Protokoll der Sitzung vom 14.07.2005

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, wie passt Ihre Zustimmung zu diesem Programm mit Ihrer begrüßenswerten Ankündigung in der Regierungserklärung zusammen, NRW zu einem familienfreundlichen und kinderreichen Land machen zu wollen? Wir unterstützen dieses Ziel ausdrücklich, jungen Frauen und Männern Mut zu machen, eine Familie zu gründen und Kinder großzuziehen. Bei konkreten Schritten in diese Richtung finden Sie uns an Ihrer Seite. Die Politik Ihrer Partei geht aber seit Montag genau in die entgegengesetzte Richtung.

Mit der Senkung des Spitzensteuersatzes begünstigen Sie die sehr gut Verdienenden in der Gesellschaft. Ein Topmanager, der allenfalls noch 10 % seines Gehalts in den Konsum steckt, spürt die Mehrwertsteueranhebung faktisch nicht. Die Senkung des Spitzensteuersatzes dagegen ist für ihn ein mehr als warmer Segen. Finanziert wird diese Maßnahme ganz überwiegend durch die Streichung von Steuervergünstigungen für die kleinen Leute: Pendlerpauschale, Eigenheimzulage, Sonn- und Feiertags- sowie Nachtzuschläge. All das sind keine Streichungen, die die Topverdiener betreffen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ihr Programm ist sozial ungerecht. Sie wollen Umverteilung von unten nach oben. Sie nehmen das Geld von den Schwächeren, um es den Stärkeren zu geben. Ich sage Ihnen voraus: Ihre Hoffnung, damit auch etwas für die wirtschaftliche Entwicklung zu tun, wird enttäuscht werden. Sie erreichen nur, dass sich die soziale Schieflage verstärkt. Die Menschen im Land sind nicht bereit, für solch ein Programm Opfer zu bringen. Die notwendigen Reformen in unserer Gesellschaft würden auf diesem Wege weiter an Akzeptanz verlieren.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, Ihre Politik ruft bei den Kommunen des Landes große Besorgnisse hervor - völlig zu Recht. Die 396 Städte und Gemeinden in unserem Land vermissen ihre Themen in der Regierungserklärung. Sie haben immer noch keine Klarheit, wie es weitergeht. Was fehlt, ist ein klares Bekenntnis zur Finanzausstattung und zum Verbundsatz. Schlimmer: Sie beabsichtigen eine Vielzahl von Maßnahmen, die die Kommunen teilweise gravierend belasten, ihre Leistungsfähigkeit auf Dauer gefährden würden. Die von Ihnen beabsichtigte Änderung von § 107 Gemeindeordnung führt zu Einschränkungen der wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden.

Damit fallen die Kommunen als wichtige Investoren und als Auftraggeber für Mittelstand und Handwerk demnächst vielfach aus.

(Beifall von der SPD - Heiterkeit von CDU und FDP - Zurufe von Dr. Gerhard Papke [FDP] und Christian Lindner [FDP])

- Lesen Sie doch einmal beim Städte- und Gemeindebund nach. Dazu gibt es Erhebungen, Herr Lindner. - Schauen Sie sich das doch einmal im Detail an. Ihnen geht es gerade nicht um die Stärkung von Mittelstand und Handwerk, wie Sie behaupten,

(Zurufe von CDU und FDP)

sondern Ihnen geht es wie beim Thema Ladenöffnungszeiten, womit Sie gerade die kleinen Händler treffen, um die Durchsetzung einer ideologischen Position.

(Beifall von der SPD - Zurufe von der FDP: Oh!)

„Privat vor Staat“ lautet Ihr Credo. Das wollen Sie durchsetzen - auch da, wo es schadet.

Ihre Absicht, die Gewerbesteuer abzuschaffen, bedroht die Kommunen existenziell.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Die Gewerbesteuer ist für die Städte im Land unverzichtbar, weil sie die wichtigste gestaltbare Einnahmequelle ist. Herr Rüttgers, ich frage Sie: Was ist Ihre Alternative? Sie können doch diese Steuer nicht für die Gemeinden abschaffen, ohne einen quantitativ und qualitativ adäquaten Ersatz zu benennen.

(Beifall von der SPD - Christian Lindner [FDP]: Einen besseren!)

Die kommunalen Spitzenverbände laufen Sturm gegen diese Absicht. Sie gehen über ihre Bedenken wortlos hinweg. Ihre Koalition will sich um jeden Preis als Steuersenkungskoalition profilieren. Auch hierbei geht es um „Ideologie vor Sachverstand“. Sie opfern die Interessen unserer Kommunen für Ihre fragwürdigen Grundsatzpositionen. Das ist Fakt.

Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, wir nehmen Ihre Ankündigungen für das Ruhrgebiet mit Interesse zur Kenntnis. Aber haben Sie nicht vorher in Ihrer Rede alle Initiativen, die von uns kamen, gegeißelt? Da waren Sie wohl etwas unschlüssig.

(Zurufe von der SPD)

Doch wenn Ihre „Initiative Zukunft Ruhr“ mehr als eine Mogelpackung ist, kann daraus etwas Positives für das Ruhrgebiet erwachsen. Schöne Worte nutzen in diesem Zusammenhang nur wenig; Taten sind gefragt. Das Ruhrgebiet braucht auch weiterhin materielle Hilfe, damit es sich selber helfen kann.

(Beifall von der SPD)

Allerdings: Ihre Ministerin für Wirtschaft, Frau Thoben, kündigt schon an, dass Fördermittel aus Brüssel demnächst wohl nicht mehr vollständig abgerufen werden können, weil Sie die Kofinanzierungsmittel einsparen wollen.

(Zuruf von der SPD: Na, na!)

Das wäre für das Ruhrgebiet ein harter Schlag.

(Beifall von der SPD - Zurufe von Ministerin Christa Thoben)

- Frau Thoben, das ist Sache der Finanzminister.

(Heiterkeit von Ministerin Christa Thoben)

Aber die Entscheidung entsteht am Kabinettstisch. Sie muss von der gesamten Regierung mitgetragen werden. Das müssen Sie auch noch lernen.

(Beifall von der SPD - Minister Michael Breuer: Ich glaube nicht, dass das so schwer ist! - Zuruf von Ministerin Christa Thoben - Weitere Zurufe von der CDU)

Es zeigt sich: Die Ruhrgebietspartei ist und bleibt die SPD.

(Lebhafter Beifall von der SPD - Heiterkeit von Ministerin Christa Thoben)

Die SPD wird als Interessenvertretung des Ruhrgebiets im Landtag dafür sorgen, dass es nicht zu einer Benachteiligung der städtischen Zentren und insbesondere des Ruhrgebiets kommt.

Herr Kuhmichel, ich hoffe, dann sind Sie an meiner Seite. Denn es sind ja in Ihrer Fraktion nicht mehr so viele Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet da.

(Beifall von der SPD)

Gott sei Dank kündigen Sie an, die Clusterbildung, die Kompetenzzentren im Ruhrgebiet weiter fortführen zu wollen. Aber: Stärken stärken geht nicht ohne Geld.

Nebenbei bemerkt: Das Copyright für NRW auf diese Form der Wirtschaftsförderung haben wir. Frau Thoben kann noch so viel von der Gießkanne reden; sie führt in vollem Umfang unsere Wirtschaftspolitik fort - von den Kompetenzzentren bis zu Konzentration der Fördermittel bei der NRWBank. Das alles hat unser Copyright. Das werden wir festhalten.

(Beifall von der SPD)

Wir alle haben uns gestern erstaunt die Augen gerieben. Denn dieses Copyright gilt für mehr als 40 % Ihrer Regierungserklärung.

(Ministerin Christa Thoben: Was schimpfen Sie dann darauf? - Heiterkeit von der Lan- desregierung)

- Nein, ich mache auch auf die Bereiche aufmerksam, bei denen das nicht so ist, Frau Thoben. So differenziert kann ich schon argumentieren.

Ich nenne Ihnen jetzt die Bereiche, die ich damit meine und zu denen ich noch gar nichts gesagt habe: Gesundheitspolitik, Verkehrspolitik, Forschungspolitik und Europapolitik.

(Zuruf von der SPD: Fehlanzeige!)

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Aus dem „proaktiven Ansatz“ der Regierung Steinbrück, der damals auf meine Initiative hin aufgenommen wurde, wurde jetzt die „Strategie der Vorfeldbeobachtung“.

(Zurufe von der CDU)

Ihre einzige kreative Leistung bestand darin, einen neuen Namen zu erfinden. Das ist Etikettenschwindel!

(Beifall von der SPD - Zuruf von der SPD: Ja, genau!)

Meine Damen und Herren, Schwarz-Gelb flüchtet vor der Verantwortung. Ein durchgängiges Strickmuster Ihrer Regierungserklärung und Ihres Koalitionsvertrages ist es, die Lösung Ihrer Probleme auf andere abzuwälzen.

Sie beschließen den Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau und schieben die Verantwortung für den sozialverträglichen Stellenabbau der RAG zu. Sie versprechen eine Unterrichtsgarantie und lassen die Schulen dann mit der Aufgabe allein. Sie lassen sich für Bürokratieabbau und Verwaltungsreform feiern; die Kosten sollen dann die Kommunen und andere tragen.

Was Sie als neue Kultur unter dem Motto „Privat vor Staat“ verkaufen, ist in Wirklichkeit ein Wegschleichen aus der Verantwortung.