Protokoll der Sitzung vom 30.08.2006

Innenminister Wolf, der nicht anwesend ist, hat gesagt, die kommunale Finanzlage – wie aufs Stichwort kommt er herein; den ersten Teil Ihrer Aufträge können Sie bei Herrn Linssen abrufen –, sei angespannt. Das ist in der Tat richtig. Er hat dies belegt mit 12 Milliarden Schulden für die Kommunen.

Bedauerlicherweise betragen die Gesamtschulden der Kommunen in Nordrhein-Westfalen 35,4 Milliarden €. Das, was Herr Wolf zitiert hat, sind nur die Kassenkredite. Herr Wolf, wenn Sie nachlesen wollen, empfehle ich einen Blick in Ihr eigenes GFG. Auf Seite 53 ist noch einmal der Schuldenstand der nordrhein-westfälischen Gemeinden aufgelistet. Ich empfehle Ihnen: Lassen Sie Ihre Rede überarbeiten!

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Michael Vesper)

Um dabei zu bleiben, wie flexibel der Umgang mit Zahlen und der Wahrheit in diesem Haushalt ist, Herrn Dr. Linssen, haben Sie angeführt, die originäre Verbundmasse steige um 0,8 %. Sie sinkt

um 0,8 %, nachzulesen, Herr Linssen, auf Seite 57 des GFG von 2007.

Herr Linssen, kann es sein, dass Sie ein Problem haben mit plus und minus? Bei uns ist darüber schon einmal ein Kanzlerkandidat gestolpert. Ich hoffe nicht, dass über diesen eklatanten Fehler ein Finanzminister aus Nordrhein-Westfalen stolpert.

Wir bleiben bei dem Thema flexibler Umgang mit Zahlen und Wahrheit. Der Finanzminister sagt: Die Zuwendungen an die Kommunen steigen um 0,8 %, der Innenminister nennt 10,6 %. Das ist eine Differenz, die zumindest erklärungsbedürftig ist, meine Damen und Herren.

(Minister Dr. Helmut Linssen: Lieber Herr Jäger, hier steht doch alles drin, und sagen Sie nicht so etwas!)

Lieber Herr Kollege Linssen, wie bitte?

(Minister Dr. Helmut Linssen: Das ist Tobak! Das wissen Sie doch genau!)

Herrn Linssen, schauen Sie mal unter die Rubrik originäre Verbundmasse. Da müssen Sie einmal nachschauen. Das ist das, was Sie zitiert haben.

Da es gewisse Diskrepanzen in der Darlegung zwischen Ihnen, Herrn Wolf, und unserem geschätzten pastoralen Ministerpräsidenten gibt, der gerade in der Debatte erklärt hat, das Land gäbe 820 Millionen € mehr für die Kommunen, müssen wir die Zahlen ein wenig beleuchten.

Wichtig ist: Die originäre Verbundmasse des Jahres 2006 beträgt 6,642 Milliarden €. Die originäre Verbundmasse, Herr Linssen, für das Jahr 2007 beträgt 6,591 Milliarden € – mithin 51 Millionen € weniger, also minus 0,8 %.

Der geschätzte Innenminister sagt: Davon ziehe ich ganz geschickt Kreditierungen der Vorjahre ab, vermindere dadurch die Verbundmasse in der Betrachtung des Vorjahres und sage: Tatsächlich steigt sie um 10,6 %. – Das ist so, als würde er in die Kassen der Kommunen im Jahre 2006 greifen, deren Zuwendungen also kürzen, um ein Jahr später zu sagen: Sie sind marginal gestiegen. Also können die Kommunen auch zur Haushaltskonsolidierung des Landes herbeigezogen werden. – Das, meine Damen und Herren, ist eine große Diskrepanz zwischen Wahrheit und Klarheit in einer Haushaltsführung.

(Beifall von der SPD)

Meine Kollegin Kraft hat gesagt, Kollege Linssen würde auf einem Pippi-Langstrumpf-Niveau rech

nen. Ich möchte den Innenminister davon ausdrücklich ausnehmen. Es wäre gegenüber Pippi Langstrumpf nicht gerecht, so wie der Innenminister rechnet. Um es genau zu sagen: Der große Wolf rechnet wie der „Kleine Onkel“, wie das Pferd von Pippi Langstrumpf.

Meine Damen und Herren, diese Landesregierung sagt, sie würde – wenn der Ministerpräsident zitiert werden darf – für die Kommunen in der Größenordnung von über 800 Millionen etwas tun. Der Innenminister sagt: Wir tun mehr. Wir legen 10,6 Millionen € drauf. Der Finanzminister sagt plus 0,8 %. Und das in einer Zeit, in der die Rücknahme bei der Erstattung nicht eingenommener Elternbeiträge bei den Kommunen mit 85 Millionen € zu Buche schlägt, in der die Kommunen mit 94 Millionen € zusätzlich an der Krankenhausfinanzierung beteiligt werden, in der den Kommunen 18 Millionen € bei den Weiterbildungsmitteln gestrichen werden, 3 Millionen bei den Altlasten, 54 Millionen im Gemeindefinanzierungsgesetz, wie gerade von mir dargestellt. Sie streichen 162 Millionen € bei der Grunderwerbsteuer, noch einmal 18 Millionen beim sozialen Wohnungsbau und noch einmal 18 Millionen beim Flüchtlingsaufnahmegesetz.

Und da stellen Sie sich hier hin und sagen, die Kommunen bekämen mehr Geld. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ein äußerst flexibler Umgang mit Zahlen und der Wahrheit.

Ich sage im Gegenteil: Das, was hier vorgelegt wird, ist gegenüber den Kommunen verantwortungslos, weil sie gezwungen sein werden, im Leistungsbereich zu reduzieren, was wiederum die Schwächsten in unserer Gesellschaft treffen wird, insbesondere die Kinder und Jugendlichen.

Das, was Sie hier, Herr Dr. Wolf, als GFG vorlegen, ist etwas, was ein brutalst kommunalfeindlicher Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen tun kann.

(Beifall von der SPD)

Das hat das Land Nordrhein-Westfalen, das haben die 396 Kommunen Nordrhein-Westfalens bisher in dieser Form noch nicht erlebt.

Was allerdings ein Ausblick sein könnte, ist die Tatsache, dass in der anstehenden Unternehmensreform auch eine Modernisierung der Gewerbesteuer geplant ist. Herr Abgeordneter Palmen, ich bin gespannt, wie die CDU-Fraktion und wie Sie, Herr Innenminister Dr. Wolf, als FDPAbgeordneter zu der Frage stehen, ob eine solche Reform und Modernisierung

(Zuruf von Manfred Palmen [CDU])

der Gewerbesteuer mit dem Ziel einer Verbreiterung der Einnahmesituation durch Hinzuziehung von Freiberuflern erfolgen muss. Es ist kaum erklärbar, dass der Handwerker im Erdgeschoss Gewerbesteuer bezahlen muss und der Rechtsanwalt mit seiner Rechtsanwaltskanzlei darüber nicht. Es ist nicht zu erklären, dass Sie einer solchen Modernisierung der Gewerbesteuer zustimmen. Wir hatten im Jahre 2004 die Gelegenheit zur Reform. Herr Palmen, Herr Wolf, das haben Sie aus Nordrhein-Westfalen heraus mit verhindert. Jetzt haben Sie bei der Unternehmenssteuerreform die Chance, die alten Fehler zu revidieren und das zu tun, wofür Sie eigentlich gewählt worden sind, nämlich die 396 Kommunen in Nordrhein-Westfalen so auszustatten, dass sie den Menschen in diesem Land eine kommunale Infrastruktur bieten können, die auch den Namen verdient. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Nächster Redner ist der Abgeordnete Lux für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wäre in meinem Beitrag eigentlich gerne auf die alternativen Vorstellungen der SPD zum GFG eingegangen. Allerdings – das zieht sich wie ein roter Faden durch den heutigen Tag – gibt es keine alternativen Vorstellungen der SPD. Diese sind Sie wieder einmal schuldig geblieben, Herr Jäger. Außer ein bisschen besserwisserisches Getue, wie Zahlen zu lesen seien, haben Sie nichts gebracht. Das hat eher deutlich gemacht, dass Sie die unterschiedlichen Ansätze nicht voneinander unterscheiden können, und das spricht dann gegen Sie und nicht gegen die Verfasser dieser Aussagen.

Lassen Sie mich zu dem eigentlichen Thema kommen, nämlich zu der Finanzsituation unserer Städte und Gemeinden. Ich denke, es ist heute sehr deutlich geworden, dass die Finanzsituationen von Bund, Ländern und Gemeinden – von allen Gebietskörperschaften – nach wie vor sehr angespannt und zum Teil sogar dramatisch sind. Uns allen ist klar – ich hoffe, Ihnen auch –, dass man allein durch Wirtschaftswachstum und steigende Steuereinnahmen dieses Manko in den öffentlichen Haushalten nicht in den Griff bekommt.

Notwendig sind vielmehr – da ist bei Ihnen immer Fehlanzeige – Eingriffe in die Strukturen. Der Herr Finanzminister hat heute sehr deutlich gemacht, dass die Haushaltssituation ohne strukturelle Veränderungen nicht in den Griff zu bekommen ist.

Nur noch einmal zur Erinnerung: Weshalb sind denn Eingriffe in die Haushaltsstruktur erforderlich? Weshalb müssen wir uns hier Gedanken über die Konsolidierung von öffentlichen Haushalten machen? – Wenn wir dies nicht tun, sind wir sehr schnell wieder in der Situation, in der Sie uns das Land im letzten Mai übergegeben haben, nämlich in einer Situation, in der die Haushalte strukturell riesige Defizite aufweisen würden, das strukturelle Defizit 6 bis 7 Milliarden € pro Jahr betragen würde und wir insgesamt über 110 Milliarden € Schulden hätten.

Wenn man den Begriff Nachhaltigkeit einigermaßen ernst nimmt, dann muss man eine Menge an Anstrengungen unternehmen, um diese Struktur der öffentlichen Haushalte wieder in Ordnung zu bringen. Das bedeutet – auch darauf ist mehrfach hingewiesen worden –, dass wir Leistungskürzungen des Staates durchführen müssen. Wir können unsere Haushaltsdefizite nicht mit mehr Leistungen zurückfahren. Das geht nicht.

Dann stellt sich die spannende Frage – und da sind wir beim GFG –, ob denn die Kommunen ihren Beitrag zu dieser Haushaltskonsolidierung, die wir hier in Nordrhein-Westfalen durchführen müssen, leisten können und müssen. Da sage ich: Das sind die Fehler, die wir aus der Vergangenheit übernommen haben, und die Folgen aus diesen Fehlern sind, dass wir die Kommunen nicht freistellen können. Es stellt sich nur die Frage – darüber müssen wir uns in den nächsten Monaten sehr intensiv unterhalten –, ob die Balance der Belastungen, die der Finanzminister heute Morgen angesprochen hat, gewahrt und immer durchgehalten wird.

Natürlich ist es so, dass in diesem Jahr ein entschieden größerer Auszahlungsbetrag an die Kommunen ausgeschüttet wird als im vergangenen Jahr. Es wird mehr Geld an die Kommunen ausgeschüttet.

(Zuruf von Ralf Jäger [SPD])

Denn im vergangenen Jahr stand nicht der gesamte Ausschüttungsbetrag für die Kommunen zur Verfügung, Herr Jäger. Vielmehr hatten die Kommunen die Kreditierungen zurückzuzahlen. Sie können sich ja mal Gedanken darüber machen, aus welcher Zeit diese Kreditierungen stammen.

Deswegen ist der Betrag, der tatsächlich bei den Kommunen ankommt, im Jahr 2007 höher. Aber das liegt nicht daran – um hier keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen –, dass das Land den Kommunen gegenüber diesem Jahr besonders großzügig ist und mehr Geld ausschüttet,

sondern daran, dass wir im letzten Jahr eine völlig atypische Situation hatten, in der die Kommunen mit den Altkreditierungen belastet waren.

Deswegen werden wir uns in den nächsten Wochen und Monaten darüber unterhalten müssen, wie denn diese Belastungen für die Kommunen ausfallen.

Lassen Sie mich zunächst einmal feststellen:

Erstens: Die Umstellung bei der Berechnung der Referenzperiode für die Ermittlung der Verbundmasse wirkt sich für die Gemeinden sehr positiv aus. Wir merken doch schon jetzt, dass wir dieses System der Kreditierungen nicht mehr haben, sondern dass die Kommunen in Zukunft wissen und bei der Verabschiedung des Landeshaushalts wissen werden, wie viele Mittel ihnen aus dem GFG zur Verfügung stehen. Da gibt es dann keine Abrechnungen mehr in den Folgejahren. Das ist für die Planbarkeit städtischer Haushalte von großer Bedeutung.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Zweitens: Auch die Tatsache, dass über 85 % der kommunalen Verbundmasse als Schlüsselzuweisungen an die Kommunen gehen, ist außerordentlich positiv. Denn das sind freie Verfügungsmassen für die Kommunen. Das bedeutet die versprochene größere Selbstständigkeit und Selbstverantwortung in den Kommunen; dazu stehen wir.

Drittens: Auch dass der kommunale Anteil an der originären Verbundmasse mit 23 % erhalten bleibt, ist sehr positiv festzustellen und wird von uns mit getragen.

Nun kommen einige kritische Fragen, und Sie haben sie eben schon erwähnt: Es stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang die Kommune dieses Herausfallen des Viersiebtelanteils an der Grunderwerbsteuer verkraften kann. Wir werden das in den nächsten Monaten beobachten, und wir werden auch gucken, wie das mit den Belastungen ist, die den Kommunen zusätzlich durch die Krankenhausfinanzierung und Weiterbildung etc. entstehen werden; die Punkte sind angesprochen worden.

Wir werden schauen müssen – das sage ich hier sehr kritisch –, wie wir den Kommunen auf Dauer verlässlich sagen können, welche Mittel ihnen aus der Verbundmasse zur Verfügung stehen. Wir möchten nämlich keine zusätzlichen Befrachtungen. Wir möchten vor allen Dingen, dass die Belastungen der Kommunen durch die Kosten der Unterbringung mit berücksichtigt werden. Da – das sage ich mit Blick auf Herrn Jäger – haben wir

vielleicht gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, damit der Bund seinen Verpflichtungen gegenüber den Kommunen nachkommt, um diese Riesenbelastungen der Kommunen, die da entstehen – auf Bundesebene liegt die Diskussionsbreite, dessen, was auf die Kommunen zukommt, zwischen 2 und 5 Milliarden € – für die Kommunen tragbar zu gestalten.

Zusammenfassend möchte ich hier sagen, dass wir grundsätzlich der Meinung sind, dass dieses GFG besser als seine Vorgänger ist; denn es ist verlässlicher.

Auf Dauer müssen wir es jedoch hinbekommen, dass in den Folgejahren die Belastungen für die Kommunen beziehungsweise die Einnahmen der Kommunen aus den Gemeinschaftssteuern verlässlich dargestellt werden und es nicht von Jahr zu Jahr zu neuen Belastungen kommt.

(Beifall von CDU und FDP)