Protokoll der Sitzung vom 06.07.2005

Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen. - Blicken wir noch einmal auf die Gruppen, die die Schülerinnen und Schüler nach der Schulzeit für Ausbildung und Beruf übernehmen. Wir haben einmal die Betrachtung der Schule und des Unterrichtsablaufs. Aber bei der Betrachtung der Einführung der naturwissenschaftlichen Fächer oder der Beibehaltung von Biologie, Physik und Chemie ist es auch wichtig, die Abnehmer zu berücksichtigen.

Schule dient einem vernünftigen Lebensweg und soll Berufsperspektiven schaffen. Wir hatten das in einem der vorherigen Punkte sicherlich angesprochen.

Die Arbeitgeber haben in der Anhörung 2003 besonders betont:

„Die Landesvereinigung der Arbeitgeberverbände … empfiehlt, zur Stärkung des naturwissenschaftlichen Unterrichts die Fächer beizubehalten …“

Professor Born vom Verein Deutscher Ingenieure sagt:

„Ich möchte darauf verweisen, dass das Land Nordrhein-Westfalen eine ausgesprochen hohe Exportquote hat, die es wesentlich seiner technologischen Basis verdankt.“

Weiter heißt es:

„Wir müssen den naturwissenschaftlichtechnischen Unterricht stärken und nicht diffus werden lassen.“

Bildungspolitik ist eben auch Standortpolitik. Um die Chancen zu verbessern, müssen wir natürlich garantieren, dass Naturwissenschaften von Fachlehrerinnen und Fachlehrern unterrichtet werden, die dafür sorgen, Begeisterung für die Naturwis

senschaften auszulösen. Gleichzeitig müssen wir die Chance der fächerübergreifenden Kooperation - auch bei Projekten - nutzen. Das ist sicherlich der moderne Ansatz.

Von daher gehen wir den richtigen Weg, wenn wir die Verordnung, die Frau Ministerin Sommer initiiert hat, verabschieden. Dem Antrag, den Sie vorgelegt haben, können wir bei aller Liebe nicht zustimmen. Er ist eben ein Eilantrag. Aber, wenn man ihn genau liest, hat man den Eindruck: Es war vor allem ein eiliger Antrag. - Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP - Manfred Kuhmi- chel [CDU]: Richtig!)

Vielen Dank, Herr Kaiser. - Als nächste Rednerin hat Kollegin Beer für die Fraktion der Grünen das Wort. Das ist heute bereits Ihre zweite Rede. Ich hatte zunächst gedacht, Ihnen das Wort zu Ihrer Jungfernrede erteilen zu können. Aber das hat der Kollege heute Morgen schon getan. Bitte, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin Sommer, in der „Neuen Westfälischen“ vom 4. Juli wenden Sie sich an Lehrer, Lehrerinnen und Eltern mit der Bitte, Kontaktwünsche und Fragen zurückzustellen und Ihnen Zeit zur Einarbeitung zu lassen, da Sie noch keine grundsätzlichen politischen Aussagen treffen wollen. Ich zitiere Sie:

„Eine politische Auszeit, Ruhe zum Nachdenken mögen ungewöhnlich sein in der Politik, können aber nicht schaden.“

Das sind nette Worte, die sich schön ausnehmen, aber nicht die schwarze Bohne wert sind, wie wir heute schon gesehen haben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Oder wie anders sollen die Schulen, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler das bewerten, was ihnen nachmittags am 28. Juni per Mail in den virtuellen Postkasten geflattert ist? Das war ein Verordnungsentwurf immerhin mit der generösen Vorgabe - Herr Große Brömer, ich korrigiere - von vier Werktagen, um auf die Eliminierung des Fachs „Naturwissenschaften“ reagieren zu können. So viel zu Ihrer Bitte um Karenzzeiten, die Sie den Verbänden, die ein Recht auf Anhörung haben, offensichtlich nicht zugestehen. Das ist eine Zumutung.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wie Sie dabei mit den kommunalen Spitzenverbänden umgehen, die ein verbrieftes Anhörungsrecht von vier Wochen haben, das erschließt sich von selbst. Das kann nur noch Herr Witzel als faires Verfahren bezeichnen.

Doch zu welchem Punkt sollen die Verbände eigentlich Stellung nehmen? Der Verordnungsentwurf, den Sie da auf den Weg gebracht haben, ist nackt. Eine Begründung für diesen Entwurf sucht man vergeblich. Auch das ist eine von den neuen Gepflogenheiten in Sachen Mitwirkung, ein Novum in der NRW-Bildungspolitik. Das hat es noch nicht gegeben, ein Gesetz, eine Verordnung, einen Erlass ohne fachliche Begründung - obwohl ich in der Sache für Sie durchaus Verständnis aufbringe, denn es gibt keine schulfachliche Begründung für diesen Unfug.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Entwurf geht an den Schulentwicklungsbedarfen und schulfachlichen Realitäten vorbei - nicht nur in NRW.

Was sagen Sie den Lehrerinnen und Lehrern, die sich seit Verabschiedung des Schulrechtsänderungsgesetzes engagiert und intensiv fortgebildet haben?

(Beifall von den GRÜNEN)

Was sagen Sie den Schulen und Schulträgern, die intensive organisatorische Vorbereitungen für integrierte Naturwissenschaften getroffen haben?

Was sagen Sie den Eltern, die die Abschreibung der Schulbuchverlage in zweistelliger Millionenhöhe für bereits entwickelte und gedruckte Schulbücher werden bezahlen müssen?

Was sagen Sie den Schülerinnen und Schülern, die sich darauf gefreut haben, nicht mehr ein halbes Jahr Bio, dann ein bisschen Chemie und dann mal Physik zu haben, sondern naturwissenschaftlichen Phänomenen kontinuierlich nachgehen und erforschen zu können?

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Was sagen Sie, Frau Sommer, vor allen Dingen den Universitäten -siehe Universität Bielefeld -, die längst einen Studiengang Integrierte Naturwissenschaften entwickelt und aufgelegt haben? Lehrer können das; man muss sie nur lassen.

(Beifall von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Was sagen Sie den Fachdidaktikern, zum Beispiel - wie schon erwähnt - vom Verein zur Förderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts, die sich schon lange für die In

tegration der Fächer stark machen - auch vor dem Hintergrund internationaler Studien?

Ich zitiere Professor Bos, den künftigen wissenschaftlichen Beauftragten der NRW-Qualitätsagentur, der sich im „Bonner Generalanzeiger“ vom 30. Juni selbst als eher konservativ einstuft:

„Wenn jemand die geplante Zusammenlegung einfach zurückzieht, ohne etwas Neues, aufeinander Aufbauendes zu präsentieren, müsste ich ihm ein paar Literaturhinweise geben.“

Ich bitte Herrn Bos dringend, aktiv zu werden, auch in Richtung von Herrn Kaiser.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Was sagen Sie demnächst in der KMK Ihren CDU-Kollegen und -Kolleginnen aus Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen, die integrierte Naturwissenschaften fachlich begründet und überzeugt eingeführt haben? Die wissen offensichtlich auch, was die KMK in der Bund-LänderKommission zum Beispiel mit dem Schulversuch „Praxis integrierter naturwissenschaftlicher Grundbildung“ - PING - erfolgreich auf den Weg gebracht hat.

Bitte arbeiten Sie sich ein, bevor solche Sachen Ihr Haus verlassen!

Was sagen Sie den Bildungsinitiativen der Wirtschaft, die die integrierten Naturwissenschaften bundesweit begrüßt haben und diese Schulentwicklung dort, wo sie umgesetzt wird, mit großem Engagement unterstützen? In NRW sollen sie das offenbar nicht tun dürfen.

Frau Ministerin Sommer, eigentlich müssten Sie aus Ihren bisherigen beruflichen Tätigkeiten besser wissen, wie mit Schulen und auch mit Schulentwicklung umzugehen ist. Haben Sie das vergessen, seit Sie durch die Kabinettsaufnahmeprüfung gegangen sind? Oder mussten Sie das für diese Prüfung vergessen?

Es gibt jetzt nur eine Lösung. Ich ermutige Sie, Frau Sommer: Nehmen Sie sich Zeit zum Überlegen, wie Sie es selbst in der Zeitung für sich reklamiert haben! Ziehen Sie den unsäglichen Verordnungsentwurf zurück! Respektieren Sie die Schulentwicklung! Evaluieren Sie erst einmal die Ergebnisse! - Dann unterhalten wir uns hier wieder. Das würde Ihnen den Respekt der Schulen und der Eltern sowie der Lehrerinnen und Lehrer einbringen. - Danke schön.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. - Als nächste Rednerin hat Kollegin Ingrid Pieper-von Heiden für die FDPFraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aktionismus ist es nicht, das integrierte Fach „Naturwissenschaften“ durch Verordnung zurückzunehmen. Aktionismus war es, das Schulgesetz - besonders auch in diesem Punkt - durchzupeitschen.

(Beifall von FDP und CDU)

Denn von welcher Situation haben wir auszugehen? Was hat Sie in allererster Linie dazu bewogen, dieses integrierte Fach „Naturwissenschaften“ einzufordern? Sie sprechen von vernetztem Denken, von vernetztem Handeln und davon, Gesamtzusammenhänge zu sehen. Ja, schön und gut; aber das war es nicht, was Sie dazu geführt hat.

Ich sage Ihnen, warum Sie das so beschlossen haben. Sie haben das so beschlossen, weil …

Frau Kollegin Pieper-von Heiden, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schäfer?

Sie möge mir erst einmal zuhören - anschließend gerne.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wir haben doch schon zugehört!)