Mit diesem Begriff haben Sie aber gemeinhin ein Problem. Betrachten wir Ihre hier so oft diskutierte Schulpolitik, so finden wir diesen Standpunkt nicht. Nicht nur wir kommen immer wieder zu dieser Auffassung, sondern auch eine breite Öffentlichkeit von Bildungswissenschaftlern und weiteren Bildungsakteuren: Zahlreiche Stellungnahmen zu Ihrem Schulgesetz bescheinigten, dass die Entwicklung nicht zur Chancengleichheit beträgt. Diesen Widerspruch werden wir sicherlich in der Ausschussdebatte noch klären können.
Fest steht – das ist völlig richtig –: Längst nicht alle Menschen in unserem Land erfahren kulturelle Teilhabe. Das gilt für Menschen jeder Herkunft und jeden Alters. Das gilt auch für die beiden Seiten von Teilhabe. Nicht alle Menschen rezipieren Kultur und nicht alle sind künstlerisch-kulturell, wie Sie es in Ihrem Antrag allgemein nennen, tätig. Aber – das ist auch völlig richtig – Menschen müssen mit Kultur im Wortsinne etwas zu tun haben. Sie müssen sie als selbstverständliches Element ihres Lebens erfahren. Das ist kulturelle Teilhabe und zugleich soziale Teilhabe. Und soziale Teil
Zum Ausbau kultureller Bildung bedarf es unterschiedlicher Ressourcen: personeller und zeitlicher, vor allem aber auch finanzieller. Sie wollen Schulen und außerschulische Einrichtungen ermutigen, wie Sie schreiben, die kulturelle Arbeit auszuweiten. Wir erleben aber derzeit durch die von Ihnen durchgesetzten Veränderungen eine Einengung des Bildungsbegriffes dahin gehend, dass Bildung ausschließlich in der Schule stattfindet und dass die sogenannten Kernfächer oberste Priorität erhalten. Musische, künstlerische, kreative Fächer gehören nach meinen Informationen nicht dazu.
Ihre aktuelle Politik steht aus unserer Sicht in diesem Punkt im Widerspruch zu den Forderungen des Antrages, den Sie vorgelegt haben. Viele Einrichtungen in der Jugendarbeit – Sie mögen das, Herr Minister Laschet, anders sehen – haben beispielsweise durch die Politik der vergangenen Monate nicht mehr den Freiraum und nicht mehr die Ressourcen, die für Ideenentwicklung, Projektkonzeptionierung und -durchführung erforderlich sind.
Meine Damen und Herren, ein Blick in den Haushalt 2007 zeigt, dass die Weiterbildungseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen derlei Ressourcenverlust noch vor sich haben, verbunden mit allen Folgen für ihre kulturelle, musische, künstlerische Arbeit, aber auch – und das ist besonders wichtig in diesem Zusammenhang – für Sprachkurse und Integrationskurse. Aus unserer Sicht ist das ein weiterer Widerspruch zwischen Antragswünschen, die wir durchaus begrüßen, und realem Handeln.
Sie erwähnen auch – lassen Sie mich das zum Schluss sagen – das Defizit der mit Kindern und Jugendlichen arbeitenden Lehr- und Fachkräfte im Hinblick auf kulturelle Bildung. Wir werden hier darauf zu achten haben, dass professionelle didaktische Vermittlung vorrangig zu fördern ist. Dies ist Voraussetzung für die hier geforderte Nachhaltigkeit der Arbeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin Hack. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU der Kollege Solf das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag, den wir Ihnen heute vorlegen, hat drei Wurzeln: eine kulturpolitische, eine bildungspolitische und eine integrationspolitische. Auf die letztere will ich mich konzentrieren.
Ich will vorausschicken: Die Zukunftsaufgabe Integration umfasst noch mehr als die Integration von Migranten. Keinem aufmerksamen Beobachter kann die täglich zunehmende Zerfaserung unserer Gesellschaft in alle möglichen Subsysteme entgehen. Das hört nicht bei esoterischen oder radikalen Gruppierungen auf; es erstreckt sich über bildungsferne Schichten, die den Kontakt zur Gesellschaft verlieren, bis hin zu allen möglichen Formen der Jugendkultur.
Eine solche Ausdifferenzierung der Gesellschaft wäre nicht weiter schlimm, wäre als Ausfluss einer fortschreitenden Individualisierung zu sehen, wenn es da nicht einen erschreckenden Nebeneffekt gäbe: Viele dieser Gruppierungen scheinen sich nicht länger als Teil eines größeren Ganzen, als Teil der Gesellschaft eben, zu verstehen. Sie scheinen sich selbst genug. Wenn wir hier nicht gegensteuern, dann ist diese Gesellschaft in nicht allzu ferner Zukunft am Ende.
Da setzen wir an, meine sehr verehrten Damen und Herren. Kultur und kulturelle Bildung können einen wesentlichen Beitrag zur – lassen Sie mich ein eigentlich ganz anders besetztes Wort verwenden – Wiedervereinigung unserer Gesellschaft leisten. Auch aus dieser Erkenntnis speist sich unser Antrag. Ja, an dieser Stelle wollen und müssen wir die Kunst, die Kultur, die ja eigentlich zweckfrei sein sollte, als Werkzeug benutzen. Sie kann so etwas wie einen möglichen gemeinsamen Nenner liefern, auf dem wir unsere Gesellschaft wiedervereinigen können.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang vorsorglich ein Zerrbild demontieren. Hin und wieder – vorhin klang das auch an – wird uns vorgehalten, wir wollten eine Art – jetzt sage ich das hässliche Wort – Leitkultur installieren, die sich darin erschöpfe, dass jeder, der in unserem Land lebt, den Speyerer Dom, die „Hochzeit des Figaro“, den „Erlkönig“ und Dürers „Betende Hände“ kennen müsse. Falls nicht, sei er auszuweisen. – Man lächelt ja gequält darüber. Aber Sie wissen ja: In einem Bundesland hat es so merkwürdige Fragen gegeben.
Das, meine liebe Kolleginnen und Kollegen, ist natürlich eine böse Karikatur, die diejenigen zeichnen, die nicht begriffen haben, dass es uns nicht um eine Vereinheitlichung geht, sondern um eine einheitliche Basis, auf der sich Individualismus erst sinnvoll entwickeln kann. Natürlich soll es auch den Bildungskanon geben, der hinter dem Zerrbild droht. Aber das sind Dinge, die sollen in der Schule unterrichtet werden genauso wie Fremdsprachen, wie Newtons Gesetze oder der zweite Satz der Thermodynamik.
Uns geht es um etwas ganz anderes: Wir wollen eine groß angelegte Offensive, eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, die nicht irgendeinen Bildungskanon der Schule, sondern die Kultur an sich zum Ziel hat. Wir wollen, dass möglichst viele Kinder und Jugendliche aus möglichst vielen Lebensbereichen mit möglichst vielen Formen von Kunst in Berührung gebracht werden. Dabei müssen sie nicht lernen, wann Gryphius gelebt hat. Sie sollen vielmehr begreifen, dass Beschäftigung mit Kunst ihrem Leben eine neue Dimension geben kann.
Sie sollen lernen, dass die Auseinandersetzung mit Kunstwerken ihnen hilft, Bilder, Worte und Sinnzusammenhänge, die auf sie einströmen, kritisch zu betrachten, dass eben nicht alles gleich gut ist. Sie sollen lernen, dass es das Schöne gibt, auch wenn man darüber streiten mag, was schön ist. Sie sollen Respekt lernen vor den Dingen, die andere geschaffen haben. Sie sollen lernen, sich an etwas zu erfreuen, was sie selbst so nicht hätten machen können. Und sie sollen selber mittun. Sie sollen begreifen, dass auch sie selbst künstlerisch tätig sein können und dass eine solche Tätigkeit keine Zeitverschwendung und auch nicht eine beliebige Freizeitbeschäftigung ist. Sie sollen auf diesem Weg ganz viel Selbstvertrauen gewinnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Antrag zeichnet einen Weg vor und nennt Beispiele, was getan werden könnte. Er ist eine Aufforderung an alle in diesem Land, denen Kunst und Kultur wichtig sind, und die begriffen haben, dass hier einer der Schlüssel für den Weg in eine menschenwürdige Zukunft liegt, sich einzubringen. Jeder, der etwas anbietet, und jeder, der eine gute Idee hat, ist herzlich eingeladen. Die Integration
Vielen Dank, Herr Kollege Solf. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Keymis noch einmal das Wort.
Vielen Dank. – Ich muss die letzten anderthalb Minuten, die ich eigentlich übrig lassen wollte, doch noch nutzen.
Herr Solf, ich bin Ihnen für Ihren Beitrag sehr dankbar. Er hat noch einmal im Grundsatz das bestätigt, worüber wir im Wesentlichen in der kulturpolitischen Diskussion Konsens haben.
Umso wichtiger ist es mir, Herr Laschet, deutlich zu machen, dass Sie mich in meinem Beitrag in Bezug auf Bagdad ganz offensichtlich missverstehen wollten. Ich habe davon gesprochen, dass es einen Austausch vor dem Krieg gab und dass es da leichter möglich war – rein technisch. Ich habe deutlich gemacht, dass ich es nicht so meine, dass da irgendetwas zu beschönigen wäre. Es war eine schreckliche Zeit vorher. Es ist jetzt eine schreckliche Zeit.
Ich bitte Sie, das wirklich so zu verstehen, wie ich es gemeint habe, und mir nicht zu unterstellen, ich hätte sagen wollen, dass zu Zeiten, in denen dort nicht einmarschiert worden ist, die Zustände besser gewesen wären als jetzt. Das ist nicht der Fall.
Ich hoffe, das habe ich in der Rede auch nicht so gesagt. Ich habe auch niemanden bemerkt, der das so verstanden hätte. Deshalb bitte ich Sie, das einmal nachzulesen. Dann werden Sie mir in diesem Punkt Recht geben. Das war nicht so gemeint.
Im Übrigen sind wir, was den Antrag im Wesentlichen betrifft, glaube ich, nicht so weit auseinander, wie Sie das mit dieser Bemerkung auf mich bezogen darstellen wollten. – Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss der Beratung zu diesem Antrag am heutigen Tage.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ältestenrates, den Antrag Drucksache 14/2416 an den Kulturausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Ge
nerationen, Familie und Integration – mitberatend – zu überweisen. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Sind Sie mit dieser Überweisungsempfehlung einverstanden? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist das mit Zustimmung aller Fraktionen so angenommen.
(Marc Jan Eumann [SPD]: Das kann man ei- gentlich nicht so festhalten, Frau Präsidentin! – Gegenruf von der CDU: Das war Zustimmung durch konkludentes Handeln! – Allgemeine Heiterkeit)
Also ich habe Zustimmung aller Fraktionen wahrgenommen, auch in den Wortbeiträgen. Die Kollegen im Präsidium sind mit mir darüber völlig einer Meinung: Es war Zustimmung aller Fraktionen, diesen Antrag wie vorgetragen zu überweisen.
8 Gesundheitsreform: solidarisch, nachhaltig und geschlechtergerecht gestalten statt weitere Belastungen für die Versicherten
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Beratung und erteile als erster Rednerin für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollegin Steffens das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gab kaum ein so viele Menschen so intensiv beschäftigendes Thema vor der letzten Bundestagswahl wie folgendes: Wie geht es weiter mit der Gesundheitspolitik? Wo werden wir landen?
Es ist ein Thema, bei dem die meisten Menschen das Gefühl hatten, die sich bei der Wahl für die Option der Großen Koalition entschieden hatten, das sei ein Problem, das nur die beiden großen Volksparteien miteinander wirklich dauerhaft und nachhaltig lösen können. Umso größer ist die Enttäuschung jetzt in der Bevölkerung, aber auch in den Fachszenen, was nach diesen monatelangen Verhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD in Berlin am Ende herausgekommen ist.
rung, ein sehr fundamentales Konzept, das wirklich den Kreis der Versicherten erweitert und aus unserer Sicht in der Tat ein nachhaltiges Konzept ist, und auf der anderen Seite das Konzept der Kopfpauschale, das eindeutig das Konzept der CDU/CSU war und ist.
Diese beiden Konzepte unter einen Hut zu bringen und einen gemeinsamen Weg daraus zu machen kommt der Quadratur des Kreises gleich.
Einen dritten Weg zu finden, war wohl das Ziel in den Verhandlungen. Dieser dritte Weg ist aus unserer Sicht jetzt ein potemkinsches Dorf. Außen steht Reform dran und innen werden letztlich nur die Versicherten zur Kasse gebeten. Das Konzept, das auf dem Tisch liegt, ist keine Lösung der strukturellen Reform unseres Gesundheitssystems. Es ist kein nachhaltiges Konzept, sondern schon jetzt ist klar, dass nächstes Jahr die GKV mit einem Defizit von 7 Milliarden € wahrscheinlich nicht einmal mehr hinkommen wird.
Ein Teil des Defizits ist wirklich hausgemacht. Wir haben zum einen die Einbeziehung der Hartz-IV-Empfänger und -Empfängerinnen in die GKV, was mit Sicherheit aus solidarischen Gründen richtig ist. Aber man muss darüber reden, ob man aus dem Kreis der Versicherten wirklich diese enormen Kosten kompensieren kann.