Protokoll der Sitzung vom 26.10.2006

Danke schön, Herr Jäger. – Für die FDP spricht der Abgeordnete Engel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Innerhalb der letzten zwei Monate beraten wir dieses bundespolitische Thema heute schon zum zweiten Mal. Für mich stellt sich nach wie vor die Frage, welchen

Sinn es zum jetzigen Zeitpunkt macht, über eine Unternehmenssteuerreform zu debattieren, deren endgültige Eckpunkte noch immer nicht unter Dach und Fach sind.

Weiterhin gilt unabhängig von dieser Frage: Unternehmenssteuerreform ist notwendig, damit Deutschland international wettbewerbsfähig bleibt und nicht den Anschluss verliert. Die traurige Spitzenposition Deutschlands bei der Höhe der Unternehmenssteuerbelastung für Kapitalgesellschaften in Europa ist nicht weiter hinnehmbar. Denn eine Beibehaltung der bisherigen überdurchschnittlichen Steuersätze führt einerseits zur Bremsung des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigungsentwicklung sowie andererseits zu einer Beschleunigung der Kapitalflucht ins Ausland. Ziel einer Unternehmenssteuerreform muss es sein, diese negativen Wirkungen ins Positive umzuwandeln.

Sicherlich ist das Nichtstun, also keine Reform, die teuerste Lösung und daher die schlechteste Alternative. Der monatelange Streit auf Bundesebene innerhalb der Großen Koalition über die Ausgestaltung der Unternehmenssteuerreform stellt sich immer mehr als eine große Belastungsprobe zulasten der Betroffenen heraus. Immer wieder werden neue Unternehmenssteuerreformbestandteile wild in der Öffentlichkeit diskutiert, um dann wieder in Trickkisten und Zettelkästen zu verschwinden. Man hat wirklich das Gefühl, dass das Kunststück einer gelungenen Unternehmenssteuerreform gehörig fehlschlagen wird, weil die Mischung der Zutaten nicht gelingen wird.

Zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen: Wie auch im Antrag der SPD-Fraktion wird das Gefühl erzeugt, dass die Unternehmenssteuerreform primär das Ziel verfolgt, die kommunalen Finanzen zu sichern. Das ist aber zu kurz gesprungen. Wir Liberalen teilen die Ansicht, dass die Kommunen eine stabile und auskömmliche Einnahmeausstattung benötigen. Die Gewerbesteuer wird diesem Anspruch – auch das ist nicht neu – nicht gerecht. Denn sie ist in höchstem Maße unkalkulierbar, da sie völlig konjunkturabhängig ist. Das erleben wir zurzeit. Im Augenblick brummt sie; aber wir kennen auch andere Zeiten mit erheblichen Einbrüchen. Deshalb kann man auf sie nicht bauen.

Aus diesem Grund plädieren wir für eine umfassende Gemeindefinanzreform mit Abschaffung der Gewerbesteuer und adäquatem Ersatz durch sichere Einnahmequellen. Sie kennen das Programm der FDP an der Stelle: auskömmliche Beteiligung an der Mehrwertsteuer und eine eigene

kommunale Steuer, die dann auch im Wettbewerb der Kommunen untereinander steht.

Darüber hinaus sind ertragsunabhängige Bestandteile bei der Gewerbesteuer abzulehnen. Das heißt, wir wollen keinen Ausbau der Gewerbesteuer in ihrer gegenwärtigen Form. Aber in Berlin hat sich die Große Koalition darauf verständigt, eine Unternehmenssteuerreform nur im Konsens mit den Kommunen durchzuführen.

Es ist nicht ganz verständlich, wieso Sie das noch einmal in Ihrem Antrag einfordern, Herr Becker. Es wäre nicht ratsam, eine Änderung des Gemeindefinanzierungsgesetzes infolge der Unternehmenssteuerreform vorzunehmen. Vielmehr sollten im Zuge der zweiten Stufe der Föderalismusreform die Finanzen und die Finanzbeziehungen der öffentlichen Hand neu geordnet und in diesem Rahmen eine Gemeindefinanzreform eingeleitet werden.

(Beifall von der FDP)

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass die Forderungen des Antrags nicht ganz nachvollziehbar sind. Mit wem sollte die Landesregierung denn jetzt so schnell wie möglich Gespräche aufnehmen? Wir Liberalen sind der Ansicht, dass das zunächst mit einem Konzept beginnt, das auf den Tisch muss. Dann kann man in einen Dialog eintreten. Vor diesem Hintergrund kommt der Antrag zur falschen Zeit und am falschen Ort. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Danke schön, Herr Engel. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Finanzminister Dr. Linssen.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich fasse nur kurz zusammen, was Sie vorgetragen haben: Ihr Hauptbeitrag und Ihr Hauptthema bei der Unternehmensteuerreform ist, dass möglichst alles beim Alten bleiben soll. Sie haben – wie bei den Debatten im Laufe des Tages – wieder vorgetragen: Wir befürchten …, wir befürchten …, wir befürchten …

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie gehören offensichtlich zur Gruppe derjenigen, die nicht in erster Linie die Chancen von Reformen erkennen und begreifen wollen, sondern die Angst vor Veränderungen haben.

(Beifall von der CDU – Lachen von den GRÜNEN)

Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Wir befinden uns in einem globalen und harten Wettbewerb mit anderen Standorten dieser Welt. Da reicht es nicht aus, vor dem Rennen die Scheuklappen herunterzulassen, damit man nur nicht sieht, wie schnell die anderen laufen.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Becker?

Mein Gott, so früh schon, Herr Becker? – Ja, bitte schön.

Herr Becker bitte.

Herr Minister, vielen Dank dafür, dass Sie meine Frage zulassen. – Erinnern Sie sich daran, dass die Befürchtung, die ich vorhin vorgetragen habe, von den kommunalen Spitzenverbänden, bundesweit von vielen Kommunen und auch von vielen ihrer Parteifreunde, die Bürgermeister oder Landräte sind, geteilt wird?

Es muss nicht immer richtig sein, was befürchtet wird, Herr Becker. Das muss man sich einmal genauer angucken: Bei vielen gibt es die Neigung, einem Modell, das der Bundesfinanzminister vorgelegt hat, zuzustimmen – in der Hoffnung, dass sie davon partizipieren können. Wenn man sofort mehr kriegen kann, denkt man oft nicht darüber nach, was damit mittel- und langfristig auch an Negativem erreicht werden könnte.

Im Übrigen sage ich Ihnen deutlich: Der Bundesfinanzminister denkt natürlich gar nicht daran, mit der Stabilisierung der Besteuerung von ertragsunabhängigen Elementen bei der Gewerbesteuer irgendwie die Kommunen zu stärken. Er hat uns in Berlin völlig klar erklärt, dass die Kommunen von dem Mehr überhaupt nichts sehen würden. Deshalb würde ich mir als Kommunalpolitiker sehr genau überlegen, ob ich mich überhaupt für solche Modelle einsetze.

(Gisela Walsken [SPD]: Wir haben andere Informationen!)

Das stimmt. Das können Sie im Protokoll des Finanzplanungsrats nachlesen, wo ich diese Frage natürlich gestellt habe und er entsprechend geantwortet hat.

(Gisela Walsken [SPD]: Das gucken wir uns an!)

Ich darf Ihnen versichern, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass ich als Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen um die Bedeutung einer soliden Finanzausstattung für unsere Kommunen weiß. Insofern ist Ihr Antrag schlichtweg überflüssig.

(Beifall von CDU und FDP)

Gleichwohl will ich hierzu in dem gegebenen Zeitrahmen kurz inhaltlich Stellung nehmen: Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen ist sich einig, dass Deutschland eine Unternehmensteuerreform braucht. Steuersätze für Unternehmen von fast 40 % sind heutzutage international nicht mehr wettbewerbsfähig. Die Landesregierung befürwortet deshalb eine Gesamtbelastung in der Nähe von 30 %, damit Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb Schritt halten kann.

Um dieses Ziel zu erreichen und dabei die Körperschaftsteuer nicht zu einer Bagatellsteuer verkommen zu lassen, kann die Gewerbesteuer nicht unverändert bleiben. Dabei ist es einhellige Meinung der Landesregierung, dass die kommunale Finanzkraft und Finanzautonomie erhalten bleiben müssen. Die Kommunen brauchen diese Mittel nicht zuletzt deshalb, um die aktuellen Herausforderungen aufgrund der Veränderungen sozialer Strukturen bewältigen zu können. Wenn Sie allerdings in die kommunale Landschaft hineinhören, wird natürlich vieles artikuliert, was mit Landesdotationen überhaupt nichts zu tun hat, sondern was ein Klagen in Richtung Berlin ist. Bei Hartz IV haben die Kommunen damit auch sicherlich Recht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wünschenswert ist eine Verstetigung der kommunalen Einnahmen. Diese Forderungen der Kommunen dürfen jedoch nicht dazu führen, dass Unternehmen unzumutbare Mehrbelastungen tragen müssen. Das vermisse ich bei dem Antrag der Grünen. Natürlich wird wieder von der Revitalisierung der Gewerbesteuer gesprochen – auch Herr Jäger hat das getan. Diese Diskussion haben wir nun schon ewig und immer. Am liebsten hätten Sie sie auf ewige Zeiten zementiert, weil Sie nicht die Gefahr sehen, die davon für unsere Unternehmen ausgeht, wenn wir uns auf die Dauer von dem abkoppeln, was im internationalen Wettbewerb notwendig ist.

Es kann nicht der Sinn einer Unternehmensteuerreform sein, die Unternehmen auf der einen Seite zu entlasten, um sie wettbewerbsfähiger zu machen, und dieses Geld auf der anderen Seite mithilfe ertragsunabhängiger Elemente sofort wieder einzusammeln. Die derzeitigen Substanzsteuerelemente der Gewerbesteuer sind bereits ein

Problem für den Standort Deutschland. Die teilweise alternativ zur Zinsbesteuerung diskutierte Grundsteuerverdoppelung für Betriebsgrundstücke geht nach meiner und unserer Auffassung ebenfalls in die falsche Richtung.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vor diesem Hintergrund tritt die Landesregierung für eine umfassende Unternehmensteuerreform ein, die auch bei der Gewerbesteuer die bestehenden Strukturdefizite für den Standort beseitigt. Der Vorschlag des Finanzministeriums NordrheinWestfalen ist eine Beteiligung am Lohnsteueraufkommen, aber keine neuen Substanzsteuern für Unternehmen. Wir sind der Meinung: Auch die 50%ige Beteiligung bei Dauerschuldzinsen ist ein ertragsunabhängiges Element. Ich glaube, es ist besser, man schafft so etwas ab und gibt den Kommunen dafür eine entsprechende Kompensation.

(Beifall von CDU und FDP)

Der Ausbau der ertragsunabhängigen Elemente bei der Gewerbesteuer, liebe Kolleginnen und Kollegen, sowie neue Substanzsteuern hätten nur eine abschreckende Wirkung auf Unternehmen und würden dem Standort Deutschland schaden. Ohne genügend starke Unternehmen in Deutschland kann man auf Dauer auch keine auskömmlichen Einnahmen für die Gemeinden erreichen. Es ist meine herzliche Bitte, dass auch die Vertreter der Kommunalpolitik versuchen, das in ihre Vorstellungen einzuarbeiten.

In den nächsten Wochen, meine Damen und Herren, müssen wir das eigentliche Ziel der Reform, nämlich den Standort Deutschland nach vorne zu bringen, fest anvisieren. Dieses eigentliche Ziel ist durch die Diskussion über unverträgliche Finanzierungsmodelle, die aus dem Ausland gesteuert werden, etwas in Vergessenheit geraten. Natürlich ist dieses Thema vor allem nach vorne gebracht worden, um davon abzulenken – das konnte man sehr genau erkennen –, dass nach einer Gegenfinanzierung gesucht wurde. Dabei sind die Unregelmäßigkeiten oder Nichtvertretbarkeiten bei einer Finanzierung von Unternehmen aus dem Ausland, womit der Verlust von Steuersubstrat verbunden ist, weil das ins Ausland abwandert, vorgeschoben wurden.

Dagegen muss man auch etwas unternehmen. Man darf aber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und damit praktisch die gesamte Landschaft schädigen, vor allem diejenigen Mittelständler, die knapp finanziert sind und die auf enorme Fremdkapitalfinanzierung angewiesen sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Politik der Großen Koalition darf jetzt nicht im Gezerre unterschiedlicher Positionen verharren. Auch Steuerpolitik hat die Aufgabe, unser Land in dieser Welt so zu positionieren, dass Deutschland eine gute Zukunft hat. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Dr. Linssen. – Meine Damen und Herren, es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Wir sind am Schluss der Beratung.

Die antragstellende Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den Inhalt des Antrages Drucksache 14/2723. Wer dieser Drucksache zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.

Meine Damen und Herren, bevor wir zu Tagesordnungspunkt 10 kommen, möchte ich noch eine Erklärung abgeben. Am frühen Nachmittag kam es im Zusammenhang mit den Debattenbeiträgen zu Tagesordnungspunkt 4 während der Rede des Abgeordneten Lindner zu einer Bemerkung, die ich für unparlamentarisch halte. Der Abgeordnete Lindner hat in seinem Redebeitrag einen Kollegen als Parlamentsstrolch bezeichnet.

(Zurufe – Unruhe – Edgar Moron [SPD]: Das kann nicht ernst gemeint sein!)

Dieser Begriff entspricht nicht der parlamentarischen Ordnung, und deshalb wird er von mir gerügt.

Meine Damen und Herren, wir kommen zu Tagesordnungspunkt

10 Individuelle Förderung darf nicht nur ein Schlagwort sein

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/2581 – Neudruck

Ich eröffne die Diskussion und erteile Frau Stotz von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön. – Ich sehe, dass gerade geklärt wird, ob das möglicherweise ohne Debatte geht. Ist das der Fall?