Protokoll der Sitzung vom 18.05.2006

Nur dann, wenn die jungen Mitbürgerinnen und Mitbürger unsere Initiative und Unterstützung spüren, werden sie sich eines Tages selbst solidarisch zeigen. Packen wir es also an – an die Arbeit. Nicht warten, sondern handeln. Ein Dank gilt auch unserem Minister Laumann für die vielen Initiativen.

Ich stehe hier auch für die Region OstwestfalenLippe, die in besonderer Weise von den Herausforderungen der Jugendarbeitslosigkeit betroffen ist. Das ist insbesondere auch deshalb so, weil wir als Kommunen und Menschen in Ostwestfalen große gesellschaftliche Verantwortung gezeigt haben, als es darum ging, Aussiedlern eine neue Heimat zu geben, Frau Schäfer.

Es sind also nicht nur wirtschaftliche Gründe, die uns in Ostwestfalen in diese Lage gebracht haben, sondern sehr wohl auch gesellschaftlich und politisch gewollte Gründe. Insbesondere daraus resultiert eine besondere Verpflichtung des Landes Nordrhein-Westfalen, etwas zu tun. In Ostwestfalen hat die europäische Ziel-2-Förderung zusätzlich zur Abwanderung von Arbeitsplätzen geführt: nicht immer ins Ausland, sondern in vielen Fällen einige Kilometer weiter nach Niedersachsen. Natürlich ist eine Ziel-2-Förderung für jede Region wichtig, die eine Aufgabenstellung „höchste Arbeitslosigkeit“ wie im Ruhrgebiet lösen muss.

Die aktuellen Zahlen der Regionaldirektion für Ostwestfalen zeigen weiterhin einen Rückgang der Zahl der Ausbildungsstellen bei gleichzeitigem Anwachsen der Zahl der Bewerber. In NordrheinWestfalen kommen auf einen Ausbildungsplatz rund zwei Bewerber, in Ostwestfalen-Lippe fünf Bewerber auf einen Ausbildungsplatz. In keinem der 33 Bezirke der Agentur für Arbeit übersteigt das Angebot die Nachfrage; lediglich in Düsseldorf haben wir eine ausgeglichene Lage. In Ostwestfalen sind zum Beispiel Bielefeld und Lippe

am härtesten betroffen. Berücksichtigen wir Warteschleife, Schulschleife und die Arbeitslosen bis 25 Jahre haben 25.000 junge Menschen keine Beschäftigung, und das nur in Ostwestfalen.

Zurück zum Land Nordrhein-Westfalen: Deshalb ist es richtig, dass es die Landesregierung nach § 7 Berufsbildungsgesetz mit Priorität ermöglicht, Ausbildungsinhalte, die in Berufskolleg erworben wurden, auf eine spätere duale Ausbildung anrechnen zu lassen.

Die Ermöglichung von vollzeitschulischen Bildungsgängen und die Zulassung zur Kammerprüfung ist eine weitere Lösungsoption. Wir brauchen auch hier mehr Entscheidungskompetenz vor Ort, mehr Regionalisierung soweit wie möglich nach unten. Dezentrale, lokale Lösungen in enger Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit, den Argen, den Arbeitgebern der IHK, dem Handwerk, den Gewerkschaften und den Schulen sind der richtige Weg. Bildungschecks, Meisterprüfungsprämien, Werkstattjahr, Kompetenzschecks und Kombilohn sind Beispiele der Initiativenarbeit unserer Landesregierung.

Auch vor Ort gibt es viele gute Ideen. Wir brauchen mehr Transparenz in der Förderung und insbesondere keine Situation, in der junge Menschen wegen 50 € mehr anfangen, zwischen verschiedenen Maßnahmen zu surfen. Das können wir uns nicht leisten.

Finanziell gleichmäßig ausgestattete Töpfe sind hier die Lösung. Daran muss gearbeitet werden. Es kann nicht sein, dass sich junge Mitbürger in – ich zitiere mit Genehmigung unseres Landtagspräsidenten – Warteschleifen der Armut befinden, wie Dr. Christof Eichert von der Bertelsmannstiftung sagte. Wir müssen die Menschen aus volkswirtschaftlichen, gesellschaftlichen und vor allem aus persönlichen Gründen der Betroffenen da herausholen.

Meine Damen und Herren von den Grünen, der Ausbildungsmarkt in Nordrhein-Westfalen stellt sich – das haben Sie eben festgestellt – alles andere als wünschenswert dar. Der Anlass dieses Antrages ist diese hohe Jugendarbeitslosigkeit. Eine der wesentlichen Ursachen aber verschweigen Sie; denn hier kommt die wahre Seite der Medaille, die Sie bewusst übersehen. Wer hat denn den Mittelstand in bürokratischen Unfug eingeschnürt, bis er keinen Investitionsraum mehr sah?

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Bisher war die Analyse gut! – Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Wer hat denn den Unternehmern viele Perspektiven in diesem Land genommen?

Auch als Gewerkschaftsmitglied – ich bin Mitglied von Verdi seit 25 Jahren – sage ich: Mit Ihrer unternehmensfeindlichen Politik haben Sie vielen Menschen Perspektiven geraubt. Ich sage deshalb: Haltet den Dieb! Sie tragen hier den Großteil der Verantwortung. Davon kann auch ihr mehrseitiger Antrag nicht ablenken.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Haben Sie ver- gessen, dass Sie das sind, die die Verant- wortung tragen?)

Der Mittelstand in Nordrhein-Westfalen ist es doch im Wesentlichen, auf dessen Schultern die Lösung des Aufgabengebietes und unsere Zukunft ruht. Dieser klassische Mittelstand hat doch in der Vergangenheit den wesentlichen Teil der Ausbildung getragen. Durch die bürokratischen Belastungen des Mittelstandes sind auch viele Ausbildungsstellen verloren gegangen.

Nirgends wurde in der Vergangenheit so viel für die Ausbildung junger Menschen getan wie im Handwerk. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ausdrücklich bei allen Ausbildern bedanken. Sie haben dem Zugpferd unserer Wirtschaft, dem Mittelstand, regelmäßig vors Schienbein getreten. Man tritt niemandem vors Schienbein, schon gar nicht seinem besten Pferd.

Sozial ist, was Arbeit schafft. Deshalb muss Wirtschaftspolitik in erster Linie Mittelstandspolitik sein, und gute Mittelstandspolitik ist auch immer beschäftigungswirksam und ausbildungswirksam.

Trotz schwieriger Haushaltslage ist der Grundstein für eine Trendwende in Nordrhein-Westfalen gelegt. Wir werden die wirtschaftlichen Kräfte in diesem Land von ihren rot-grünen Fesseln befreien. Dann entsteht Wachstum und Kraft. Die ersten Ergebnisse – Steuereinnahmen – können ja schon festgestellt werden.

Nochmals: Sozial ist, was Arbeit schafft. Nur wer selbst eine Perspektive für sich und seinen Betrieb sieht, der übernimmt Verantwortung für junge Menschen und bildet aus.

Ich appelliere an alle ausbildungsfähigen Betriebe: Bieten Sie in dieser gesellschaftlichen Situation noch mehr Ausbildungsplätze an! Setzen Sie auf Zukunft! Auch die mittelständischen Betriebe brauchen Vertrauen in die Zukunft. Das, meine Damen und Herren, hat mit Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit in der Politik zu tun. Die erhalten Sie nun von uns.

Zu Ihrem Antrag: Ihre Situationsbeschreibung ist noch einigermaßen okay, aber dann wiederholen Sie wie in den Jahren Ihrer Regierungszeit immer den gleichen Fehler: Sie ziehen einfach die falschen Schlüsse. Ihre Ideologie, Ihre Einstellungen führen zu einer Politik des Stillstandes.

Dank der Wählerinnen und Wähler und unserer Arbeit haben wir nun endlich einen ersten Silberstreif. Ja, wir müssen über viele Sachverhalte sprechen. Da haben Sie Recht. Solange Sie diese aber immer nur als Problem auffassen und nur beschreiben, wird sich in diesem Land nichts verändern.

Präsentieren Sie uns diskutable Lösungsansätze. Sie sehen Jugendarbeitslosigkeit als ein Problem. Wir sehen die Reduzierung und Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit als eine der wesentlichen gesellschaftlichen Aufgaben und als unsere Aufgabenstellung.

Beteiligen Sie sich konstruktiv an der Lösung! Wir packen es an, wir werden weitermachen. – Danke schön.

(Beifall von CDU und FDP – Barbara Stef- fens [GRÜNE]: Deswegen steigen die Zah- len ja auch!)

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Schmeltzer das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kern, ich habe Ihnen am Anfang sehr gerne und sehr aufmerksam zugehört, weil Sie eine zum Großteil treffliche Analyse dargestellt haben, wie sie auch aus dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hervorgeht. Sie haben viele Fragen gestellt und die Verantwortung nach Rot-Grün geschoben. Ich darf Sie noch einmal daran erinnern, falls es Ihnen entgangen sein sollte: Sie haben seit einem Jahr in diesem Hause, in dieser Regierung, in diesem Land Verantwortung, und dann müssen Sie sich an Erfolgen messen, und Sie müssen sich sagen lassen, dass es unter der Überschrift „Sozial ist, was Arbeit schafft“, Ihr Slogan, demnach definitiv unsozial ist, weil sich die Arbeitsplatzsituation verschlechtert hat und Sie mit Ihrem Slogan keine Arbeit geschaffen haben, sehr geehrter Herr Kern.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beschreibt die Situation der mit Ausbildung unversorgten jungen

Menschen in unserem Land sehr genau. Auch die amtlichen Statistiken zeigen, dass die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage auf dem nordrheinwestfälischen Ausbildungsmarkt immer größer wird. Ende April waren 3.775 Ausbildungsstellen weniger gemeldet als im Vorjahresmonat. Trotz aller Presseberichterstattung von den Kammern, die immer wieder darauf hingewiesen haben, dass es mehr Ausbildungsstellen gebe, bestätigen sich diese Daten definitiv nicht. Das Gegenteil ist der Fall.

Was sich allerdings bestätigt – und das ist in der Relation nicht erfreulich –, ist, dass den weniger werdenden Ausbildungsstellen immer mehr Bewerber gegenüberstehen.

Jugendliche – das ist gesagt worden und das kann man nur unterstreichen – haben ein Recht auf Ausbildung. Nur mit einer qualitativ hochwertigen Ausbildung ist eine dauerhafte gesellschaftliche Teilhabe möglich. Den Jugendlichen sollen von der Ausbildung bis zu einem möglichen Erwerb der fachgebundenen oder allgemeinen Hochschulreife die bestmöglichen persönlichen und beruflichen Entwicklungschancen angeboten werden.

Für die Unternehmen ist das Know-how ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein entscheidender, wenn nicht der entscheidende Wettbewerbsvorteil vor dem Hintergrund einer arbeitsteiligen und globalisierten Wirtschaftsstruktur.

Damit liegt die zentrale Verantwortung für ein ausreichendes Angebot an Ausbildungsplätzen bei den Unternehmen, weil sie neben den Jugendlichen den größten Nutzen von einer qualitativ wertvollen Ausbildung haben. Dieser Verantwortung werden die Unternehmen jedoch längst nicht immer gerecht, im Gegenteil: immer weniger.

So entsteht eine Unterversorgung, bei der Gesellschaft und Staat nicht tatenlos zuschauen können und dürfen. Obwohl es keine originäre staatliche Aufgabe ist, muss die öffentliche Hand dieses Marktversagen korrigieren; im Übrigen ein Ziel, das auch von Minister Laumann, zumindest von der Absicht her, so gewollt scheint. Das gilt es ihm nicht abzusprechen; und die Absicht glaube ich Ihnen tatsächlich auch, Herr Minister.

Aber: Wie sieht Ihre Praxis aus? Hannelore Kraft hat es gestern schon dargelegt. Es ist doch beschämend, dass Ihre Vorgänger Klinken geputzt haben „auf Deubel komm raus“, um neue zusätzliche Ausbildungsplätze einzuwerben – bei Ihnen ist das nicht der Fall –,

(Minister Karl Josef Laumann: Da sagen Sie aber was! – Zurufe von Walter Kern [CDU])

und Ihre Vorgänger haben das mit Erfolg getan.

(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)

Wir haben es Ihnen mehrfach bescheinigt, Herr Laumann: Das Werkstattjahr war von der Grundidee her eine gute Idee, aber unausgereift, unüberlegt und populistisch übereilt eingeführt, ohne vorherige Rückkopplung mit den Akteuren und – spätestens nach der Anhörung und nach diversen Gesprächen mit Leitern von Berufskollegs behaupte ich – auch ohne das fachliche Dazutun von Frau Sommer,

(Ute Schäfer [SPD]: Wo ist die überhaupt?)

denn wesentliche Kritikpunkte machen sich gerade an der berufsschulischen Beteiligung und deren Durchführung mangels qualitativer Vorarbeit fest.

Gut ist, dass die Anhörung für die Berufskollegs generell festgestellt hat, dass ein Sozialpädagogischer Dienst ohne Anrechnung auf den Stellenplan an allen Berufskollegs absolut notwendig ist. Hätten Sie sich nicht auf einen Schnellschuss mit positiver Pressewirkung eingelassen, hätten Sie heute mehr als nur knapp über 1.000 Plätze belegen können, was nicht annähernd den vollmundig avisierten 10.000, die Sie hier bei der Vorstellung des Werkstattjahres versprochen haben, entspricht.

Ein aus dem vorliegenden Antrag wesentlicher Punkt ist die Anerkennung von Kammerprüfungen bei vollzeitschulischen Berufsausbildungsgängen an den Berufskollegs. Die Reformierung des Berufsbildungsgesetzes lässt dies ausdrücklich zu. Aus Ihrem Munde, Herr Laumann, habe ich schon einmal gehört: Dies ist ein gutes Gesetz und ich wende es an. Guter Ansatz, nur: Wann lassen Sie den Worten Taten folgen?

Die in dem Antrag aufgeführten Bundesländer sind in der Phase, dieses Gesetz anzuwenden. Sie dagegen – das ist Ihre Anwendung – wollen erst einmal wieder ein Pilotprojekt starten. Nicht, dass wir uns an dieser Stelle falsch verstehen: Auch ein Pilotprojekt kann vor Ort Wirkung zeigen, und ich denke, auch dieses Pilotprojekt wird Wirkung zeigen. Aber: Wir müssen längst über diese „Piloten“ hinaus denken.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Die fortgeschrittene Zeit und die Ausbildungssituation lassen Experimente nicht mehr zu. Die Zeit der Pilotprojekte muss vorbei sein. Wenn Sie dazu stehen, dass das Gesetz ein gutes Gesetz ist, dass die Novellierung gut ist, dann setzen Sie sie – mit dem Landesausschuss für Berufsbildung – lan

desweit um. Herr Kern, die Möglichkeiten hierzu sind schon gegeben.

Beispiele, bei denen Sie sich zur Ausbildung geäußert haben, gibt es genug. Ich erinnere an das Versprechen der 1.000 Ausbildungsplätze in der Altenpflege, aus denen letztendlich Schulplätze geworden sind, denen kein echter Ausbildungsplatz gegenübersteht. Das war der Punkt, Herr Minister, an dem Sie sich bei der zweiten Lesung zum Haushalt so erregt haben. Ja, Herr Minister, ich wage es erneut, Sie an diesem Punkt zu kritisieren, weil Ihre wohlfeilen Worte der Ankündigung nicht mit den Tatsachen übereinstimmen, insbesondere, wenn ich der „Neuen Westfälischen“ vom 8. Mai entnehme, dass Sie bei der Altenpflegefachkräfteausbildung erst einmal genau hinschauen wollen, ob es für solche Kräfte überhaupt einen Arbeitsmarkt gibt. Das zeigt doch, dass Sie nicht nur diese Situation nicht wirklich erkennen, sondern sich auch auf viele zugegebenermaßen oftmals wahre Worte beschränken, aber die Taten nicht folgen lassen.

In der Debatte um den vorliegenden Antrag müssen Sie schon einmal erläutern, in welcher Weise sich die Landesregierung, in welcher Weise Sie sich, Herr Kern, in der Verantwortung für Ausbildungsplätze sehen, in welcher Weise sich Ihre intensive Einflussnahme bei den Unternehmen dokumentiert, um die Zahl der Ausbildungsplätze zu erhöhen. Es ist doch die Aufgabe der Landesregierung und in Person Ihre Aufgabe, Herr Minister, Antworten auf solche Fragen zu geben, Antworten, die nicht nur für einige Tage medienwirksam sind, sondern Antworten, die praktikabel in der Umsetzung zur Schaffung neuer zusätzlicher Ausbildungsplätze sind. – Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)