Protokoll der Sitzung vom 26.10.2006

Auf einen weiteren wesentlichen Aspekt im Bereich Teilzeitarbeit und Jobsharing sind Sie leider nicht eingegangen. Das ist die Teilzeitarbeit oder das Jobsharing von Führungskräften. Karrierewege sind oft immer noch an Vollzeitarbeit gebunden. Auch hier sind Unternehmen gefordert, umzudenken und umzustrukturieren.

Die Erkenntnisse sind also nun vorhanden, mit welchen Maßnahmen Unternehmen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern könnten. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind auch vorhanden. Ich möchte nur daran erinnern: Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für flexible Arbeitsorganisationen, wie Teilzeitarbeit und Jobsharing, ein Diskriminierungsverbot von Teilzeitbeschäftigten sowie die Verankerung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen für Teilzeitbeschäftigte, hat Rot-Grün im Jahr 2001, und zwar gegen den erbitterten Widerstand von CDU und FDP, in dem Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge geschaffen.

Die Frage ist jedoch – das hat Herr Lindner eben auch schon angesprochen –: Wie verbindet man die Theorie mit der Praxis? Wie kriegt man es hin, dass sich die vorhandenen Möglichkeiten auch in der Praxis verankern?

88 % der Befragten sehen noch Handlungsbedarf in den meisten Unternehmen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern.

CDU und FDP setzen auf Werben und Freiwilligkeit. Dagegen ist im Grunde nichts einzuwenden, doch – nehmen Sie mir das bitte nicht übel -ich denke: Ob Werbemaßnahmen und Appelle immer zum Ziel führen, sei einmal dahingestellt. Aber: Es schadet nicht; man sollte es auf jeden Fall probieren.

In der Großen Anfrage unserer Fraktion zum Thema „Situation der Familien in NordrheinWestfalen“ haben wir uns in Kapitel VII mit dem Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ befasst. Wir wollten von der Landesregierung wissen, welche Schritte notwendig sind, um Familien- und Berufsphase besser miteinander zu verzahnen. Wir wollten wissen, welche Arbeitszeitmodelle aus Sicht der Landesregierung besonders geeignet sind, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Wir wollten wissen, ob es derzeit in NRW Arbeitszeitmodelle gibt, die erprobt werden. Wir wollten überdies wissen, ob und welche Erkenntnisse über familienfreundliche Maßnahmen in nordrhein-westfälischen Betrieben vorliegen und wie diese unterstützt werden. Über die Aussagekraft der Antworten werden wir demnächst reden.

An dieser Stelle möchte ich nur auf eine Antwort eingehen, die gegeben worden ist. Die Antwort auf die Frage

„Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung über familienfreundliche Maßnahmen in nordrhein-westfälischen Betrieben vor, und wie werden diese unterstützt?“

lautet auszugsweise:

„Bisher haben mehr als 10.000 Betriebe in Nordrhein-Westfalen diese Förderangebote im Rahmen von Potenzial- und Arbeitszeitberatungen oder Verbundprojekten mehrerer Unternehmen in Anspruch genommen.“

Außerdem wird auf die Projekte „Zeitbüro“ und „Wettbewerbsstärke durch Familien“ sowie darauf hingewiesen, dass weitere Maßnahmen geplant sind.

Demzufolge gibt es bereits etliche Maßnahmen, Projekte und Beratungsangebote und noch vieles mehr in Nordrhein-Westfalen. Dann frage ich mich aber: Was soll dann Ihre Forderung, noch einmal für die Möglichkeit der Berufsrückkehr zu werben, noch einmal für die Begleitung von Modellprojekten zu werben, usw.?

Ihr Antrag ist ein reiner Showantrag. Sie wollen sich mit diesem Antrag selber das Gütesiegel für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf an das Jackett heften. Das wird Ihnen nicht gelingen. Das werden wir Ihnen vor allen Dingen bei diesem Thema nicht durchgehen lassen.

Sollte Ihr Antrag aber, wie ich hoffe, kein Showantrag sein, dann greift er zu kurz. Wenn Sie wirklich an der Schaffung familienfreundlicher Arbeitsplätze mit Hilfe und Unterstützung des Landes NRW interessiert sind, dann muss eine Darstellung bereits bestehender Maßnahmen erfolgen und eine Auswertung dieser Maßnahmen stattfinden. Die Maßnahmen müssen auf ihre Effizienz hin überprüft und gegebenenfalls modifiziert werden. Erst dann kann man über die Planung und Durchführung neuer Maßnahmen reden, die wiederum begleitet und ausgewertet werden müssen.

Bevor ich es vergesse! Sie schreiben in Ihrem Antrag:

„Wir benötigen ausreichend Arbeitsplätze, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erlauben.“

Ich gehe selbstverständlich davon aus, dass Sie über sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze reden. Aber das muss noch nachgebessert werden. Dazu haben wir dann die Möglichkeit im Ausschuss.

Ich freue mich auf die Beratung, und wie bereits gesagt: Das rote Tor ist offen. – Danke schön.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Tillmann. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Asch das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ – das klingt zunächst einmal gut, wenn man den Titel Ihres Antrags liest. Auch die konservativen Kräfte hier im Land sind in der Wirklichkeit angekommen und verstehen offenbar, was Frauen heute wollen.

Doch gleich beim ersten Satz wird klar, um was es Ihnen eigentlich geht: „In Deutschland werden zu wenig Kinder geboren.“ Der Motivation der Frauen, Kinder zu bekommen, muss nachgeholfen werden. Sprich: Es geht Ihnen hauptsächlich um Bevölkerungspolitik. 1,3 Kinder pro Frau sind zu wenig Steuerzahler/innen für die öffentlichen Kassen, sind zu wenig Einzahler/innen für die so

zialen Sicherungssysteme und für den prognostizierten Fachkräftemangel in der Wirtschaft.

Meine Damen und Herren, diesen rein instrumentellen Ansatz kann und will ich nicht teilen. Menschen und ihre Lebensbedingungen nur darauf zu reduzieren, dass sie einen Beitrag in einem Wirtschaftssystem leisten, dass sie ein funktionierendes Rädchen in der Gesellschaft sind, ist zynisch und führt ihre Individualität rein auf ihre gesellschaftliche Funktion zurück.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Wir Grünen waren die Ersten, die sehr lautstark in dem parteipolitischen Chor die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingefordert haben. Wenn wir das machen, dann geht es uns nicht darum, pronatalistische Politik zu betreiben, sondern uns geht es darum, Frauen und auch Männern, wenn sie das wollen und dazu bereit sind, die Chance zu eröffnen, ihren eigenen persönlichen Lebensentwurf zu leben, ihnen die Möglichkeit zu geben, Familie und Beruf miteinander zu verbinden, ohne dass sie sich automatisch, wenn sie sich für das eine entscheiden, gegen das andere entscheiden müssen.

(Zuruf von Rüdiger Sagel [GRÜNE])

Wenn wir uns dem Thema auf diese Weise nähern, meine Damen und Herren, dann kommen wir zu ganz anderen Schlüssen als denen, die in diesem Antrag präsentiert werden. Ganz offensichtlich – das wird in dem Antrag sehr deutlich; das hat eben auch die SPD-Kollegin gesagt – geht es Ihnen vor allen Dingen darum, die eigene Verantwortung, die Verantwortung als Haushaltsgesetzgeber nicht zu übernehmen, sondern das Themenfeld in Appellen an die Wirtschaft abzuhandeln.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Sie machen sich – auch Sie, Herr Lindner – völlig unglaubwürdig, wenn Sie einerseits wohlfeile Appelle an die Arbeitgeber formulieren, während Sie andererseits ganz konkret – sowohl im letzten Haushaltsentwurf als auch in dem jetzt vorliegenden Haushaltsentwurf – die Mittel für die Regionalstellen Frau und Beruf, die Unterstützungsangebote und Beratungsangebote, die den Frauen den Wiedereinstieg in den Beruf ermöglichen sollen, drastisch kürzen und jetzt auch strukturell zerschlagen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie blenden vollkommen aus, dass gerade jetzt die Struktur kaputtgemacht wird, deren Aufgabe

die Förderung der Erwerbstätigkeit von Frauen ist. Die Regionalstellen mussten Kürzungen im Jahre 2005 verkraften. Jetzt geht es um die Demontage der gesamten Struktur. Das heißt: Die Fachfrauen in NRW, die dafür zuständig sind und die jahrelang Fachwissen und Fachkompetenz angesammelt haben, müssen zum Teil gehen oder werden versetzt. Die eingesetzten Projektmittel werden nicht ausreichen; denn die Regionalstellen erledigen das in der jetzigen Struktur sehr vorbildlich und effizient, was Sie hier gerade in irgendwelchen Appellen beschließen wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie setzen sich bei den Unternehmen, in der Wirtschaftsförderung, in den Kommunen für die Regionalstellen ein, damit Frauen, die wieder arbeiten oder sich selbstständig machen wollen, Unterstützung finden.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Herr Lindner, wenn Sie Ihrem Minister diese Vorschläge durchgehen lassen, dann zerschlagen Sie einen wesentlichen Baustein in der Förderung der Berufstätigkeit von Frauen, denn dann gibt es diese Fachkompetenz dort, wo die Frauen sie wirklich brauchen, nicht mehr.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie können jahrelang die Ergebnisse von irgendwelchen Studien, von Prognos oder der HertieStiftung, bemühen, die Wirtschaft wird Ihnen nicht zuhören. Die Wirtschaft hört schon jetzt nicht zu, wenn es um Lohnungleichheit in diesem Land geht. Frauen verdienen immer noch 23 % weniger als Männer. Man muss die weiblichen Führungskräfte immer noch mit der Lupe suchen und noch immer sind 85 % der Teilzeitbeschäftigten mit allen negativen Konsequenzen, die das für die soziale Absicherung und die Rente hat, Frauen.

Herr Lindner, Sie haben es gerade selbst gesagt, bei 4 % Frauen in Führungspositionen von Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern weiß jeder, dass es nicht an der fehlenden Qualifikation von Frauen liegt, dass die Frauenquote so niedrig ist. Wir alle wissen, dass die Qualifikation von Frauen im Durchschnitt besser ist als die der Männer. Rationale Gründe liegen also nicht vor.

Elternteilzeit wird nur von 5 % der Väter wahrgenommen. Von einem partnerschaftlichen Miteinander bei den Erziehungspflichten kann noch nicht einmal im Ansatz die Rede sein. Deshalb brauchen wir für die Wirtschaft eine gesetzliche Verpflichtung zur Frauenförderung. Wir brauchen nicht Appelle, sondern zum Beispiel eine Kopp

lung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge an Unternehmen.

(Beifall von den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Ach du Schande!)

Herr Witzel, diese Appelle gibt es seit Jahrzehnten, aber sie fruchten nicht. Die Wirtschaft muss es fühlen können. Sie braucht einen finanziellen Benefit, wenn sie Frauen einstellen.

Die Wirtschaft wird sich auch nicht bei Appellen zur Kinderbetreuung nach dem Motto „Macht mehr Betriebskindergärten“ angesprochen fühlen. Das Land geht mit einem sehr schlechten Beispiel voran. Denn in diesem Land wird die Kinderbetreuungsinfrastruktur in diesem Jahr mit gerade mal 150 Millionen € minderfinanziert. Sie haben Streichungen vorgenommen.

(Ralf Witzel [FDP]: Was haben Sie denn ge- macht?)

Wenn Sie ein gutes Beispiel für die Wirtschaft wären, dann hätten Sie in die Infrastruktur investiert und nicht die finanziellen Grundlagen gekappt.

Eines ist auch klar – das wurde eben von allen gesagt –: Der Schlüssel für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind natürlich die Kinderbetreuungsplätze, und zwar Kinderbetreuungsplätze als Ganztagsplätze und vom ersten Lebensjahr an.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Elterngeld, das die Bundesregierung eingeführt hat – Frau von der Leyen rühmt sich damit ja –, ist schön und gut. Wir sind uns hier im Hause darin einig, dass damit eine Umverteilung von unten nach oben einhergeht.

(Zuruf von der SPD: Nein!)