Protokoll der Sitzung vom 01.06.2006

Vielen Dank, Herr Kollege Kruse – auch, weil Sie mir das Husten just noch erspart haben. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD Herr Kollege Kutschaty das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Kooperation mit Schleusern, so

lautet die Überschrift des Antrags. Ich glaube, dass wir uns darin alle einig sind.

Aber was eigentlich selbstverständlich sein soll, ist in dem von Frau Kollegin Düker geschilderten Fall gerade nicht selbstverständlich gewesen, auch wenn damit die Praxis der Sammelanhörung nicht grundsätzlich infrage gestellt werden kann. In der Regel funktionieren diese Sammelanhörungen ja durchaus sauber und ordentlich. So bleibt dennoch in diesem Fall ein bitterer Nachgeschmack.

Wir müssen uns fragen: Wie konnte so etwas passieren? Was müssen wir insbesondere tun, um zukünftig zu verhindern, dass so etwas noch einmal passiert?

Zu einer umfassenden Analyse und Aufklärung werden wir sicherlich heute innerhalb der kurzen Redezeit nicht kommen können. Wir werden aber natürlich die Gelegenheit in den Ausschüssen nutzen, um die Sache noch einmal intensiver aufzuarbeiten. Insbesondere gilt es dabei, die handelnden Personen kritisch zu hinterfragen.

Eins bleibt allerdings festzustellen: Es bestehen durchaus Handlungsbedarf und die Notwendigkeit, verlässliche und rechtssichere Standards für Sammelanhörungen zu schaffen. Wir werden uns wohl oder übel die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit und Legitimation von Delegationen und Personen stellen müssen.

Ich möchte das Verfahren hier noch einmal verdeutlichen: Es geht darum festzustellen, aus welchem Land Menschen stammen, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind. Diese Überprüfung dient dazu, eine Abschiebung ins richtige Land vornehmen zu können. Die Tests und Überprüfungen zur Abschiebung und Staatsangehörigkeit werden von Repräsentanten gerade des Staates durchgeführt, aus dem die Leute geflohen sind. Speziell deshalb ist es natürlich besonders schwierig, weil wir uns bestimmt darin einig sind, dass es sich dabei – wie in diesem Fall – nicht immer unbedingt um Rechtsstaaten handelt.

Schaue ich mir an, was das Auswärtige Amt unter anderem zur Menschenrechtslage in Guinea schreibt: Die Menschenrechtslage weist gravierende Defizite auf, eine fehlende Unabhängigkeit der Justiz, Straflosigkeit bei Menschenrechtsübergriffen staatlicher Stellen, willkürliche Verhaftungen und Folterungen!

Unser Problem besteht daher darin, ob wir unserem eigenen rechtsstaatlichen Selbstverständnis gerecht werden, wenn wir die Mithilfe dubioser Personen billigend in Kauf nehmen, nur um Ab

schiebungen durchführen zu können? – Ich denke: Nein!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Die Anhörung in Dortmund ist nicht das einzige Beispiel, das belegt, dass einheitliche und verlässliche Standards und Verfahrensabläufe notwendig sind. Sammelanhörungen können ein legitimes Mittel sein, um Staatsangehörigkeitsfragen zu klären, sind aber nur dann legitim, wenn sie unseren rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen. Gerade vor dem Hintergrund unseres Rechtsverständnisses müssen wir uns im Vorfeld die Frage stellen, auf wen und mit wem wir uns einlassen.

Das eigentliche Ärgernis in diesem Zusammenhang ist allerdings, wie sich der Innenminister offensichtlich aus der Verantwortung stehlen will.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sehr geehrter Herr Minister Wolf, Sie verhalten sich so, als hätten Sie mit den gesamten Vorgängen rein gar nichts zu tun, sitzen als stiller Beobachter dabei und gucken und hoffen, anschließend den schwarzen Peter weiterschieben zu können. So scheint es auf jeden Fall im Augenblick zu sein.

Das Land führt die Abschiebungen aus. Also muss das Land auch für eine saubere Überprüfung von Flüchtlingen sorgen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Manchmal gibt es auch unangenehme Aufgaben zu erledigen. Manchmal, Herr Minister, muss man auch einmal von dem eben beschafften hohen Ross herabsteigen und sich mit nicht so leicht verdaulichen Fragen beschäftigen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Bei aller Lethargie, die im Innenministerium um sich greift: Wäre es von Ihnen zuviel verlangt gewesen, Herr Wolf, unverzüglich die Staatsanwaltschaft zu benachrichtigen und nicht erst zu warten? Frau Düker hat ausgeführt, die Anhaltspunkte seien offensichtlich gewesen. Man legt aber die Hände in den Schoß. Herr Kollege Kruse, Sie haben es auch gesagt und werden in der „WELT KOMPAKT“ zitiert: Die Staatsanwaltschaft muss ermitteln! – Ja, sie muss ermitteln, aber jetzt befinden wir uns in einem Stadium, in dem der maßgebliche Schlepper/Schleuser außer Landes ist. Die Strafverfolgung wird natürlich erheblich erschwert. Wie wollen wir das jetzt noch entscheidend hinbekommen? – Die passive Haltung des Innenministers trotz entsprechender Warnungen ist der weitere Skandal in dieser Angelegenheit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Herr Minister, auch wenn Sie sich nicht zuständig fühlen, sind Sie zumindest diesem Parlament eine Erklärung über das schuldig, was Sie unternommen haben, beziehungsweise das, was Ihr Haus nicht unternommen hat oder besser hätte unternehmen sollen, um zu einer schnelleren Aufklärung der schwerwiegenden Vorwürfe beizutragen. Ich erwarte von Ihnen zumindest jetzt gleich noch eine Stellungnahme. Ansonsten werden wir sicherlich noch in den Ausschüssen diesen Vorgang intensiv aufarbeiten können. Selbstverständlich stimmen wir der Überweisung zu. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kutschaty. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Kollege Engel das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schleuser und Menschenhändler müssen – das habe ich vorhin und im Laufe des Tages bei verschiedenen Debatten wiederholt ausgeführt – konsequent verfolgt und bestraft werden. Dies tun Polizei und Justiz auch mit aller Kraft.

Mit dem Sachverhalt, der in der Presse kursierte und Grundlage Ihres Antrags ist, Frau Düker, habe ich mich ausführlich beschäftigt. Der Sachverhalt war bereits Grundlage Ihrer Kleinen Anfrage 631. In seiner Antwort auf Ihre Kleine Anfrage hat Innenminister Wolf namens der Landesregierung detailliert den zugrunde liegenden Sachverhalt geschildert, hat die rechtlichen Voraussetzungen für Sammelanhörungen und die Zuständigkeiten für solche Sammelanhörungen aufgezeigt.

Zusammengefasst ergibt sich demnach nach meiner Einschätzung folgendes Bild: Die Mitglieder der Delegation aus Guinea sind mit einer offiziellen Verbalnote des guineischen Außenministeriums im üblichen diplomatischen Schriftverkehr der zuständigen zentralen Ausländerbehörde Dortmund genannt worden, welche über die Deutsche Botschaft in Conakry in Guinea sowie das Auswärtige Amt in Berlin zugestellt wurde.

Zu der Delegation gehörten jeweils zwei Bedienstete des guineischen Außenministeriums und zwei Bedienstete des guineischen Sicherheitsministeriums. Allein das jeweilige Herkunftsland war und ist befugt, über die Zusammensetzung der eigenen Delegation zu entscheiden.

Bei ihrer Ankunft in Deutschland haben sich die Mitglieder der Delegation bei ihrer guineischen Botschaft in Berlin vorgestellt und dort einen schriftlichen „Gesehen“-Vermerk auf ihre Missionspapiere erhalten.

Zu den in Dortmund durchgeführten Anhörungen selbst wurde Folgendes mitgeteilt: Bei den Anhörungen waren regelmäßig Bedienstete der Zentralen Ausländerbehörde Dortmund sowie ein Dolmetscher anwesend. Vertrauenspersonen der Betroffenen durften den Anhörungen beiwohnen. Die Passersatzpapiere wurden von den dazu innerstaatlich legitimierten Mitgliedern der Delegation ausgestellt.

Die bei der Vorführaktion in Dortmund ausgestellten Visa wurden von der Deutschen Botschaft in Conakry sorgfältig überprüft und nicht beanstandet.

Nach dem derzeitigen mir vorliegenden Erkenntnisstand hat die Dortmunder Behörde unter Wahrung des Völkerrechts, der diplomatischen Gepflogenheiten und der in Deutschland geltenden rechtsstaatlichen Grundsätze sowie in ausreichender Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt und der zuständigen Botschaft gehandelt.

Sofern die laufenden Untersuchungen ergeben, dass die gegen den Delegationsleiter der Sammelanhörung erhobenen Vorwürfe zutreffen, müssen daraus selbstredend Konsequenzen gezogen werden.

Natürlich kann es in einem Rechtsstaat nicht angehen, dass Flüchtlinge beziehungsweise Asylbewerber Personen vorgeführt werden, die in unrechtmäßigen Machenschaften verwickelt sind. Schleuser und Menschenhändler müssen konsequent verfolgt und bestraft werden. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Dortmund hat unlängst von den in der Öffentlichkeit erhobenen Vorwürfen gegen den Delegationsleiter Kenntnis erlangt und prüft derzeit, ob gegen ihn ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist. Dies liegt nicht – wie der Antrag fälschlicherweise darstellt – im Einflussbereich des Innenministeriums.

Unabhängig vom Ausgang der Ermittlungen gegen den Delegationsleiter ist die Entscheidung der zuständigen Ausländerbehörde, die von den Anhörungen betroffenen Ausländerinnen und Ausländer trotz der erhobenen Vorwürfe abzuschieben, nicht zu beanstanden.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist unglaub- lich!)

Leider reichen wirtschaftliche oder sonstige Interessen nach den einschlägigen Gesetzen nicht

aus, um einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung in Deutschland zu erlangen. Für die Betroffenen liegen rechtskräftige Entscheidungen vor, dass Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Aufenthaltsgesetz nicht bestehen und somit bei Rückkehr in das Heimatland insbesondere keine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

(Monika Düker [GRÜNE]: Identitätsfeststellung!)

Einem Rechtsstaat müssen Mittel zur Verfügung stehen, um Personen, die sich unrechtmäßig in Deutschland aufhalten und ihren Pass mit dem Ziel vernichtet haben, so eine Abschiebung zu verhindern, doch in ihr Herkunftsland zurückzuführen.

Von den 242 Betroffenen aus Nordrhein-Westfalen sind 70 % straffällig geworden und verursachen jährliche Kosten an Sozialleistungen in Höhe von knapp 1,5 Millionen €.

Vorführungen sind ein übliches und zulässiges Instrumentarium, die im Verhältnis zu einer Vielzahl von Herkunftsstaaten angewandt werden, um die Nationalität und Identität ausreisepflichtiger Ausländer festzustellen und eine erfolgreiche Rückführung durchzuführen.

Da wir davon ausgehen, dass die Verfahren nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten stattfinden und andernfalls die zuständigen Behörden wie die Staatsanwaltschaften einschreiten, sehen wir derzeit keinen Änderungsbedarf. Wir stimmen der Überweisung und der Diskussion im Fachausschuss zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von FDP und CDU – Monika Düker [GRÜNE]: Unglaublich! Das ist der Rechts- staat! So etwas nennt sich liberal!)

Vielen Dank, Herr Kollege Engel. – Als nächster Redner hat Herr Minister Dr. Wolf für die Landesregierung das Wort.

Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen basiert auf nicht bewiesenen Vorwürfen. Dem Innenministerium werden im Zusammenhang mit Sammelvorführungen von guineischen Staatsangehörigen bei der zentralen Ausländerbehörde Dortmund Versäumnisse vorgeworfen.

Meine Damen und Herren, die Vorwürfe gehen fehl. Es geht darum, in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren gesetzliche Ausreisepflichten konsequent und zügig durchzusetzen. Bei den von den Anhörungen betroffenen Ausländerinnen und Ausländern handelt es sich um abgelehnte

Asylbewerber, bei denen nicht zuletzt aufgrund ihrer eigenen Angaben davon auszugehen ist, dass sie aus Guinea stammen. Sie leben ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland. In allen Fällen ist rechtskräftig entschieden, dass Abschiebehindernisse im Sinne des § 60 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen. Daran vermögen alle Einschätzungen, die Sie hier vornehmen, nichts zu ändern.

Diese Personen haben trotz gesetzlicher Verpflichtungen Deutschland nicht freiwillig verlassen. Sie haben auch nicht an der Beschaffung von Identitätsnachweisen mitgewirkt.

(Zuruf von der CDU: Hört, hört!)