Protokoll der Sitzung vom 06.07.2005

Wir haben dann möglicherweise auch eine Debatte über die Senkung der Löhne insgesamt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Arbeitgeberseite das nicht einfach so hinnehmen, sondern darauf reagieren wird.

Eines ist klar: Wir haben ein Problem mit unserer wirtschaftlichen Entwicklung, und die Erhöhung der Mehrwertsteuer würde, gerade was die Binnennachfrage angeht, erhebliche Probleme mit sich bringen. Daher ist es kein Wunder, dass zum Beispiel Ökonomen des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft vor negativen Auswirkungen einer Mehrwertsteuererhöhung warnen. Wachstum und Beschäftigung sind ein Problem, wenn das passieren sollte, wenn Sie das tatsächlich so machen, wie Sie es hier teils angekündigt haben. Deswegen ist das ein wichtiger Punkt.

Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich da in Zukunft aufstellen werden. Ich bin auch sehr gespannt, was Frau Merkel - sie soll offensichtlich letztendlich die Entscheidung treffen - macht. Entscheidend ist jedenfalls: Es gibt drei Meinungen der CDU im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Ich finde skandalös, was Sie hier von sich gegeben haben.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Das ist der neue Stil!)

Ich frage mich: Wie kann eine neue Landesregierung handlungsfähig sein, wenn sie schon beim ersten Thema, das wir in der neuen Legislaturperiode diskutieren, mit solchen Meinungen über den Tisch kommt? Ich kann nur sagen: So geht es nicht - nicht mit uns.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Herr Sagel. - Jetzt hat Herr Lindner von der FDPFraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt der Debatte ist es vielleicht gut,

(Gisela Walsken [SPD]: Es ist erst 11 Uhr!)

eine Zwischenbilanz zu ziehen. Sie geben vor, meine Damen und Herren von der Opposition, dass Sie Klarheit über den steuerpolitischen Kurs des Landes haben wollen.

(Gisela Walsken [SPD]: Ja!)

In Wahrheit wollen Sie uns aber eine intellektuell beschämende Debatte aufzwingen,

(Zurufe von SPD und GRÜNEN: Oh!)

und das machen wir nicht mit. Wir diskutieren im Zusammenhang. Der ehemalige Ministerpräsident hat in der „Zeit“ - Ausgabe 28/2004 - gesagt, eine isolierte Debatte nur über die Erhöhung der Mehrwertsteuer ohne Gesamtzusammenhang sei intellektuell beschämend, und das mache er nicht mit. Dazu kann ich nur sagen: Das machen wir auch nicht mit.

(Beifall von FDP und CDU)

Sie haben hier alle Klarheit erhalten, die Sie einfordern können.

(Jochen Dieckmann [SPD]: Mehr ist nicht drin?)

Von uns gibt es das klare Signal: Mit uns gibt es keine Erhöhung der Steuer- und Abgabenquote. Im Gegenteil: Wir wollen die Steuer- und Abgabenquote senken, um zu mehr Wachstum und Beschäftigung zu kommen.

Wir führen auch keine Debatte über die Erhöhung der Mehrwertsteuer nur zur Umfinanzierung der sozialen Sicherungssysteme.

(Zurufe von der SPD: Aha!)

Wir führen eine Gesamtdebatte, wie das Land, wie die Bundesrepublik Deutschland erneuert werden kann.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Dabei lassen wir uns von Ihnen zu diesem frühen Zeitpunkt keine Vorgaben machen, was Denkverbote sind oder nicht. Dass es unterschiedliche Bewertungen in Detailfragen gibt - ich bitte Sie -, ist trivial. Auch in meiner Fraktion, in meiner Partei gibt es unterschiedliche Haltungen. Otto Graf Lambsdorff kann sich anderes vorstellen als wir. Wenn Sie daraus einen Vorgang machen wollen, sollten Sie Ihre eigene zehnjährige Regierungsgeschichte bedenken, wie Sie mit solchen Diskussionen umgegangen sind. Wir lösen das partnerschaftlich im Dialog,

(Zuruf von der SPD: In der ersten Woche!)

während Sie es nur im Konflikt getan haben und letztlich für das Land nicht mehr erreicht haben als Stillstand, Streit und Verunsicherung, meine Damen und Herren.

(Beifall von FDP und CDU)

Trotz der Klarheit, die Sie erhalten haben, bin ich über den Verlauf dieser Debatte enttäuscht; denn ich habe mir Hoffnungen gemacht, dass Sie die Gelegenheit nutzen, Ihre eigenen steuerpolitischen Vorstellungen zu erläutern. Da gibt es nämlich mehr Erklärungsbedarf. Zur Erinnerung: Den wesentlichen steuerpolitischen Akteur stellen Sie mit dem Bundesminister für Finanzen mit Ihrer Partei und nicht wir. Da sind schon Fragen erlaubt:

Weil Sie sich hier nicht erklärt haben, ist offen geblieben, wie Sie sich jahrelang auch in diesem Haus damit haben brüsten können, den Spitzensteuersatz gesenkt zu haben. Jetzt kommen Sie plötzlich mit der Reichensteuer um die Ecke. Es ist offen geblieben, wie Sie mit Ihrem sozialdemokratischen Prachtvokabular die Ökosteuer rechtfertigen, bei der Rentner, die von den Entlastungswirkungen nicht profitieren, trotzdem Zahler sind. Es ist offen geblieben, wie Sie einen Ministerpräsidenten im Landtagswahlkampf haben unterstützen können, der offensichtlich eine völlig andere Auffassung vertritt, als sie die Fraktion der SPD heute zum Gegenstand eines Antrags macht.

All das zeigt: Ihre Konzeptionslosigkeit angesichts der Probleme unseres Landes setzt sich jetzt in Ihrer Orientierungslosigkeit angesichts Ihrer eigenen Lage fort, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Sie haben eine Oppositionsstrategie gewählt, die im Grunde nur als dreist zu kennzeichnen ist. Auch bei anderen Fragen haben Sie das schon vorgeführt. Frau Kraft, gerade ausgeschiedenes Regierungsmitglied, sagt allen Ernstes, der neuen Koalition der Erneuerung fehle der Mut zum Sparen. Dabei sind Sie es doch, die uns einen finanzpolitischen Scherbenhaufen hinterlassen haben.

(Beifall von FDP und CDU)

Sie hinterlassen uns den Scherbenhaufen und kritisieren uns, weil wir Ihrer Meinung nach nicht schnell genug dabei sind, den Scherbenhaufen zusammenzukehren.

(Gisela Walsken [SPD]: Wollen mal gucken, was kommt! - Ralf Jäger [SPD]: Herr Lind- ner, über Finanzen sollten Sie nicht reden!)

Bei all den Fragen, die Sie bislang hier zum Thema gemacht haben und bei denen Sie auf uns zeigen, zeigen drei Finger Ihrer Hand auf Sie selbst zurück;

(Ralf Jäger [SPD]: Vorsicht!)

denn Sie sind es, die in diesem Haus konzeptionslos sind, die keine Rezepte zur Lösung der Krise unseres Landes vorlegen können.

Zu Ihrem Antrag möchte ich noch einen Satz sagen: Das, was Sie hier vorgelegt haben, ist Polemik. Und so wird das Ding auch behandelt werden. - Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Lindner. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Körfges das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Großvater pflegte zu sagen: Keine Antwort ist auch eine Antwort. - In der Disziplin hat die Regierungskoalition sich hier heute trefflich geschlagen. Wir haben klare Fragen gestellt, und wir haben nebulöse Antworten bekommen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, angesichts der vielfältigen Untertöne kann ich mir die ein oder andere Korrektur hier nicht ersparen. Wenn der Kollege Klein auf die leeren Kassen zu sprechen kommt, ist das ein deutliches Indiz dafür, was mit der ja ganz offensichtlich geplanten Mehrwertsteuererhöhung beabsichtigt ist. Wenn Finanzminister Dr. Linssen hingeht und die sozialen Sicherungssysteme anspricht, ist das eine ehrenwerte Debatte. Nur, meine Damen und Herren: So richtig Butter bei die Fische hat hier niemand getan. Sie machen Folgendes: Entsprechend dem alten Gassenhauer „Warte, warte noch ein Weilchen, dann spricht Angie auch zu dir“

(Heiterkeit von der SPD)

wollen Sie sich inklusive der FDP-Fraktion bis Montag hier in Deckung halten. Eines scheint allerdings klar zu sein: Es wird in Ihrem Programm und bei Ihnen - hoffentlich nicht in Berlin, aber zumindest in Ihrer Programmatik - eine Mehrwertsteuererhöhung geben. Wofür Sie die benutzen wollen, meine Damen und Herren - da lassen Sie nicht nur das Hohe Haus, sondern auch die Öffentlichkeit ganz erkennbar im Unklaren.

Jetzt will ich einmal mit ein paar Irrtümern aufräumen. Hier ist eben vom Kollegen Weisbrich

gesagt worden: Dass die kleinen Leute nicht unangemessen benachteiligt würden, hätten neuere wissenschaftliche Erhebungen ergeben. - Auch Frau Freimuth hat sich in die Richtung verstiegen. Ich darf nur darauf hinweisen, dass z. B. Herr Laumann, der neue Minister, das bezogen auf die Bezieher niedrigerer Einkommen - das kann man im „Handelsblatt“ nachlesen - offensichtlich ganz anders sieht. Ich darf darauf hinweisen, dass der Generalsekretär der Bundes-FDP kategorisch jede Mehrwertsteuererhöhung ablehnt.

(Gisela Walsken [SPD]: Klare Position!)

Ich darf darauf hinweisen, dass der Ministerpräsident dieses Landes es in der Debatte zumindest bis jetzt - vielleicht bekommen wir es ja noch geändert - erkennbar vermieden hat, sich zu dem Thema überhaupt zu äußern, nachdem er einmal kategorisch abgelehnt hat. Ihr finanzpolitischer Kurs: Dagegen ist eine Echternacher Springprozession eine geradlinige Veranstaltung, meine Damen und Herren.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wir wollen jetzt einmal ein paar unserer Gründe nennen, weshalb wir für Mehrwertsteuererhöhungen - ich wiederhole da zwar zum Teil Argumente, aber ich denke, die sind von Ihnen noch nicht erkannt - zurzeit nicht zur Verfügung stehen. Da würde ich Ihnen empfehlen: Fragen Sie einmal beim Mittelstand, den Sie so gerne zitieren, nach! Eine Mehrwertsteuererhöhung gerade bei kleinen Handwerkerinnen und Handwerkern ist ein Programm zur Verbreitung von Schwarzarbeit, ist Gift für die Konjunktur