Wer Arbeit hat, muss künftig für immer mehr Ältere sorgen. Während heute 100 erwerbstätige Menschen für 44 Rentner und Rentnerinnen aufkommen, werden im Jahre 2050 100 Erwerbstätige bereits für 80 Rentnerinnen und Rentner sorgen müssen. Bis dahin wird sich gleichzeitig auch die Zahl der Hochbetagten verdreifacht haben. Und es fehlen die Kinder, die die Kunden und Konsumenten von morgen wären. Keine Kinder – das bedeutet für uns doch: keine Käufer von Autos, keine Mieter, keine Käufer von Wohnraum, keine Touristen, keine Gastronomiekunden, keine Theaterbesucher.
Angesichts dieser Umbrüche in der Gesellschaft wird, wie ich denke, das Handeln unter Zugrundelegung generationsübergreifender Gedanken immer wichtiger. Weniger, älter, bunter – dieser viel zitierte Dreiklang drückt wohl deutlich aus: Die Bevölkerungszahl nimmt ab, die Lebenserwartung steigt, und die Quote der Mitbürger und Mitbürgerinnen mit Migrationshintergrund steigt ebenfalls.
Darum: Kommunen brauchen ein umfassendes Konzept, das viele Bereiche miteinander verzahnt: die Verkehrsinfrastruktur, Gesundheit, Altenhilfe ebenso wie Wohnen und Bauen, Bildung und Erziehung. Hier darf jetzt nicht die schnelle Entscheidung im Vordergrund stehen, sondern es gilt, die Entwicklung vernünftiger und solider Lösungsansätze zu finden.
Aber, meine Damen und Herren, wir sollten den demographischen Wandel auch als Chance für innovative Ansätze betrachten. Gerade vor dem Hintergrund der schwierigen Finanzlage im kommunalen Sektor sollten auch interkommunale Kooperationen erwogen werden, um hier Kosten zu reduzieren und Ressourcen optimal auszulasten.
Die demographischen Veränderungen bedeuten somit erhebliche Anforderungen an unsere Gesellschaft. Wir müssen uns alle von langjährigen bequemen Denkstrukturen verabschieden, damit wir die Chancen der Entwicklung nutzen. Gerade im Alter zieht es immer mehr Menschen zurück in die Stadt. Die medizinische Versorgungsstruktur, Einkaufsmöglichkeiten im Wohnumfeld, das kulturelle Angebot – es ist oft alles näher und attraktiver als auf dem Lande und entspricht somit häufiger den Bedürfnissen der älteren Generation, deren Mobilität im Alter zurückgeht.
Immer häufiger wird über ehrenamtliches, freiwilliges und bürgerschaftliches Engagement für Senioren und Seniorinnen diskutiert. Wir reden gleichzeitig auch über längere Arbeitszeiten und späteren Renteneintritt. Ganz klar muss hier aber sein:
Alte Menschen sollen tätig sein, wenn sie es wollen. Alte Menschen haben es sich aber auch verdient, sich keinem Arbeits- und Leistungsdruck mehr aussetzen zu müssen.
Jetzt rücken andere Qualitäten in den Lebensmittelpunkt, von denen auch die Jüngeren profitieren können: Ruhe, Muße, Gelassenheit, Bedächtigkeit und vor allen Dingen ihre Erfahrungen. Ältere Menschen in Deutschland haben in ihrem Leben viel geleistet, und dafür verdienen sie unsere Anerkennung, unseren Dank und unseren Respekt.
Ich denke, wir brauchen einen neuen Begriff des Altwerdens als Grundstein der Solidarität zwischen den Generationen. Es geht hier nicht nur um seniorengerechte Stadtplanung mit Dingen wie breiteren Gehwegen, rutschfesten Straßenbelägen, besserer Beleuchtung und langen Ampelgrünphasen. Es geht hier auch nicht nur um Senioren und Seniorinnen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind und auf Hilfe und Pflege angewiesen sind. Was wir hier für Nordrhein-Westfalen vielmehr brauchen, sind innovative Ideen und Konzepte, die das Miteinander der Generationen sowohl in den ländlichen Gemeinden als auch in den Städten ermöglichen.
Das magische Datum in der ganzen Diskussion um den demographischen Wandel ist 2050, und damit erscheint es uns ja oft noch so weit weg. Selbst die Jüngeren unter uns sind dann schon längst im Rentenalter. Aber, meine Damen und Herren, tragfähige Konzepte und strukturelle Umwandlungen dauern etwas, bis sie in der Praxis ihre Wirkung zeigen.
Wir haben lange genug Prognosen und Zahlenspiele ignoriert. Wir müssen handeln. Wir müssen uns jetzt den Herausforderungen des demographischen Wandels stellen und ihn dann aktiv mitgestalten. Hierzu gehört für uns der Aufbau einer barrierefreien Infrastruktur, hierzu gehören generationsübergreifende Wohnformen und Begegnungsstätten sowie vielfältige Projekte, die Solidarität und Miteinander zwischen den Generationen fördern.
Vielen Dank. – Für die zweite antragstellende Fraktion, nämlich die FDP-Fraktion, hat Herr Abgeordneter Lindner das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion um die Auswirkungen des demographischen Wandels wird bisher hauptsächlich aus gesamtstaatlicher Sicht im Zusammenhang mit der Zukunft der sozialen Sicherungssysteme geführt. Aber unmittelbare Auswirkungen der demographischen Entwicklungen werden sich vor allem auf kommunaler Ebene zeigen, und sie verlangen dort nach Lösungen.
Die alternde Gesellschaft, schrumpfende Bevölkerungs- und vor allem Kinderzahlen, immer mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind die typisch sichtbaren Zeichen des demographischen Wandels, die sich allerdings vor Ort in unterschiedlicher Intensität und Ausprägung zeigen. So sehen wir schon jetzt in Nordrhein-Westfalen starke regionale Unterschiede: Während das Ruhrgebiet schrumpft, die Jungen abwandern und Alte zurückbleiben, ist das benachbarte Münsterland zu einer Wachstumsregion geworden.
Die Bertelsmann-Stiftung hat mit ihrem Wegweiser „Demographischer Wandel“ ein beachtliches Analyseinstrument zur Selbstevaluierung der Kommunen entwickelt. In meiner Heimatstadt Wermelskirchen findet gerade ein breit angelegter Workshop-Prozess zum demographischen Wandel statt. Da wird in die Zukunft geschaut. Entscheidungsträger können sich mit diesem Analyseinstrumentarium ein Bild der absehbaren demographischen Veränderungen machen und darauf aufbauend wirksame Handlungsstrategien entwickeln.
Mit dem hier von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Antrag wollen wir die Kommunen bei der Entwicklung von Lösungen weiter unterstützen, indem wir Best-Practice-Modelle in einem landesweiten Wettbewerb auszeichnen, sie anderen Kommunen zugänglich machen und damit Anregungen für die Bewältigung von Problemen vor Ort geben. Es geht dabei um eine erste Bestandsaufnahme, mithin um die Anregung der Diskussion vor Ort und die Anerkennung der Leistungen der Kommunen, die bereits vorbildliche und zukunftsweisende Ansätze entwickelt haben.
Da sich der demographische Wandel auf nahezu alle Lebensbereiche auswirkt, wollen wir insbesondere ressortfachbereichsübergreifende Ansätze auszeichnen und publizieren. Die zentralen Handlungsfelder sind dabei:
Erstens. Eine auf die spezifischen Bedürfnisse der unterschiedlichen Generationen zugeschnittene Infrastruktur. Dazu gehört unter anderem der Bereich der Verkehrsinfrastruktur genauso wie das
Zweitens. 83 % der Bürgerinnen und Bürger sehen laut einer Forsa-Umfrage aus dem Mai des Jahres 2003 in der Förderung von Familien eine Möglichkeit, die Folgen des demographischen Wandels abzumildern. Ein kinder- und familienfreundliches Klima kann also zum Wettbewerbsvorteil auch von Kommunen werden.
Das haben eine Reihe von nordrhein-westfälischen Städten und Gemeinden im Übrigen bereits erkannt. So hat etwa Neuss entschieden – ich weiß nicht, ob der Kollege Sahnen, dessen Initiative sich das auch mit verdankt, gerade im Plenum ist –, den Kindergartenbesuch zukünftig gebührenfrei zu gestalten. Auch die Gemeinde Laar im Münsterland geht mit gutem Beispiel voran
Investitionen in Kinderbetreuung und Ganztagsschulen haben zu einem Anstieg der Geburten- und Einwohnerzahlen geführt. Wenn Kommunen entsprechende Spielräume besitzen und dann auch die Prioritäten anders setzen, kann das seitens der Landespolitik fraglos nur begrüßt werden.
Drittens. Das Zusammenleben der Generationen ist zu fördern. Dazu gehören Mehrgenerationenhäuser oder Projekte wie „Wohnen für Hilfe“, bei dem insbesondere Studenten oder Auszubildende ihre Miete in Form von Dienstleistungsstunden gegenüber älteren Mitbewohnern erbringen. Aber auch Nachbarschaftscafés oder die neuen Familienzentren können den Dialog zwischen Jung und Alt befördern.
Ich will in diesem Zusammenhang eine neue Anregung einbringen. Wir stehen auf der einen Seite vor der Situation, dass wir etwa im Bereich der offenen Jugendarbeit fachliche Weiterentwicklungen forcieren wollen. Wir sehen auf der anderen Seite, dass die Bundesregierung Mehrgenerationenhäuser, offenen Nachbarschaftstreffs nach niedersächsischem Vorbild mit insgesamt 88 Millionen € fördern will. Meine Anregung ist – ich habe das vor einiger Zeit in der „Rheinischen Post“ und in anderen Medien schon einmal öffentlich gemacht –,
dass wir darüber nachdenken, wie wir aus unseren 2.400 offenen Jugendeinrichtungen in NordrheinWestfalen Nachbarschaftstreffs und damit pädagogische und räumliche Ressourcen im Stadtteil entwickeln können.
Viertens. Die Potenziale der sogenannten jungen Alten für die Weiterentwicklung der Stadtgesellschaft müssen wir nutzen. Neben der Steigerung der Erwerbstätigkeit der über 50-Jährigen zählt dazu eine Verstärkung beruflicher Weiterbildungsmaßnahmen. Hier hat die Landesregierung mit der Einführung des Bildungsschecks erste beachtliche Schritte eingeleitet. Darüber hinaus setzen wir auf den Ausbau und die Förderung des ehrenamtlichen Engagements, um wertvolle Erfahrungen der älteren Mitbürger zu nutzen, etwa im Bereich der Kinderbetreuung, der Hausaufgabenhilfe, als Integrationshelfer; vieles mehr ist da denkbar.
Fünftens. Die Integration von Migranten ist voranzutreiben. Aufgrund der Zunahme dieses Personenkreises, mithin von Menschen, die eine Zuwanderungsgeschichte haben, müssen vor Ort Strukturen geschaffen werden, diese in die Stadtgesellschaft zu integrieren. Das kann nicht nur durch Repräsentanz in Ausländerbeiräten geschehen. Es geht auch darum, ihre Talente zu nutzen, Mehrsprachigkeit zu nutzen. Das setzt gleichberechtigte Bildungschancen voraus. Neben den landesseitigen Rahmenbedingungen – ich nenne Familienzentren, die Ausweitung der vorschulischen Sprachförderung, die Einrichtung von 100 Ganztagshauptschulen, die Qualitätsoffensive in der offenen Ganztagsschule – sind dort auch zusätzliche Anstrengungen von kommunaler Seite willkommen, die meist gemeinschaftlich mit Kirchen, gemeinnützigen Verbänden und privaten Stiftungen realisiert werden können. Ich will etwa das Nachhilfeprojekt an der Universität Essen würdigen, das neben Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds durch die Alfried-KruppStiftung, durch die Hertie-Stiftung und andere unterstützt wird.
Sechstens. Die Zusammenarbeit einzelner Kommunen und die Kooperation mit dem privaten Sektor sind zu fördern. Durch die Abnahme der Einwohnerzahlen werden die kommunalen Haushalte weiter belastet: zurückgehende Landeszuweisungen, Einkommensteueranteile etc. Freiwillige Leistungen wie Sport- und Kulturangebote werden nicht überall allein mit kommunalen Mitteln aufrechterhalten werden können. Daher ist langfristig die Einbindung von privatem Kapital unumgänglich. Das Modell der Bürgerstiftung hat in Nordrhein-Westfalen ja Konjunktur. Aber auch der Zu
sammenschluss mehrerer Kommunen, um gemeinsame Angebote aufrechterhalten zu können, ist unterstützenswert und ein Ziel des Gesetzgebers mit Blick auf die anstehende Novelle der Gemeindeordnung. Ich glaube, das darf man jetzt schon sagen.
Siebtens. Das ist mein persönliches Steckenpferd: Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist auszubauen. Ich freue mich, dass Bündnis 90/Die Grünen diesem Aspekt in ihrem Antrag auch Raum gewidmet und erkannt haben, dass es sich dabei nicht um eine Good-Will-Politik handelt. Im Jahr 2002 haben sie einen entsprechenden Antrag meiner Fraktion zur Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Gemeinde noch abgelehnt, auch eine weitere Initiative danach. Jetzt erkennen sie die Notwendigkeit, junge Menschen in politische Entscheidungen einzubinden, um damit bürgerschaftliches Engagement wie politische Bildung voranzutreiben.
Ich freue mich über die Gelegenheit, im Ausschuss über dieses komplexe Feld des demographischen Wandels mit Ihnen in einen Dialog einzutreten. Ich bin mir sicher, dass allein die Debatte, die wir hier führen, das Land bereichern und Anregungen im Land geben wird. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Die dritte Fraktion im Bunde der Antragstellerinnen – allerdings mit einem eigenen Antrag –
ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Abgeordneter Asch das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der Tat – der Vizepräsident hat es gerade gesagt – ein interessantes Zusammentreffen von zwei Antragsinitiativen. Erstens haben wir den Antrag meiner Fraktion zum Zusammenleben der Generationen. Zweitens liegt der Antrag der Koalition vor. Ich möchte nicht wieder wie beim letzten Mal das Wort von der Unterkomplexität bemühen, obwohl es dann vielleicht hängen bleibt, Herr Minister, wenn Sie es zum zweiten Mal hören. Aber ich glaube, wenn man beide Anträge nebeneinander legt, dann sieht man doch sehr deutliche Qualitätsunterschiede, auf die ich später noch eingehen will.
dass wir uns als Politik den Herausforderungen des demographischen Wandels zu stellen und darauf zu reagieren haben. Denn in der Tat wird unsere Gesellschaft immer älter. Die Zahl der betagten und hoch betagten Menschen in unserem Land wird in den nächsten Jahren deutlich ansteigen. Ich meine aber, statt daraus Horrorszenarien zu entwickeln, wie das manchmal in den Medien mit Stichworten wie Altenschwemme etc. gemacht wird, sollten wir sehen, dass es im Grunde für uns alle etwas sehr Positives ist, länger zu leben, im Alter deutlich gesünder zu sein und beschwerdefreier zu leben und unser Alter aktiv zu gestalten. Wir sollten die Chancen, die sich daraus ergeben, nutzen und gestalten. Denn sie müssen entwickelt und gestaltet werden, und wir als Politik müssen dazu die Grundlage legen.
Meine Damen und Herren, der demographische Wandel stellt vor allen Dingen die Kommunen vor große Herausforderungen; denn damit ist in vielen Städten und Kreisen ein Rückgang der Bevölkerungszahlen verbunden. Es stellen sich insbesondere folgende Fragen:
Welche Anforderungen müssen in der Zukunft an eine örtliche Infrastruktur gestellt werden, damit vor allen Dingen Isolation und Entmischung entgegengewirkt wird?
Wie kann das Zusammenleben der verschiedenen Generationen im Quartier gestaltet beziehungsweise organisiert werden? Wo finden zukünftig Jugendliche und Kinder ihren Platz, wenn sie dann in der Minderheit sind?
Wir müssen die Frage stellen, wie die zugewanderten Menschen mit Migrationshintergrund besser integriert werden können, wie die Versorgungsinfrastruktur und die Zugänge zu sozialen Angeboten weiterhin erhalten bleiben und auf neue Anforderungen hin ausgerichtet werden können.
Das heißt, meine Damen und Herren: Notwendig ist eine gestaltende Generationenpolitik, in der sich Kinder und Jugendliche, Familien und andere Lebensgemeinschaften, ältere und behinderte Menschen gleichermaßen wiederfinden. Wir brauchen neue Strategien, um neue Wohn- und Versorgungsformen zu entwickeln, die tatsächlich alle Generationen und Zielgruppen einbeziehen; denn es geht zentral um die Verbesserung der Lebensqualität für alte Menschen, Familien, Kinder und Jugendliche.