Egal, eines steht fest: Wieder einmal haben Sie eine Maske aufgesetzt und versuchen dadurch, Ihr wahres Gesicht zu verbergen. Hinter dem scheinheiligen Vorwand des fairen Wettbewerbs soll diese Aktuelle Stunde einzig und allein dazu dienen, von den tatsächlichen, sachlich nicht begründeten Verschlechterungen für die Gesamtschulen abzulenken.
Besonders bizarr wird die Behauptung, die Vorgängerregierung habe die Ergebnisse der Jahre 1998 bis 2005 verheimlicht. Bereits 2001, Herr Abgeordneter Witzel, haben Sie in einer Anfrage Informationen über den Bericht zur Qualitätssicherung im Abitur 2002 angefordert. Diese Informationen haben Sie bekommen.
Trotz all Ihrer Scharaden ist deutlich, wo der Zug hinfahren soll: ein Angriff auf die Gesamtschulen, die durch schleichende Maßnahmen in ihrer pädagogischen Leistungsfähigkeit getroffen werden sollen.
Seit dem Regierungswechsel ist CDU dabei – siehe Petersberger Beschlüsse von 2001, also aus der Vor-Pisa-Ära –, das umzusetzen, was sie gerne haben möchte. Nur hat sich die Welt seither weiterentwickelt. Sie allerdings nicht!
Wir haben heute andere Erkenntnisse über Zusammenhänge und Wirkungsweisen von Bildungssystemen – auch wenn Sie dies hartnäckig negieren. Gerade gestern haben die EU-Bildungsminister auf negative Auswirkungen des mehrgliedrigen Schulsystems in Deutschland hingewiesen.
Wenn Sie jetzt die Probeklausuren als Untermauerung Ihrer Antigesamtschulenhaltung anführen, ist das einfach absurd. Was Sie dabei übersehen, ist die Tatsache, dass die Gesamtschule Schülerinnen und Schüler in die Oberstufe aufnimmt, die bereits andere Schulformen besucht haben, weil sie für das Gymnasium nicht gut genug schienen. Wollen Sie den Gesamtschulen wirklich vorwerfen, dass sie nicht nur die besten 20 % eines Jahrgangs aufnehmen, sondern eben oft die Gruppe derer, die sich etwas schwerer tut, das Abitur zu erreichen, die wir aber brauchen, um ausreichend Schülerinnen und Schüler mit Abiturqualifikation für unsere Gesellschaft zu bekommen? Wie Sie selber wissen, sind die Unterschiede bei den Probeklausuren ohnehin nicht gravierend. Das Ministerium erklärte die minimalen Unterschiede zutreffend mit den unterschiedlichen Schülerzusammensetzungen.
Auch wenn Frau Abgeordnete Pieper-von Heiden das gerne anders sehen würde: Am 31. Oktober äußerte sie sich zur Qualität der Gesamtschulenoberstufe, in der „Notenkosmetik“ betrieben werde. So könnten die Gesamtschulabiturienten „mit guten Noten, aber signifikant schlechteren Leistungen“ den Abiturientinnen und Abiturienten, die vom Gymnasium kommen, die Studienplätze in Numerus-clausus-Fächern stehlen. Damit, sehr geehrte Frau Pieper-von Heiden, bestreiten Sie die Aussagen Ihres Ministeriums. Aber es geht wie so oft nicht um Sachlichkeit, sondern um pure Ideologie.
Dieser ideologischen Fixierung ist die kontinuierliche Schlechterstellung der Gesamtschulen in Ihrer Regierungszeit zu verdanken: Nichtbenennung in den Grundschulgutachten – das wurde nach den Protesten geheilt –; Gesamtschulen können nicht mehr als Ganztagsschulen gegründet werden, obwohl dies nach ihrer Ausrichtung erforderlich wäre;
der erhöhte Ganztagsschulbedarf der Hauptschulen, der für die Hauptschüler auf den Gesamtschulen nicht in Anrechnung gebracht; die Gesamtschule hat laut Haushaltsentwurf als einzige Schulform keine nennenswerten Verbesserungen in der Schüler/Lehrer-Relation aufzuweisen, obwohl die bestehende bessere Schüler/LehrerRelation der heterogenen Schülerschaft geschuldet ist; Zuweisungen nach dem Sozialindex sind
Und nun, meine Damen und Herren, steigern Sie sich noch und gehen auf Stundenklau in den Gesamtschulen, wo sie die Schulleiterpauschale sachwidrig um 120 Stellen kürzen.
Was Sie von den anderen Schulen erwarten – nämlich die individuelle Förderung –, leisten die Gesamtschulen schon. Gerade deshalb sind die Gesamtschulen für Sie ein Stachel im Fleisch.
Dabei stellen sich die Gesamtschulen dem fairen Wettbewerb gerne. Sie nehmen die Schüler und Schülerinnen gemäß dem Lern- und Leistungsvermögen entsprechend der normalen Begabungsverteilung auf und dabei anteilig etwa so viele Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, wie in den Kommunen vertreten sind. Die Schulen vermitteln mehr qualifizierte Schulabschlüsse als andere im Landesdurchschnitt im dreigliedrigen System.
Die Gesamtschulen schaffen etwas, meine Damen und Herren, was wir gerne von allen Schulen sagen würden: Viele entlassen so gut wie keinen Schüler ohne Schulabschluss und haben teilweise anteilsmäßig mehr Abiturientinnen und Abiturienten als der Landesdurchschnitt. Der Besuch der Gesamtschulen kostet den Steuerzahler übrigens weniger als der Schulbesuch im dreigliedrigen System;
Die Gesamtschule Bonn-Beuel hat es vorgerechnet: Würden die dort aufgenommenen Schüler und Schülerinnen Schulen des dreigliedrigen Schulsystems besuchen, würde dies den Steuerzahler für 1.300 Schüler und Schülerinnen 100.000 € im Jahr mehr kosten.
Die SPD begrüßt das Bemühen der Landesregierung um Qualitätsverbesserung in einem fairen Wettbewerb aller Schulen, meine Damen und Herren, nicht der Schulformen, wie Sie es in Ihrem Antrag geschrieben haben. Tatsächlich versuchen Sie, den fairen Wettbewerb durch Handicaps für die Gesamtschulen zu behindern.
Dass die Schulform „Gesamtschule“ zu hervorragenden Leistungen in der Lage ist, hat gerade Herr Priboscheck, Sprecher des Schulministeriums, wieder bestätigt. Er sagte der „Welt“:
„‚Großbritannien hat in den 70er-Jahren alles auf die Gesamtschule gesetzt’. Danach habe man sich in den internationalen Leistungsvergleichen auf den unteren Plätzen gefunden. ‚Die Engländer reformierten das Schulsystem deshalb in Richtung Dezentralisierung und Bildungswettbewerb. Heute stehen sie unter den zehn Besten in Europa.’“
Wie Goethe schon sagte: „Man muss das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird.“
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt gute oder – besser gesagt – schlechte Gründe dafür, dass wir uns heute in der Aktuellen Stunde ausgiebig mit der Gesamtschule beschäftigen. Dazu zählen die neuen Ergebnisse bei der Auswertung der Vergleichsarbeiten in der zwölften Jahrgangsstufe im Testlauf für das Abitur sowie die Ergebnisse einer Evaluationsstudie aus 2004, die noch von der alten Landesregierung in Auftrag gegeben wurde. Just diese aber wurde dem Landtag nie zur Kenntnis gegeben – vielleicht weil sie im Ergebnis mindestens so erschütternd war wie die aus 2003.
Alle Ergebnisse zeigen, dass die Abiturleistungen über die Fächer hinweg seit Jahren in der Gesamtschule deutlich unter den Ergebnissen der übrigen Schulformen liegen.
Zum Beispiel beträgt laut Analyse aus dem Jahr 2004, die wir nach Vorstellung der alten Landesregierung ja eigentlich gar nicht erkennen sollten, die durchschnittliche Punktzahl im Leistungskurs Biologie an Gymnasien 7,86 %, an Gesamtschulen 6,42 %. Die Weiterbildungskollegs und Berufkollegs schließen sehr dicht an das Gymnasium an. Im Grundkurs Englisch: an Gymnasien 7,48 %, an
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Qualitätsgraben zwischen Gesamtschulabitur und Abitur an Gymnasien und Berufskollegs ist wahrlich tief.
Ein Artikel aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 10. November beschreibt nicht nur, dass die Gesamtschulen um mehr als eine Note nach unten abweichen, sondern er beschreibt vor allem die viel zu gute Bewertung der Gesamtschulklausuren im Vergleich zum Gymnasium.
Zum Beispiel sind an Gesamtschulen mit 15,8 % im Fach Englisch mehr als doppelt so viele Klausuren zu gut bewertet worden als an Gymnasien mit 6,4 %.
Das Gleiche gilt für das Fach Geschichte. Noch viel schlimmer: Gesamtschulen haben zu 28,7 % zu gut bewertet, Gymnasien zu 12,7 %. Das ist auch zu viel. Aber da sehen wir einmal die Fakten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das kann doch wohl nicht sein! Aber Sie haben das einfach so hingenommen, Frau Schäfer. Sie haben nicht einmal versucht gegenzusteuern. Das ist der eigentliche Vorwurf, den man Ihnen machen muss, Frau Schäfer: zu wissen, dass etwas schlecht läuft, aber nichts dagegen zu unternehmen.