Protokoll der Sitzung vom 14.07.2005

Was Sie als neue Kultur unter dem Motto „Privat vor Staat“ verkaufen, ist in Wirklichkeit ein Wegschleichen aus der Verantwortung.

(Beifall von der SPD und Bärbel Höhn [GRÜNE])

Herr Ministerpräsident, Sie haben gestern noch einmal ausdrücklich „bis zu 20 % Kürzungen bei den Förderprogrammen des Landes“ angekündigt. Neue Ehrlichkeit - ernst genommen - hieße klar zu sagen, was das für wen bedeutet;

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Ihre Eingrenzung „bis zu“ ist völlig vage. Wenn Sie in den sozialen Bereichen noch weiter kürzen, als wir das bisher schon tun mussten, werden die Strukturen nicht mehr zu halten sein. Es geht um den Erhalt der gewohnten Hilfsangebote für viele Bürgerinnen und Bürger. Für viele Beschäftigte steht dann ihr Arbeitsplatz auf dem Spiel.

Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen nur raten, in diesem Prozess sehr sensibel zu agieren. Das tun Sie leider nicht, wenn Sie hier verkünden, wo weniger Geld ist, seien mehr Ideen und Phantasie gefragt. Dahinter steht die Forderung, jeder müsse Kreativität entwickeln, mit weniger oder ohne Geld soziales Engagement aufrechtzuerhalten. - Das ist so, als würden Sie einem Bettler predigen, allein die Vorstellung eines schönen Fünf-GängeMenüs mache ihn schon satt.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestern ist dem Ministerpräsidenten ein Versprecher unterlaufen, als er sagte: „Mit uns hört der Staat auf, …“

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Ein freudscher Versprecher? Ihr Bild vom Staat ist das eines - zugegebenerweise modernisierten - Nachtwächterstaates. Sie wollen nicht den Staat als starken Partner der selbstbestimmten Bürgerinnen und Bürger. Sie wollen den Staat aus immer mehr Bereichen verdrängen. Wortwörtlich haben Sie gesagt: „Nur ein Staat, der sich auf seine Kernaufgaben konzentriert, ist auch stark.“

(Beifall von CDU und FDP)

- Nicht zu früh klatschen! Das hatten wir vorhin schon einmal! - Für uns bleibt es dabei: Einen solchen Staat können sich nur die Reichen leisten.

(Lebhafter Beifall von SPD und GRÜNEN - Widerspruch von der CDU)

Kommen wir zum Thema „Bürokratieabbau“; davon reden Sie ja gerne und viel. Gleichzeitig verweigern Sie Reformen. Die Polizeireform ist abgesagt. Die Landräte haben sich bei der CDU durchgesetzt und dürfen weiter mit Eskorte und Blaulicht durchs Land fahren.

(Minister Karl-Josef Laumann: Wo wohnen die eigentlich? - Zurufe von der CDU)

- Das müssen Sie jetzt aushalten, das war andersherum auch immer so. - Statt mehr Polizei auf die Straße zu bringen, erhalten Sie Strukturen, die in allen anderen Flächenländern gerade abgebaut werden oder schon abgebaut sind.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Die Verwaltungsstrukturreform schieben Sie auf die lange Bank. Wer eine Reform bis 2013 ankündigt, der könnte auch sagen: SanktNimmerleins-Tag.

(Werner Jostmeier [CDU]: Haben Sie ges- tern nicht zugehört?)

Eines verstehe ich dabei überhaupt nicht: Ich halte es - gelinde gesagt - für höheren Blödsinn, jetzt zuerst die Sonderbehörden aufzulösen, sie in die Bezirksregierungen zu integrieren, um dann in einigen Jahren die Bezirksregierungen abzuschaffen. Diese Logik müssten Sie mir dann im Nachhinein bitte noch einmal erklären.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wer aufmerksam die Reden und Äußerungen der neuen Regierungsmitglieder verfolgt, der spürt deutlich die Änderungen seit der Wahl.

(Zustimmung von der CDU)

Auf einmal hören wir positive Töne über NRW. Herr Rüttgers, glauben Sie und Ihr Kabinett wirklich, Sie kommen damit durch, alles das, was hier im Land in 39 Jahren an hervorragenden Strukturen aufgebaut worden ist, jetzt als Ihr Werk zu verkaufen? Glauben Sie das wirklich?

(Beifall von der SPD)

Ich kann Ihre Gründe ja verstehen, aber Sie versuchen, die Bürgerinnen und Bürger - und deshalb ist es gefährlich - um ihre Leistungen zu prellen. Sie reden die Vergangenheit schlecht, um sich die Gegenwart und Zukunft schönzumalen. Mit dieser Taktik treffen Sie aber nicht nur die SPD. Sie treffen die Menschen insgesamt und das Land.

Die SPD hat 39 Jahre lang in diesem Land regiert, weil wir gemeinsam mit den Menschen eine gute Arbeit für das Land erbracht haben. Darum haben die Wählerinnen und Wähler immer wieder uns ihr Vertrauen geschenkt.

(Zuruf von der CDU: Diesmal nicht!)

Und dieses Vertrauen werden wir zurückgewinnen. Darauf können Sie sich verlassen!

(Lebhafter Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, hören Sie sich doch einmal an, was Ihr Ministerpräsident nur fünf Tage nach seiner Vereidigung beim Besuch einer hochrangigen chinesischen Wirtschaftsdelegation gesagt hat. Es ging um das Potenzial Nordrhein-Westfalens, das nun einmal in 39 Jahren SPD-Regierung entstanden ist. Das werden Sie ja wohl kaum leugnen können.

(Widerspruch von der CDU - Zuruf von der SPD: Zuhören!)

Mit freundlicher Erlaubnis zitiere ich:

Nordrhein-Westfalen bietet Investoren exzellente Rahmenbedingungen. Nordrhein-Westfalen vereinigt bereits jetzt die meisten ausländischen Direktinvestitionen Deutschlands auf sich. Hierfür sind unter anderem eine dichte Hochschullandschaft, gut ausgebildete Fachkräfte und eine hervorragende Verkehrsinfrastruktur verantwortlich.

(Zurufe von der SPD: Hört, hört!)

Die Standspurbeschleunigung brauchen wir offensichtlich gar nicht.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ja, so ist es: Nordrhein-Westfalen ist gut, Nordrhein-Westfalen ist stark. Wir sind stolz auf dieses

Land. Es waren 39 gute Jahre für NordrheinWestfalen.

(Lebhafter Beifall von der SPD - Lachen von CDU und FDP)

Noch ein paar Realitäten dazu!

(Zurufe von der Regierungsbank)

- Ein paar Realitäten müssen Sie sich schon noch anhören. - Herr Ministerpräsident, Sie haben von einem starken Medienland NRW gesprochen. Auf dem Medienforum haben Sie den Medienstandort NRW als international Spitze gelobt.

(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers: Das habe ich nicht!)

- Das haben Sie.

(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers: Das habe ich nicht!)

Das ist das Ergebnis der Arbeit Ihrer Vorgänger Clement und Steinbrück eben gegen den Widerstand der CDU!

(Beifall von der SPD)

Herr Rüttgers, Nordrhein-Westfalen ist einer der modernsten Dienstleistungsstandorte in Europa. Im Zukunftssektor Dienstleistung arbeiten inzwischen 6 Millionen Menschen an Rhein und Ruhr. Auch das ist ein Erfolg der SPD. Sie haben immer nur gemäkelt. Unser Land ist auch im internationalen Vergleich ein Topstandort der Gesundheitswirtschaft mit heute bereits mehr als 1 Million Beschäftigten, davon mehr als 300.000 im Ruhrgebiet. 2015 werden es bis zu 200.000 mehr sein. Das ist der Erfolg der SPD. Sie standen dabei immer nur auf der Bremse, auch hier im Parlament.

(Beifall von der SPD)

Ich will Sie nicht mit einer langen Aufzählung langweilen. Aber tun Sie bitte nicht so, Herr Rüttgers, als seien Sie der Heilsbringer des Landes. Nordrhein-Westfalen war bereits vor Ihrer Regierungsübernahme ein schönes, kraftvolles Land mit phantastischen Menschen, die anzupacken wissen. Nordrhein-Westfalen ist nicht erst am 22. Mai 2005 entstanden! Hören Sie damit auf!