Protokoll der Sitzung vom 16.03.2006

Danke schön, Herr Kollege Droste. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Priggen.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann allen Beteiligten nur raten, in der Diskussion um das Thema der Aktuellen Stunde und auch in der Diskussion um die Verantwortung, die die einzelnen Fraktionen und Parteien in Bezug auf das haben, was mit dem Bergbau passiert, abzurüsten.

Herr Dr. Droste, das, was Sie eben zum Schluss gesagt haben, fällt ein Stück weit auf Sie selber zurück. Wir müssen nämlich ganz, ganz nüchtern schauen. Es geht nicht darum, die Verantwortung für Heitkamp-Deilmann-Haniel bei der neuen Regierung abzuladen. Das geht gar nicht.

Wir müssen aber von dem ausgehen, was Folge eines Kohleregimes ist, das im Konsens aller

Fraktionen beschlossen wurde. 1997 ist die Strecke bis 2005 festgelegt worden, und zwar unter Bundeskanzler Kohl mit einem Bundeswirtschaftsminister Rexrodt von der FDP, damals noch in Bonn auch von der SPD und den Grünen gestützt und hier im Landtag auch von allen drei Fraktionen getragen. Insofern ist 1997 die Abbaustrecke bis 2005 festgelegt worden. Damals ist gesagt worden: Wir gehen von 78.000 auf 36.000 Leute herunter. Wir gehen von 18 auf zehn Zechen, und wir halbieren die Fördermenge von rund 50 Millionen t auf 26 Millionen t.

Für das so im Konsens beschlossene Regime kann man nicht der SPD die Verantwortung anlasten. Das haben alle mitgetragen. Mitverhandelt für die CDU haben damals der Finanzminister und der Kollege Kollorz. Dieses Regime hat die Strukturen festgelegt. In dem Regime ist der Abbau von 18 auf zehn Zechen festgelegt worden.

Wir sind jetzt, im März 2006, drei Monate nach Ende dieses Regimes. Wir von Rot-Grün haben für die Zeit danach etwas vereinbart. Die alte Linie, dass man den Kohlekonsens suchte, ist verlassen worden. Von Rot-Grün ist der weitere Prozess 2006 bis 2012 in den Eckpunkten vereinbart worden – aber nicht über ein Gesetz abgesichert, sondern nur über Bewilligungsbescheide für drei Jahre abgesichert. Die jetzt laufenden oder absehbaren Stilllegungen – Lohberg, Walsum und Gelsenkirchen – sind von Rot-Grün vereinbart worden.

(Sören Link [SPD]: Lohberg ist schon stillge- legt worden!)

Lohberg ist gerade vor zwei oder drei Monaten offiziell stillgelegt worden. – In dem ganzen Paket war aber für alle Beteiligten klar: Wenn ich von 18 auf zehn und weiter herunter auf fünf Zechen gehe, dann ist das Auftragsvolumen für alle, die im Bergbau Schachtarbeiten durchführen, Jahr für Jahr kleiner.

Das wussten alle. Das war kein Geheimnis. Man kann es – da sollte man ehrlich sein – nicht der neuen Regierung anlasten, aber man kann sich auch nicht aus der Struktur des Systems herausstehlen, wie es angelegt worden ist. Insofern liegt dies in der Verantwortung aller.

Herr Tönjes hat uns neulich mitgeteilt, dass das Auftragsvolumen für den Schachtbau 1997 noch 390 Millionen, 2005 noch 210 Millionen und im laufenden Jahr nur noch 170 Millionen betrug. Die entscheidende Frage ist: Was haben die Schachtbaufirmen und die RAG gemacht, um diesen Prozess aufzufangen?

Wir wissen von einer Reihe von Firmen, die mehr als 100 Jahre Bergbauzulieferer im Ruhrgebiet waren und sich auf diesen Prozess, der völlig klar war, eingestellt haben. Als Beispiele nenne ich die Firma August Friedberg in Gelsenkirchen, die Firmen Carl Eickhoff und Jahnel-Kestermann in Bochum sowie die Firma Flender in Bocholt. Sie alle hatten ihren Ursprung und ihre Stärken im Bergbau, haben sich darauf eingestellt, neue Geschäftsfelder erschlossen, sind sehr stark in den Export gegangen, haben diesen Strukturwandel, der mit erheblichen öffentlichen Mitteln finanziert worden ist, aufgefangen und sind heute starke Unternehmen mit neuen Märkten. In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die kritische Frage sowohl an die RAG als auch an Thyssen Schachtbau und Heitkamp-Deilmann-Haniel, was in den Schachtbaufirmen an Anpassungsleistungen passiert ist. Das müsste man im Detail prüfen. Dazu habe ich ehrlich gesagt noch nichts gehört. Da nützt es nichts, sich gegenseitig etwas vorzuwerfen.

Natürlich stellt sich auch die Frage – ich bin auf den Vortrag von Frau Ministerin Thoben gespannt –, was die Landesregierung macht. Ich glaube, wir können uns nicht der Illusion hingeben, wir könnten den Schachtbaufirmen neues Auftragsvolumen verschaffen, indem wir neue Schächte erstellen.

(Beifall von GRÜNEN und Christian Weisbrich [CDU])

Man muss ganz klar sagen: Das ist an dieser Stelle nicht aufzufangen. Etwas anderes ist die Frage, ob es anderswo Möglichkeiten gibt, ob in den Bereichen, wo die Bundesregierung neue Programme im Bereich der Gebäudesanierung ankündigt, eine Baufirma stärker partizipieren kann. Wichtig ist, dass man die Frage nach der Perspektive für die Leute, die akut bedroht sind, beantwortet. Das eignet sich aber nicht für eine solche Auseinandersetzung.

Richtig ist aus meiner Sicht Folgendes – an dieser Stelle ist Ihre Kritik, Herr Dr. Droste, ein Stück weit richtig, wenn Sie sich nicht Ihrer Verantwortung für die Vergangenheit so entziehen würden –: Wenn man in der Debatte immer wieder sagt, es gibt auf lange Sicht eine Perspektive für die Kohle, einen Sockelbergbau, dann verschließt man aus meiner Sicht die Augen vor den Prozessen, wie sie tatsächlich laufen,

(Beifall von GRÜNEN und Christian Weisbrich [CDU])

und gaukelt den Bergleuten und auch den beteiligten Unternehmen etwas vor. Über diese Frage haben hier schon öfter diskutiert.

Wenn man an dieser Stelle sagen würde: „Es gibt einen Endpunkt und einen Konsens, den Ausstieg sozialverträglich zu machen, ohne dass die im Bergbau Beschäftigten in die Arbeitslosigkeit entlassen werden“, dann wäre es im Prinzip egal, ob der Endpunkt 2012, 2015 oder sogar 2018 ist. Ich würde aber allen Beteiligten, die dort arbeiten, und allen Firmen, die Teile ihres Unternehmensergebnisses auf den Schachtanlagen generieren, klar sagen, an welchen Standorten wann Schluss ist. Dann wäre die Situation klar.

Als willkürliches Beispiel nenne ich Ibbenbüren. Nach meinem Wissen sind die erschlossenen Reserven dieses Standortes 2015 erschöpft. Die Leute wären dann in Rente, keiner würde arbeitslos. Wenn man jetzt klar sagen würde, wann an dem Standort Schluss wäre, dann wüssten alle Firmen, die dort jetzt arbeiten, auf einer Achse von sieben, acht, neun Jahren, dass sie sich ihr Auftragsvolumen woanders herholen müssen. Sie könnten sich umstellen und hätten die gleiche Chance wie die vier Unternehmen, die ich eben genannt habe. Das wäre eine vernünftige Vereinbarung.

Wer dann aber in die Welt setzt – das hat die RAG gemacht –, er könnte das geplante Bergwerk „Donar“ in Hamm ohne Zuschüsse betreiben und eine Kokerei neu bauen – schon wenige Monate später war alles Legende –, der macht das aus einer nachvollziehbaren politischen Motivation, aus einer Interessenlage heraus, aber es hilft uns nichts in dem Prozess, in dem wir für die Leute, die dort beschäftigt sind, Verantwortung haben.

(Beifall von GRÜNEN und CDU)

Wir können natürlich weiter Schuld abladen und hier solche Ritualschlachten führen, aber helfen würde es mehr, wenn wir im Konsens zu einem vernünftigen Endpunkt kämen. Zwei, drei Jahre spielen an dieser Stelle keine Rolle, um das ganz klar zu sagen. Ich glaube, dass das Ende insgesamt viel teurer wird, als wir alle uns das im Moment vorstellen. Aber wir sollten auch mit der Legende aufhören, wir könnten etwas auf Dauer mit staatlichen Mitteln aufrechterhalten, was nicht aufrechtzuerhalten ist. – Danke schön.

(Beifall von GRÜNEN und CDU)

Danke schön, Herr Priggen. – Für die FDP spricht nun Herr Brockes.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Römer, auch von meiner Seite alles Gute zu Ihrem heutigen Geburtstag! Das ist aber leider auch schon alles, was ich Ihnen heute an Positivem sagen kann.

Lieber Herr Römer, ich bin ehrlich gesagt enttäuscht von dem, was Sie hier eben vorgetragen haben: dass Sie hier wieder nur in alter Bergmannsmanier nach dem Staat gerufen haben. Ich hätte erwartet, dass Sie heute als stellvertretendes Aufsichtsratsmitglied von Heitkamp-Haniel einmal deutlich machen, wie Sie Ihrer Verantwortung in den vergangenen Jahren nachgekommen sind. Das hätte ich heute gerne von Ihnen erfahren.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, wir befassen uns unter diesem Tagesordnungspunkt mit den Anpassungsmaßnahmen im deutschen Steinkohlebergbau, die auf die Kohlevereinbarung von 1997 zurückgehen. Das heißt, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, dass Sie dies mitbeschlossen und mitzuverantworten haben.

Dieser strukturelle Anpassungsprozess ist nicht neu. Er begleitet uns schon einige Jahre. Als Teil dieses Prozesses kann sicherlich auch die Übernahme von Deilmann-Haniel durch Heitkamp verstanden werden. Nachdem Anfang des Monats die akuten Schwierigkeiten bei der Bergbausparte der Gruppe bekannt wurden, habe ich mir einmal den Bericht des Bundeskartellamtes zum Fusionsverfahren von Heitkamp und Deilmann-Haniel aus dem Jahre 1999 näher angeschaut. Hierbei ging es um die fusionsrechtliche Überprüfung der Übernahme der Preussag-Beteiligung an Deilmann-Haniel durch den Baukonzern Heitkamp. Meine Damen und Herren, jeder, der sich in der Vergangenheit die Zeit genommen hat, sich diesen Bericht einmal genauer anzuschauen, kann nicht behaupten, von den Ereignissen dieser Tage überrascht worden zu sein. Lassen Sie mich nur einige Passagen aus diesem Bericht zitieren. Dort steht unter anderem: Bei Bergbauspezialarbeiten besteht eine große Abhängigkeit von wenigen Nachfragern.

Im weiteren Text steht, dass 90 % der Aufträge durch die DSK vergeben werden. Als Folge des Rückgangs der heimischen Steinkohleförderung wird die Nachfrage nach Bergbauspezialarbeiten dauerhaft in ganz erheblichem Umfang sinken. – Das stand schon 1999 in diesem Bericht.

(Hannelore Kraft [SPD]: Das bestreitet doch keiner!)

Die Marktanteile der drei großen Anbieter – gemeint sind Deilmann-Haniel, Thyssen Schachtbau und Heitkamp – waren in den letzten Jahren durch die Bildung von Arbeitsgemeinschaften nahezu konstant. – Das bedeutet: Damals wurde die Aufgabe noch gleichmäßig an alle drei vergeben.

(Hannelore Kraft [SPD]: Das ist falsch!)

Kurz danach – sprich: in den letzten Jahren – wurden die Aufträge der RAG dann verstärkt durch Einzelaufträge ausgeschrieben und vergeben. Also, Frau Kraft, in den letzten Jahren wurde der Wechsel durchgeführt. Das bedeutet, dass es zu deutlichen Marktverschiebungen gekommen ist.

In den überprüften Ausschreibungen hat die RAG den Auftrag stets an den günstigsten Anbieter vergeben. Das ist der Wechsel gewesen. Darauf hätte man meines Erachtens auch bei HDH entsprechend reagieren müssen. In den Nachverhandlungen haben die Anbieter ihre ursprünglichen Angebotspreise durchschnittlich um 4,5 % reduzieren müssen.

Meine Damen und Herren, auch damals stand schon im Bericht:

„Bis zum Jahr 2005 plant RAG eine Kürzung der an Fremdfirmen vergebenen Aufträge … um etwa 52 %.“

Ich könnte Ihnen noch eine Fülle von Stellen aus diesem Bericht vorlesen, die deutlich machen, dass bereits 1999 feststand, welche Situation auf HDH zukommen würde.

Deshalb, meine Damen und Herren, ist rückblickend festzuhalten: Nicht zuletzt im Sinne der betroffenen Arbeitnehmer muss man an dieser Stelle die Frage nach der Verantwortung des Managements und des Aufsichtsrates von HDH stellen. Ich hätte mir deshalb, Herr Römer, von Ihnen als stellvertretendem Aufsichtsratsmitglied heute Morgen hier Antworten gewünscht. Diese Antworten sind Sie den Beschäftigten schuldig geblieben.

Wäre es nicht insbesondere im Sinne der Arbeitnehmer spätestens nach der Veräußerung der Beteiligung von HDH durch die RAG zwingend notwendig gewesen, mit der IG BCE einen Haustarif abzuschließen? Das frage ich Sie, Herr Römer. Während Deilmann-Haniel nämlich weiterhin mit dem höheren DSK-Tarif am Markt operieren musste, konnte Thyssen Schachtbau ohne diese tarifliche Altlast bei der Auftragsvergabe Kosten und damit Wettbewerbsvorteile realisieren.

Ich denke, meine Damen und Herren, dass Sie, Herr Römer, und die IG BCE, in der Pflicht stehen, den

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von HDH hierzu die passenden Antworten zu geben.

Den Beschäftigten, meine sehr geehrten Damen und Herren, möchte ich an dieser Stelle aber auch versichern, dass die FDP die Landesregierung dabei unterstützt, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, damit es zu einer akzeptablen Lösung der Probleme bei HDH kommen wird. Ich werde an dieser Stelle allerdings nicht darauf verzichten, darauf hinzuweisen, dass es dem Land nicht möglich ist, hierfür zusätzliches Geld in die Hand zu nehmen. Wir können uns hier keinen zweiten Fall Holzmann leisten.

(Beifall von Rainer Schmeltzer [SPD])

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss meiner Rede und möchte auf Herrn Horstmann, der leider nicht anwesend ist, zu sprechen kommen. Er hat im Wirtschaftsausschuss behauptet, dass die Landesregierung mit ihren politischen Absichten der Wirtschaft ins Fleisch schneiden würde. Sehr geehrter Herr Horstmann, ich möchte Sie nur noch einmal daran erinnern, dass die Anpassungsmaßnahmen, um die es Ihnen in dieser Aktuellen Stunde offensichtlich geht, eine Auswirkung des Kohlekompromisses von 1997 sind. Insofern weise ich zum Schluss nochmals darauf hin, dass auch Sie hier heute in der Pflicht stehen.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Brockes. – Als Nächster spricht nun für die SPD-Fraktion Herr Schartau.

(Carina Gödecke [SPD]: Nicht die Ministerin? Dann ist die Runde aber weg für die Ministe- rin! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Die arbeitet noch an ihrer Meinung! – Weitere Zurufe von der SPD)

Die kommt noch. Jetzt ist erst Herr Schartau an der Reihe.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Netto gesehen geht es heute Morgen um eine ganz einfache Frage, nämlich: Was sagen wir den 1.600 Leuten, denen im Augenblick der Allerwerteste auf Grundeis geht, die keine Perspektive haben und die darauf warten, dass sie – gleich von wem – Unterstützung erhalten, damit sie wieder eine Perspektive bekommen?