Protokoll der Sitzung vom 18.05.2006

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Als nächster Redner hat Herr Kollege Witzel für die Fraktion der FDP das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte über diesen Antrag zeigt mal wieder die Auffassungsunterschiede zwischen den Fraktionen im Umgang mit dem Thema „Zukunft der beruflichen Bildung“.

Wir als FDP-Landtagsfraktion sind in Übereinstimmung mit der Landesregierung fest davon überzeugt, dass wir eine dauerhafte Gesundung des Ausbildungsmarktes nur hinbekommen, indem wir für eine Gesundung der Kräfte im Markt sorgen, damit es auch wieder mehr arbeitgeber

seitiges, ausbilderseitiges Interesse an zahlreicheren Abschlüssen von Lehrverträgen gibt,

(Frank Sichau [SPD]: Bis dahin sicher!)

und dass wir in jedem Fall am dualen System der Berufsausbildung als Regelfall festhalten. Wir müssen klar den Anspruch formulieren, dass der Mix aus betrieblicher Praxis und theoretischer Begleitung im Berufskolleg das Richtige ist. An all das, was in Ausnahmesituationen zeitlich begrenzt als Sonderfall abweichend verabredet wird, um konkrete Problemlagen von Menschen zu lösen, für die es aktuell in der Situation keinen Ausbildungsplatz im dualen System gibt, dürfen wir uns ausdrücklich nicht als Regelsystem gewöhnen.

(Zuruf von Frank Sichau [SPD])

Es kann keine dauerhafte Strategie im Umgang mit den Problemen sein, sondern kann nur der Überbrückung dienen und muss deshalb zeitlich limitiert sein.

Insofern freut es mich, dass die Grünen mit diesem Antrag ein Problem aufgreifen, für das sie in den letzten Jahren kein Problembewusstsein hatten.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Das ist eine Frechheit! Wir haben Anträge gestellt!)

Ich erinnere mich noch sehr gut, dass wir in den letzten Jahren im Landtag viele Anträge zur Lösung und zum Aufzeigen von Perspektiven für Jugendliche, die in Warteschleifen stecken, gestellt haben.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Schlecht recher- chiert!)

Da haben Sie sich beschwert, das dürfe man alles nicht sagen, „Warteschleifen“ würde Leute diskriminieren, und Sie haben diese Debatte hier geführt. Insofern freut es mich, wenn Sie das Problembewusstsein entwickelt haben, wenn Sie die Situation in weiten Teilen richtig analysieren.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Dennoch stimmen Sie mit uns in den Zielen natürlich nicht überein.

Wir handeln, um tatsächlich für eine Verbesserung der Situation zu sorgen, indem wir unsere Eckpunkte in der Koalitionsvereinbarung verabredet haben.

Wir werden eine Konzentration der berufsschulbedingten Abwesenheit im Betrieb auf einen Wochentag vornehmen. Wir starten damit jetzt beim Handwerk in zehn Ausbildungsberufen. Dazu gehören

als bekannteste Ausbildungsberufe die Dachdecker, Konditoren, Fleischer, Verkäufer, Maler und Schneider.

Wir werden zur Kompensation einen dreiwöchigen Schulblock vor Ausbildungsaufnahme einführen. Das erhöht natürlich zugleich auch die Vorbereitung der Jugendlichen auf den beginnenden Berufsalltag, da bereits vor dem ersten Betriebstag grundlegende berufliche Kenntnisse vermittelt werden.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Schon mal etwas von Schulpflicht gehört?)

Außerdem werden wir im Laufe dieser Legislaturperiode theoriegeminderte Kurzausbildungsgänge schaffen, damit gerade qualifikationseingeschränkte Jugendliche vor allem im Bereich von Helfertätigkeiten neue Perspektiven bekommen.

Das ist der richtige Weg, den wir auf diese Art und Weise beschreiten und der erfreulicherweise auch die Unterstützung der Sozialpartner im Ausbildungskonsens NRW hat. Solange wir aufgrund bundesrechtlicher Regelungen mit 480 Berufsschulstunden leben müssen, suchen wir zumindest nach und nach die Lösungen, die mit Innungen gefunden worden sind, den Einstieg in das Ziel, die Zeit effizienter zu organisieren, die betriebliche Anwesenheit zu erhöhen und damit für mehr Ausbildungsinteresse bei der ausbildenden Wirtschaft zu sorgen. Denn das ist der einzige Weg, über den wir auf Dauer nachhaltig zusätzliche Ausbildungskapazitäten in unserem Land erzielen.

(Beifall von der FDP)

Mich freut es ausdrücklich, dass wir mit dem Maßnahmenpaket der Koalition nahezu alle Forderungen der FDP-Landtagsfraktion der letzten Legislaturperiode in diesem Feld abgearbeitet haben. Ich erinnere insbesondere an unsere Anträge 13/6037 sowie 13/5435. Dort steht bereits vieles von dem, worauf der aktuell vorgelegte Antrag etwas den Fokus richtet. Wir hatten in diesen Anträgen wesentliche Eckpfeiler verankert.

Es geht zum Beispiel genau darum, den ersten Präsenzblock vor den eigentlichen Ausbildungsbeginn am 1. September zu ziehen – damit erreichen wir eine Verbesserung der Präsenzzeiten im Betrieb sowie eine stückweise Rückführung auf einen Berufsschultag im laufenden Ausbildungsbetrieb und letztlich ein ausbilderfreundlicheres Klima in diesem Land – und Kurzausbildungsgänge für qualifikationseingeschränkte Jugendliche anzubieten.

Der letzte wesentliche Punkt, den wir in diesem Feld verfolgt haben, ist ein höheres ausbilderseitiges Interesse für zusätzliche Lehrstellen durch Aufhebung der Schulbezirksgrenzen. Das realisieren wir mit dem Schulgesetz auch noch vor der Sommerpause.

Insofern sind die Rahmenbedingungen für Ausbildung in der Koalition der Erneuerung auf einem guten Weg. Wir werden diesen Weg fortzusetzen und sind von dem Erfolg überzeugt. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Witzel. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Laumann das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag und die Debatte heute sind eine gute Gelegenheit, mit der Politik der Landesregierung in der Frage der Situation der Lehrstellen in NordrheinWestfalen und in Deutschland fortzufahren.

Die Zahlen in Nordrhein-Westfalen sehen nicht anders aus als in den anderen Ländern. In Nordrhein-Westfalen – wie in ganz Deutschland – haben wir bei steigenden Schulabgängerzahlen in den letzten zehn Jahren jede vierte Ausbildungsstelle im dualen System verloren.

Angesichts dieser Tatsache war die Situation in Nordrhein-Westfalen, bevor ich im Amt war, schon merkwürdig: Man hat vor allem im Ausbildungskonsens die Situation immer wieder gesundgebetet. Es gab viel Weihrauch, und am Ende waren alle versorgt. Dafür hatte man einen Trick gefunden: Man hat schlicht und ergreifend alle diejenigen, die nichts hatten, als ausbildungsunfähig erklärt. Denn es war ja immer ein Element des Ausbildungskonsenses, zu sagen: Wer nicht ausbildungsfähig ist, spielt hier keine Rolle.

Daraus ergaben sich dann am Ende des Jahres wunderbare Zahlen: nur 900 oder 1.000 nicht versorgte Jugendliche. Für diese hat man dann überbetriebliche Maßnahmen geschaffen, aber nicht darauf geschaut, was in den zehn Jahren zunehmend passiert ist: dass nämlich die Jugendlichen in Wahrheit Warteschleifen in den diversesten Formen, die die Berufsschulen anbieten, absolviert haben.

(Beifall von der CDU – Dr. Axel Horstmann [SPD]: Übliche Nachrede!)

Das ist so! – Man kann mir nun nicht vorschreiben, wie man Lehrstellenaktionen zu machen hat. Für mich gilt: Natürlich muss nicht nur ein Landesarbeitsminister – und ich habe das getan –, sondern die gesamte Landesregierung für Lehrstellen werben.

(Zuruf von der SPD: Wo?)

Ich bin in allen Regionen gewesen. – Wir haben beispielsweise auf der Grundlage eines Konzeptes Betriebe vorgestellt, die seit Jahren gut ausbilden und sich dabei prächtig entwickelt haben, weil sie hinterher über hochqualifizierte Belegschaften verfügten.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Na also!)

Wenn Sie der Meinung sind, dass das, was Herr Clement und andere gemacht haben, richtiger war, nämlich irgendwo hinzufahren und sich bescheinigen zu lassen, dass ein Betrieb zwei Lehrlinge mehr aufnimmt, wobei die Zahl bereits vorher von den Kammern ermittelt und festgelegt war, weiß ich nicht, was nun wirklich richtiger ist.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Waren Sie da- bei?)

Ich bin sehr dafür, dass wir alle unseren Job machen. Jeder, der auf seine Art für mehr Ausbildung im dualen Ausbildungssystem wirbt, tut eine gute Sache. An der Stelle sollten wir uns gegenseitig nichts vorwerfen.

Erforderlich ist allerdings, die Situation, in der wir uns befinden, zu analysieren. Wie bin ich mit dieser Frage umgegangen? – Ich glaube schon, dass durch uns eine neue Ehrlichkeit im Umgang mit den Zahlen und der Situation Einzug gehalten hat. Das hat uns auch der DGB in NordrheinWestfalen immer wieder bestätigt.

Noch eins: Die Wirtschaft übernimmt in diesem Bereich nicht ihre Verantwortung. Wenn jeder zweite Betrieb in Nordrhein-Westfalen nicht ausbildet, obwohl er es könnte, ist das nicht in Ordnung.

(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmelt- zer [SPD]: D’accord!)

Wenn wir – ob Kammern, Arbeitgeberverbände, Innungen – unsere Veranstaltungen machen, auf denen ich sehr oft für Lehrstellen werbe, geht es mir immer ein bisschen wie dem Pastor sonntagmorgens: Diejenigen, die zu diesem Treffen kommen, sind diejenigen, die ausbilden, die uns die Praktikumsplätze zur Verfügung stellen, während andere noch nicht einmal zu diesen Veranstaltungen erscheinen. Das gehört zur Wahrheit

dazu. An der Stelle muss man Druck machen. Denn Ausbildung und Praktikumsplätze zur Verfügung zu stellen, ist – will man es wirtschaftsnah machen – Aufgabe der Wirtschaft.

Mit 111.000 neuen Ausbildungsverträgen im letzten Jahr ist die nordrhein-westfälische Wirtschaft diesem Auftrag unzureichend und ungenügend nachgekommen. Das sage ich ganz deutlich.

(Beifall von der CDU)

Danke sagen muss man aber natürlich denjenigen, die sich quer durch alle Innungen und Kammern seit Jahr und Tag der Berufsausbildung widmen.

Ist diese süße Waffe „Umlage“ wirklich die Lösung, eine wirtschaftsnahe Ausbildung zu behalten, oder müssen wir nicht befürchten, dass dann noch mehr Betriebe nicht ausbilden mit dem Argument: „Jetzt zahle ich, dann sollen die anderen das machen“? Denn unser Dilemma ist – deshalb bin ich so vorsichtig –, dass wir die Wirtschafts- und Realitätsnähe des dualen Systems in keinem anderen System nachzeichnen können.