Herr Schmeltzer, wir können uns über die Details nach der Anhörung in einer intensiven Diskussion im federführenden Ausschuss auseinandersetzen. Ich freue mich auf diese Diskussion und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin Thoben, bei Ihrem Eingangsstatement klang an, dass im Mittelpunkt Ihrer Betrachtungsweise die Verbraucher und Verbraucherinnen stehen, die 24 Stunden lang – bis auf die Sonntage – ein Recht auf Shoppen haben sollen,
Es stellt sich die Frage, wie viele Menschen das wirklich wollen. Ist das der Wunsch der Verbraucherinnen und Verbraucher?
Und ist den Menschen, die das wollen, eigentlich klar, welche Folgen eine solche Öffnung, eine solche Liberalisierung hat?
Es gibt ein nettes Schreiben, auf das ich gleich eingehen werde. Es kommt von der Innung für Uhren, Schmuck und Zeitmesstechnik. Sie schreibt in einem netten Satz: Wenn man die Verbraucher nach längeren Öffnungszeiten fragt, kann man genauso gut den Rentner nach einer Rentenerhöhung fragen. Die Antwort wird die gleiche sein, weil vielen Menschen einfach gar nicht klar ist, was es für Folgen hat, wenn wir diese Freigabe wirklich machen.
Jeder Euro – das ist eben schon einmal in einem anderen Zusammenhang gesagt worden – wird nur einmal ausgegeben. Er wird nur ein einziges Mal eingenommen werden. Aber er wird wahrscheinlich anders verteilt werden. Die längeren Öffnungszeiten bringen nicht mehr Umsatz. Sie verursachen höhere Personalkosten, wenn wir mehr Personal einstellen. Oder die Personalkosten werden von den Unternehmen konstant gehalten, was bei gleichem Umsatz zu erwarten ist. Das heißt: Dasselbe Personal muss den Laden länger offenhalten. Das Personal wird also in den Öffnungszeiten ausgedünnt werden.
Genau diese Erfahrung haben wir während der Weltmeisterschaft gemacht: Auf den Etagen der Kaufhäuser war eine Verkäuferin für eine ganze Etage zuständig, damit die Personalkosten bei höheren Nebenkosten konstant gehalten werden.
Das ist ein enormes Problem für die Verkäuferinnen – nicht nur aus Sicherheitsgründen, sondern auch aus Arbeitsschutzgründen.
Das Personal wird also gestreckt werden. Oder es werden aber Beschäftigungsverhältnisse, die jetzt Vollzeitstellen sind, in Teilzeit-Beschäftigungen oder in 400-Euro-Jobs umgewandelt, damit man die Randzeiten damit abdeckt.
Wir haben – das ist klar – damit auch ein arbeitsmarktpolitisches Problem, weil wir weiterhin Vollzeitstellen abbauen werden. Wenn Sie sich, Frau Ministerin, hinstellen und sagen, das sei ein altes Problem und das gäbe es auch jetzt schon, kann ich nur sagen: Wenn Sie doch erkennen, dass es das Problem gibt, immer mehr 400-Euro-Jobs zu haben,
(Zuruf von Ministerin Christa Thoben – Ge- genruf von Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann weiten Sie es doch nicht aus!)
Lernen Sie vielmehr aus den Konsequenzen, die wir vorliegen haben, und versuchen Sie mit uns gemeinsam, das Problem zu lösen, sodass wir wieder mehr geschützte Beschäftigungsverhältnisse im Einzelhandel bekommen.
Rufen Sie doch nicht ständig einfach dazwischen. Drücken Sie auf das Knöpfchen, dann können Sie in die Debatte einsteigen. Das ist ein Kindergartenverhalten.
Wenn Sie an der Stelle sagen, dass Sie die Öffnungszeiten so liberalisieren wollen, müssen Sie auch sagen, wie Sie für die Beschäftigten die Sicherheit garantieren wollen und wie Sicherheit hergestellt werden soll. Denn bei Ihnen klang eben nur an: Ladenöffnung hat etwas mit Berufs
freiheit zu tun. Wir müssen die Berufsfreiheit garantieren. – Ladenschluss hat für uns etwas mit Arbeitsschutz zu tun. Auch den müssen Sie garantieren. Den müssen Sie herstellen. Das ist mit Ihrem Entwurf und dem, was jetzt vorliegt, überhaupt nicht gewährleistet.
Sie haben in der Debatte eben auch gesagt, eine Erweiterung der Ladenöffnungszeiten sei aus Ihrer Sicht überhaupt nicht familienfeindlich. Dass eine christdemokratische Partei sagt, diese Erweiterung der Ladenöffnungszeiten in den Raum für soziale Kontakte, in den Raum für Familie, bei einer sowieso schon extrem starken Liberalisierung der Arbeitszeiten irgendwann auch einmal zusammen zu sein, sei nicht familienfeindlich, das kann ich nicht verstehen.
Wir haben schon jetzt das Problem, dass wir mit der zunehmenden Erwerbsarbeit, mit der Flexibilität an den Arbeitsmärkten immer weniger Raum haben, wo Familien – Familien mit Kindern, aber auch Familien ohne Kinder – überhaupt noch die Kommunikation miteinander schaffen.
Und wo bleibt denn der Raum für das von Ihnen allen so schrecklich gepriesene Ehrenamt? Wann soll das denn stattfinden? Das Ehrenamt findet in vielen Vereinen gerade auch abends statt.
Was sagen denn die Sportvereine dazu? Es gibt doch keinen geregelten Freiraum mehr, in dem das gesellschaftliche Leben jenseits des Erwerbslebens stattfinden kann. Fragen Sie einmal die Vereine, die sich mit ihrem Gesetz schon auseinandergesetzt haben, was das für Konsequenzen hat.
Sie sagen, es ist nicht familienfeindlich. Aber Sie sagen nicht, wie die Verkäuferin mit Kindern das lösen soll. Was macht denn die Frau, die nachts keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder hat? Schaffen Sie über Minister Laschet demnächst auch die Nachtbetreuung für Kinder? 24 Stunden Betreuung von Kindern von unter drei bis zwölf oder was weiß ich bis zu welchem Alter? Oder soll klar sein, dass die Verkäuferin, die Kinder hat, in dem Segment nicht arbeiten kann und deswegen, weil sie nicht die notwendige Flexibilität am Arbeitsmarkt hat, zukünftig überhaupt nicht eingestellt wird?
Frau Ministerin, dieses ist ein familienfeindliches Konzept. Da können Sie noch so sehr betonen, wie schön das Familienevent Shoppen am Abend
ist. Ich kann dem nichts abgewinnen, weil ich nach wie vor finde – vielleicht reden Sie darüber einmal mit Ihrer Schulministerin –, dass Kinder, wenn am nächsten Tag Schule ist, abends irgendwann doch einmal ins Bett gehören und nicht in den Supermarkt zum Einkaufen.
(Beifall von GRÜNEN und SPD – Rainer Schmeltzer [SPD]: Jetzt kommen Sie gleich an, Frau Ministerin, und sagen: In Italien spielen die um 10 Uhr abends auf der Stra- ße!)
Sie sagen auch, es sei eine Chance für die Nahversorgung. Beschäftigen Sie sich einmal damit, was gerade der Einzelhandel, die kleinen mittelständischen, im Familienbesitz befindlichen Unternehmen sagen! Die sehen darin keine Chance für die Nahversorgung, sondern vielmehr das Risiko der Verschiebung von den Mittelzentren, von den kleinen hin zu den Hauptzentren, zu den Großunternehmen. Wir haben die Verschiebung auf die grüne Wiese; denn das sind diejenigen, die zumindest am Anfang einer solchen Änderung den Laden offen halten werden, die den kleinen mittelständischen Unternehmen, den Familienunternehmen die Kunden abziehen werden. Wir sehen das.
Zu Ihrem Beispiel Schweden: In Schweden gibt es den klassischen Bäcker nicht mehr, da gibt es auch den klassischen Metzger nicht mehr. Da gibt es den Supermarkt. Und ich muss sagen: Ich möchte nicht auf meine Bäckerei, auf meinen Metzger, auf meinen Fachhandel vor Ort verzichten. Ich möchte Qualität statt Liberalisierung, statt der Möglichkeit, 24 Stunden lang Sachen kaufen zu können, die ich nicht auf dem Teller haben möchte.
Ich möchte auf den Brief der Innung für Uhren, Schmuck und Zeitmesstechnik zurückkommen. Aber nicht nur diese Innung, sondern auch viele kleine Unternehmen, viele Mittelständler machen im Moment den Mund auf und sagen: Das, was die Landesregierung da macht, geht in die falsche Richtung. – Am Briefende befindet sich der schöne Abbinder:
Weniger Vielfalt, weniger Auswahl, weitere Wege, weniger Familie, weniger Arbeitsschutz, weniger soziale Sicherheit, weniger Individualität.