Protokoll der Sitzung vom 17.05.2006

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Herr Rüttgers, wie haben Sie gesagt? „Die Politik muss ein Glaubwürdigkeitsdefizit abarbeiten“.

(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers: Ja!)

Sie bauen kein einziges Glaubwürdigkeitsproblem ab. Sie sind nicht die Lösung, Sie sind das Problem, Herr Rüttgers.

(Beifall von den GRÜNEN – Lachen von Mi- nisterpräsident Dr. Jürgen Rüttgers)

Nichts von dem, was Sie im Wahlkampf plakatiert und in die Mikrofone getönt haben, wird eingehalten. 112 Milliarden € Schulden, fünf Millionen Stunden Unterrichtsausfall, eine Million Arbeitslose – das waren Ihre Parolen im Wahlkampf. Und was ist nach einem Jahr, nach diesem „erfolgreichen“ Jahr, wie wir gestern und heute Morgen auch schon gehört haben? Ich will es Ihnen sagen: 118 Milliarden € Schulden, fünf Millionen Stunden Unterrichtsausfall, über eine Million Arbeitslose. Das ist die Bilanz nach einem Jahr. Aber die Reiterstaffel, die ist wieder da. Welch eine Bilanz!

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, Sie sind ein Musterbeispiel politischer Unglaubwürdigkeit und Unzuverlässigkeit. Sie haben das Vertrauen von Millionen Bürgerinnen und Bürgern in NRW mit Füßen getreten.

(Zuruf von der CDU: So ein Quatsch!)

Das werden Sie merken, auch wenn Ihre Mitarbeiter alles dafür tun, den dünnhäutigen Chef nicht zu verärgern.

Herr Ministerpräsident, wie oft haben Sie salbungsvoll verkündet, Sie wollten auf die Praktiker hören, Sie wollten nahe bei den Menschen sein. Nur, bei Ihnen werden Praktiker, die Kritik vortragen, beschimpft und von künftigen Beratungen ausgeschlossen – wie die eigenen Leute bei den kommunalen Spitzenverbänden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

So viel Eiszeit war nie zwischen einer NRWLandesregierung und den kommunalen Spitzenverbänden unseres Landes wie heute.

(Minister Dr. Andreas Pinkwart: Ach was!)

Bei Ihnen werden Kritiker mit Ignoranz belohnt wie bei den Anhörungen zu den zentralen Eckpunkten Ihrer Bildungspolitik. Bei Ihnen wird Kritik einfach in Zustimmung umdefiniert wie nach der Anhörung zum Polizeigesetz. Bei Ihnen wird selbst die Berichterstattung der „Bild“-Zeitung, die ja nun nicht gerade als CDU-feindlich gilt, manipuliert, wenn sie Ihnen nicht passt.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Herr Rüttgers, wer keine Kritik vertragen kann, wer sich nur mit Ja-Sagern umgibt, der muss und wird scheitern.

Sie versuchen ja systematisch, sich als Nachfolger von Johannes Rau zu präsentieren.

(Frank Sichau [SPD]: Ja, aber der ist in der falschen Partei!)

Abgesehen davon, dass Sie das ohnehin nicht schaffen werden – die Schuhe sind ziemlich groß –: Johannes Rau hat sich nie mit Ja-Sagern umgeben. Er wusste Kritik zu schätzen – im Gegensatz zu Ihnen. Sie erinnern mich da eher an einen anderen Ihrer Vorgänger – das mag jetzt zunächst überraschen –, nämlich an Wolfgang Clement, obwohl der Ihren pastoralen Ton natürlich nie hingekriegt hätte. Aber der hatte es mit Kritik auch nicht so.

Es bleibt und ist ja wohl so: Sie können halt nicht verleugnen, dass Sie bei Helmut Kohl gelernt haben.

(Minister Armin Laschet: Gute Schule!)

Aber eines haben Sie selbst da nicht gelernt, nämlich wie man ordentlich regiert. Denn die Bilanz Ihres ersten Jahres zeigt mehr als deutlich: Sie und Ihr Kabinett – Sie können es nicht.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich gebe ja zu: Rot-Grün hat sich am Anfang auch nicht immer mit Ruhm bekleckert,

(Zuruf von der CDU: Bis zum Ende!)

aber dermaßen viele handwerkliche Fehler innerhalb des ersten Regierungsjahres – das hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Auch mit dieser Meinung stehe ich nicht allein. Ich habe mir wieder geradezu linke Freunde ausgesucht. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ kommt am 20. April zu der Überzeugung, dass Sie nur virtuell regieren.

(Christian Lindner [FDP]: Das steht nur in der Überschrift, nicht im Text!)

„Nach 39 Jahren in der Opposition fällt der CDU das Regieren nicht ganz leicht. Das gilt besonders für die CDU-Fraktion im Landtag,“

es freut mich, dass Sie sich ebenfalls angesprochen fühlen, Herr Lindner –

„die ihre Rolle als ‚Regierungsfraktion’ noch nicht gefunden hat.“

In der Staatskanzlei sieht es mitnichten besser aus. Seit Monaten wird über die Ablösung des Leiters der Staatskanzlei gemunkelt. Nichts passiert. Die „Welt am Sonntag“ – auch so eine linke Postille – schreibt dazu am 7. Mai:

„Denn nach wie vor hat Rüttgers die Meldungen über eine Grosse-Brockhoff-Demission nicht dementiert. Daraus kann man dreierlei folgern: Entweder der Ministerpräsident ist entscheidungsschwach, oder er schwächelt selbst,“

(Zuruf von der SPD: Oder beides!)

„oder er will Grosse-Brockhoffs Position bewusst schwächen.“

(Zuruf von der FDP: Gehen Sie doch mal zum Haushalt über!)

„Alle drei Varianten werfen kein gutes Licht auf Rüttgers und die neue Landesregierung.“

In der offenen Wunde Ihrer Null-Performance in Berlin will ich jetzt gar nicht weiter rühren.

Aber der Gipfel Ihrer Regierungsunfähigkeit hat sich bei diesen Haushaltsberatungen gezeigt, der Königsdisziplin des Parlaments. Ohne unsere aktive Unterstützung wären Sie gar nicht so weit gekommen. Ohne die aktive Unterstützung der Opposition bei der zweiten Lesung hätte der Haushalt gar nicht weiter diskutiert werden können, weil Ihre Minister die simpelsten Verfahrensregeln nicht beherrschen,

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

weil sie es ja nicht einmal für nötig hielten, die kommunalen Spitzenverbände rechtzeitig zu kurzfristig eingereichten Änderungen der Haushaltsbegleitgesetze anzuhören.

Meine Damen und Herren, damit komme ich noch einmal zu dem gestrigen, dem vorgestrigen und zum heutigen Tag. Wir hatten ja fast schon erwartet, dass Sie auch heute wieder gegen alle demokratischen Spielregeln, gegen jedes Gebot der Fairness durchzocken. War da mal etwas mit „Demut vor dem Parlament“?

(Heiterkeit von der SPD)

Aber was bedeutet das in der Sache?

(Zuruf von der SPD: Da war er Redner!)

Für Sie sind also 300 Millionen oder gar 500 Millionen € mehr oder weniger im Landeshaushalt eine unwesentliche Änderung, keine Sache, über die man groß diskutieren muss. Das sind sozusagen Peanuts. Erklären Sie das doch bitte einmal den Flüchtlingsinitiativen, denen Sie gerade wegen 150.000 € ihre Arbeitsgrundlage entziehen, die Arbeitsgrundlage für tätige Nächstenliebe. Ist das die neue christliche Soziallehre?

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren der Regierungskoalition, Ihre handwerkliche Inkompetenz, Ihre handwerklichen Fehler und Ihre Dreistigkeit sind eine Zumutung für dieses Parlament und die Menschen in unserem Land. Leider ist das Problem nicht nur Ihr handwerkliches Versagen. Man könnte dort noch auf Besserung hoffen. Nein, es kommt tatsächlich noch schlimmer: Herr Rüttgers, in Ihrem Kabinett sitzen leider mehrere Minister, die offensichtlich keinerlei Bewusstsein dafür haben, dass sie die Verantwortung für das Gemeinwesen von 18 Millionen Menschen übernommen haben.

(Christian Lindner [FDP]: Unverschämtheit!)

Manche Ihrer Kollegen ruinieren systematisch die Handlungsfähigkeit des Staates und der Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Herr Pinkwart betreibt den völligen Rückzug aus der staatlichen Verantwortung für die Wissenschaft und unsere Hochschulen. Wir haben darüber eben schon bei der Frage der vermeintlichen Freiheit gesprochen.