Protokoll der Sitzung vom 13.09.2006

In der Tat stand vieles in der Integrationsoffensive 2001. Es hat aber vier Jahre gedauert, ehe man das einmal angepackt hat, ehe man begonnen hat, Sprachförderung zu machen, ehe man beginnt, einen solchen Antrag mit konkreten Haushaltsstellen zu unterlegen.

(Beifall von der CDU)

Allgemeine Theorien darüber, wie in Bagdad der interkulturelle Dialog funktioniert, ist etwas anderes, als konkret für jedes einzelne Kind Bildung zu stärken.

(Beifall von der CDU)

Und das ist der Anspruch, den wir haben.

Wenn wir heute über Bildung sprechen, klingt das in vielem ähnlich, wie es schon vor 2.500 Jahren geklungen hat. Aristoteles hat einmal gesagt: Bildung ist der beste Proviant für die Reise zum hohen Alter. Man könnte meinen, er hätte schon ein Generationenministerium im Kopf gehabt, er hätte schon gewusst, dass Bildung eine wesentliche Voraussetzung ist, um an beruflichem Erfolg, an allen Bereichen des Lebens teilzuhaben. – Diese Bedeutung von Bildung dürfte unbestritten sein.

Entscheidend ist: Was verstehen wir unter Bildung? – Für mich steht fest: Wenn wir über Bildung sprechen, dürfen wir nicht nur den Blick auf kognitive Lernleistungen richten; sie sind zweifellos sehr wichtig, aber sie alleine reichen nicht aus. Das ist genau das, was auch die Rede des Kollegen Sternberg und diesen Antrag durchzieht, nämlich einen umfassenden Bildungsprozess in den Blick zu nehmen, Bildung als Bildung zu Sozialkompetenz, zu Werten, zu demokratischer Streitkultur, aber auch und gerade künstlerische und kulturelle Bildung in den Blick zu nehmen.

Die Begründung für diesen erweiterten Bildungsbegriff ist ebenso einfach wie einleuchtend: Kunst und Kultur fördern die persönliche Entwicklung.

Sie bieten gerade jungen Menschen die Möglichkeit, sich zu entfalten, ihre Kreativität unter Beweis zu stellen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Daraus ergeben sich zwei Wirkungen: einmal die Wirkung, dass sich Menschen begegnen, dass der Austausch zwischen ihnen wechselseitig stattfindet, aber auch, dass die eigene Persönlichkeit dadurch gewinnt und Kreativität auch der eigenen Persönlichkeit freigesetzt wird.

Die andere Wirkung: Neben der Freude am eigenen Schaffen vermittelt die kulturelle Bildung den Kindern und Jugendlichen Kenntnisse über die Grundlagen unserer Gesellschaft. Sie erfahren viel über die eigenen Wurzeln, aber auch über die Wurzeln der anderen. Deshalb ist Kunst und Kultur wichtig für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft.

Weil das unsere Grundüberzeugung ist, hat diese Landesregierung ganz bewusst im Kulturetat mehr Geld bereitgestellt, als in allen Kulturhaushalten der letzten Jahre ausgewiesen waren.

(Beifall von der CDU)

Die Kollegin der SPD hat darauf hingewiesen – ich glaube, da hat sie Recht –, dass das Zentrum für Türkeistudien analysiert hat, dass sich interkulturelle Projekte leider immer noch sehr häufig auf Folklore und auf lukullischen Austausch beschränken, um damit zu zeigen: Wir kümmern uns um den anderen. Ich glaube, die Analyse stimmt immer noch; vielleicht hat sie sich ein wenig abgeschwächt.

Wir müssen interkulturellen Austausch weiter fassen als bei reiner Folklore Halt zu machen. Folklore ist auch wichtig nebenbei, Folklore ist auch für die Kinder ein Stück der Beziehung zur Heimat ihrer Eltern oder ihrer Großeltern. Aber das reicht nicht aus, um Kultur wirklich tiefer in den Menschen zu verankern.

Für die Kultur gilt das, was für die gesamte Integrationspolitik gilt: Sie muss so früh beginnen wie möglich. Sie muss bereits im Elementarbereich, im Kindergarten als Ort frühkindlicher Bildung, ihren Platz haben. Und sie muss darüber hinaus in der Schule fortgesetzt werden.

Professor Rauschenbach, der Leiter des Deutschen Jugendinstituts, hat es einmal so beschrieben, dass die Komplexität unterschiedlicher Lern- und Lebenswelten als eine Einheit betrachtet werden muss, dass wir heute Bildungsverläufe haben, die an unterschiedlichen Bildungsorten stattfinden und die auch mit unterschiedlichen Modalitäten stattfinden.

Was heißt das für die Praxis? Es heißt, dass wir mehr als bisher außerschulische Lernorte in den Blick nehmen müssen. Hier werden in hohem Maße soziale und kulturelle Fähigkeiten erworben. Deshalb ist es besonders wichtig, in dem Antrag zu unterstreichen, dass künstlerisch-kulturelle Bildung kein schmückendes Beiwerk im Bildungsprozess ist, sondern einen eigenen Stellenwert an sich besitzt.

Wir wollen die Kindergärten um kulturelle Projekte erweitern – das wird auch im neuen Gesetz für Bildung im vorschulischen Bereich eine wichtige Rolle spielen. Bei Kindern ist dieser Integrationsgedanke viel selbstverständlicher, als wenn wir darüber theoretisch sprechen. Kinder reden nicht über Integration, sie leben sie.

Auch in der Jugendarbeit müssen wir der künstlerisch-kulturellen Bildung einen höheren Stellenwert einräumen. Es geht darum, kulturelle Jugendbildung als Fundament von Bildung zu verstehen und sie vor allem auch für diejenigen zugänglich zu machen, die in ihrem sozialen Umfeld wenig oder gar nicht mit Kultur zusammen kommen.

Das ist dadurch kein Bildungsprogramm für besonders Bedürftige. Aber die Chance, an kultureller Bildung teilzunehmen, muss jedem Einzelnen gewährt werden. Wenn das Elternhaus die Möglichkeiten nicht hat, muss der Kindergarten, muss die Schule, muss die Jugendarbeit, müssen die offenen Türen ebenfalls ihren Anteil leisten. Deshalb haben wir im Kinder- und Jugendförderplan auch die Förderung der kulturellen Jugendarbeit in diesem Jahr noch einmal um 200.000 € auf insgesamt 2,1 Millionen € erhöht.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir wissen: Die Beschäftigung mit Kultur und die Sensibilität für Kultur befähigen zur Selbstbestimmung und zu gesellschaftlicher Verantwortung. Zugleich wird die Bereitschaft für soziales Engagement erhöht. Ein wichtiges Ziel der kulturellen Jugendarbeit ist es, Respekt und Toleranz zu fördern.

Auch im Schulbereich will die Landesregierung der künstlerisch-kulturellen Bildung einen neuen Stellenwert einräumen. So hat die Landesregierung in diesem Jahr erstmals das Programm „Kultur und Schule“ ausgeschrieben. Rund 2.000 Anträge sind bereits eingegangen, was zeigt, welch großes Interesse auch an diesen Themen vorhanden ist.

Mit dem Programm werden Projekte von Künstlern und Kunstpädagogen gefördert. Zwar können

alle Schulformen teilnehmen, aber wir haben bewusst zwei Schwerpunkte gesetzt: einmal die offene Ganztagsschule im Primarbereich und zum anderen die Ganztagshauptschulen.

(Sigrid Beer [GRÜNE] schüttelt den Kopf.)

Sie schütteln den Kopf, aber das ist ein Bereich, der in den letzten Jahren völlig vernachlässigt worden ist.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir wollen gerade die Hauptschulen stärken: mit mehr Lehrern, mit mehr Ganztagsangeboten, mit mehr Sozialpädagogen, aber auch mit mehr künstlerischen Angeboten, um den Bildungsanspruch der Hauptschule zu stärken.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beer?

Ja.

Herr Minister, Sie sprechen die Ganztagshauptschulen und ihre Weiterentwicklung an. Können Sie mir erklären, warum im aktuellen Haushaltsplanentwurf im Kapitel Schule die Weiterentwicklung der Ganztagshauptschulen auf null gesetzt worden ist?

Sie wissen, dass die Ganztagshauptschulen zunächst ausgedehnt worden sind. Das muss jetzt umgesetzt werden. Im Haushaltsjahr 2006 gibt es mehr Ganztagshauptschulen als im Jahr 2005, und in der Perspektive der nächsten Jahre werden die Ganztagshauptschulen, wie es im Wahlprogramm steht, weiter ausgebaut. Wir können dann im Jahre 2010 Bilanz ziehen, schauen uns die Ganztagshauptschulen 2005 – Ende von Rot-Grün – und 2010 – Zwischenetappe christlich-liberaler Regierungspolitik – an, und Sie werden sehen: Es wird mehr Ganztagshauptschulen geben als zu Beginn.

(Beifall von CDU und FDP)

Neben diesem Programm bieten sich gerade für die offene Ganztagsgrundschule Kooperationen mit außerschulischen Partnern an. Hier gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die künstlerisch-kulturelle Bildung zu stärken. Aktivitäten wie Chor, Orchester, Theatergruppen, Literaturwerkstätten oder Lesegruppen können den jungen Menschen den Zugang zu Kultur und Kunst ermöglichen.

Über den Kinder- und Jugendförderplan unterstützen wir Träger der kulturellen Kinder- und Jugendarbeit, die bereits seit Jahren intensiv mit den offenen Ganztagsschulen zusammenarbeiten.

Der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung zur Kulturhauptstadt Essen 2010 die Idee aufgebracht, es könnte ein Ziel der Politik, aber auch aller gesellschaftlicher Gruppen – selbst der Wirtschaft – sein, zu ermöglichen, dass jedes Kind im Ruhrgebiet im Jahre 2010 ein Instrument spielt. Ich halte das für eine sehr gute Idee, in diesem Kernpunkt des Gesamtprojekts Kulturhauptstadt Europa bei Kindern anzusetzen und am Ende diese Idee, wenn sie ein Erfolg war, auf das ganze Land auszudehnen.

Einige Redner haben bereits auf die gigantische Chance hingewiesen, die in der Kulturhauptstadt Essen 2010 liegt. Sie wird eine ganz andere Kulturhauptstadt werden als Edinburgh, Florenz, Budapest oder jede andere Kulturhauptstadt Europas der letzten Jahre und eine ganz andere Vielfalt an Kultur im gesamten Projekt Ruhr 2010 zeigen. Dass dabei Integrationsarbeit sowie künstlerische und kulturelle Bildung von Kindern einen besonderen Stellenwert haben, werden wir alle spüren.

Wir brauchen noch eine Ausbildung der Fachkräfte. Die Akademie in Remscheid spielt hier eine besondere Rolle. Der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen fördern diese Einrichtung, die bundesweit die Fachkräfte der Kultur- und Medienarbeit qualifiziert.

Das zeigt: In Sachen künstlerisch-kultureller Bildung sind wir in Nordrhein-Westfalen auf einem guten Weg.

Ich wünsche mir, dass der Antrag, der wohl in die Ausschüsse verwiesen wird, eine intensive Diskussion auslöst, die das Thema aus der dritten und vierten Reihe der politischen Debatten auf etwas höhere Ränge hebt, damit wir die künstlerisch-kulturelle Bildung für alle Kinder nutzen, um ihre Bildungschancen zu erhöhen und Integration zum Erfolg zu machen.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion hat nun Frau Kollegin Hack das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manchmal haben wir – auch heute ist das des Öfteren passiert – in diesem Hause festgestellt, dass wir als Opposition

in der Zielsetzung bestimmter Vorhaben mit Ihnen, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, übereinstimmen, aber über den Weg zum Ziel unterschiedliche Auffassungen vertreten.

(Beifall von der SPD)

Bei den zurückliegenden Haushaltsberatungen haben wir im Kulturausschuss den erweiterten Finanzrahmen ausdrücklich begrüßt, uns aber zur gleichen Zeit im Integrationsausschuss, der auch die Zuständigkeit für Kinder und Jugendliche umfasst, umso heftiger gestritten. Auf die allseits bekannten Gründe für diese Auseinandersetzung gehe ich nicht nochmals ein. Das haben eine halbe Million Menschen in Nordrhein-Westfalen ausdrücklich getan. Ich sage bloß: Man kann nicht nur das eine tun und das andere lassen.

Nun entdecken Sie – wir lesen es mit ehrlicher Freude – die integrative Kraft der Bildung, besonders der kulturellen Bildung. Wieder können wir feststellen, dass wir das Ziel, die Stärkung der kulturellen Bildung, als solches sehr begrüßen, uns über den Weg dorthin aber sicherlich auseinandersetzen werden.

Sie fordern in Ihrem Antrag den Zugang zu und die Beschäftigung mit Kunst und Kultur für alle, egal welcher Herkunft und welchen Alters. Auch das ist ein wichtiger Aspekt; das ist völlig richtig. Für uns Sozialdemokraten ist das ein Element von Chancengleichheit.

(Beifall von der SPD)