Protokoll der Sitzung vom 13.09.2006

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Daseinsfürsorge!)

Entschuldigung, das sind Arbeitnehmer, die nach unserer Auffassung identische Schutzrechte haben, nicht unterschiedliche!

(Beifall von CDU und FDP)

Eine letzte Anmerkung: Der 7. Familienbericht der Bundesregierung aus dem Jahre 2006 führt aus:

„So ist die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten, die keineswegs als familienfreundliche Maßnahme verstanden wurde, sondern immer wieder nur unter Gesichtspunkten des ökonomischen Gewinns/Verlustes der Ladenbetreiber diskutiert werden, eine nicht unwichtige familienfördernde Chance.“

Das steht im Familienbericht der Bundesregierung.

„So ist die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten, die keineswegs als familienfreundliche Maßnahme verstanden wurde, sondern immer wieder nur unter Gesichtspunkten des ökonomischen Gewinns/Verlustes der Ladenbetreiber diskutiert werden, eine nicht unwichtige familienförderliche Chance,“

das steht im Familienbericht der Bundesregierung –

„das Familienleben berufstätiger Väter und Mütter zu entstressen, auch das des Verkaufspersonals, das sich bei starren Öffnungszeiten so

wohl als Dienstleister als auch als Kunde zugleich arrangieren muss.“

Also: Das sind mehrere Seiten einer Medaille. Da ich am Ende der Debatte noch einmal dran bin, mache ich jetzt Schluss.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Frau Ministerin Thoben. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Schmeltzer.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tatsächlich bin ich in den Augen der Ministerin keiner der Hauptprotagonisten, der hinter der Wirklichkeit herhinkt. Das heißt für mich, dass ich in der Wirklichkeit stehe, wenngleich ich mich schon gewundert habe, wie Sie Redner definieren: als „Art“ der Redner, die die Opposition hier aufstellt. Das halte ich, um das gleich vorwegzunehmen, für eine Anmaßung.

(Beifall von der SPD)

Voranstellen will ich auch: Der vorgelegte Gesetzentwurf ist nicht so gut, wie Sie glauben, Frau Ministerin. Ein solches Gesetz wird keinen wirtschaftlichen Effekt haben. Es ist verbraucherfeindlich, es ist arbeitnehmerfeindlich.

(Heiterkeit von Dr. Stefan Romberg [FDP] und Dietmar Brockes [FDP])

Es ist auch schädlich für die kleinen und mittleren Einzelhandelsbetriebe. Wenn Sie auf Schnelligkeit abzielen, Frau Ministerin, so ist Schnelligkeit absolut kein Garant für Qualität. Das hat Ihre Koalitionsvereinbarung schon einmal gezeigt.

Die Fußballweltmeisterschaft in diesem Jahr in Deutschland stand unter dem Motto „Zu Gast bei Freunden“. Deutschland und die austragenden Städte haben sich in jeder Hinsicht von ihrer besten Seite gezeigt, und alle Beteiligten haben bewiesen, dass wir nicht nur ein Motto hatten, sondern in Deutschland und Nordrhein-Westfalen wunderbare Gastgeber waren.

Auch der Einzelhandel zeigte sich von seiner besten Seite. Für die vielen Gäste wurden sogar die Ladenöffnungszeiten gelockert. Resultat: Wer WM-bezogene Waren im Angebot hatte, wie zum Beispiel Bier, Buletten oder Breitbildschirmgeräte, konnte mit dem Umsatz sehr zufrieden sein. Man hatte extra für die WM einen Warenkorb zur Ermittlung des Umsatzes während der WM zusammengestellt und hat für diesen Warenkorb tat

sächlich ein Plus gegenüber dem Vorjahr verzeichnen können.

Der klassische Einzelhandel hingegen – über den reden wir heute – sieht das ganz anders. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen dies. Das Gesamtgeschäft in diesem Zeitraum war nicht besser. Berücksichtigt man die Fanartikelbranche und den hohen Bierumsatz, war der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr sogar rückläufig. Der Westdeutsche Rundfunk berichtete sehr eindrucksvoll über die leeren Geschäfte in der Dortmunder Innenstadt, aber nicht über die Tage, an denen die deutsche Fußballnationalmannschaft die Straßen leerte.

Die Landesregierung macht sich mit diesem Gesetzentwurf mal wieder einen schlanken Fuß. Sie regeln die Möglichkeiten zur generellen Öffnung an Werktagen. Zu Sonn- und Feiertagen komme ich später noch. Sie legen die Umsetzung in die Verantwortung von Handel und Kommunen. Bei Protesten, Verfehlungen, Missständen zeigen Sie dann mit dem Finger auf andere, denen Sie die Verantwortung übertragen haben. Aber denken Sie daran, dabei sind immer vier Finger auf Sie selber gerichtet.

Wenn Sie sagen, Frau Thoben, es kann sich niemand mehr bei den Kollegen beschweren, weiß ich, wen Sie mit Kollegen meinen. Sie meinen die Unternehmer, die Einzelhändler. Aber ich meine mit Kollegen auf keinen Fall die Einzelhändler; ich meine mit Kollegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Einzelhandel: über 400.000. Die werden mit ihren Beschwerden auf Sie zukommen. Das Bild, das Sie von ihnen gezeichnet haben, ist ein falsches Bild. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen. Damit sind Sie nicht an der Basis und nicht bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Beifall von der SPD)

Sie glauben, dass der Handel große Chancen in der Möglichkeit längerer Öffnungszeiten sieht. Unabhängig von der Realität, dass jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann, sehen aber auch führende Einzelhändler – auch Konzerne – Ihr Vorgehen eher skeptisch. Zum Beispiel hat Dirk Rossmann, Chef der gleichnamigen Drogeriekette, in der Zeitschrift „Capital“, Nr. 17/2006, gesagt:

„Kein Hund frisst mehr Chappi, kein Mensch putzt sich öfters die Zähne, nur weil die Geschäfte länger offen haben.“

Im gleichen Artikel heißt es:“Auch der Metrokonzern zeigt sich zurückhaltend.“

Der Chef der Drogeriemarktkette „dm“, Götz Werner, sagt schließlich richtigerweise: „Was wir heute haben, ist angemessen und praktikabel.“

Selbst wenn die sogenannten Großen ihre Möglichkeiten austesten – über welchen Zeitraum auch immer – geht dies zulasten der kleinen Unternehmen. Wir alle wollen, dass unsere Innenstädte attraktiver werden. Dazu gehört auch das Bummeln in den Städten, nicht nur durch große Kaufhäuser, sondern auch durch die kleinen klassischen Einzelhandelsgeschäfte, die in der Regel Fachgeschäfte sind. Wie soll der klassische Einzelhändler mithalten? Wie soll er die höheren Personalkosten – wohlgemerkt: Fachpersonal, Frau Ministerin – und die zusätzlichen Energiekosten aufbringen?

Die Antwort ist relativ leicht. Entweder hält er dem Kostendruck nicht stand und schließt früher, nimmt also im Wettbewerb Einnahmeeinbußen hin – wie lange, ist fraglich –, oder er nimmt den unfairen Wettbewerb zulasten von Fachpersonal auf, um Personalkosten zu sparen, und reagiert gegebenenfalls mit Preiserhöhungen, um die zusätzlichen Kosten auszugleichen, letztendlich zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Denn sie müssen die Suppe der Mehrkosten auslöffeln; sie haben die Mehrkosten zu zahlen.

Wie sagten Sie doch immer und heute wieder: „Die Sonn- und Feiertage bleiben unangetastet“? Glauben Sie nach diesem Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, das, was Sie zu diesem Thema sagen, immer noch selber? „Kein Abweichen“ haben Sie eben in Ihrer Rede gesagt. Das zeigt, dass Sie offensichtlich Ihren eigenen Gesetzentwurf nicht kennen. Das will ich lediglich am Beispiel von Weihnachten, Ostern und Pfingsten festmachen. In der Vergangenheit war auch der zweite Feiertag geschützt, Sie schützen nur noch den ersten. Sie durchlöchern die Sonn- und Feiertage durch diese Regelung bis ins Letzte. Unsere Landesverfassung sagt in Art. 25 Abs. 1:

„Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage werden als Tage der Gottesverehrung, der seelischen Erhebung, der körperlichen Erholung und der Arbeitsruhe anerkannt und gesetzlich geschützt.“

Gerade habe ich Herrn Minister Laumann gesehen, nun ist er leider wieder entfleucht; aber man wird es ihm ausrichten. Von ihm als christlicher Arbeitsminister erwarte ich, zu diesem Thema etwas zu hören. Wie steht es mit unserer Verfassung, wenn es um Gottesverehrung, um körperliche Erholung und Arbeitsruhe geht? Er, Herr

Laumann, ist doch der Minister, der den Arbeitsschutz unter sich hat. Sie sprachen nur vom Schutz des Ladenschlusses, Frau Ministerin, ich spreche vom Schutz der Beschäftigten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wir sprechen hier über den Schutz von rund 410.000 Beschäftigten im Einzelhandel. Wir sprechen von jedem zwölften Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen, davon 70 % Frauen. Gilt für die nicht mehr der Grundsatz von Erholung, Arbeitsruhe und Gottesverehrung?

Jetzt wird mit Sicherheit gleich der Einwand kommen, dass „nur“ vier Sonntage freigegeben werden dürfen. Sie haben hier schon einmal die städtischen „besonderen Anlässe“, wie sie das ehemalige Gesetz kannte, herausgelassen. Sie haben aber auch die Verkaufstellen neu definiert, indem Sie die ehemals abschließende Aufstellung, was zum Reisebedarf gehört, ausgehöhlt und somit das Warensortiment bis ins Uferlose erweitert haben. Also haben Sie den Schutz doppelt ausgehöhlt.

In dem uns vorliegenden Entwurf gibt es genau an der Stelle zum Verkauf an Sonn- und Feiertagen ein geändertes Wort gegenüber dem Ursprungstext, wo Sie die Öffnung für alle Verkaufsstellen definieren. Indem Sie aus den Wörtern „in erheblichem Umfang“ das Wort „überwiegend“ machen, verschlimmbessern Sie die Definition derer, die an allen Sonntagen für fünf Stunden öffnen können. Welche Läden bieten denn Waren an, die überwiegend zum sofortigen Gebrauch bestimmt sind? Lebensmittelsupermärkte, Discounter, SB-Warenhäuser, um nur einige zu nennen. Wo ist da Ihr Sonn- und Feiertagsschutz? Worthülsen und leere Versprechungen! Oder anders: Sie sind hier wieder einmal der Steigbügelhalter für die FDP, die ja in der letzten Legislaturperiode um das Freizeitvergnügen der Waschstraßennutzung an Sonntagen gebracht wurde.

Wie wollen Sie es denn mit den sogenannten stillen Feiertagen Karfreitag und Allerheiligen halten? Dürfen am Karfreitag nur Katholiken und an Allerheiligen nur Protestanten im Einzelhandel arbeiten? Herr Minister Laumann, ich fordere Sie als Arbeitsminister, aber auch als Christen auf, die unsäglichen Hintertüren in diesem Gesetzgebungsverfahren zuzuschlagen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass der 1. Mai nicht unerwähnt bleibt, werden Sie sicherlich bei mir erwartet haben. Dieser Erwartungshaltung komme ich sehr gerne nach. Der Tag der Arbeit

wurde von den Gewerkschaften in hartnäckigen Auseinandersetzungen als internationaler arbeitsfreier Feiertag durchgesetzt. Wenn jetzt politische Mehrheitsverhältnisse auf kommunaler Ebene darüber entscheiden sollen, ob dieser Tag im Einzelhandel arbeitsfrei bleibt, ist dies nicht nur ein Anschlag auf Arbeitnehmerrechte, sondern ein Verstoß gegen eine über viele Jahrzehnte gewachsene Kultur in Deutschland.

(Beifall von Helga Gießelmann [SPD])

Auch hier, Herr Minister Laumann, spreche ich Sie in besonderer Weise an. Sagt nicht genau aus den von mir genannten Gründen unsere Verfassung zum 1. Mai etwas aus? Art. 25 Abs. 2 lautet – mit Erlaubnis unserer Präsidentin zitiere ich letztmalig –:

„Der 1. Mai als Tag des Bekenntnisses zu Freiheit und Frieden, sozialer Gerechtigkeit, Völkerversöhnung und Menschenwürde ist gesetzlicher Feiertag.“

Dass, obwohl die Verfassung explizit den 1. Mai als Feiertag herausstellt, Ihr Gesetzentwurf durch die Hintertür die Öffnung von Einzelhandel zulässt, ist nicht nur ein Possenspiel, es ist eine Frechheit gegenüber allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem Land. Es ist ein wiederholter Angriff auf die Arbeitnehmerbewegung, wie wir sie aus den Mündern der FDP ohnehin gewohnt sind. An dieser Stelle ist wieder einmal der Arbeitsminister und auch Gewerkschafter Laumann besonders gefordert.

(Dietmar Brockes [FDP]: Bitte etwas sachli- cher, Herr Kollege, und etwas weniger Po- lemik!)

Das ist keine Polemik, sondern eine Tatsache, dass Sie die Arbeitnehmerbewegung am liebsten von heute auf morgen weg haben wollen. An dieser Stelle hilft auch nicht die Sozialrhetorik des Ministerpräsidenten, der versucht, an allen Ecken und Kanten zu beschwichtigen. Wie wir zu Recht sagen, gilt auch hier wieder: „Links blinken, rechts fahren“. Oder, um mit den Worten von August Bebel zu reden: „An ihren Taten und nicht an ihren Worten sollt ihr Sie erkennen.“

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir werden das Gesetzgebungsverfahren ordentlich begleiten. Wir werden es nicht blockieren und an einem zeitlich ordentlichen Verfahren teilhaben.

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])