht zu haben. Unser Koalitionsvertrag ist das Kursbuch. Lesen Sie dort nach! Was wir aufgeschrieben haben, machen wir auch.

(Zuruf von Dr. Karsten Rudolph [SPD])

Ja, wirklich. Wir tun, was wir sagen, Herr Dr. Rudolph.

(Beifall von Helmut Stahl [CDU])

Deshalb lauten die ordnungspolitischen Leitlinien unserer Koalition für das neue NRW: Freiheit vor Gleichheit. Privat vor Staat. Erarbeiten vor Verteilen. Verlässlichkeit statt Beliebigkeit. – Ich ergänze: Wir müssen weg von der Unkultur der staatlichen Gängelung und hin zur Kultur der Freiheit, der Selbstbestimmung, der Selbstständigkeit und des Vertrauens.

(Edgar Moron [SPD]: Aus welchem Partei- programm haben Sie das denn wieder abge- schrieben?)

Weg mit Überregulierung und ausufernder Bürokratie, Herr Moron! Sie behindern Investitionen und verhindern Arbeitsplätze! Das ist Gift für den Standort Nordrhein-Westfalen, Gift für unsere Wettbewerbsfähigkeit.

Ja, weniger ist mehr. Das müssen Sie doch endlich begreifen, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Deshalb werden wir den Staat auf seine Kernaufgaben beschränken und uns im täglichen Miteinander immer fragen: Muss der Staat das machen? Können Private das nicht besser? Warum an Doppelstrukturen festhalten?

Neben der Modernisierung dieser Kernaufgaben zählt dazu selbstverständlich auch die Privatisierung von Landesbetrieben und Landeseinrichtungen. Das ist übrigens nicht wirklich ein sensationelles neues Instrument. Die alte rot-grüne Lan

desregierung hat mit der Privatisierung begonnen. Ich sage wohlüberlegt: begonnen.

(Rüdiger Sagel [GRÜNE]: Wohlüberlegt?)

Ihre Privatisierungsschritte erschöpften sich nämlich in nur formalen Privatisierungen. Materielle, also echte, Privatisierungen gab es nicht. Da sind Sie stecken geblieben. Konkrete Planvorhaben haben aber im Raum gestanden.

Ich meine an dieser Stelle nicht die zahlreichen Grundstücksveräußerungen des BLB, sondern zum Beispiel die materielle Privatisierung des Materialprüfungsamtes und der Landesentwicklungsgesellschaft. In einer der Sitzungen des Unterausschusses Landesbetriebe und Sondervermögen hat die damalige Landesregierung im Frühjahr 2004 sogar vier verschiedene Privatisierungsmodelle vorgestellt und mitgeteilt, dass die materielle Privatisierung des Landesbetriebes vorbereitet werde. Im Haushaltsgesetz, das bis zum zweiten Nachtragshaushalt 2005 galt, waren sogar 108 Millionen € in Bezug auf den Verkauf der LEG eingestellt worden.

Ich kann mich nicht erinnern, dass diese angedachten Initiativen seinerzeit zu Aufregungen geführt haben. Letztendlich haben Sie von Rot-Grün es aber trotzdem nicht geschafft, beide Landesbetriebe tatsächlich, also auch materiell, zu privatisieren. Ist Ihnen die Puste ausgegangen? Oder haben Sie den Mut verloren?

Sei’s drum! Das Ergebnis nicht wirklich durchgeführter Reformen ist ein finanzielles Desaster, das durch die Wählerinnen und Wähler auch entsprechend votiert wurde.

Deshalb stehen Landesbetriebe, Landesanstalten, Landesinstitute und Landesagenturen auf dem Prüfstand; das müssen sie auch. Landesbetriebe beispielsweise sind trotz funktionaler Privatisierung weiter mit dem Landeshaushalt belastend verbunden, und zwar erheblich. Das geht zulasten der Transparenz und der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß § 7 der Landeshaushaltssatzung.

Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, die Jahresabschlüsse zum 31. Dezember 2004 der damals sieben Landesbetriebe durchzusehen; der Landesbetrieb Wald und Holz ist erst am 1. Januar 2005 gegründet worden. Das Bild ist ernüchternd, aber nicht überraschend. Einige Landesbetriebe wie das Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik oder das Landesvermessungsamt haben erhebliche Jahresfehlbeträge in drei- bis vierstelliger Millionenhöhe eingefahren – tiefrote Zahlen, kann das so weitergehen? –, und

dies, obwohl beide Landesbetriebe, um bei diesen Beispielen zu bleiben, in Bereichen tätig sind, die ich auf keinen Fall als originär hoheitliche Landesaufgabe definieren würde. Der Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik NRW übernimmt beispielsweise die Überwachung der Administration von Servern und Netzkomponenten, die vorher beim Landesbetrieb Straßenbau angesiedelt war. Im Jahresbericht des Landesvermessungsamtes wird klar zwischen hoheitlichem und gewerblichem Erlösungsanteil unterschieden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Ende. Deshalb gilt für das neue NRW: Es gibt keine Denkverbote. Mein Verständnis, das der FDP-Fraktion und das unseres Koalitionspartners über den Staat ist, dass dieser Rahmenbedingungen setzt

(Zuruf von Rüdiger Sagel [GRÜNE])

und sich ansonsten zurückhält, Herr Sagel. Wir wollen einen starken Staat in seinen Kernbereichen, der eine Gewährleisterrolle übernimmt. Deshalb begrüße ich ausdrücklich, dass die Landesregierung – hier federführend das Innenministerium – daran arbeitet, echte Privatisierungen zu erreichen.

Wie hatte ich eingangs gesagt? Wir müssen weg von der Unkultur der staatlichen Gängelung hin zur Kultur der Freiheit, der Selbstbestimmung, der Selbstständigkeit und des Vertrauens. Dazu laden wir auch Sie ein. – Herzlichen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Engel. – Für die Landesregierung spricht nun der Innenminister, Dr. Wolf.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die klare Botschaft für den Antragsteller vorab: Es gibt keine Festlegung des Kabinetts, bestimmte Landesbetriebe oder Einrichtungen zu privatisieren. Folglich gibt es, anders als es der Antrag zur Aktuellen Stunde nahe legt, zurzeit auch keine konkreten Absichten der Landesregierung, über die die Öffentlichkeit oder die Betroffenen unterrichtet werden müssen.

Wirklich neue Informationen zum Thema Privatisierung, die diese Aktuelle Stunde zutage fördern könnte, gibt es also nicht. Wir werden Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dann informieren, wenn unsere Willensbildung abgeschlossen ist.

Ich will aber gerne die Gelegenheit nutzen, die prinzipielle Haltung der Landesregierung in dieser Frage noch einmal klar zu verdeutlichen.

Es ist kein Geheimnis, dass diese Landesregierung angetreten ist, die Bürokratie abzubauen, wo immer das möglich ist, und das auch tatsächlich zu tun und nicht nur darüber zu reden, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wir wollen den Aufgabenabbau. Das ist im Koalitionsvertrag nachzulesen und deswegen auch überhaupt kein Geheimnis. Die Redner vor mir haben zu Recht betont, dass der Staat zu viel macht, zu viel und zu detailliert regelt, dass er die Bürgerinnen und Bürger gängelt, wo sie Handlungsspielräume brauchen, und dass der Staat zu teuer ist und sich insofern übernommen hat.

Deswegen müssen wir Staat und Verwaltung auf die Kernaufgaben beschränken. Es darf nur geregelt werden, was wirklich geregelt werden muss. Der Staat darf nur dort tätig werden, wo nicht andere diese Aufgabe besser oder ebenso gut erfüllen können.

Wenn Herr Rudolph die Aufregung über diese Aussage schürt, kann ich nur sagen: Schauen Sie sich einmal an, was Sie in Ihrem „Düsseldorfer Signal“ – vielleicht ist das im Gedächtnis schon ein bisschen verloren gegangen – geschrieben haben. Da haben Sie explizit formuliert: „Soweit möglich werden wir die Aufgaben an Dritte“ – das kann vernünftigerweise nur ein Privater sein, wenn man aus Sicht der hoheitlichen Hand redet – „und/oder an die Kommunen … abgeben.“ Genau diese Zielrichtung haben Sie zu einem Zeitpunkt formuliert, als Sie noch an der Regierung waren. An dieser Aussage sollten Sie sich gern festhalten lassen. Die Erkenntnis, die Sie damals hatten, ist sicherlich richtig. Die sollten Sie heute nicht verweigern.

Wir glauben, dass wir über Aufgabenkritik, Privatisierung und dann natürlich auch Kommunalisierung die Aufgabenwahrnehmung von Selbstverwaltungskörperschaften, von Kammern fördern sollten. Noch immer ist der Staat in erheblichem Umfang in Bereichen tätig, um die sich ebenso gut der Markt kümmern könnte. Das Stichwort „Marktgängigkeit der Aufgaben“ ist hier entscheidend. Das wird auch der Maßstab sein, an dem wir uns orientieren, wenn es darum geht: Kann es ein anderer machen? Wenn sich der Staat hier zurückzieht, entstehen nämlich unternehmerische Freiräume, die wir dringend brauchen, um wieder Schwung in die Wirtschaft zu bringen.

Weil in dem Argumentationsbeitrag vorhin ein kleiner „Zungenschlag“ war: Meine Damen und

Herren, das ist doch genau unser Ziel. Unser Ziel ist, dass Aufgaben, die nicht staatlich erledigt werden müssen, von Privaten erbracht werden, damit dann in der Privatwirtschaft Wertschöpfung stattfindet, damit wir wieder Wachstum und Beschäftigungszuwachs bekommen. Das ist das entscheidende Ziel. Darum machen wir das Ganze. Das ist aus meiner Sicht der einzige und richtige Weg.

(Ralf Jäger [SPD]: Egal was es kostet, Herr Wolf!)

Privatisierung ist mit Blick auf die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft deshalb sicher ein vernünftiger und richtiger Weg. Er ist aber auch schlicht und einfach eine finanzwirtschaftliche Notwendigkeit. Der Kollege Engel hat zu Recht noch einmal auf die alarmierende Haushaltssituation hingewiesen. Der fatale Hang der Vergangenheit, nicht nur alles und jedes bis ins Detail zu regeln und vorzuschreiben, sondern auch für jede erdenkliche Aufgabe Staatsbedienstete oder gar eine eigene Behörde vorzuhalten, hat die öffentlichen Haushalte überfordert. Die Resultate sind bekannt und lassen sich am Schuldenstand des Landes eindrucksvoll ablesen.

Der Staat muss sich zurücknehmen. Er muss sich auf seine Kernaufgaben beschränken. Die Frage allerdings, lieber Herr Jäger, welche Aufgaben privatisiert, und zwar materiell privatisiert werden können – zu Recht hat Herr Engel darauf hingewiesen, dass Sie Meister in formeller Privatisierung gewesen sind, aber ansonsten nicht viel bewegt haben –, muss und wird bei der Aufgabenkritik in der gesamten Landesverwaltung eine wichtige Rolle spielen.

Ganz besonders gilt das – und auch dies steht im Koalitionsvertrag – für die Landesbetriebe und Einrichtungen. Die Tätigkeit dieser Landesbetriebe – so sieht es § 14a des Landesorganisationsgesetzes vor – ist gerade auf Erwerbswirtschaftlichkeit, zumindest auf Kostendeckung gerichtet. Damit kann er eine besondere Nähe zu Betätigungsfeldern haben, die für die private Wirtschaft möglicherweise interessant und auch lukrativ sind und wo die private Wirtschaft dann in der Tat Vorrang haben soll.

Es kommt hinzu: Zum 1. Januar 2001 sind eine ganze Reihe von Landesbetrieben, beispielsweise der Landesbetrieb Straßenbau, neu geschaffen worden. Schön zu sehen, Herr Sagel, wie Sie in Sachen Landesbetrieb einen Dissens zu Ihrem ehemaligen Koalitionspartner Straßenbau aufbauen. Das freut uns sehr. Das hätten Sie vielleicht einmal in der Vergangenheit ausdiskutieren