Protokoll der Sitzung vom 21.06.2006

Lassen Sie mich eines deutlich sagen: Verbesserungen sind nicht nur über eine Strukturdebatte zu erzielen. Da stimme ich Ihnen zu. – Wenn man die Ziele erreichen will, die uns Pisa vorgegeben hat, ist es aber mit Sicherheit grundlegend falsch, eine Strukturdebatte auszublenden. Man muss die Probleme unseres Schulsystems mit großer Offenheit diskutieren. Sie haben die Strukturdebatte ausgeblendet. Sie sind ideologisch an diese Fragestellungen herangegangen, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Der Kollege von der CDU hat eben so schön unsere Internetseite vorgelesen. Das scheint hier zum Sport zu werden. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Ja, die SPD hat in diesem Land 39 Jahre lang mitregiert.

(Zuruf von der CDU: Das merkt man!)

Ich sage an jeder Stelle deutlich und öffentlich: Wir haben nicht alles in diesem Land richtig gemacht.

(Demonstrativer Beifall von CDU und FDP)

Wir haben auch in der Schulpolitik nicht alles richtig gemacht. Aber wir wissen, welche Aufgaben sich uns stellen. Wir führen die Debatten mit den Experten.

(Beifall von der SPD)

Wir hören ihnen zu. Wenn wir die Debatten abgeschlossen haben, werden wir mit unseren Vorstellungen kommen. Unsere Vorstellungen werden sich maßgeblich von Ihren unterscheiden. Das

kann ich Ihnen heute schon sagen. Wir blenden auch die Strukturdebatte nicht aus.

(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])

Die Experten sagen nicht ohne Grund, dass uns ein Festhalten an diesen Strukturen nicht weiterbringt. Ich nehme nur einen Punkt heraus, der das unterstreicht: Sie können nicht auf der einen Seite allen Ernstes das Einschulungsalter heruntersetzen und damit auf der anderen Seite die Kinder noch früher selektieren. – Das macht doch überhaupt keinen Sinn.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Es begreift doch jeder Mensch, dass man das in dem Alter noch nicht kann.

Ich sage aber noch eines deutlich: Wenn wir auch nicht alles immer richtig gemacht haben, so haben wir doch viele Dinge richtig angestoßen: die sprachliche Frühförderung, offene Ganztagsgrundschulen, der Einstieg in die selbstständige Schule. – All das waren richtige Mittel und Wege. Wir waren auf dem Weg. Wir waren noch nicht fertig. Das ist richtig. Aber wir waren auf einem Weg. Wir haben gelernt.

Sie haben sich in dieser Debatte eindeutig als nicht lernfähig und als ideologisch verblendet präsentiert. Das ist die Zusammenfassung der Debatte, die ich heute ziehen kann.

(Anhaltender Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kraft. – Nächster Redner ist der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Herr Abgeordneter Stahl.

(Zuruf von der SPD: Textbausteine dabei?)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, es tut gut, zu hören, dass wir in diesem Hause offensichtlich gar nicht so weit auseinander liegen, was die Ziele angeht, wohin sich Schule entwickeln müsste.

Gleichzeitig mussten wir gemeinsam feststellen, dass die Ziele, über die wir in diesem Hause einig sein sollten, seit vielen Jahren in NordrheinWestfalen nicht mehr erreicht werden. Sämtliche Lernstandserhebungen – ob die Pisa-Studie oder nationale Studien – beweisen uns, dass wir in Nordrhein-Westfalen enormen Nachholbedarf haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir sind nach allen Lernstandserhebungen allenfalls Mittelmaß. Der Ministerpräsident hat es angedeutet.

Was die soziale Gerechtigkeit unseres Schulsystems angeht, haben wir festzustellen, dass wir in Nordrhein-Westfalen unter Ihrer Regierungsverantwortung mit einer Massivität gegen die Gerechtigkeit verstoßen, die nicht verantwortbar ist.

(Beifall von CDU und FDP)

Soziale Selektion war über viele Jahre hinweg Kennzeichen des Bildungssystems in NordrheinWestfalen.

(Beifall von CDU und FDP)

Frau Kraft, es ist eine Lebenslüge der nordrheinwestfälischen Sozialdemokratie, dass Sie mit Ihren Methoden, mit Ihren Instrumenten in der Lage seien, soziale Gerechtigkeit im Bildungswissen herzustellen. Das ist eine Lebenslüge.

(Beifall von CDU und FDP)

Diese Lebenslüge halte ich Ihnen vor.

Solange ich in der Bildungspolitik unterwegs bin, seit Mitte der 70er-Jahre, höre ich das Leitbild des Arbeiterkindes, dem es endlich gelingen muss, in die Hochschule zu kommen. Am Ende Ihrer Regierungszeit stellen wir gemeinsam fest, dass die Quote derer, die aus Arbeiterfamilien an unsere Hochschulen kommen, so niedrig war wie nie zuvor, niedriger als 1975.

(Beifall von CDU und GRÜNEN)

Diese Lebenslüge lassen wir nicht durchgehen. Die Menschen waren und sind unzufrieden mit unserem Bildungssystem in Nordrhein-Westfalen. Jährlich – wir haben das bis 2005 erhoben – wurden über 150 Millionen € von Eltern für Nachhilfeunterricht ausgegeben, um das auszugleichen, was die Schule bisher versäumt hat.

Frau Kraft, wir stellen gemeinsam mit der Landesregierung bereits im ersten Jahr unserer Regierungsverantwortung in Nordrhein-Westfalen 1.000 zusätzliche Lehrerstellen zur Verfügung, um dem Mangel bei der Unterrichtsversorgung in Nordrhein-Westfalen entgegenzuwirken.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Die Leute sind unzufrieden mit Ihrer Schulpolitik!)

Wir bleiben bei unserem Versprechen: Wir werden am Ende dieser Legislaturperiode die Unterrichtsversorgung in diesem Land so verbessert haben, dass unsere Kinder, dass die Jugendlichen wieder die Chance haben, an das Leis

tungsniveau anderer, im Augenblick weit vor uns liegender Bundesländer anzuknüpfen.

(Beifall von CDU und FDP)

Den Feldversuch, den Sie uns mit dem Schulversuch vorwerfen, den haben Sie über 39 Jahre in Nordrhein-Westfalen praktiziert – zum Leidwesen unserer Kinder und zulasten unserer Zukunft.

(Beifall von CDU und FDP)

Weil Sie jetzt so unschuldig tun und uns vorwerfen, dass wir die Schuldebatte nicht führen wollten – aus Gründen, die vielfach dargelegt worden sind –, dann, werte Frau Schäfer, erinnere ich Sie daran, dass Sie am 10. März 2005, also vor einem Jahr, die Schulstrukturdebatte noch weit von sich gewiesen haben. Herr Präsident, ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis.

„Ich wiederhole mich gerne“

so Frau Schäfer als Ministerin –,

„Änderungen der Schulstrukturen stehen für mich nicht auf der Tagesordnung.“

Das wurde alles von Ihnen erklärt. Das sollten die Leute doch glauben. Jetzt wollen Sie genau diese Schulstrukturdebatte mit uns führen, weil Ihnen zu den Inhalten und zu Ihrer eigenen Verantwortung nichts anderes einfällt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, wir als CDU-Fraktion beenden heute eine Etappe einer sehr langen Diskussion, die wir miteinander geführt haben. Wir haben das hinter uns, was Sie noch vor sich haben. Wir haben über viele Jahre konsequent und ernsthaft in der Partei, insbesondere auch in unserer Fraktion, mit unseren Petersberger Beschlüssen und anderen Beschlüssen daran gearbeitet, wo der Weg hingehen soll. Wir haben den Menschen im Wahlkampf genau dieses erklärt.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Sie wissen ganz genau, dass das anders war!)

Genau dies tun wir heute aus Überzeugung. Wir laden alle ein, die Lehrerinnen und Lehrer, die Eltern, die Mitglieder in den Räten unserer Kommunen und natürlich auch die Schülerinnen und Schüler, jetzt einen Ruck durch das Land gehen zu lassen, damit wir in wenigen Jahren da sind, wo andere vor uns sind, nämlich die süddeutschen Länder mit einem gegliederten Schulsystem. Wir wollen die beste Schule für unsere Kinder. Wir sind überzeugt: Wir erreichen sie mit diesem Gesetz, für das wir heute hier die Hand he

ben, das wir aus voller Überzeugung verabschieden.

(Lebhafter Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Stahl. – Nun ist Frau Abgeordnete Löhrmann, Fraktionsvorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, an der Reihe. Frau Löhrmann, Sie haben das Wort.