Protokoll der Sitzung vom 13.07.2005

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Michael Vesper)

Rot-Grün ist in den vergangenen zehn Jahren nach der Devise verfahren: Klein und Öko ist gut, groß und konventionell ist schlecht. - Diese ideologisch motivierte Förderpolitik ist grandios gescheitert. Wir werden beide Bereiche, ob konventionell oder alternativ, gleich behandeln. Beide arbeiten nach den Grundsätzen der guten fachlichen Praxis. Der Verbraucher soll letztlich entscheiden, wo und was er kauft, und nicht die Landesregierung. Dafür brauchen wir eine klare Kennzeichnungspflicht und Herkunftsbezeichnungen, damit er sich selbst entscheiden kann.

Nach gerade einem halben Jahr seit Inkrafttreten dieser umfassenden EU-Agrarreform hat der ehemalige Schröder-Freund Blair die Fördermittel wieder infrage gestellt im scharfen Gegensatz zum jetzigen Schröder-Kumpel Chirac.

Frau Merkel hat daraufhin geäußert, die erste Säule, also die bei den Betrieben direkt ankommenden Mittel, nicht anzutasten. Auch wir wollen diesen Bereich nicht antasten. Dieser Bereich ist direkt einkommenswirksam. Schon die laufende Reform hat die Betriebe enorm belastet. Schon durch die laufende Reform verliert beispielsweise ein Ackerbaubetrieb mit 100 ha jährlich ca. 8.000 €.

Ab 2007 werden die Mittel der ersten Säule außerdem um die sogenannte Modulation mit jährlich 5 % belastet. Auch diese Belastung müssen die Betriebe verkraften. Eine weitere Kürzung lehnen wir strikt ab; denn auf diese Kürzung laufen letztlich der Antrag der SPD und der Entschließungsantrag der Grünen hinaus.

Meine Damen und Herren, der Grund für diese Anträge ist klar: Sie wollen sich Ihre grünen

Spielwiesen und so manchen Förderschnickschnack zulasten der wirtschaftlichen Betriebe erhalten. Sie haben dieses Land mit einem Netzwerk von Institutionen überzogen, welche Ihre ideologisch verbrämten Ziele bei der Förderung so einbrachten: möglichst viel vorschreiben, möglichst viel verwalten und möglichst viele eigene Leute in diesen Institutionen unterbringen. Ich weiß, wovon ich rede. Wir erhalten in diesen Wochen Anrufe und Anschreiben von Leuten, die uns zehn Jahre lang nicht gekannt haben. Ich glaube schon, dass wir uns manche Bereiche etwas genauer ansehen müssen.

Unser Grundsatz wird lauten: Förderung von wirtschaftlichen Betrieben und des ländlichen Raums und keine Förderung von Behörden. Das gilt auch für die Gemeinschaftsaufgabe. Dieses Instrument muss mit den Schwerpunkten Investitionsförderung und Förderung von Absatz und Vermarktung erhalten bleiben.

Meine Damen und Herren, unsere Kulturlandschaft ist seit Jahrhunderten im Einklang mit der Natur von den Bauern mitgeprägt worden. Die EU-Agrarreform hat umfassende Kriterien für die Bewirtschaftung festgelegt und mit dem schönen „deutschen“ Namen Cross Compliance belegt. Daran hat sich jeder zu halten. Auch hier gilt die 1:1-Umsetzung der EU-Vorschriften. Natur- und Artenschutz werden wir mit den Betrieben machen und nicht gegen sie. Wenn es besondere zusätzliche Vorschriften gibt, müssen diese entschädigt werden.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die beiden Anträge zielen in ihrer Konsequenz darauf ab, den wirtschaftenden Betrieben Mittel zu entziehen und die Einkommen weiter zu senken. Darum lehnen wir diese Anträge selbstverständlich ab. Wir werden und wollen den ländlichen Raum weiter fördern, aber keine Bürokratie. Der neue Minister Uhlenberg ist Garant für diese neue frische Politik. - Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Das Wort hat nun der agrarpolitische Sprecher der GrünenFraktion, Herr Abgeordneter Remmel.

Herr Präsident, vielen Dank für die freundliche Ankündigung! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Konzepte für den ländlichen Raum mit den zentralen Aussagen Sicherung der ländlichen Strukturen der Betriebe, Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, Sicherung und Verbesserung der Qualität der Produkte, Schutz der Verbraucherinnen und

Verbraucher, Schaffung neuer Arbeitsplätze im Bereich Tourismus, nachwachsende Rohstoffe im Bereich der Energieversorgung haben die grüne Landwirtschaftspolitik der letzten zehn Jahre bestimmt. Ich glaube, dass die dafür zuständige Ministerin in der Bundesrepublik die entsprechende Anerkennung für solch eine andere Politik im Bereich der Agrarpolitik hat. Insofern müssen wir konzeptionell an dieser Stelle die bereits begonnenen Pfade weiter austreten, breiter machen und die entsprechenden Entwicklungen verstärken.

Meine Damen und Herren, ich möchte aus der Rede von Angela Merkel im Bundestag zitieren, in der sie vor drei Wochen ausgedrückt hat: Im EUHaushalt ist zuviel „agrar“ und zu wenig Zukunft. Sie hat das später - das ist hier beschrieben worden - in der Höhle des Löwen an zwei Stellen entsprechend relativiert. Aber sie hat intuitiv das ausgedrückt, was das zentrale Moment der Diskussion ist. - Herr Ortgies, ich glaube nicht, dass es hilft, an dieser Stelle rein reaktiv zu sagen: Es muss alles so bleiben, wie es ist. Wir müssen erst einmal die erste Säule und alles so umsetzen, wie es dort beschlossen worden ist. Ich glaube, wir haben in der Tat eine Diskussion. Wenn man nicht dieser Diskussion sich offensiv stellt und offensive Konzepte in eine solche Diskussion einbringt, wird man zum Schluss verlieren, werden die Bauern und Bäuerinnen in diesem Land verlieren, wird der ländliche Raum und das gesamte Land verlieren. Deshalb ist es wichtig, deshalb begrüße ich den Antrag der SPD-Fraktion, dass wir heute darüber diskutieren und uns in frühzeitig dieser Legislaturperiode an ein so wichtiges Thema machen.

Ich glaube im Übrigen auch, dass das nicht die letzte Plenardebatte zu diesem Thema sein wird; denn die EU-Agrarsubventionen stehen auf der Tagesordnung. Auch die von mir genannten Bereiche stehen auf der Tagesordnung: Qualitätssicherung, Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher, Entwicklung des ländlichen Raumes - nicht nur bezogen auf den einzelnen Betrieb -, stärker zu investieren und die Mittel entsprechend umzuorientieren, weil nur so die Wettbewerbsfähigkeit und die Strukturen im ländlichen Raum gesichert werden können.

Meine Damen und Herren, es ist eine allgemein bekannte Tatsache, dass zurzeit beispielsweise die Biomärkte boomen, Zuwachsraten von 20 bis 30 % haben. Hier wird eine Perspektive nicht für die gesamte Landwirtschaft deutlich, aber es wird deutlich, welchen Weg wir in der Qualität, im Bereich des Schutzes der Verbraucherinnen und Verbraucher gehen können. Ich glaube, dort lie

gen große Zukunftspotenziale, Stichwort: nachwachsende Rohstoffe. Dafür braucht es entsprechende Unterstützung. Wir wollen neue Arbeitsplätze. Wir wollen Arbeitsplätze sichern, aber nicht an bestehenden Strukturen festhalten, weil wir damit letztlich unter die Räder geraten.

In dem jetzt anstehenden Wahlkampf wird es darauf ankommen, diese beiden Modelle deutlich zu machen: auf der einen Seite Jobs für die Zukunft, vor allem bei Biomasse und erneuerbaren Energien, in einem Qualitätswettbewerb mit hohen Standards für die Landwirtschaft - auf der anderen Seite, so habe ich den neuen Landwirtschaftsminister verstanden, finanzielle Versprechungen, möglicherweise niedrigere Standards, Agrogentechnik und letztlich die Abhängigkeit von Saatgutkonzernen. Meine Damen und Herren, diese Alternativen sind eindeutig und klar. Ich glaube, dass die Menschen sich auch eindeutig und klar dazwischen entscheiden können. - Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Wort hat nun Frau Abgeordnete Thomann-Stahl für die FDP-Fraktion.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ja erfreulich, dass auch die Kollegen von der SPD die Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP genau studiert und gelesen haben. Ich kann nur feststellen: Endlich dürfen Sie auch mal selbst einen Antrag zu diesem Thema stellen, nachdem Sie sich viele Jahre lang darauf beschränken mussten, die grüne Politik zähneknischend nachzuvollziehen.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Das werden wir noch auskosten! - Demonstrativer Beifall von der FDP)

- Dass Sie aus der Knechtschaft der Grünen entlassen sind, werden Sie noch auskosten.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Bei Ihnen ist das ja umgekehrt! Sie sind in der Knecht- schaft der CDU!)

Das finde ich wirklich gut, Herr Dr. Horstmann. Das ist eine gute Nachricht für uns, denke ich. Da ergeben sich sicherlich wieder Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Wir erinnern uns ja alle noch mit Vergnügen, mit Freude und mit großem Respekt an die Kollegin Schmid von der SPDFraktion.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Eine gute Frau!)

Um es kurz zu sagen: Seit dem 22. Mai wissen die 6 Millionen Menschen im ländlichen Raum Nordrhein-Westfalens, dass sie mit der neuen Landesregierung endlich wieder einen verlässlichen Partner haben, wenn es darum geht, die Potenziale des ländlichen Raums in all seiner Vielfalt zu nutzen und weiterzuentwickeln.

Vor fünf Jahren haben SPD und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart - den haben wir nämlich auch gelesen -, Nordrhein-Westfalen wolle seine Vorreiterrolle für eine Landwirtschaftspolitik ausbauen, die möglichst viele landwirtschaftliche Betriebe in ihrer Existenz sichert. Hieran ist die rot-grüne Landesregierung auf ganzer Linie gescheitert. Da muss ich dem, was Herr Kollege Ortgies dargelegt hat, nichts hinzufügen.

Wir Liberale betrachten den ländlichen Raum als eigenständigen Lebens- und Entwicklungsraum. Einseitigen Benachteiligungen des ländlichen Raums bei Förder- und Entwicklungsmaßnahmen werden wir entgegentreten.

Wir stehen zum Vertragsnaturschutz. Die notwendigen Maßnahmen sollen so weit wie möglich auf vertraglicher Ebene bzw. über freiwillige Vereinbarungen umgesetzt werden.

Wir werden auch dafür sorgen, dass der Wald in seinem Bestand gesichert wird und dass die Waldbesitzer ihn unter Wahrung seiner Gemeinwohlfunktion nachhaltig bewirtschaften können - und dabei liegt die Betonung auf „bewirtschaften“, meine Damen und Herren.

Land- und Forstwirtschaft sind nämlich eine wichtige Branche - nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern in der ganzen Bundesrepublik. Ihr Produktionswert übertrifft jährlich rund 47 Milliarden €. Gleichzeitig ist die Landwirtschaft - das darf man nicht aus den Augen verlieren - mit produktionsbedingten Ausgaben von über 31 Milliarden € ein unverzichtbarer Investor gerade auch im ländlichen Raum; denn die Investitionen werden vor Ort getätigt und schaffen dort neue Arbeitsplätze. Und die Landmaschinenhersteller sind zum großen Teil in NordrheinWestfalen angesiedelt. Auch hier ist die Landwirtschaft also ein ganz wichtiger Faktor.

Mit der FDP wird es keine Politik geben, die Land- und Forstwirtschaft, Gartenbau- und Ernährungswirtschaft sowie die vor- und nachgelagerten Bereiche irgendwelchen fragwürdigen ideologischen Vorstellungen unterordnet. Der ländliche Raum ist uns zu wichtig, als dass er als Experimentierfeld und Spielwiese missbraucht wird. Glücklicherweise sieht unser Koalitionspartner dies genauso. Das unterscheidet ihn und unsere Partnerschaft

positiv von Ihrer zehnjährigen agrarpolitischen Knechtschaft, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD.

(Lachen von SPD und GRÜNEN)

Die wirtschaftliche und wettbewerbliche Situation der Land- und Forstwirtschaft in Deutschland ist nach wie vor schwierig; das wissen alle. Gerade deshalb werden wir alle EU-Vorgaben 1:1 umsetzen und die Probleme nicht durch zusätzliche Auflagen verschärfen und damit unsere Landwirte aus dem Markt drängen - wie Sie das in den letzten Jahren hier auf Landesebene getan haben und im Moment noch auf Bundesebene tun, meine Damen und Herren.

Eine zukunftsorientierte ländliche Regionalpolitik geht aber natürlich über den Agrarbereich hinaus. Die Attraktivität des ländlichen Raums kann nur erhalten werden, wenn die Bürger auf eine vergleichbare Infrastruktur bei Ärzten, Banken, Post, Einkaufsmöglichkeiten, Schulen - ganz wichtig -, Handwerk und Handel zurückgreifen können, wie sie in Konzentrations- oder Ballungsgebieten vorhanden ist.

Meine Damen und Herren von der SPD, Ihr Antrag verharrt leider weiter in Ihrem alten staatsfixierten Denken: Alles muss der Staat richten; der Einzelne ist möglichst nicht verantwortlich.

Wir haben eine andere Sichtweise. Die Menschen wollen - und das sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen - selbst für ihr Leben verantwortlich sein. Sie wollen selbst entscheiden können.

Diese Freiheit wollen wir Liberale - und mit uns die CDU - ihnen im Lande zurückgeben. Die Bürger hier in Nordrhein-Westfalen können nämlich wesentlich mehr, als Sie ihnen in den letzten Jahren zugetraut haben. - Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Das Wort hat jetzt Herr Minister Uhlenberg für die Landesregierung.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt heute eine gute Nachricht: Die SPD hat zumindest formal den ländlichen Raum wiederentdeckt. Nachdem sie zehn Jahre im Kriechgang durch den Landtag gegangen ist und sich um diese Themen überhaupt nicht gekümmert hat, gibt es zumindest schon einmal wieder einen Antrag.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, wenn Sie gerade vor der Landtagswahl am 22. Mai durch die ländlichen Räume in Nordrhein-Westfalen gefahren sind, dann haben Sie erstens festgestellt, dass bei den Podiumsdiskussionen von der SPD meistens keiner da war. Zweitens haben Sie festgestellt, dass sich in den ländlichen Räumen eine Wut über diese Art von Agrarpolitik und Politik für den ländlichen Raum aufgestaut hatte, unter der auch die Sozialdemokraten - ich glaube, sie haben es erst mit dem Wahlergebnis am 22. Mai gemerkt - deutlich zu leiden haben.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, auch wenn in diesem Antrag vieles falsch ist - deswegen werden wir ihn ja auch ablehnen -, schließt er doch auch ein Stück an die Zeit von Herrn Matthiesen an - das darf ich Ihnen mit auf den Weg geben -, indem Sie nun wieder eigenständige Gedanken zum Thema „ländlicher Raum“ äußern. Noch einmal: Sie sind in den vergangenen Jahren nur im Kriechgang gegangen. Wir haben doch Veranstaltungen erlebt, bei denen die SPD-Kollegen irgendetwas gesagt haben, was vom grünen Staatssekretär sofort wieder eingesammelt worden ist.

(Zuruf von Dr. Axel Horstmann [SPD])

Und es ist völlig falsch, jetzt hierhin zu kommen und so zu tun, als würden diese Landesregierung und die Koalitionsfraktionen das Thema ländlicher Raum links liegen lassen.

(Zuruf von Dr. Axel Horstmann [SPD])