Meine Vermutung ist, Sie werden in dieser Debatte nicht vorkommen. Dafür sind Sie viel zu unbedeutend geworden.
Wenn die Worte „soziale Gerechtigkeit“ und „Solidarität“ auftauchen, kann man bei Sozialdemokraten immer folgenden Reflex beobachten: Sie rufen sofort: „Hier!“ – Wenn sie auf einmal feststellen, dass es nicht einer von ihnen war, der die Worte in den Mund genommen hat, dann kommt der zweite Reflex. Das ist der Entrüstungsreflex. Der Entrüstungsreflex sagt: Es kann nicht sein, was nicht sein darf; es darf nicht sein, was nicht sein kann.
Sie meinen, eine Deutungshoheit über die Begriffe „soziale Gerechtigkeit“ und „Solidarität“ zu haben. Der Rest ist dann geistlose Routine.
Sie knicken ein Papier in der Mitte durch und schreiben auf die linke Seite Haushaltspositionen. Wenn Sie dann ein Minus feststellen, stellen Sie ein Weniger an sozialer Gerechtigkeit fest. Dann machen Sie einen Strich darunter und schreiben: Eine Kürzung des Haushaltsansatzes um 10 % bedeutet 10 % weniger soziale Gerechtigkeit.
Dann ist es auch ganz einfach, was daraus folgt. Daraus folgt die Forderung nach mehr. Dann freuen Sie sich: Udo Lindenberg singt für Sie und
Günter Grass macht für Sie Wahlkampf. Das ist Ihre Welt, das ist Ihr Stil. Diese Welt ist längst untergegangen. Diese Welt hat so nie existiert.
dann hätte unser schönes Bundesland bis zum 21. Mai 2005 das gerechteste und solidarischste Bundesland in ganz Deutschland und darüber hinaus sein müssen.
Sie werden es nicht verstehen. Deshalb sind Sie auch abgewählt worden. Sie werden nicht verstehen, dass Sie uns gewaltige Gerechtigkeitslücken hinterlassen und die Grundwerte der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit brutal verletzt haben.
Sie haben eine unglaubliche Staatsverschuldung aufgehäuft insbesondere mit der Begründung, dass diese neuen Schulden dazu dienen sollen, Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Über die ganze Zeitachse hinweg ist das nachweisbar. Sie haben also unter dem Vorzeichen von sozialer Gerechtigkeit und Solidarität Milliarden verbrannt, ohne den Menschen, ohne den Langzeitarbeitslosen tatsächlich zu helfen. Denn unser Land ist nach wie vor das Land mit der höchsten Quote an Langzeitarbeitslosen unter den Flächenländern dieser Republik.
(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmelt- zer [SPD]: Wo war Ihr Handeln gegen Ar- beitslosigkeit, das Sie versprochen haben?)
Schauen wir uns einmal die Bildungspolitik an. Jeder von uns weiß, dass es Kinder sogenannter bildungsferner Schichten, dass es Migrantenkinder, wenn ich das einmal so verkürzt sagen darf, unter allen Flächenländern in der Bundesrepublik Deutschland am schwersten in NordrheinWestfalen haben. Das nenne ich einen Verstoß
(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmelt- zer [SPD]: Gucken Sie in Ihr Schulgesetz, da haben Sie einen Grund, sich zu schämen!)
Wir haben in Nordrhein-Westfalen die zweitniedrigste Erwerbsquote bei den Frauen und die geringste Betreuungsquote bei den unter Dreijährigen. Das ist Ihre Verantwortung. Das haben Sie zu vertreten.
Diese und viele andere Verstöße gegen soziale Gerechtigkeit, gegen Solidarität mildern wir ab, lösen wir auf. Dies braucht jedoch einen langen Atem. Richtig ist: Dabei werden wir uns der Kritik stellen. Es ist eine Aufgabe, eine Pflicht der Opposition, Kritik zu üben. Schlimm finde ich allerdings, dass Sie sich aus dem Wettbewerb um die besseren Ideen für unser Land ausgeklinkt haben, dass Sie sich stattdessen Ihre Mütchen an Steinbrück, Riester, Ulla Schmidt kühlen und dabei völlig vergessen, sich einen Kompass zu erarbeiten, den Sie brauchen, um Kritik vorzutragen, die ernst genommen werden kann. Sie haben noch einen langen Weg vor sich, inhaltlich in der Debatte um unser Land auf Augenhöhe mit uns zu gelangen.
Ich frage Sie: Wo ist Ihr Kompass? Der Kollege Horstmann hat angemahnt, selbigen zu entwickeln, hat sein Fehlen über viele Jahre festgestellt. Was passiert? – Der Kollege Farthmann, ehemaliges, langjähriges Mitglied und anerkannter Mensch im Landtag, sagt: Mein Gott, die arme Frau Kraft, man hat ja nichts, was man verkaufen kann. Was soll Sie verkaufen? – Auch Clement, ebenfalls kein Unbekannter hier im Landtag und gerade bei Ihnen, sagt: Die haben schlicht die Folgen der Globalisierung verschlafen. – Ich habe manchmal den Eindruck, wir übernehmen mit unserer Debatte Ihren Part. Wir diskutieren sozusagen stellvertretend für Sie mit und Sie laufen kläffend hinterher.
Wenn wir das tun, dann wird uns manchmal der Vorwurf entgegengebracht, dass wir auf dem Weg in die Sozialdemokratisierung seien. Dagegen sind wir nun wirklich als nordrhein-westfälische CDU gefeit. Unser Kompass ist klar: Unser Kompass ist der der sozialen Marktwirtschaft. Unser Kompass sind Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Diese sind miteinander verknüpft. Das ist Teil unserer Identität als Fraktion, als ChristlichDemokratische Union Deutschlands in unserem schönen Land Nordrhein-Westfalen.
Das spiegelt sich wider in unserer Politik, dass alles ineinandergreift. Wir haben beispielsweise Studiengebühren eingeführt. Das war kein einfacher Weg für uns. Wir mussten es tun, weil es gar keine andere Möglichkeit gab, die Studienbedingungen an unseren Hochschulen zu verbessern.
Das zu organisieren ist ebenfalls ein Teil sozialer Gerechtigkeit. Ferner haben wir dafür Sorge getragen, dass jeder unter den Kriterien sozialer Gerechtigkeit studieren kann, dass keiner auf dem Weg in die Hochschule verloren gehen muss.
Sie wissen, wir sind für den Ausstieg aus dem subventionierten Steinkohlenbergbau, aber wir sind auch dafür, dass dies sozialverträglich geschieht.
Des Weiteren sind wir für die Einführung eines Kombilohns, gerade für Menschen, deren Qualifikation oftmals nicht ausreicht und ausreichen kann, um auf dem ersten Arbeitsmarkt dauerhaft Fuß zu fassen.
Wir haben also keinen Nachholbedarf. Die Beispiele sind nicht erschöpfend; ich könnte noch viele nennen. Für uns gehören wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit ganz eng zusammen.
Wir haben Konsequenzen daraus gezogen, dass eine Politik gescheitert ist, die den Versuch unternahm, Brüderlichkeit auf den Staat zu transferieren. Sie ist gescheitert, weil dadurch der Sozialstaat kalt geworden ist, weil die Brüderlichkeit kein Gesicht mehr hat.
Wir haben daraus Konsequenzen gezogen und werden es weiterhin tun, dass Freiheit nicht darin besteht, individualistische Ungebundenheit zu le
ben und das Risiko daraus auf den Staat zu transferieren. Wir werden und wollen dahin kommen zu sagen, Freiheit in Verantwortung, und wir wollen Antwort auf die Frage „Freiheit, wozu?“ geben. Die Freiheit „zu“ ist genauso wesentlich wie die Freiheit „von“. Das sind die Erkenntnisse, die wir aus einer langen Diskussion gezogen haben, die wir in unsere Partei weiter tragen werden und die wir mit Ihnen weiter diskutieren werden. Das ist die Basis einer modernen Politik, eines modernen Politikverständnisses für Bürger, für Kinder, für unser Land.
Jetzt komme ich zu meinem zweiten Grundgedanken. Haushalte sind in Zahlen geronnene Politik, wie wir alle wissen. Wir reden heute bekanntermaßen über den Haushalt 2007 und die mittelfristige Finanzplanung bis 2010. Frau Kraft, Sie haben es als sinnvoll erachtet, vor dem Verfassungsgericht den Nachtragshaushalt des Jahres 2005 zu beklagen. Das war kein Akt politischer Klugheit und ist ein Mangel an Professionalität.
Warum? – Weil Ihre Schuldenpolitik gegen alle Grundwerte verstoßen hat, weil sie unmoralisch war und ist.