Protokoll der Sitzung vom 18.05.2006

Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 30. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich zehn Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Ich rufe auf:

1 Aktuelle Stunde

Thema: Kombilohn NRW – Chance für Langzeitarbeitslose umgehend verwirklichen

Antrag der Fraktion der CDU gemäß § 90 Abs. 2 GeschO

Die Fraktion der CDU hat mit Schreiben vom 15. Mai 2006 zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner von der antragstellenden Fraktion Herrn Kollegen Henke das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Damen, meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arbeitslosigkeit ist ein schlimmes Los, Arbeitslosigkeit macht arm, Arbeitslosigkeit macht krank, Arbeitslosigkeit zerstört Selbstvertrauen, Arbeitslosigkeit zerstört soziale Beziehungen, Arbeitslosigkeit nimmt Wohlstand, Arbeitslosigkeit pflanzt sich fort, Arbeitslosigkeit macht Menschen bitter. Deshalb betrachten die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes und Deutschlands insgesamt Arbeitslosigkeit zu Recht als die wichtigste Herausforderung.

Es war der große Irrtum einer Politik, eingeleitet zu Beginn der 70er-Jahre, anzunehmen, man könnte Arbeitslosigkeit grundsätzlich mit staatlichen Beschäftigungsprogrammen bekämpfen. Heute wissen wir wohl alle, dass das nicht stimmt. Arbeitsplätze entstehen vielmehr, wenn Menschen sich dazu entschließen, anderen Arbeit zu geben und durch Investitionen einen Arbeitsplatz zu schaffen. Das tun sie in der Erwartung, durch die Schaffung des Arbeitsplatzes selber einen Nutzen zu haben und Geld zu verdienen.

Damit es dazu kommt, brauchen wir auch aus der Politik die richtigen Weichenstellungen – das gilt für Düsseldorf, das gilt für Berlin – etwa für die Themenfelder Finanzpolitik, Bildungspolitik, Sozialpolitik, Innovationspolitik, Wirtschaftspolitik, Steuerpolitik.

Wir sind froh, dass sich die wirtschaftliche Stimmung in den vergangenen zwölf Monaten verbessert hat. Es gibt aber Menschen – damit sind wir beim Thema Kombilohn –, denen auch der stärkste denkbare wirtschaftliche Aufschwung, die stärkste wirtschaftliche Erholung, das stärkste Vorankommen der Wirtschaft, der stärkste Abbau von Arbeitslosigkeit persönlich zunächst einmal noch nicht hilft. Denn es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die ein besonderes Hemmnis für die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt darstellen.

Dazu gehört etwa die Dauer der Arbeitslosigkeit. Rund 50 % der Arbeitslosen in NordrheinWestfalen sind langzeitarbeitslos. Langzeitarbeitslosigkeit ist definiert als Arbeitslosigkeit von mindestens zwölf Monaten Dauer.

Dazu gehört das Fehlen einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Mehr als die Hälfte der Arbeitslosen in Nordrhein-Westfalen verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das ist auch der Grund, weswegen in einem bestimmten Lebensalter – unter 25 – eine Kumulation von Arbeitslosigkeit zu registrieren ist.

Der nächste Faktor ist jedoch ein höheres Lebensalter. 25 % der Arbeitslosen sind älter als 50 Jahre.

Ein weiterer Faktor ist schließlich das Vorliegen eines gesundheitlichen Handicaps oder einer Behinderung.

Deshalb müssen für diese Gruppen Hilfen geschaffen werden – so kreativ und so schnell wie möglich. Genau dazu dient der Kombilohn NRW, wie ihn Karl-Josef Laumann und sein Ministerium ausgearbeitet haben, wie ihn das Landeskabinett beschlossen hat, wie ihn Arbeitgeber und Arbeitnehmer umsetzen wollen. Aus vielen Zeitungsberichten wissen wir, dass auch viele Akteure auf der kommunalen Ebene den Kombilohn umsetzen wollen.

Der Kombilohn NRW nutzt die Instrumente, die das Sozialgesetzbuch II bereitstellt. Das heißt er basiert auf gültigem Recht. Er konzentriert sich auf die Gruppen, die ein besonderes Handicap am Arbeitsmarkt haben und die selbst dann, wenn die Ankündigungen, die es im Zusammenhang mit der Hartz IV-Gesetzgebung gegeben hat – Halbie

rung der Arbeitslosigkeit –, eingelöst worden wären, in vielen Fällen keinen direkten Zugang zum ersten Arbeitsmarkt gewonnen hätten.

Deswegen bin ich auch froh, dass wir um den Kombilohn eine kreative Debatte und Auseinandersetzung führen. Es kann gar nicht genug diskutiert werden, es kann gar nicht genug nach Wegen gesucht werden, wie man den Gruppen mit besonders großem Handicap am besten helfen kann.

Es soll auch keiner sagen, es wäre etwa verboten, vielleicht noch eine bessere Idee zu haben als den Kombilohn Nordrhein-Westfalen. Nur eines geht nicht: den Wettbewerb der guten Ideen zu blockieren und aus Eigensucht und Eifersucht Wege zu versperren, die eine Chance versprechen. Genau das scheint mir das Problem und das Motiv zu sein, das den Bundesarbeitsminister getrieben hat, anzukündigen, er werde das Modell „Kombilohn NRW“ stoppen. Das ist eine Ankündigung, die wir zurückweisen müssen. Dazu dient auch diese Aktuelle Stunde. Das geht so nicht.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich weiß nicht, ob es Eitelkeit ist, ich weiß nicht, ob es politisches Kalkül ist, ich weiß nicht, ob es die Konkurrenz zwischen unserem Koalitionspartner SPD in Berlin und unserem Koalitionspartner FDP in Düsseldorf ist. Ich kann das alles nicht sagen. Es interessiert mich auch nicht so sehr. Eitelkeit Münteferings könnte ich vielleicht noch verstehen. Aber eines kann ich nicht verstehen: Frau Kraft, Fraktionsvorsitzende der SPD, hat sich in der „Rheinischen Post“ mit den Worten zitieren lassen:

„Wir sollten zunächst abwarten, was der Bundesarbeitsminister als Gesamtkonzept vorlegt.“

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Richtig!)

„Das Vorpreschen von Herrn Laumann war kontraproduktiv.“

So weit Frau Kraft.

(Zurufe von der CDU: Unglaublich!)

Das ist – so muss ich sagen – ein unglaubliches Zitat. Abwarten, das ist genau die Haltung, die wir nicht brauchen. Erst einmal andere nachdenken lassen, bis denen etwas eingefallen ist, und so lange die eigenen Aktivitäten einstellen –

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Das haben Sie bei Helmut Kohl gelernt oder was?)

Frau Kraft, das geht so nicht, nicht bei den Kombilöhnen und übrigens auch nicht,

(Beifall von CDU und FDP)

wenn es um die Nutzung von Qualifizierungsmitteln der Bundesagentur für Arbeit in NordrheinWestfalen geht.

Wenn Herr Müntefering den Kombilohn NRW verhindern will, dann will er den betroffenen Menschen nicht helfen. Das lassen wir ihm nicht durchgehen. Deshalb diese Aktuelle Stunde! Aber dass Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD-Opposition, dabei auch noch Schmiere stehen, das lassen wir Ihnen ebenso wenig durchgehen.

(Beifall von CDU und FDP – Widerspruch von der SPD)

Noch einmal: Dass Sie dabei Schmiere stehen, das lassen wir Ihnen ebenso wenig durchgehen. – Ich danke Ihnen sehr, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Henke. – Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Schmeltzer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Laumann – den ich nicht sehe …

(Widerspruch von der Regierungsbank – Zu- rufe von der CDU: Da ist er doch! – Minister Karl-Josef Laumann: Er hat auch „Guten Morgen“ gesagt! – Allgemeine Heiterkeit)

Ah, Herr Laumann! Entschuldigung! Wenn ich rede, kommen Sie sofort. Das finde ich hoch anständig.

Aber, Herr Laumann, Auftritte sind nicht Ihre Stärke, war in der „Bild“-Zeitung zu lesen, die gestern im Mittelpunkt der Fragestunde mit den richtungweisenden Pfeilen stand. Schwächen haben Sie – der Einschätzung der „Bild“ folgend – auch bei der Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Sie sehen: Außer der CDU-Fraktion haben das mittlerweile alle im Land gemerkt.

Sie haben aber auch Ihre Stärken – die Ihnen helfen, das arbeitspolitische Debakel, das sich landauf, landab abspielt, zu überspielen. Sie sind der erfolgreichste Landesschnorrminister in der Geschichte dieses Landes.

(Beifall von der SPD – Unmutsäußerungen von der CDU)

Sie amüsieren sich auf Kosten anderer. Den ersten netten Abend haben Sie sich auf Kosten der Kommunen gemacht. Sie ziehen sich komplett aus der Kofinanzierung der ESF-Mittel zurück. Die Rechnung für die notwendige nationale Kofinanzierung präsentieren Sie den Städten und Gemeinden und allen anderen Akteuren am Arbeitsmarkt.

Jetzt die nächste Party – von Laumann bestellt, von anderen bezahlt –: das nordrhein-westfälische Kombilohnmodell. Laumann bestellt, Laumann ist der vermeintlich großzügige Gastgeber, aber tatsächlich bezahlen es die anderen, in diesem Fall der Bund und die Bundesagentur für Arbeit.

Herr Henke, gestatten Sie mir den Hinweis: Was Herr Laumann hier ausgearbeitet hat – so haben Sie gesagt –, ist nichts anderes als das, was derzeit überall praktiziert wird und praktiziert werden kann; nur, Herr Laumann hat seinen Namen darüber geschrieben.

Aber noch schlimmer: Es sollte ein großes Fest im Herbst geben, zu dem alle Beteiligten einladen und von dem viele Beschäftigte etwas haben. Aber Sie gehen schon jetzt mit einigen wenigen in schicke Clubs, bestellen Cocktails und lassen Ihre Partner in Berlin bezahlen. Saßen Sie nicht in der Verhandlungskommission der großen Koalition, als es um den Politikbereich Arbeit ging? Waren unter anderen nicht Sie es, der bei dem Punkt Kombilohn im Koalitionsvertrag mit vereinbart hat, dass der Themenkomplex Kombilohn in einer Arbeitsgruppe geprüft wird und dass die Ergebnisse im Laufe des Jahres vorgestellt werden? Sind Sie so vergesslich, dass Sie vergessen, was Sie selbst vereinbart haben?

(Beifall von der SPD)

Oder ist es vielmehr so, dass Sie gerne mit zwei Hüten herumlaufen: heute Bundespolitik mit Frau Merkel und morgen Landespolitik gegen alles, auch gegen den Bund? Aber hier scheinen Sie ja eine gemeinsame Front mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus Niedersachsen, Hamburg und Hessen zu bestreiten, die alle diesen Weg gehen wollen.

Auf Bundesebene will die CDU/CSU noch ein eigenes Kombimodell in die Diskussion einbringen, vorgestellt von ihren beiden Generalsekretären. War daran der CDA-Vorsitzende als Fachpolitiker auch beteiligt oder hat man Sie an dieser Stelle in Berlin bereits vergessen?