Protokoll der Sitzung vom 14.07.2005

Sagen Sie, was Sie meinen, es sei denn, Sie wollen hier bloß ein entsprechendes Klima schaffen, um uns in den Wochen nach der Sommerpause klarzumachen, dass Sie wieder neue Schulden aufnehmen wollen.

Meine Damen und Herren, trotz dieser Situation ist es uns gelungen, verfassungskonforme Haushalte aufzustellen, Herr Dr. Rüttgers.

(Helmut Stahl [CDU]: Sie erzählen hier Mär- chen! - Christian Weisbrich [CDU]: Kreativ!)

Das bedarf natürlich einer enormen Sparanstrengung. Und diese Sparanstrengung mit einem Volumen, Herr Weisbrich, von über einer Milliarde müssen Sie in diesem Lande erst einmal erbringen. Das müssen Sie hier erst einmal schaffen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann wollen wir einmal schauen - Sie waren die Ersten, die damals bei den Demonstranten vor dem Landtag waren -, wie Sie es schaffen, 1,4 Milliarden € aus diesem Haushalt herauszuschlagen. Aber darum geht es mir gar nicht. Ich möchte verdeutlichen, was hier gespielt wird, meine Damen und Herren.

Sie sprechen davon, dass Sie die Nettokreditermächtigung in den nächsten Jahren zurückfahren wollen. - Dazu müssten Sie Geld drucken. Sie wissen genau, dass in den Nachtragshaushalten hohe Neuverschuldungen enthalten sind. Wir haben immer dazu gestanden, …

(Zuruf von Minister Dr. Helmut Linssen)

- Herr Linssen, hören Sie zu, vielleicht sind da auch Details bei, die früher gar nicht in Ihrem

Fachbereich lagen. - … weil wir gesagt haben: Wir nehmen nur neue Schulden für das Geld auf, das wir durch wegbrechende Steuereinnahmen nicht einnehmen. Wir haben nicht einen einzigen Euro Schulden zusätzlich aufgenommen, um neue oder andere Politikfelder zu finanzieren.

Ich möchte sehen, ob Sie das in Ihrem Nachtragshaushalt oder im Haushalt 2006 oder 2007 hinbekommen.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, weil Sie genau wissen, was das für eine Kraftanstrengung bedeutet - Sie haben damals mitbekommen, dass es viele Demonstrationen im Land gab, als wir diese notwendigen Einsparungen durchführen mussten -, versuchen Sie jetzt - das will ich dem Parlament sehr eindringlich sagen -, mit haushaltstechnischen Tricks eine Verschuldungshöhe zu zeichnen, die Ihnen helfen soll, eine Neuverschuldung, die Sie der alten Regierung gerne anhängen, selber vorzunehmen. Ich möchte Ihnen auch erklären, warum.

Frau Walsken.

Deshalb warnen wir Sie vor einer neuen Haushaltslüge. Wir warnen Sie dezidiert davor. Denn wir sind Ihnen auf der Spur, Herr Linssen.

(Zuruf von Minister Dr. Helmut Linssen)

- Sie können sich ja gleich mit mir auseinander setzen. Warten Sie erst einmal ab, bevor Sie sich aufregen! Lassen Sie mich erst einmal darstellen, warum ich glaube, dass Sie auf dem Weg sind, eine Haushaltslüge vorzubereiten. Wenn Sie es anders sehen, können Sie das gleich vortragen.

Frau Kollegin Walsken, gestatten Sie in dem Zusammenhang eine Zwischenfrage des Kollegen Weisbrich?

Frau Kollegin Walsken, können Sie mir vielleicht einmal erklären, was Sie unter „wegbrechenden Steuereinnahmen“ verstehen? Meinen Sie nicht vielleicht falsche Vorausschätzungen Ihrerseits? Sind denn die Steuereinnahmen wirklich zusammengebrochen, oder haben Sie sich nur verschätzt?

Herr Kollege Weisbrich, ich hatte geglaubt, Sie als alter Parlamentarier

wüssten das. Die Steuerschätzungen, die die Bundesländer aufgrund von einheitlichen Systemen gemeinsam vornehmen, haben dazu geführt, dass, nachdem die tatsächlichen Steuereinnahmen bekannt waren, in allen Bundesländern Einnahmelücken verzeichnet werden mussten, was, Herr Weisbrich, ein klares Indiz für weggebrochene Steuereinnahmen ist.

Ein zweites klares Indiz, Herr Weisbrich - das wissen Sie sicherlich, auch wenn Sie im Haushalts- und Finanzausschuss neu sind -, ist die Tatsache, dass Ihre vollmundige Ankündigung damals, sie gingen aufgrund unserer Erklärung, es gebe ein wirtschaftliches Ungleichgewicht, zum Verfassungsgericht, um die Unrichtigkeit dieser Erklärung feststellen zu lassen, in sich zusammengebrochen ist.

(Christian Weisbrich [CDU]: Was?)

Sie haben nichts Derartiges getan. Deshalb glaube ich, dass Sie an diesen Stellen noch ein paar Punkte lernen müssen. Das kommt aber im Laufe der Zeit. Wir sind ja jetzt gemeinsam im Finanzausschuss. Ich bin auch gerne bereit, mal außerhalb von Zwischenfragen über das eine oder andere zu reden.

(Beifall von der SPD)

Was planen Sie? - Ich will ein paar Beispiele nennen.

Sie planen grundsätzlich - das wird an einigen Stellen in der Regierungserklärung in Schemen deutlich; Stichwort „Nebel“ - die Auflösung von Einrichtungen oder Betrieben, die wir aus guten strukturpolitischen, finanzwirtschaftlichen und anderen Gründen eingerichtet haben. Lassen Sie mich ein paar herausnehmen - ich kann nicht alle nennen; das würde aufgrund der Redezeit nicht funktionieren -:

Erstes Beispiel. Der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW - BLB -, der mittlerweile für alle Liegenschaften und Immobilien des Landes zuständig ist, unterstützt den Landeshaushalt jährlich mit 800 Millionen €. Herr Weisbrich und Herr Linssen, wenn man diesen auflöst, muss man die Frage in Kauf nehmen, wie man die Finanzierungslücke deckt.

Zweites Beispiel. Die Beteiligungsverwaltungsgesellschaft wollen Sie offenbar auch auflösen. Sie hält Landesvermögen, nämlich Beteiligungen des Landes an den unterschiedlichsten Einrichtungen. Naturgemäß sind damit nicht nur Schulden, sondern auch entsprechende Vermögenswerte - sei es bei den Flughäfen, den Messen oder den Häfen - verbunden.

Sie wissen, dass im Beteiligungsbericht der Landesregierung auf 125 Seiten alle Zahlen für jeden Parlamentarier in diesem Haus nachprüfbar niedergeschrieben sind. Durch die Rückführung dieser Schulden in den Landeshaushalt wollen Sie jetzt doch nur eine Situation herbeiführen, die Sie in die Lage versetzt, das Vermögen hinterher schuldenfrei zu verkaufen. Damit belügen Sie nicht nur sich selbst, Sie belügen damit auch die Öffentlichkeit; denn das sind keine Schulden im klassischen Sinne der Haushaltsführung.

(Beifall von der SPD)

Dafür gibt es eine einschlägige Rechtsprechung, sodass wir darüber überhaupt nicht zu diskutieren brauchen.

Drittes Beispiel. Es ist interessant, weil wir dort immer einvernehmlich waren. Es geht um die West-LB AG. In der Gesellschaft zur Finanzierung der stillen Einlage der West LB …

(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])

- Herr Weisbrich, wenn Sie jetzt aufpassen, haben Sie was gewonnen. - Die stille Einlage der West LB haben wir damals gemeinsam - mit Zustimmung aller Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen - beschlossen. Wir haben eine bestimmte Finanzierungskonstruktion gewählt, und der Saldo beträgt 324 Millionen €. Das ist so, es ist nachlesbar und bekannt. Das wurde damals von allen so gewollt. Es war für die West-LB AG eine wichtige Maßnahme zur Rettung der Bank. Das geschah übrigens auch mit Zustimmung des heutigen Finanzministers.

In der jetzt vorliegenden Schlussbilanz der BVG, der Beteiligungsverwaltungsgesellschaft des Landes, die uns allen übrigens auch vorliegt - es ist keine Verschlusssache -, stehen Verbindlichkeiten in Höhe von 711 Millionen €. Zieht man davon die Schulden gegenüber dem Land ab, die die BVG noch hat - zum Beispiel aus der LEG-Bewertung -, so bleiben Kredite von Dritten in Höhe von rund 350 Millionen €. Auch das ist hier zu nennen.

Der genannte BLB hat auch noch eine haushaltsmäßige Ermächtigung, jährlich Kredite zur Finanzierung von Investitionen aufzunehmen. Dies wurde von uns in den entsprechenden Gremien gemeinsam so gewollt. 2004 waren es 1,3 Milliarden €, und 2005 sind es 2,3 Milliarden €. Diese Ermächtigung geht bis ins Jahr 2001 zurück und ist immer einvernehmlich unter uns Kollegen gemeinsam beschlossen worden.

Gehen wir mal davon aus - das ist hochinteressant -, dass wir Verbindlichkeiten von ungefähr 1 Milliarde € haben, dann kommen wir auf eine

Summe von 1,7 Milliarden €. Sie sagen, dass Sie diese jetzt auflösen wollen. Ich frage Sie: Warum wollen Sie das tun? Es handelt sich nicht um unseriöse Schattenhaushalte. Dieser Summe steht ein Vermögenswert gegenüber. Das wissen Sie auch; zumindest die Fachleute unter Ihnen wissen das. Eine solche Bilanzierung ist nicht nur handelsrechtlich geboten, sondern sie ist kaufmännisch sogar notwendig. Der Finanzminister ist Kaufmann. Deshalb unterstelle ich mal, dass wir an dieser Stelle gemeinsam zu einer vernünftigen sachlichen Überlegung kommen.

(Beifall von der SPD)

Schulden und Vermögen müssen wir dann gegeneinander aufwiegen. Das gilt gleichermaßen für den BLB, für die stille Einlage der AG - insbesondere dann, wenn man Anteile verkaufen will - und für die einzelnen Beteiligungen.

Meine Damen und Herren, dieser Weg ist unredlich. Sie wollen ihn beschreiten und hier eine Schlussbilanz der NRW-Landesregierung alt auflegen. Das ist nicht nur unseriös, sondern auch eine Lüge. Das werden wir Ihnen Punkt für Punkt nachweisen.

(Beifall von der SPD)

Wir werden Ihnen auch nachweisen - das wird anhand der Protokolle ein Leichtes sein -, dass Ihnen nicht nur all diese Zahlen bekannt sind, sondern dass Sie an vielen Stellen in den einzelnen Gesellschaften sogar gemeinsam mit uns agiert haben. Ich glaube, so leicht kann man es sich nicht machen. Deshalb warne ich die neue Landesregierung jetzt schon vor einer derartigen Haushaltslüge.

(Beifall von SPD und GRÜNEN - Minister Dr. Helmut Linssen: So einfach haben wir es selten gehabt!)

- Schön, das freut mich.

In vielen Beratungen des Unterausschusses - Herr Linssen, Sie waren nicht dabei, weil das die Kollegen aus dem Finanzbereich gemacht haben - haben Sie die gesamten Zahlen mit der alten Landesregierung diskutiert. Sie haben sie nicht nur diskutiert, sondern Sie haben an vielen Stellen auch Nachfragen an die alte Regierung gehabt. Wir haben gemeinsame Beschlüsse getroffen. Es gab dort keine Geheimnisse. Sie kannten auch alle Zahlen. Deshalb: Streuen Sie der Bevölkerung nicht Sand in die Augen, indem Sie von einer Schlussbilanz der SPD-Regierung sprechen, die Sie jetzt erst aufdecken und von der Sie jetzt erst erfahren. Das ist nicht seriös, und das wissen Sie auch.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wenn der Nachtragshaushalt im Herbst vorliegt, werden wir uns genau anschauen, ob Sie sich im Rahmen der Verfassung bewegen. Das ist die Aufgabe der Opposition und unser demokratisches Recht. Ich kündige heute gerne an: Wenn wir Bedenken haben, werden wir den Verfassungsgerichtshof für NRW in Münster bemühen. Auch wir mussten verfassungskonforme Haushalte vorlegen. Verfassung bleibt Verfassung. Das gilt für Sie in der Opposition wie jetzt in der Regierung.