Protokoll der Sitzung vom 01.06.2006

Ich sage das in aller Ruhe; ich habe sehr ruhig zugehört. Mir sind allerdings drei Schreihälse aufgefallen, die mit Gebrüll die inhaltliche Leere ersetzen.

(Edgar Moron [SPD]: Herr Laumann war ei- ner davon!)

Das waren Frau Kraft, Frau Walsken und Herr Dr. Horstmann. Denen ist die Aktuelle Stunde so wichtig, dass sie schon gar nicht mehr da sind.

(Beifall von CDU und FDP – Edgar Moron [SPD]: Dann haben Sie eine begrenzte Wahrnehmung! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Bei Ihnen kann ja keiner schreien, da ist ja niemand! – Weitere Zurufe von der SPD – Unruhe)

Stellen Sie sich doch bitte einmal einen Moment vor – da nehmen wir die Frau Kraft als Beispiel –, Sie säßen als Eltern von ausbildungsfähigen Jugendlichen

(Hannelore Kraft [SPD]: Bin ich! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Bin ich, Frau Thoben!)

oder als Jugendlicher da oben. Was würden Sie von der Debatte halten, die hier abgelaufen ist? – Null!

(Beifall von CDU und FDP)

Deshalb: Wenn Ihnen das Thema ernst wäre, hätten Sie all die Punkte, die Karl-Josef Laumann hier vorgetragen hat, die wir tatsächlich machen,

(Anhaltende Unruhe – Glocke)

von denen wir uns etwas versprechen, hier ernsthaft besprechen können.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: So ernst wie der CDU-Fraktion, die nicht da ist! – Hannelore Kraft [SPD]: Ihre Fraktion nimmt das ja sehr ernst hier!)

Zweite Anmerkung: Ich war am Tag der Ausbildung bei der Arbeitsagentur Coesfeld. Dort fand ein Gespräch gemeinsam mit kommunalen Wirtschaftsförderern und Kammern statt. Aber da ging es um konkrete Schritte und nicht um Geschrei. Wenn nicht alles von dem, was wir dort besprochen haben, in die Zeitung gekommen ist, Frau Gebhard, dann habe ich das nicht zu vertreten.

(Zuruf von der SPD: Sie sollten besser noch einmal Herrn Laumann reden lassen!)

Aber vielleicht kann Ihnen Frau Beer die Informationen über Schulmüdigkeit, Abbrecher und sonstige Probleme einmal anreichen, damit Sie die Sachverhalte zur Kenntnis nehmen.

Wir wissen, dass das Schaffen von Ausbildungsplätzen, das Überwinden der Warteschleifen viele Schritte erfordert. Wir werden sie in Ruhe, aber nicht langsam gehen, sondern ordentlich, abgewogen und Schritt für Schritt für Schritt. Ich gebe gerne zu – da Sie mir ja unterstellen, dass ich, weil ich einmal bei einer Kammer gearbeitet habe, möglicherweise nicht über den Rand hinausblicke –: Auch mir liegt daran, dass wir mehr Unternehmen für die Ausbildung gewinnen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Dazu reichen a- ber keine Appelle! Handeln heißt es dann! Handeln!)

Das geht aber nicht mit Beschimpfen, sondern dann muss es heißen: gewinnen! – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen mir zurzeit nicht vor. Die großen Fraktionen hätten je noch einen Redebeitrag. – Dann schließe ich die Aktuelle Stunde.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir kommen zu:

2 Wirksame Maßnahmen gegen Zwangsverheiratungen ergreifen

Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 14/1985 – Neudruck

Ich eröffne die Beratung. – Als erste Rednerin hat für die CDU-Fraktion Frau Westerhorstmann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beraten heute den Antrag der Koalition der Erneuerung zum Thema Zwangsverheiratung. Dieser Antrag beschäftigt uns nun schon seit Monaten und ist mindestens ebenso lange Gegenstand einer öffentlichen Debatte.

Wir haben uns bereits im letzten Jahr mit diesem Phänomen beschäftigt. Schon in der vergangenen Legislaturperiode fand im Landtag eine Anhörung zu diesem wichtigen Thema statt. Im Ergebnis waren sich alle Fraktionen darüber einig, dass Zwangsverheiratung nicht zu tolerieren sei und dass Maßnahmen ergriffen werden müssten, um dieser modernen Form der Sklaverei ein Ende zu bereiten. Ein gemeinsamer Antrag kam entgegen aller Verabredungen indes nicht zustande. Mir

drängt sich der Verdacht auf, dass er von mancher Stelle vielleicht doch gar nicht so gewollt war,

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Stimmt! Von Ih- rer Fraktion!)

obwohl das von Ihnen immer wieder beteuert wurde.

(Helga Gießelmann [SPD]: Ja, Sie waren immer so fleißig!)

Ich und mit mir meine Fraktion bedauern dies, wäre es doch ein Signal gewesen, wenn man sich in diesem zentralen Thema hätte einigen und eine gemeinsame Initiative daraus hätte machen können. Aber eine Einigung um jeden Preis kann und wird es mit uns nicht geben, meine Damen und Herren von der Opposition. Wir lassen uns auch von Ihnen nicht den Takt diktieren, wenn es darum geht, die Meinung klar und deutlich zu sagen.

(Helga Gießelmann [SPD]: Dann muss man sich auch einmal zusammensetzen und darf den Treffen nicht fern bleiben, Frau Kolle- gin!)

Zwangsverheiratung ist eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte, die in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht hingenommen werden kann. Staat und Gesellschaft stehen daher in der Pflicht, von Zwangsheirat betroffene und bedrohte Frauen und Männer zu unterstützen und Zwangsverheiratung wirksam entgegenzuwirken.

Zwangsverheiratungen sind Ausdruck eines patriarchalen, traditionellen, häufig sogar noch stammesgebundenen Familienverständnisses, das Töchtern und Söhnen kein Recht auf Selbstbestimmung zugesteht.

Zwangsverheiratungen wirken damit integrationshemmend. Sie erschweren, dass Menschen unsere Gesetze und Werte akzeptieren und ihren Söhnen und Töchtern, Schwestern und Brüdern die Rechte zugestehen, die alle Menschen in unserer Gesellschaft genießen. In Deutschland sind überwiegend Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund von Zwangsverheiratung betroffen; zum Teil sind es aber eben auch junge Männer.

Insgesamt gibt es wenig verlässliche Daten über das Ausmaß von Zwangsverheiratungen in unserem Land. Eine Untersuchung in Berlin aus dem Jahre 2002 ergab eine Zahl von ca. 230 von Zwangsverheiratung bedrohten jungen Mädchen und Frauen. Die Dunkelziffer aber, meine Damen und Herren, dürfte um Vielfaches höher liegen. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum The

ma „Gewalt gegen Frauen in Deutschland“ hat jede zweite der hier lebenden Türkinnen angegeben, ihre Eltern hätten den Ehepartner für sie ausgesucht. Jede vierte hat angegeben, ihren Mann vor der Hochzeit nicht kennen gelernt zu haben.

Die Studien zeigen, dass es sich bei dem Phänomen der Zwangsheirat nicht um ein Einzelproblem handelt. Eine genaue Abgrenzung zwischen arrangierter Eheschließung und Zwangsheirat ist dabei schwierig. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Zwangsheiraten zum Teil als sogenannte arrangierte Ehen verharmlost werden.

Meine Damen und Herren, die Koalition der Erneuerung regt die Erarbeitung eines umfassenden Handlungskonzepts an, um den umfangreichen Ursachen von Zwangsheirat angemessen und wirksam begegnen zu können. In das 37. Strafrechtsänderungsgesetz vom 11. Februar 2005 wurde die Zwangsverheiratung als Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall der Nötigung aufgenommen. Das war ein wichtiger und richtiger erster Schritt, um Zwangsverheiratung strafrechtlich zu ahnden. Dem Unrechtsgehalt der Tat wird hierdurch jedoch nicht hinreichend Rechnung getragen.

Notwendig ist daher ein deutliches Signal, dass wir Zwangsverheiratung nicht dulden und ein entsprechendes Verhalten unmissverständlich als strafrechtliches Unrecht kennzeichnen. Damit treten wir der Fehlvorstellung entgegen, bei der Zwangsheirat handele es sich – zumindest teilweise – um eine tolerierte Tradition aus früheren Zeiten oder anderen Kulturen. Ein eigener Straftatbestand trägt dem schwerwiegenden Unrechtsgehalt der Zwangsverheiratung eher Rechnung und kann die unverkennbare Botschaft vermitteln, dass der Staat die mit einer Zwangsheirat verbundenen Eingriffe in die Rechte der Betroffenen mit dem schärfsten ihm zur Verfügung stehenden Mittel unterbinden will.

Wir wollen keine Kultur der falschen Toleranz. Da haben Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, mittlerweile auch einen Richtungswechsel vollzogen. Das entnehme ich zumindest Ihrem neuen Fraktionsbeschluss „Perspektive Staatsbürgerin und Staatsbürger“, welchen Sie erst vor zwei Tagen auf Bundesebene gefasst haben. Hier werden auch Anforderungen an die Migrantinnen und Migranten formuliert. So heißt es beispielsweise – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident –:

„Wer selbstbestimmt hier leben will, muss auch anderen Menschen das Grundrecht auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit zugestehen

und darf andere Menschen, insbesondere Frauen und Kinder, nicht daran hindern, sich sozial, politisch, religiös oder kulturell weiterzuentwickeln und sich gegebenenfalls auch aus dem Zusammenhang der eigenen sozialen beziehungsweise kulturellen Gruppe zu lösen.“

In der Vorbemerkung heißt es:

„Integration bedeutet Anstrengungen für Deutsche und Nichtdeutsche. Auf beiden Seiten ist die Bereitschaft zur Verständigung und zur Veränderung notwendig. Migrantinnen und Migranten betrifft dies allerdings in noch höherem Maße, da sie sich durch die Ankunft in einer neuen Gesellschaft größeren Veränderungen stellen müssen.“

Ich finde, dies ist eine wichtige Feststellung. Viel zu lange hat man in unserer Gesellschaft akzeptiert, dass sich der Staat in die Beziehungen von Familien mit Migrationshintergrund möglichst wenig einzumischen hat. Damit hat man die Opfer, überwiegend junge Frauen und Mädchen, mit ihren Problemen allein gelassen – mit fatalen Auswirkungen. Der Wunsch und das Bestreben nach einer multikulturellen Gesellschaft haben dazu geführt, dass sich zum Teil Parallelgesellschaften entwickelt haben, in denen andere Regeln und Normen gelten. Dieser Entwicklung müssen wir entgegentreten.

Wir brauchen gezielte Integrationsbemühungen und -maßnahmen, damit sich Menschen mit Zuwanderungsgeschichte als Teil unserer Gesellschaft fühlen und von ihr auch als solche akzeptiert werden. Das, meine Damen und Herren, kann nur dann gelingen, wenn die Menschen, die bei uns in Deutschland leben möchten, auch bereit sind, sich in unsere Rechts- und Gesellschaftsordnung einzufügen und das geltende Recht zu achten. Ich wünsche mir, dass junge Menschen in unserem Land nicht Opfer derartiger Menschenrechtsverletzungen werden.

Meine Damen und Herren, die Unterstützung der Bundesratsinitiative ist aber nur ein wichtiger Baustein unseres Antrags. Ebenso wichtig ist eine Verbesserung der Prävention und der Hilfsangebote für die Opfer. Hier setzen wir auf verschiedenen Ebenen an.

Wir wollen, dass die Öffentlichkeit besser informiert und für das Problem hinreichend sensibilisiert wird. Hier sind vor allem Betroffene oder von Zwangsheirat Bedrohte sowie deren Familien wichtige Adressaten. Wir dürfen die Familien nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.

(Beifall von Manfred Kuhmichel [CDU])

Aber es gilt auch, die Gesellschaft insgesamt für das Thema zu sensibilisieren und aufzuklären. Ziel muss dabei sein, nicht nur die Mädchen und die jungen Frauen zu erreichen, sondern auch die jungen Männer mit einzubinden. Sie sind die potenziellen Ehemänner und Väter und sollten zum Engagement gegen Zwangsheirat motiviert werden. Nur wenn beide Geschlechter erreicht werden und sich gegen derartige Menschenrechtsverletzungen zur Wehr setzen, kann Zwangsheirat wirksam unterbunden werden.