Protokoll der Sitzung vom 14.07.2005

(Beifall von CDU und FDP)

Ich frage mich, was Sie uns, was Sie mir nach der Regierungserklärung eigentlich vorwerfen wollen. Wollen Sie mir vorwerfen, dass wir 1.000 neue Lehrer einstellen?

(Hannelore Kraft [SPD]: Das habe ich nicht gemacht! Das habe ich gelobt!)

- Ja, zuerst haben Sie das gelobt und das Ganze dann als „Lehrerlüge“ bezeichnet.

(Demonstrativer Beifall von der SPD)

Auch das ist einer dieser Geschichten, zu der ich empfehle: Überlegen Sie sich vorher, was Sie sagen. Es erst zu loben und dann als „Lehrerlüge“ zu bezeichnen passt nun einmal wahrlich nicht zusammen. Vielleicht haben Sie es nicht verstanden.

(Beifall von CDU und FDP)

Dann wollen wir uns doch einmal im Klartext damit beschäftigen. Eben haben Sie sich hierhin gestellt und den Eindruck erweckt, als ob wir jetzt plötzlich irgendetwas, was wir vorher gesagt hätten, korrigieren würden. Das ist in zweifacher Hinsicht unwahr.

Erstens: Es gibt einen Mehrbedarf, von dem der Finanzminister in seinem Brief geschrieben hat. Das wusste Ihre Regierung schon vor der Wahl. Konkret: Am 15. April wurde die damalige Bildungsministerin Frau Schäfer von den Schulabteilungsleitern der Bezirksregierungen darüber unterrichtet, dass Frau Schäfers Kalkulation der

Schülerzahlen für das kommende Schuljahr nicht stimmt.

Was ist also passiert? Man wusste es vor der Wahl. Man hat diese Information unterdrückt, weil sie einem vor der Wahl nicht mehr passte. Das ist die Lüge, die da passiert ist. Sie haben das Volk über diese Situation und Ihre Planung belogen.

(Beifall von CDU und FDP)

Der zweite Punkt: Sie haben in Ihren Beiträgen gestern, obwohl von mir in der Regierungserklärung vorgetragen, unterschlagen, dass wir nicht nur angekündigt haben, 1.000 neue Lehrerinnen und Lehrer einzustellen, sondern dass wir darüber hinaus angekündigt haben, die Mittel für den Vertretungsunterricht um 20 Millionen € aufzustocken.

Diese Summe - es mag ja sein, dass Frau Schäfer das nicht kapiert hat und Sie es auch nicht kapiert haben,

(Ralf Jäger [SPD]: Vorsicht!)

obwohl Sie auch für Bildungspolitik zuständig waren - für die Zeit von August 2005 bis Dezember 2005 entspricht einem Stellenvolumen von noch einmal rund 1.000 Lehrerstellen.

(Beifall von der CDU)

Das heißt, es sind in Wahrheit 2.000 Lehrerinnen und Lehrer, die mit dem Geld eingestellt werden.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Dann zu behaupten, wir würden nichts gegen den Unterrichtsausfall tun, liebe Frau Abgeordnete - das „liebe“ streiche ich -, Frau Abgeordnete Kraft,

(Zurufe von der SPD)

ist eine politische Unverschämtheit und hat mit Wahrheit und Klarheit überhaupt nichts zu tun.

(Anhaltender Beifall von CDU und FDP - Zu- ruf von Rainer Schmeltzer [SPD] - Gisela Walsken [SPD]: Die Schweigeminute!)

Wenn man dann noch weiß, dass der damalige und abgewählte Finanzminister und jetzige SPDVorsitzende vorgesehen hatte, mit Ablauf des kommenden Schuljahres insgesamt 2.000 Lehrerstellen zu streichen - und das Ganze wird dann unter dem Stichwort „Vorgriffsstellen“ abgehandelt -, dann wird die Sache noch einen Deut schlimmer. Sich hier hin zu stellen, die Zahlen nicht zu kennen, etwas anderes zu behaupten und selber vorgehabt zu haben, zusätzlich noch einmal 2.000 Stellen zu streichen, dies ist nun

wirklich nicht seriös, sondern in höchstem Maße unseriös, Frau Abgeordnete Kraft.

(Anhaltender Beifall von CDU und FDP - Hannelore Kraft [SPD]: Das ist unverschämt und falsch!)

Herr Dr. Rüttgers, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kraft?

Damit das in Zukunft auch jedem klar ist und damit Sie sehen, dass diese Koalition keine Angst vor Transparenz in diesem Bereich hat, werden wir eine Statistik über den Unterrichtsausfall erstellen und veröffentlichen, sodass in Zukunft jeder weiß, wie viel Unterricht ausfällt.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir tun damit das, was Sie nie gemacht haben und wozu Sie nicht den Mut hatten.

(Helmut Stahl [CDU]: Ihr habt das nie ge- macht! - Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Dann wollen wir mal gucken, ob das passiert!)

Das ist der Unterschied zwischen Transparenz und Mut einerseits und Reden und Angst vor der Wahrheit andererseits, sprich: die Menschen in einem Scheinleben herumlaufen zu lassen und so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre und wir auf einem guten Weg wären.

(Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Wir werden Sie daran messen, Herr Rüttgers!)

Wir waren auf einem Weg. Der ging immer runter statt nach oben. Genau dies werden wir mit der neuen Koalition und der neuen Regierung ändern.

(Beifall von CDU und FDP)

Wenn wir es nicht schon alle gewusst hätten, dann wäre durch die neue Pisa-Studie, die am heutigen Tage veröffentlicht wird, noch einmal unter Beweis gestellt worden, dass unser Schulsystem nicht nur in einem Zustand ist, in dem es nicht bleiben kann, nicht nur in einem Zustand ist, in dem unseren Kindern Lebenschancen gestohlen werden, nicht nur in einem Zustand ist, in dem besonders Kinder aus bildungsfernen Familien es besonders schwer haben, und damit ein Bildungssystem ist, das besonders ungerecht ist.

Wir reden inzwischen nicht mehr über die Tatsache, dass man das nicht gewusst hat. Wir wissen das seit der ersten Pisa-Studie.

Aber wir wissen jetzt durch diese neue PisaStudie, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen - dies

ist ein bedauerlicher und völlig inakzeptabler Zustand - in den Kernkompetenzen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften mehr als deutlich unter dem OECD-Durchschnitt liegen und dass wir auch im Ländervergleich in der Bundesrepublik Deutschland - leider, so sage ich - konstant nur auf den hinteren Plätzen zwölf bis 14 liegen. Meine Damen und Herren, der Rückstand auf Bayern beträgt inzwischen ein Jahr Lernzeit.

Für Nordrhein-Westfalen ist sogar festzustellen, dass wir bei der Lesekompetenz gegenüber der ersten Pisa-Studie keinerlei Zuwachs zu verzeichnen haben und bei Mathematik und Naturwissenschaften nur geringe Zuwächse zu verzeichnen sind. Demgegenüber haben sich die anderen Bundesländer zum Teil signifikant verbessern können.

Besonders schlimm, finde ich - das bestätigt noch einmal den traurigen Befund -, ist, dass Nordrhein-Westfalen zum zweiten Mal ein besonders schlechtes Ergebnis bei der Abhängigkeit der Leistungen von der sozialen Herkunft zu verzeichnen hat.

Dies, meine Damen und Herren, ist die bildungspolitische Schlussbilanz von Rot-Grün.

(Beifall von CDU und FDP)

Und es zeigt, dass zwischen der ersten PisaStudie und der jetzigen Pisa-Studie keinerlei Verbesserungen erzielt worden sind.

Alles, was Sie im Wahlkampf zur Bildungspolitik behauptet haben, war falsch und war allenfalls Wunschdenken. Mit der Realität unserer Schülerinnen und Schüler, der Eltern, Schulen und Lehrerinnen und Lehrer hatte das, was Sie gesagt haben, wahrlich nichts zu tun, wie Pisa beweist. Sie sollten sich für das schämen, was Sie hier abgeliefert haben, meine Damen und Herren.

(Beifall von CDU und FDP)

Man muss sich darüber nicht wundern, wenn man die Gutsherrenart sieht, mit der das Schulministerium und die Landesregierung auf die konkrete Situation in unseren Schulen über all die Jahre reagiert haben.

(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)

Ich berichte von dem Schulleiter eines Gymnasiums, der von der Bezirksregierung in Detmold per Rundschreiben aufgefordert war, den Unterrichtsausfall mit eigenen Bordmitteln zu bewältigen, da Geld-statt-Stellen-Mittel wegen des bereits erheblichen Abflusses in diesem Kalenderjahr nicht mehr zur Verfügung stünden. Der Schul

leiter hat der Bezirksregierung dann Folgendes zurück geschrieben: