Protokoll der Sitzung vom 13.09.2006

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])

Herr Brockes, dass Sie mir applaudieren, hätte ich mein Lebtag nicht gedacht.

Wir werden natürlich eine Anhörung beantragen, die sich mit allen Details beschäftigt. Wir werden unsere Bedenken einbringen und darauf hinwirken, dass dieses Gesetz, das Sie mit allen Facetten durchsetzen werden, evaluiert wird. Wir werden aber nicht zu innerbetrieblichem Unfrieden beitragen. Wir werden nicht die Symbolpolitik der FDP unterstützen. – Da wäre jetzt Applaus angebracht, Herr Brockes. – Dafür zeichnen Frau Thoben und die Regierungskoalition letztendlich verantwortlich.

Wenn ich die „Rheinische Post“ vom heutigen Tage lese, erscheint ja auch nicht ausgeschlossen, dass die FDP beim Kungelgeschäft um die Amtszeit der Bürgermeister die Koalitionsneuverhandlung über die Ladenöffnungszeiten an Sonntagen nicht ausschließt.

(Jochen Dieckmann [SPD]: Hört, hört! – Wi- derspruch von der FDP)

Das können Sie nachlesen, Herr Brockes. – Ich sehe schon die Wahlplakate der FDP im Landtagswahlkampf 2010 vor mir: ein großes Foto mit einer Verkäuferin im Geschäft vor einem Sonntagskalenderblatt, und der Slogan der FDP lautet: „Sonntags gehört Mami mir!“

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Viel Vergnügen und herzlichen Glückwunsch zu dieser arbeitnehmerfeindlichen Familienpolitik!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Schmeltzer. – Für die CDU spricht nun der Abgeordnete Weisbrich.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Schmeltzer, ich muss schon sagen,

(Marc Jan Eumann [SPD]: Das war eine starke Rede!)

es ist rührend, wie Sie als bezahlter Gewerkschaftsvertreter hier die Interessen des Facheinzelhandels vertreten. Wenn Sie darauf hingewiesen haben, dass während der Fußballweltmeisterschaft die Umsätze im Einzelhandel nicht gestiegen sind, dann bitte ich einmal darüber nachzudenken: Wenn Millionen von Menschen in Fanmeilen feiern, fröhlich sind und trinken, dann gehen die kaum einkaufen. Das eine hat mit dem anderen furchtbar wenig zu tun.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann waren Sie nie in Dortmund oder einer der anderen Städte! Dann waren Sie nie da!)

Aber ich will mich jetzt nicht mit Details auseinandersetzen. Das werden wir nach der Anhörung im Fachausschuss tun. Ich will noch einmal versuchen – Frau Thoben hat es ja schon getan –, die Philosophie des Gesetzes zu erklären, wenngleich ich relativ sicher bin, dass Sie dafür wenig Antenne haben.

Meine Damen und Herren, es gibt Menschen, die trauen ihrer eigenen Hose nicht. Deswegen tragen sie Hosenträger plus Gürtel. Und es gibt Politiker – Herr Schmeltzer, dazu gehören Sie offensichtlich –, die trauen den Menschen nicht. Deshalb reglementieren sie praktisch alles und am liebsten doppelt.

(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Ich trage keine Hosenträ- ger!)

Ein klassisches Beispiel dafür ist gerade der Einzelhandel. Seine Öffnungszeiten sind begrenzt – angeblich, wie Sie es ausgedrückt haben, um Mitarbeiter vor Ausbeutung zu schützen. Dabei gibt es aber doch ein allgemeines Arbeitszeitgesetz, das für alle Arbeitgeber und alle Arbeitnehmer verbindlich ist. Hier haben Sie also die typische Hosenträger-plus-Gürtel-Regelung. So viel Misstrauen gegenüber den Menschen in der Wirtschaft ist meines Erachtens schlicht und ergreifend unangemessen.

Unser Credo ist es zu ordnen, aber nicht zu regeln oder gar zu reglementieren. Richtig verstandene Ordnungspolitik beschränkt sich darauf, den Rahmen vorzugeben, innerhalb dessen die Menschen ihre Dinge verantwortlich selbst regeln können.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Die Verkäufe- rin!?)

Ordnungspolitik vertraut darauf, dass die Menschen von ihrer Freiheit verantwortlich Gebrauch machen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Freiheit von Be- schäftigten!?)

Regelungspolitik setzt auf Unfreiheit. Sie geht davon aus, dass die Menschen ohne staatliche Reglementierung keinen verantwortlichen Gebrauch von der Freiheit machen.

Hier Ordnungspolitik – da Regelungspolitik. Das, meine liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der zentrale Unterschied zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün. Wir vertrauen auf die Leistungsfähigkeit der Tarifparteien und auf die Konsensfähigkeit der Kaufmannschaft vor Ort.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das mit der Leis- tungsfähigkeit der Tarifparteien höre ich das erste Mal!)

Rot-Grün ist – Herr Schmeltzer, Sie auch – zerfressen von Misstrauen.

Die Kompetenz zur Regelung der Ladenöffnungszeiten ist am 1. September 2006 vom Bund auf die Länder übergegangen. Nordrhein-Westfalen wird als erstes Bundesland pünktlich zum Weihnachtsgeschäft von der neugewonnenen Entscheidungsfreiheit Gebrauch machen. Wir ersetzen den Geist des Misstrauens durch den Geist von Vertrauen.

(Lachen von Rainer Schmeltzer [SPD])

Wir ersetzen das Ladenschlussgesetz durch ein Ladenöffnungsgesetz. Wir passen den Ordnungsrahmen der Ladenöffnung den veränderten Arbeits-, Lebens- und Konsumgewohnheiten der Menschen an. Der Versandhandel, das Internet, die Mobilitätsbedürfnisse der Bürger mit Einkaufsmöglichkeiten an Tankstellen, Bahnhöfen und Flughäfen haben die klassischen Ladenschlussvorschriften durchlöchert wie einen Schweizer Käse.

Der Staat soll nicht länger Schiedsrichter sein zwischen einzelnen Vertriebsformen des Handels. Der Staat soll Unternehmern nicht mehr länger vorschreiben, wann und wie lange sie arbeiten dürfen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Den Unterneh- mern! Was ist mit den Arbeitnehmern?)

Frau Thoben hat das vorhin als Eingriff in die Berufsfreiheit definiert. Das wollen wir nicht.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das machen Sie gerade! 410.000 Beschäftigte!)

Der Staat soll nach unserer Auffassung nur noch Garant für freien Leistungswettbewerb sein. Das kommt allen zugute, nicht zuletzt den Kunden.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Genau! Und den Beschäftigten!)

Wer was wann und wo kauft oder verkauft, sollen die Marktteilnehmer künftig bitte schön selbst entscheiden.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir bekennen uns jedoch, Herr Schmeltzer, ganz klar zu einer Einschränkung. Der Werktag ist für

den Verkauf generell freigegeben; an Sonn- und Feiertagen ist der Verkauf grundsätzlich verboten.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann haben Sie die Löcherung noch nicht erkannt, Herr Weisbrich!)

Hören Sie einmal zu; vielleicht verstehen Sie dann unsere Auffassung. Aus Sicht der CDU ist der Sonntagsschutz viel mehr als eine Garantie sozialpolitischer Errungenschaften, die man auch ganz anders schützen könnte.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Gut!)

Der Sonntag ist im christlich-jüdischen Kulturkreis eine überlieferte Institution von unschätzbarer Bedeutung.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Richtig!)

Er ist Ausdruck des Glaubens, dass der Sinn menschlichen Lebens nicht im Zweckhaften und im Berechenbaren aufgeht

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Richtig!)

und dass wirtschaftliche Tätigkeit ihrerseits einer höheren Sinngebung bedarf.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Richtig!)

Wir haben uns in der Bundesrepublik auf das Modell einer sozial geordneten Marktwirtschaft verständigt. Wir haben damit akzeptiert, dass der Staat der Institution des Marktes Leitplanken setzen darf.

Zu diesen Leitplanken gehört nach unserem Verständnis auch der verfassungsrechtliche Schutz des Sonntags. An Sonn- und Feiertagen haben die Menschen Gelegenheit, zu sich selbst zu kommen. Diese Tage schützen die Menschen davor, bloßes Funktionselement im Arbeits- und Wirtschaftsprozess zu werden. Deshalb wollen und werden wir die Sonntagskultur vor weiterer Verflachung schützen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Etwas anderes steht in § 5!)