Protokoll der Sitzung vom 21.06.2006

Man sollte immer klar sagen: Will man in dieser Gesellschaft Maßregelvollzug verantwortlich durchführen, geht das nicht mit 100 %iger Sicherheit für die Bevölkerung. Eine solche 100 %ige Sicherheit ist nicht möglich. Dann kann man sich Maßregelvollzug als System, als Prinzip ganz sparen. Das wollen wir nicht.

Sicherheit ist ein ganz wichtiges Prinzip. Aber absolute Sicherheit gibt es in diesem Bereich nicht. Ganz im Gegenteil: Die Gefahr besteht, dass – darüber reden wir – die Menschen immer länger im Maßregelvollzug verweilen, weil der Sicherheitsanspruch der Bevölkerung und der Politik so stark geworden ist, dass Therapie dadurch erschwert worden ist. Auch darüber sollten wir hier im Parlament diskutieren, wenn wir den Maßregelvollzug weiterentwickeln wollen. Denn das waren Elemente, die den Maßregelvollzug in den letzten Jahren gehemmt haben.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Immer noch hemmen!)

Richtig und wichtig ist, dass wir angesichts des Schuldenstandes des Staatshaushalts in jedem Bereich überprüfen sollten – das hat Herr Burkert ausgeführt –, wie wir Strukturen effizienter gestalten können und wo wir Geld, das bisher ausgegeben wurde, effizienter einsetzen, wo wir Ausgaben kürzen können.

Dass die Landesregierung dazu Vorschläge macht, ist gut und richtig. Die drei Maßnahmen, die die Landesregierung vorgeschlagen hat, finde ich logisch und sinnvoll. Viele Praktiker haben sie über Jahre hinweg gefordert.

So gibt es im Maßregelvollzug zum Beispiel Menschen, die entweder über längere Zeit nicht therapiewillig sind oder nicht therapiefähig. Das wird von manchen Experten immer wieder bestritten. Sie verfolgen das hehre Ziel, alle Menschen verändern zu können, weil sie selbst sonst als Therapeuten meinen zu scheitern. Diese Menschen gibt es aber faktisch.

Es ist für das therapeutische Umfeld schon schädlich, wenn sich in einer Gruppe viele psychisch kranke Menschen verändern und die Therapie machen wollen, während zwei oder drei in der Gruppe das Ganze stören und hemmen.

Es gibt das Prinzip, diese nach einer gewissen Zeit in Long-Stay-Bereichen zu separieren, wenn man die Situation verantwortbar beurteilen kann. Das ist besser für diejenigen, die keine Therapie wollen und nicht therapiefähig sind. Es ist eine Belastung für diese Menschen, wenn andere sie immer wieder zum Mitmachen auffordern, während sie den Sinn gar nicht verstehen oder nicht mitmachen wollen.

Und die Menschen, die sich im Rahmen von Therapie weiterentwickeln wollen, werden von diesem Personenkreis natürlich auch gehemmt.

Deshalb sollte dieses Prinzip, das im Moment in Düren und Eickelborn getestet wird, positiv begleitet werden. Ich glaube, es ist eine Weiterentwicklung für den Maßregelvollzug.

Des Weiteren wird der Nachteinschluss vorgeschlagen. Das ist therapeutisch natürlich nicht unbedingt wirkungsvoll. Es ist aber sicherlich eine Maßnahme, durch die man in bestimmten Bereichen verantwortungsvoll Personal reduzieren und zu Einsparungen kommen kann.

Der dritte Bereich betrifft suchtkranke Menschen, die erst in den Strafvollzug kommen sollen und danach eine Therapie absolvieren. Das macht fachlich schon Sinn.

(Frank Sichau [SPD]: Fachlich Sinn? Das darf doch nicht wahr sein!)

Ich würde Ihnen das gerne erklären.

(Frank Sichau [SPD]: Das erklären Sie sich mal selber!)

Ich bin schon ein Mensch, der sich mit psychisch kranken Menschen und darunter auch mit solchen, die Straftaten begangen haben, auskennt. Sie können mir gerne Fragen stellen. Wir können miteinander diskutieren. Aber diese Anmaßung aus der letzten Reihe finde ich in dieser Form unangebracht.

(Beifall von FDP und CDU)

Herr Dr. Romberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sichau, mit dem Sie gerade einen Dialog führen?

Er hat ja schon etwas eingeworfen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Aber Sie hatten doch die Frage angeboten!)

Ich wollte ihm das jetzt erst einmal erklären.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Also erst anbieten und dann ablehnen!)

Also nein. Gut.

Wenn er nach meiner Erklärung noch eine Frage hat, kann er sie dann stellen.

In der JVA gehören Drogen zum Alltagsgeschäft. Ein Mensch, der gerade eine Therapie absolviert hat und eigentlich suchtfrei leben will, wird zwangsläufig rückfällig, wenn er für längere Zeit in ein solches Umfeld gesteckt wird. Wichtig ist, dass er nach der Therapie in eine Nachsorgeeinrichtung kommt und ambulant weiter therapiert wird. Es kann doch nicht sein, dass er dann für ein oder zwei Jahre in den Knast wandert, wo Drogen zum Alltagsgeschäft gehören und der Mitbewohner in der Zelle tagtäglich Drogen konsumiert.

Es ist schon sinnvoll. Es ist nicht so, dass ein akut Süchtiger, also ein entzügiger Mensch, in den Strafvollzug kommt. Es wird von Ärzten vorab verantwortungsvoll auf Haftfähigkeit geprüft. Liegt keine Haftfähigkeit vor, wird vorher ausreichend stationär behandelt. Es wird schon verantwortungsvoll damit umgegangen.

Zusammengefasst sollten wir überlegen, welche Maßnahmen wir gemeinsam ergreifen können, um den Maßregelvollzug weiterzuentwickeln. Wir können nicht die finanziellen Mittel steigern. Wir sollten die Finanzmittel des Landes effizient einsetzen. Ich biete ein gemeinsames Vorgehen an. Trotz der emotionalen Beteiligung und der Unsicherheit, die dieses Thema mit sich bringt, sollten wir das gemeinsam versuchen. – Danke sehr.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Romberg. – Für die Landesregierung spricht

Herr Minister Laumann. Sie haben das Wort, Herr Minister.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Bischoff hat hier richtig dargestellt, dass die Sozialdemokratin Frau Veldhues in der letzten Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales sagte, man solle versuchen, in dieser Frage beim Parteienkonsens zu bleiben. Dazu bekenne ich mich ausdrücklich. Ich freue mich auch darüber.

Ich sage Ihnen aber auch: Zu diesem Konsens und zum Vertrauen in der Frage des Maßregelvollzuges gehört für mich als Minister eine Transparenz über die Kostenstrukturen.

(Beifall von der CDU)

Wenn ich zahle, muss ich wissen, wofür, was und an welchem Ort ich zahle.

(Zuruf von der SPD: Das hatten wir bisher auch!)

Es ist gut, wenn Sie das hatten. Ich kann Ihnen nur antworten: Ich empfinde es nicht so, als hätten wir hier Transparenz. Die von uns in letzter Zeit vorgenommenen Begehungen belegen dies auch. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist, dass ich natürlich auch mit Ihrer Fraktion gerne einen Konsens in dieser Frage hätte, Frau Kollegin Steffens. Auf der Grundlage des Antrags, den Sie einen Tag vor der Ausschusssitzung gestellt haben …

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Nee!)

Sicher.

Auf Grundlage dieses Antrags bekommen Sie mit mir keinen Konsens. Dieser Antrag bedeutet:

Erstens. Die Landesregierung soll unverzüglich damit beginnen, in großem Stil neue Maßregelvollzugskliniken zu planen.

Zweitens. Die Landesregierung soll auf alle Kürzungen im Maßregelvollzug verzichten.

Drittens. Alles, was die Landesregierung plant, um die Kosten im Maßregelvollzug zu senken, ist falsch.

Das sind die grundsätzlichen Aussagen, wie ich Ihren Antrag verstehe. Aber so verstehe ich meinen Job im Maßregelvollzug zurzeit nicht.

Selbstverständlich müssen wir sehen, dass wir einen vernünftigen, sicheren und effektiven Maßregelvollzug in Nordrhein-Westfalen gestalten.

(Beifall von der CDU)

Jetzt nenne ich Ihnen Punkte, bei denen wir uns sicherlich einig sind.

Erstens. Ich habe immer gesagt, dass diese 470 neuen Plätze konsequent umgesetzt werden müssen. Ich meine die 470 Plätze, für die die alte Landesregierung Standorte durchgesetzt hat. Bei einzelnen Standorten liegen wir noch vor Gericht im Streit. Jeder weiß, wie schwer es ist, so etwas gegenüber Kommunen oder Bürgerinitiativen durchzusetzen.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen zurzeit 2.260 Maßregelvollzugspatienten. Davon sind rund 450 Patienten in Allgemeinpsychiatrien untergebracht. Insgesamt verfügt Nordrhein-Westfalen derzeit über 1.470 Maßregelvollzugsplätze.

Ich glaube, die entscheidende Herausforderung ist nicht die Frage, wie wir möglichst viele Plätze bekommen, um den Patientenzuwachs im Maßregelvollzug zu bedienen. Die entscheidende Herausforderung lautet: Wie schaffen wir es, diesen Trend zu stoppen oder zumindest zu dämpfen, dass wir jedes Jahr 4 % oder 5 % mehr Patienten haben?

Darauf liefert der Antrag der Grünen nur eine einzige Antwort, nämlich das Klischee, nur durch mehr Geld und mehr Therapie sei dies zu erreichen. Dieses steht zumindest im Vergleich zu anderen Bundesländern auf sehr schwachen Füßen. Es gibt Flächenstaaten in Deutschland, bei denen die Kosten für den Maßregelvollzug pro Tag und pro Kopf niedriger liegen als in NordrheinWestfalen. Gleichzeitig ist die Verweildauer dort niedriger als in Nordrhein-Westfalen.