Protokoll der Sitzung vom 16.11.2006

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Der Petitionsausschuss betrachtet jeweils den Einzelfall. Das führt dazu, dass die Arbeit des Petitionsausschusses manchmal nicht mit einer vollzogenen Rückführung abgeschlossen ist. Ein ganz besonders gelagerter Einzelfall, der auch in den Medien große Aufmerksamkeit gewonnen hat, beschäftigte uns im Ausschuss und lässt mich auch als Berichterstatterin persönlich nicht los.

Eine Familie mit fünf Kindern, ursprünglich aus dem Kosovo, lebte in Marsberg im Hochsauerlandkreis. Es ist eigentlich das typische Flüchtlingsschicksal, wie wir es schon viele Male erlebt haben, doch mit einem ganz wesentlichen Unterschied. In dieser Familie spielte sich intern ein Gewaltdrama von seltener Intensität ab.

Der Vater hat über Jahre hinweg seine Kinder sexuell massiv missbraucht und körperlich schwer misshandelt. Im Strafurteil ist von über 300 Einzelfällen die Rede. Deshalb ist er folgerichtig zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Die einzigen Zeugen waren die älteren Kinder der Familie. Es ist unter Fachleuten völlig unstreitig, dass alle Kinder der Familie einer intensiven Hilfe, unter anderem in Form einer Psychotherapie bedürfen und weiterhin bedürften.

Nun geschieht das für mich nicht Nachvollziehbare: Die ebenfalls schwer psychisch gestörte Mutter wird mit den Kindern nach Serbien abgeschoben. Der Opferschutz spielte bei der Entscheidung keine Rolle. Eine Therapie war und ist nicht

gewährleistet. Mutter und Kinder befürchten Vergeltung durch die Familie des Vaters vor Ort.

Auch die massiven Proteste der Stadt Marsberg, der Kirche und vieler engagierter Menschen vor Ort haben die Ausländerbehörde nicht zu einer Duldung – zumindest nicht bis zum Abschluss der Therapie der Kinder – veranlasst. Rechtlich hätte hier eine völlig unproblematische Verlängerung der Duldung ausgesprochen werden können.

Die Kinder und die Mutter lebten nach der Abschiebung zunächst unter unsäglichen Verhältnissen in zwei Hinterzimmern bei Verwandten der Mutter. Der Gesundheitszustand der Mutter hat sich dramatisch verschlechtert. Es liegen uns dazu ärztliche Stellungnahmen aus Serbien aktuell vor. Eine Behandlung vor Ort ist nicht durchführbar.

Schon die materielle Not ist groß. Das haben die Bilder in der mehrfachen Berichterstattung über den Fall bei Cosmo TV im WDR gezeigt. Die seelische Not der Kinder nach dem erlittenen Schicksal kann aber in Bildern nicht einmal ansatzweise zum Ausdruck kommen. Sie bedarf dringend der Behandlung, und diese kann fachlich und sinnvollerweise nur in Deutschland und im heimischen Umfeld erfolgen, da die Möglichkeiten dafür vor Ort nicht gegeben und für diese Familie überdies nicht erreichbar beziehungsweise finanzierbar wären. Außerdem werden die Kinder den Repressalien der Familie des Vaters weiterhin ausgesetzt.

Die Kinder sprechen nur Deutsch und sehr wenig Albanisch. Sie waren hier in der Schule sehr gut integriert. Dort, wo sie jetzt sind, dominiert das Serbische.

Inzwischen hat es die Familie des Inhaftierten mit melderechtlichen Tricks erreicht, dass Mutter und Kinder den Aufenthalt bei ihnen nehmen mussten und aktuell auseinandergerissen worden sind. Sie sind nun unmittelbar den Vorwürfen ausgesetzt, durch ihre Aussagen den Vater ins Gefängnis und so Schande über die Familie gebracht zu haben. Das ist neben den Belastungen durch den vielfachen Missbrauch hier eine unerträgliche Situation – vor allem für die Kinder.

Angesichts der jetzt umfassend bekannten Sachlage, müssen die Beteiligten noch einmal an den Tisch. Dabei geht es uns nicht um Schuldzuweisungen, sondern allein um das Wohl der Familie und der Kinder, die hier bei uns im Land ein Martyrium erlitten haben und deren Leid sich in Serbien nicht nur fortsetzt, sondern ein neues Maß erreicht. Die Annahmen, die bei der Abschiebung aus der Behördensicht zugrunde lagen, müssen

jetzt von einer neuen Faktenlage aus anders beurteilt werden.

Aus meiner Sicht führt der Weg nur über ein ordentliches Visum, das bei der Deutschen Botschaft unter Hinweis auf die dargestellten humanitären Gründe nach § 22 Aufenthaltsgesetz zu beantragen ist. Der Petitionsausschuss kann dieses Verfahren mit einer entsprechenden Beschlussempfehlung nur unterstützen. Für die erfolgreiche Erteilung des Visums müssen die Deutsche Botschaft in Belgrad und die Behörden in NRW zusammenwirken.

Wir werden daran weiter arbeiten, im Gespräch sein und versuchen, schnellstmöglich eine Lösung für die Familie zu erreichen. – So viel zu diesem doch sehr nachdenklich machenden Fall.

Obwohl der Schwerpunkt dieses Berichts im Zusammenhang mit unserer Delegationsreise in ausländerrechtlichen Fragen liegt, lassen Sie mich noch kurze Beispiele aus anderen Arbeitsfeldern schildern.

Ein wichtiger Bereich ist die Schule. Es geht um Lehrereinstellung, Lehrerbesoldung, Unterrichtsausfall, Schulschließungen und vieles mehr. Es werden aber auch ganz spezielle Einzelschicksale von Schülern vorgetragen – so auch der Fall eines 14-jährigen Jungen aus dem Münsterland, der in seinem Alter bereits eine beispiellose Schulkarriere im In- und Ausland hinter sich hat.

Exemplarisch zeigt der Fall, wie schwierig sich die Zusammenarbeit von Elternhaus und Schule gestalten kann, und dass Jugend- und Familiehilfe noch nicht systematisch mit der Schule verzahnt sind. Es entstand aber auch der Eindruck, dass unser Schulsystem zu viel auf Defizite blickt und zu wenig ermutigend ist. Die Problemfälle erhalten oftmals – so tragen es Eltern vor – nicht die notwendige Zuwendung. Wichtige Erkenntnisse werden gar nicht oder zu spät gewonnen. Eltern fühlen sich häufig alleingelassen beziehungsweise nicht genügend unterstützt, so wie die Schule häufig eine sperrige Elternhaltung beklagt.

Im konkreten Fall hat der Petitionsausschuss die Notwendigkeit einer dringenden kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlung herausgearbeitet und in zwei Erörterungsterminen versucht, Eltern und Schule wieder auf einen gemeinsamen Weg zum Wohle des Kindes und seiner schulischen und gesundheitlichen Entwicklung zu führen. Nach meinem letzten Informationsstand fühlt sich der Junge in der Therapie sehr wohl. Der weitere schulische Weg ist allerdings noch offen.

In der Sache begründet war schließlich eine Eingabe, mit der Eltern eines Schülers an einem Gymnasium kritisierten, dass anlässlich einer Kursfahrt in den Herbstferien 2005 nach Australien die Schüler und Schülerinnen beziehungsweise die Eltern die Reisekosten der begleitenden Lehrer mitzufinanzieren hatten. Obwohl dieses zuvor offen erörtert und von den Eltern akzeptiert worden ist, entspricht diese Art der Reisekostenfinanzierung für Lehrer nicht der geltenden Rechts- und Erlasslage; die Ministerin wird mir zustimmen.

Nun wissen wir alle, dass Reisekosten für Lehrer bei Klassenfahrten ein spezielles Problem sind. Doch stellen sich im konkreten Petitionsfall schon einige grundsätzliche, kritische Fragen. Es ist besonders erstaunlich, dass die Kosten von zwei Lehrkräften bei dieser Australienfahrt ernsthaft auf teilnehmende sieben Schülerinnen und Schüler umgelegt worden sind. Für wie viele Schülerinnen und Schüler ist eine solche schulische Veranstaltung aber überhaupt finanzierbar, und ist das Erreichen der Ziele schulischer Arbeit und von Lerneffekten wirklich abhängig von einer Australienfahrt?

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die Petition hat im konkreten Fall dazu geführt, dass die Lehrer ihren Reisekostenanteil an die Eltern der Schüler zurückzahlen müssen.

In einer anderen Schulangelegenheit sind wir als Ausschuss über die Qualität eines behördlichen Schreibens gestolpert. So strotzte ein Bescheid der gymnasialen Schulaufsicht einer Bezirksregierung an die Eltern eines Schülers vor Grammatik- und Rechtschreibfehlern. Das ist kein guter Ausweis gegenüber Eltern in einer strittigen Angelegenheit, bei der es um schulische Leistungen ging. Ich möchte das eher ironisch kommentieren. Das Schreiben belegt, wie weit man heute gegebenenfalls mit einer Lese- und Rechtschreibschwäche selbst in der Schulbürokratie kommen kann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein weiteres Arbeitsfeld betrifft den Bereich des Verkehrs und der Verkehrsplanung. Nicht selten treffen die Befürworter und Gegner einer Planung beim Petitionsausschuss aufeinander.

Bei einem konkreten Fall in Siegen ging es um die Errichtung von Park-and-Ride-Parkplätzen in der Nähe des Bahnhofs. Obwohl die Planung diese seit vielen Jahren vorsieht und auch die Landesförderung möglich ist, hat sich die Umsetzung bis heute immer wieder verzögert. Nach Durchführung eines Erörterungstermins lässt sich der be

rühmte Silberstreifen am Horizont deutlicher erkennen. Eine Umsetzung für 2007 ist vorgesehen.

Damit aber die Übergangszeit für die täglichen Pendler und sonstigen Nutzer solcher Park-andRide-Parkplätze erträglicher gestaltet werden kann, hat der Petitionsausschuss konkrete Zwischenlösungen vorgeschlagen, die derzeit noch überprüft werden. Dabei müssen Stadt- und Kreisverwaltung als Grundstückseigentümer miteinander klarkommen. Es ist zu hoffen, dass jetzt schnell eine Lösung für die zahlreichen Nutzer des örtlichen Nahverkehrs im Siegener Raum gefunden wird.

Im Petitionsausschuss erreichen uns zu den unterschiedlichsten Themenkreisen oftmals ganz konkrete Verbesserungsvorschläge der Bürgerinnen und Bürger. Diese sind in jedem Fall gut gemeint, häufig ernsthaft konstruktiv, manchmal auch eher zum Schmunzeln, so zum Beispiel der Vorschlag zum Nichtraucherschutz – darüber haben wir ja hier auch schon vehement diskutiert –, wonach in Gaststätten nur noch dort gekaufte eingefärbte Zigaretten zu deutlich erhöhten Preisen geraucht werden dürfen. Ergänzend dazu soll ein Pfand auf Zigarettenfilter, das sogenannte Kippenpfand, von 1 € eingeführt werden. Beide Vorschläge hätten sicherlich Auswirkungen auf Raucher, Nichtraucher und Sauberkeit. Sie haben den Petitionsausschuss allerdings nicht so richtig überzeugt und würden, glaube ich, die Diskussion im Haus über den Nichtraucherschutz auch keiner Lösung näherbringen.

Lassen Sie mich den Bericht mit dem Hinweis schließen, dass wir die Öffentlichkeitsarbeit weiterhin sehr intensiv betreiben. Wir haben eine erfolgreiche Telefonaktion mit der Zeitung „Die Glocke“ in Oelde durchgeführt. Weitere derartige Aktionen sind fest eingeplant. Auch unsere Bürger- und Bürgerinnensprechstunden in Düsseldorf und auswärtig beim Märkischen Kreis haben sich eines großen Zuspruchs erfreut.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und möchte um eine weitere konstruktive Begleitung der Arbeit des Petitionsausschusses bitten.

(Beifall von GRÜNEN, SPD und FDP)

Danke schön, Frau Beer. – Meine Damen und Herren, ich will die Gelegenheit gern nutzen, Ihnen, Frau Beer, und allen Mitgliedern des Petitionsausschusses sowie auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung für die engagierte Arbeit in diesem Gremium zu danken.

(Allgemeiner Beifall)

Das sage ich auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Denn wir alle wissen, wie vieler Arbeit und wie vielen Einsatzes jeder Fall wirklich bedarf. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit!

Meine Damen und Herren, wir kommen zum Tagesordnungspunkt

6 Eckpunkte für ein nordrhein-westfälisches Jugendstrafvollzugsgesetz

Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 14/2875

In Verbindung damit:

Eckpunkte eines Jugendstrafvollzuggesetzes für Nordrhein-Westfalen

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/2864

Ich eröffne die Beratung und gebe für die CDUFraktion dem Kollegen Biesenbach das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir die Tagesordnung in der Runde des Ältestenrates vorbereiteten, ahnten wir nicht, welche Aktualität dieser Antrag hier heute hat, ohne dass wir es wollten. Die bedauerlichen Vorfälle in Siegburg zeigen aber, wie real die Fragen des Jugendstrafvollzugs sind.

Unsere Eckpunkte, die in Kürze überleiten werden in einen Gesetzentwurf, machen deutlich, wie weit unser Land aber auch in Fragen des Jugendstrafvollzugs ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat vor einigen Monaten dem Bund seinerzeit – er war noch zuständig – aufgegeben, auch den Jugendstrafvollzug auf eine eigene gesetzliche Grundlage zu stellen. Seit Jahrzehnten war das bisher nicht möglich. Der Bund war dann aber nicht mehr in der Pflicht, ein solches Gesetz vorzulegen, weil mit der ersten Föderalismusreform wir als Land zuständig wurden.

Im Gegensatz zu manch anderem Bundesland haben wir aber keine großen Probleme damit, solch ein Gesetz vorzubereiten und es auch in Kürze textlich zu fassen, weil fast alle der Dinge, die das Bundesverfassungsgericht den Ländern

aufgab, bei uns bereits Praxis im Jugendstrafvollzug sind.

So merken Sie heute mit dem Antrag, den wir Ihnen vorlegen, in welche Richtung wir gehen wollen und unter welche Schwerpunkte wir unser Strafvollzugsgesetz stellen wollen. Das Vollzugsziel der sozialen Integration genießt Verfassungsrang. Das können wir nur unterstützen. Zwischen dem Vollzugsziel der Resozialisierung und der Pflicht des Staates, die Bürger effektiv vor Straftaten zu schützen, besteht eine unmittelbare finale Verknüpfung. Auch das wollen wir mit unserem Vorschlag gerne akzeptieren. Sie können ja aus dem Antrag ersehen, wie wir es machen wollen. Der Antrag spricht für sich. Ich brauche dazu eigentlich von mir aus nicht mehr viel zu sagen.

Aber ich möchte mich gern noch mit dem Antrag der Fraktion der SPD ein wenig beschäftigen, denn auch der wird gleich zur Abstimmung stehen. Ich darf jetzt bereits sagen, dass wir uns dem Antrag der Fraktion der SPD nicht anschließen können. Das lässt sich anhand einiger markanter Punkte aus meiner Sicht auch nachvollziehbar begründen.

So können wir etwa den Gedanken, den das Papier enthält, nicht nachvollziehen, eine volle Berücksichtigung des Gender-Mainstreaming-Grundsatzes dadurch einfordern zu wollen, dass die Unterbringung junger und heranwachsender weiblicher Strafgefangener in selbstständigen Jugendstrafanstalten, also sogar in mehreren Einrichtungen, erfolgen soll. Hier spricht eine Zahl für sich. Wir hatten im nordrhein-westfälischen Jugendvollzug im Jahre 2005 durchschnittlich gerade einmal 69 weibliche Strafgefangene; zum Stichtag 31. Oktober 2006 waren es 72.